VINSCHGER GESELLSCHAFT
Lebendiges Kulturerbe Bräuche, Riten, traditionelles Handwerk, jahrhundertealte Anbauweisen und vererbtes Wissen im Umgang mit der Natur sind eine wertevolle „Schatzkiste“. GLURNS - Das Kulturerbe im Alpenraum ist vielfältig und einzigartig. „Es ist eine Schatzkiste, in der jahrhundertealtes Wissen und Erfahrung stecken und die wir bewahren müssen“, sagte Ricarda Schmidt von Eurac Research am 25. November bei der Abschlussveranstaltung des Interreg-Projektes „Living Intangible Cultural Heritage“ im Rathaus in Glurns. Im Zuge der Projektarbeiten war unter der Leitung von Eurac Research von Oktober 2020 bis jetzt in 3 Pilotregionen das lebendige Kulturerbe erhoben und dokumentiert worden: im Aostatal und im Wallis, im Veltlin und im Puschlav, einem italienischsprachigen Südtal im Schweizer Kanton Graubünden, sowie im Vinschgau, Unterengadin und im Val Müstair. An 19 Beispielen aus dem Vinschgau und der benachbarten Schweiz haben Ricarda Schmidt und ihr Team den „Hütern der Vielfalt“ ein Gesicht gegeben. Zu den „Hütern“ aus dem Vinschgau gehört u.a. das Palabira-Komitee aus Glurns. Wie Stefan Winkler und Ignaz Niederholzer bei einem Podiumsgespräch im Namen des Komitees berichteten, gehören der Erhalt, der Weiterbestand der über 140 Palabirnbäumen und die Pflanzung neuer Setzlinge zu den Hauptaufgaben des Komitees. Bürgermeister Erich Wallnöfer hatte schon in seinen Grußworten auf die bereits tra-
Ignaz Niederholzer und Stefan Winkler (von rechts) stellten im Gespräch mit Vertretern aus dem Aostatal, dem Veltlin, der Lombardei und dem Puschlav die Aufgaben und Ziele des Palabira-Komitees vor.
ditionellen Palabiratage und auf weitere Veranstaltungen hingewiesen. Die Palabirne und deren Veredelung, Stichwort Palabirnen-Brand oder Palabirnen-Brot, ist nur eines von vielen Beispielen von lebendigem Kulturerbe in den Alpen. „Es ist wichtig, die Vielfalt dieses faszinierenden Kulturerbens aufzuzeigen, zu dokumentieren und zu bewahren“, stimmten Roland Psenner, der Präsident von Eurac Research, und Thomas Streifeneder, der Leiter des Instituts für Regionalentwicklung an der Eurac Research, überein. Es gelte, das Bewusstsein für die Vielfalt und den Reichtum des kulturellen Erbes zu stärken. Den Menschen, die jahrhundertealtes Wissen und überlieferte Praktiken erhalten und weitertragen, ist es laut Ricarda Schmidt oft gar nicht
Im Bildvordergrund (v.l.): Roland Psenner, Thomas Streifeneder, Ricarda Schmidt und Erich Wallnöfer.
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DER VINSCHGER 22/22
bewusst, dass sie einen großen Beitrag im gesamtgesellschaftlichen Interesse leisten. Auf die Pflege von Bräuchen und Riten bezog sie sich ebenso wie auf die nachhaltige und naturnahe Erzeugung von Lebensmitteln. Das lebendige Kulturerbe stärke unter anderem die Resilienz in Krisenzeiten. Die einhellige Botschaft der Abschlussveranstaltung in Glurns, zu der Vertreterinnen und Vertreter aller beteiligten Projektregionen angereist waren, lautete: das lebendige Kulturerbe birgt ein großes Potential, das es zu bewahren und aufzuwerten gilt, möglicherweise auch mit der Eintragungen in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes. Angepeilt wird die Eintragung des „alpinen Esskultur-Erbes.“ Die Ausstellung „Hüter der Vielfalt“ war bereits in
Schnals (siehe der Vinschger Nr. 13/2022), in Laas und in Glurns zu sehen. Bis zum 16. Dezember wird sie im Forschungszentrum Eurac Research in Bozen gezeigt. Voraussichtlich im Februar 2023 wird eine gleichnamige Publikation zur Ausstellung erscheinen. Porträts und Interviews mit den „Hütern der Vielfalt“ sind auch online zu finden (www.eurac. edu/de/blogs/tags/hueter-dervielfalt). Die Palette reicht vom „Stilzer Pfluagziachn“, der bäuerlichen Saatgutgewinnung, dem Getreideanbau und dem Kräuterwissen bis hin zur Weidenflechterei, dem Streuobstanbau, der Zucht und Ausbildung von Hütehunden, dem Steinmetzhandwerk, der Nutzung und Verarbeitung der Zirbe, dem Waalen, der Handweberei und dem SEPP Schnapsbrennen.
Der Getreideanbau ist eines von vielen Beispielen für lebendiges Kulturerbe in den Alpen.