Patient Wald

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VINSCHGER GESELLSCHAFT

So präsentierte sich der Gipfel der Weißkugel am 14. Juli 2022 vom Schnalstal aus dem Betrachter. Zur Frage, wie lange das noch verbliebene „Weiß“ bestehen bleiben wird, meinte Georg Kaser: „Diese letzten Reste an schnell vereisendem Firn werden in wenigen Jahren verschwunden sein.“

„Es ist lange schon 12 Uhr!“ Georg Kaser: „Wir müssen unser gesamtes Gesellschaftssystem radikal ändern.“ KARTHAUS - Georg Kaser gilt als einer der einflussreichsten Klimaforscher weltweit. Er arbeitete zweimal als Leitautor am Weltklimarat (IPCC) der Vereinten Nationen mit. Im Interview mit dem der Vinschger spricht der Glaziologe und Klimaforscher, der mit seiner Frau in Karthaus und Innsbruck lebt, über den Gletscherschwund, den Klimawandel, die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes und darüber, was passiert, wenn wir so weitermachen wie bisher.

GEORG KASER: Natürlich spielt der heurige, auch in der Höhe sehr warme Sommer eine große Rolle, noch mehr aber der sehr schneearme Winter. Das wird heuer sicher zu einem Rekordverlust an Eismasse auf unseren Gletschern führen. Wären die Gletscher allerdings gesund, dann würde sie das heurige Jahr zwar ein bisschen ins Schwitzen bringen, ihnen aber nicht allzu viel anhaben. Aber die Gletscher sind bereits sehr angeschlagen, eigentlich liegen sie bereits seit rund 20 Jahren in Agonie. Das zeigt der Vinschger: Herr Georg Kaser, wenn sich vor allem auch am Eisverlust in den man mit Menschen spricht, die heuer Gipfelflanken, dem Aufbrechen von Felsvom Ortler zurückkommen, von der inseln allerorts und dem Ablösen der ZunWeißkugel oder anderen Bergen, gen vom Oberteil der Gletscher. Alle diese auf denen es vor Jahrzehnten noch Phänomene zeigen nicht nur den Verfall große Gletscherfelder gab, stim- der Gletscher, sie beschleunigen ihn auch men alle darin überein, dass der noch. Unsere Gletscher können im Klima Gletscherschwund noch nie so gra- der letzten 20 Jahre, wenn es anhält, nicht vierend war wie heuer. Inwieweit ist überleben. Nachdem wir das Erdklima aber diese Entwicklung auf den heurigen weiter anheizen, wird das Verschwinden der außergewöhnlich warmen Sommer Gletscher nur noch beschleunigt. Und ja, zurückzuführen und inwieweit ist sowohl der bereits lange anhaltende Zerfall daran die allgemeine Erderwärmung der Gletscher, als auch das immer wärmer „Schuld“? und fallweise auch trockener werdende

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DER VINSCHGER 14/22

Klima in unseren Bergen ist das Resultat des menschgemachten Klimawandels, den wir weiter heftig vorantreiben. Als Glaziologe und Klimaforscher warnen Sie schon seit Jahrzehnten vor den Folgen des Klimawandels. Haben wir überhaupt noch Zeit genug, das Schlimmste abzuwenden?

Die Frage ist, was das Schlimmste ist. Es passiert ja schon fast wöchentlich weltweit irgendwo und zunehmend auch bei uns in Europa und in den Alpen Schlimmes, verursacht durch den menschgemachten Klimawandel. Das wäre nur aufhaltbar, wenn wir sehr schnell nicht nur den Ausstoß an Treibhausgasen auf null bringen würden, sondern zudem so viel Treibhausgas aus der Atmosphäre holen würden, bis die Erde wieder deutlich unter den heutigen Wert von über 1,1°C über vorindustriellen Werten absinken würde. Danach schaut es derzeit überhaupt nicht aus. Das Einhalten des +1,5°C Zieles scheint täglich unrealistischer zu werden und ob wir uns in einer +2°C Welt einigermaßen einrichten können,


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