VINSCHGER THEMA
Neustart auf Hochnaturns Eine Zeitenwende im Schloss: In Hochnaturns eröffnen neue Besitzer neue Perspektiven.
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NATURNS - Ein Mensch kann sich im Gebüsch verheddern, bei Schloss Hochnaturns verheddert man sich seit 784 Jahren in Geschichte und Geschichten. Es ist schlichtweg unglaublich, mit wie vielen Aufstiegen und Aussterben von Adelsfamilien das „Gschlössl von Nathurns“ verflochten ist. Allein die Liste der Besitzer, Pächter und Bewohner ist ein Streifzug durch die Adels- und Ereignisgeschichte Tirols. Selbst Nationalsozialisten und Faschisten gaben sich im Schlössl die Klinke in die Hand. Wie kommt die kleine Wehrburg überhaupt zum Titel Schloss? Die Frage war an Franz Gurschler gerichtet. Der Enkel des legendären Kurzhofbauern Serafin Gurschler in Kurzras hat in die Besitzerfamilie eingeheiratet und 41 seiner 81 Jahre auf Schloss Naturns – seit 1726 Hochnaturns - verlebt und gewirtschaftet. Lächelnd erklärte er in der „Ursula-Gesindestube“: „Von der Anlage her ist es eine Burg, aber durch die Tatsache, dass man darauf meist angenehm gelebt hat, wurde es im Dorf immer Schloss genannt.“ Die Frage, welches Geschlecht wann zur „wehrhaften Bauphase“ mit zwei Ecktürmen, einem kleineren Turm und einer Bastei beigetragen hat, kann höchstens durch aufwändige Archivarbeit beantwortet werden (s. Bild S. 5).
Eine erste Besonderheit lieferten bereits die ersten Bewohner 1237. Ein Haidenricus und Walterus de Naturnes standen zuerst im Dienst der Tiroler Grafen, später – sonderbar im Vinschgau – der Grafen von Görz-Tirol. Ab 1350 gerät die Burg Naturns in einen regelrechten Strudel von Erbstreitigkeiten, Prozessen und Belehnungen. Sie setzten mit Erbtochter Ursula ein und zogen sich durch eine Unmenge von Adels-
Im Burgenzimmer ein Kachelofen mit dem Wappen der Fieger aus Hall und dem gelb-blauen Wappen der Herren von Naturns, alte Linie heute Gemeindewappen.
August Kleeberg aus Frankfurt (auf Hochnaturns von 1913 bis 1943) stoppte den Verfall der Burg mit Hilfe einheimischer Handwerker und Künstler.
DER VINSCHGER 03/22
Die neuen Besitzer Martin Gritsch (links) und Wolfram Gapp unter dem Wandteppich mit der Gemeinden übergreifenden „Hedwig-Sage“
Dienstmannen von Tirol und Görz
familien. Mit Maximilian I. und Ferdinand I. waren gleich zwei Römisch-Deutsche Kaiser involviert. Sogar die Bischöfe von Brixen hatten ihre Hände im Spiel. Bis 1838 bestimmten Adelige in Hochnaturns, dann kamen Bauern zum Zug. Beinahe wäre die Burg zum Steinbruch geworden. Erst ein Tourist und Südtirol-Liebhaber aus Hessen, ein gewisser Gottfried Georg Haas, begann zu sichern und umzubauen. 1913 reichte der Hesse die Burg am „Ursula-Berg“ an den nächsten Hessen August Kleeberg weiter. Über ihn hat Franz Gurschler 2012 ein Referat gehalten, nicht die Burg betreffend, sondern um dessen Verdienste als Entdecker der Malereien in St. Prokulus zu würdigen. Seit 1950 ist die Burg denkmalgeschützt. Während man über den hölzernen Umgang vorbei an Fresken aus der Sagenwelt den großen Saal, das Herz der Burg, betrat, erzählte Franz vom Besuch des letzten Habsburger Kaisers Karl, als das Schloss 1917 zum Lazarett geworden war. Ein Bauernführer und Rebell Im Saal fielen die historischen Truhen als Mobiliar, aber auch ein farbiger Wandteppich ins Auge. Das Teppichknüpfen sei die Lieblingsbeschäftigung der Besitzerin Josefine Schguanin Mastropaolo aus Taufers
Mit Abundus Graf von Hochnaturns und Falkenstein, ein Anhänger Luthers, knüpfte der BurgenRomantiker Kleeberg an das Motiv der büßenden Seele in Gestalt eines schwarzen Pudels an.