PONY Magazin #70 - Februar 2012

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Ku n s t

P o p

Flaumbaum

Die Zeit vor der Mehrzweckhalle

Natur mit Eingriff als Mahnung, Aufruf, Leuchtsignal – die bedingungslosen Arbeiten von Heiko Blankenstein.

Die sinnlich phrasierten Songs von Dan Freeman and the Serious.

Tina Lüers

Man hört die Leute neben sich reden über den Fleiß Heiko Blankensteins. Dass er zwei bis drei Monate für eines seiner Bilder braucht, die Objekte und Installationen nicht mitgerechnet, die brauchen länger. Dass er so sorgfältig und akribisch Strich um Strich setzt, bis aus der großen Vielzahl von kurzen Linien ein polychromes Bild aufleuchtet. In Anbetracht der schimmernd entstandenen Lichtverhältnisse rückt der Begriff, den George Seurat ursprünglich für die von ihm entwickelte Malweise des Pointillismus verwenden wollte, wieder in den Sinn: Chromoluminarismus. Licht leuchten die Motive von der Leinwand oder hell aus einem dunklen Leuchtkasten hervor. Gepaart sind diese so minimalistischen zeichnerischen Gesten, die in ihrer Akkumulation flache Farbberge erzeugen, mit den Wirbeln van Goghscher Zypressen und Hopperschem Licht, mit den Strukturen von Hendrik Goltzius’ Holzschnitten, vor allem aber mit der geballten Geworfenheit und Einsamkeit von Andrew Wyeths „Christina“. Der Mann, sein Verstärker, seine Gitarre, ein paar Steinböcke oder Gämsen in der Nähe, weiter hinten ein Haus. Jede Idee von Fleiß tritt hinter die Bedingungslosigkeit, mit der Heiko Blankenstein arbeitet, zurück. Innerster Ausdruck und schönste, zermürbende Form finden sich verbunden im politischen Agitationsmoment eines Bildes – „Monsanto“. Natur mit Eingriff als Mahnung, Aufruf, Leuchtsignal, es entstehen beabsichtigte und ungewollte Verbindungen, ein „Grundrauschen“, das der Ausstellung des Kunstvereins unter der neuen Kuratorin und Vorsitzenden, Laura Schleussner, den Titel gibt. Ein Tisch mit Verstärker weist den Verästelungen der Gedanken Raum, bezeichnet eine Mutation, halb Pflanze, halb Tier, halb Möbel. Aus der Tischplatte, deren Maserung, deren Kennzeichen für die gelebten, gewachsenen Jahre nachgezogen ist, erwächst ein Baum. Beinahe ein Geweih, eine Trophäe, verästelt sich die schmale Krone oberhalb des Rosenkranzes in Enden mehr als in Zweige. Ummantelt ist das Gewächs von fein ausgeschnittenen, einzeln bezeichneten Blättern – blaue Adern, die sich wie ein Flaum schützend um den Stamm legen.

Markus von Schwerin

Dan Freeman and the Serious spielen am 5.2. um 20:00 Uhr im Pools. Das Album „I Lie a Lot“ ist bei Solaris Empire/Broken Silence erschienen.

„Grundrauschen“; bis zum 26.2. im Künstlerhaus, Gotmarstraße 1

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Deutschlandkonzerte von Radiohead und Rufus Wainwright sind rar. Und wenn sie denn mal stattfinden, so fast nur noch in Hochkulturtempeln und Mehrzweckhallen. Für die weniger solventen Radiohead-Fans kommt zum beträchtlichen Loch in der Geldbörse noch der Wermutstropfen hinzu, die Musik der Band dann meist nur im Sitzen genießen zu können. Und von hinteren Rängen lässt sich Thom Yorkes Mimik nur per Fernglas oder aber allzu deutlich – kein Bartstoppel und Schweißtropfen bleibt da verborgen – via Riesenbildschirm betrachten. Wen wundert es da, dass sogar unter den eingeschworenen Pathos-PopFreunden es inzwischen viele vorziehen, die Bühnenaktivitäten ihrer Helden lieber auf einschlägigen Videoportalen zu verfolgen? Oder sie beherzigen die Empfehlung ihres Stadtmagazins und geben dem noch nicht arrivierten Nachwuchs die Chance, sich live – in einem sehr viel intimeren Rahmen – in ihr Herz zu spielen. Dan Freeman and the Serious bringen dafür beste Voraussetzungen mit. Wie der in Tasmanien aufgewachsene, seit 2003 in Berlin lebende Sänger und Keyboarder zusammen mit drei Ex-Jazzinstitut-Kommilitonen seine emotionalen Aufs und Abs in kraftvollen Rocksongs verarbeitet, braucht sich in puncto Dramaturgie und polyrhythmischer Raffinesse nicht vor den genannten Schmerzensmännern zu verstecken. Und wer den ausdauernden Klageton der Herren Yorke und Wainwright eher anstrengend findet, wird es beruhigen, dass der Gesang des studierten Saxofonisten weit mehr an die sinnliche Phrasierung eines Andrew Bird oder des seligen Jeff Buckley erinnert. Die passt auch viel besser zur leisen Ironie, die viele Songs auf Freemans Debüt „I Lie a Lot“ durchzieht. So enthält „Be the One“ in jeder Strophe eine weitere Absage an amouröse Vereinnahmungspraktiken, was mittels kleiner Dissonanzen auf dem Klavier dezent unterstrichen wird. Dass aus der leisen Ballade ein Progrock-Monster von Mogwai‘schem Ausmaß entstehen kann, zeichnet das Spektrum von Dan Freeman and the Serious aus. Jetzt noch erlebbar in der ersten Reihe!


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