VINSCHGER GESELLSCHAFT
Erstaunen, Entsetzen, Hoffnung Unterschiedlicher könnten sie nicht sein: Lara Domeneghetti, Nadja Senoner und Esther Stocker. Eine kleine Reise von Schlanders über Eidsvoll (Norwegen) nach Wien gibt Fragmente ihrer persönlichen Coronawelten preis. SCHLANDERS/EIDSVOLL/WIEN -
Corona trifft nicht alle gleich. Auch nicht Kunst- und Kulturschaffende. Trotz der großen Belastung durch Corona mussten diese sich bereits in Vor-Coronazeiten auf wacklige Jahre der finanziellen Ungewissheit ein-
stellen. Glück spielte auch vor der Pandemie eine Rolle: Jenes Glück, mit der Kunst das Leben zu bestreiten – oder zumindest ein zweites stabiles Standbein zu haben, das die Möglichkeit bietet, ihr nachgehen zu können. Für viele Kulturschaffende - wie für
etliche andere Freiberufler - ist es gang und gäbe, unterbezahlte, unsichere Nebenjobs anzunehmen, um dem nachzugehen, was sie wirklich können. Dass die Pandemie in diesen Fällen nicht Ursache, sondern Beschleuniger ist, ist deutlich zu sehen. Trotz-
dem haben wir dort nachgefragt, wo die finanzielle Sicherheit nicht das Hauptthema ist – da das Spektrum der Herausforderungen in Zeiten von Corona weit darüber hinausgeht. KATHARINA HOHENSTEIN
Foto: Judith Stehlik
Foto: Markus Gradwohl
Esther Stocker, Malerin und Installationskünstlerin
Aktuell - Installation, 2020, im showroom Kohlmaier Wien
Esther Stocker
Sie zählt zu den Top-100 Künstler/innen in Italien und ist mit Malereien von Gittergebilden in Schwarz-Weiß und jenen Installationen, die immer auch Raummanipulationen sind, bekannt geworden: Esther Stocker, 46 Jahre alt, aufgewachsen in Laatsch. 2016 gestaltete sie den Tsunemaya-Bahnhof in Tamano-Stadt für die Setouchi Triennale in Japan, 2018 fertigte sie mit der Fassade des Museums gegenstandsfreier Kunst (Ottendorf/D) eine Museumsansicht, die das ansonsten übliche Schwarz durch Grau ersetzt. Im vergangenen Jahr stellte sie eine Arbeit für China fertig: das „Square Universe“ an der Nordseite des Huangpu, im Rahmen der Shanghai Urban Space Art Season. Die erste Coronawelle
an internationalen Projekten weiterarbeiten: „Ich habe auch einige Ausstellungen und Projekte aus der Ferne fertiggestellt – eine Notlösung. Gleichzeitig ist es wichtig, dass es diesen Austausch gibt, dass Kunstereignisse stattfinden.“ Und, fügt sie hinzu, es sei ebenso wichtig, dass diese ohne Ländergrenzen stattfänden, da die Sprache der Kunst universell sei. „Meine Projekte wurden verschoben, abgesagt – und erstaunlicherweise auch durchgeführt. Mitten in der kulturellen Wüste finden unglaublich engagierte Ereignisse statt. Die Menschen hungern nach echten Erlebnissen. Vielleicht ist dieser Hunger ganz gut. Alle Menschen wollen Erfahrungen machen, sich verwirklichen oder Erlebnisse teilen. Die Kunst ist
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im Frühjahr 2020, schreibt die Künstlerin aus Wien, erlebte sie vor allem „mit Erstaunen und Entsetzen. Isolation und das Einschränken der persönlichen Freiheiten sind keine schönen Erlebnisse. Gleichzeitig habe ich Respekt vor dieser Situation und fühle mich der Gemeinschaft verpflichtet. Beängstigend finde ich vor allem die Rückschritte für die Frauen, sie machen mich betroffen und außerordentlich wütend“. Wie vorher schon arbeite sie einfach weiter, denn für Künstler/innen „sind Ausfälle und Unregelmäßigkeiten generell nichts Neues, auch wenn sie üblicherweise nicht in Form eines Pandemie-Geschehens einhergehen.“ Trotz Lockdown und veränderten Arbeitsbedingungen konnte sie
auf Austausch angewiesen.“ Generell sei es immer ratsam, die Angst vor dem Neuen abzulegen; das, so Esther Stocker, gelte auch für die Kunst: „Angst vor neuer Kunst bringt eine Gesellschaft nicht voran. Ich hoffe sehr, dass in sehr neue, sehr gegenwärtige und herausfordernde Kunst investiert werden wird“. Die Künstlerin schwankt zwischen Zukunftsoptimismus und der Erkenntnis, dass nicht nur die derzeitige Situation fragil ist, sondern der Mensch generell die Gabe des Verdrängens und Vergessens besitzt. „Ob wirklich daraus gelernt werden kann? Ich weiß es nicht. Besonders lernfähig scheinen die Menschen nicht zu sein.“