bauRUNDSCHAU 04/2020

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UMWELT & TECHNIK

Gasheizung mit 25 Prozent weniger Emissionen und 25 Jahren Lebensdauer senkt den Ausstoss aber bloss um ein Prozent pro Jahr. Das reicht heute klar nicht mehr aus, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

POWER TO GAS Was sagen die Image-Broschüren der Gas-Lobby dazu? Der gasförmige Energieträger in den Leitungen und Heizungsanlagen müsse ja nicht aus fossilen Quellen stammen. So lasse sich Gas sehr wohl mit dem Ziel von netto-null Emissionen vereinbaren. Und tatsächlich ist es korrekt, dass im Gasnetz prinzipiell auch ausschliesslich Biogas und synthetisches erneuerbares Gas fliessen kann. Letzteres entsteht, wenn mithilfe von erneuerbarem Strom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird und in einem zweiten Schritt der Wasserstoff mit CO2 zu Methan reagiert – der sogenannte «Power-to-Gas»-Prozess. Die Gasversorgung lässt sich also theoretisch auf vernünftigere Quellen umstellen. Die elementare Frage lautet jedoch, wie schnell? Heutzutage stammen lediglich zwei Prozent der Energie im Schweizer Gasnetz aus Biogas und null Prozent aus Power-to-Gas. Selbst die ambitionierten Ziele der Gasbranche versprechen nicht mehr als rund 15 Prozent sauberes Gas im Jahr 2030. Das bedeutet, selbst wenn es gut läuft, verbrennen Gasheizungen 2030 immer noch 85 Prozent fossiles Erdgas.

DIE SAUBEREN GAS-POTENZIALE Keine Frage – nichts spricht dagegen, dieses Ziel anzustreben und so viel naturverträgliches Biogas in der Schweiz zu erzeugen wie möglich. Aber auch die Gasbranche räumt ein, dass bei zehn bis 15 Prozent des heutigen Gasverbrauchs das Ende der Fahnenstange für einheimisches Biogas erreicht ist. Woher kommt dann der Rest? Import und «Power-to-Gas» lautet die Zauberformel. Ob eine massive Importstrategie für erneuerbares Gas ein verlässlicher Weg ist, soll jeder selbst bewerten (und dabei im Hinterkopf behalten, dass Biogas und Power-to-Gas in den Nachbarländern genauso knapp und begehrt sind wie hierzulande). Und einheimisches synthetisches Gas? Niemand verfügt über die Kristallkugel für den Blick in die Zukunft, aber manche Szenarien sind plausibler und andere weniger. Die Power-to-GasTechnologie ist heute meilenweit von der Wirtschaftlichkeit entfernt, und aufgrund ihres niedrigen Wirkungsgrads müsste die Stromerzeugung in der Schweiz nahezu

verdoppelt werden (selbstverständlich aus 100 Prozent erneuerbaren Quellen und zusätzlich zum Ersatz der Atomkraftwerke), um sämtliches verbleibendes Erdgas mit synthetischem Gas zu ersetzen. Die Powerto-Gas-Technologie ist zweifelsohne eine sinnvolle, segensreiche Innovation und es macht Sinn, tatsächliche Überschüsse an erneuerbarem Strom zur Erzeugung von Wasserstoff und / oder Methan einzusetzen. Wenngleich sollte die Frage gestellt werden: Wann haben wir in der Schweiz (oder auch in Europa) relevante Mengen an wirklich überschüssigem erneuerbarem Strom, den wir nicht klüger zu nutzen wissen, als ihn mit hohen Verlusten in Gas umzuwandeln? Strom, der durch Power-to-Gas nicht für andere effizientere Anwendungen verloren ginge und zugleich günstig genug ist, damit das synthetische Gas nicht unbezahlbar wird? Und wo genau nehmen wir genug vom CO2 zur Methanproduktion her, wenn fossile Emissionsquellen wie Zementwerke mittelfristig ausscheiden? Wohlgemerkt: Was im Jahr 2070 möglich oder wirtschaftlich ist, interessiert heute nicht, denn die Schweiz muss ihre Netto-Emissionen möglichst rasch und spätestens bis 2040 auf null herunterfahren.

SAUBERES GAS INTELLIGENT EINSETZEN Bislang gibt es jedoch keine überzeugenden Antworten auf all diese Fragen. Und deshalb sollten wir uns nicht in die Tasche lügen: Sauberes Gas wird auf absehbare Zeit ein knapper und kostbarer Energieträger sein. Und allein deshalb müssen wir ihn äusserst intelligent einsetzen. Nämlich dort, wo heute noch keine Alternativen zu einem gasförmigen oder flüs-

sigen Energieträger existieren. Beispielsweise in der Industrie, wo mit häufigen Schwankungen hohe Temperaturen erreicht werden müssen, oder im Flugverkehr. Wo wir Biogas und Power-to-Gas dagegen nicht einsetzen dürfen – und auch nicht brauchen –, ist der Gebäudesektor. Denn in fast jedem Haus in der Schweiz lassen sich die erforderlichen Temperaturen für Raumwärme und Warmwasser anders erzeugen als mit Gas oder Öl. Je nach Standort und Beschaffenheit des Gebäudes sind eine Wärmepumpe, ein Wärmenetzanschluss, eine Holzpellet-Heizung oder eine reine Solarheizung sogar günstiger und effizienter als die Umwandlung von Strom in Wasserstoff und von Wasserstoff in Methan und von Methan in Wärme. Auch mit den Alternativen zur Gasheizung wird die Dekarbonisierung der Gebäude nur aufgehen, wenn wir zugleich konsequent auf Effizienz setzen. Denn auf absehbare Zeit sind nicht nur erneuerbare Gase knapp. Auch Holz, Abwärme aus KVA und erneuerbarer Strom für Wärmepumpen gibt es nicht unbegrenzt. Das Haus der Zukunft benötigt wenig Energie und bezieht diese auf effiziente Art aus den erneuerbaren Quellen, die wir nicht dringender woanders brauchen. Für fossiles oder grünes Gas hat es daher keinen Platz.

ELMAR GROSSE RUSE ist Projektleiter Klima und Energie beim WWF Schweiz. www.wwf.ch

Biogas ist gut, kann aber nicht in ausreichenden Mengen produziert werden.

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