Kriegsgefangenschaft in Russland

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VINSCHGER THEMA

In der Hand das Sterbebild seines Freundes und Kameraden, Franz Abart (verstorben am 1. Juli 2018 im Alter von 92 Jahren).

Gefangen in Russland Der 91-Jährige Andreas Sachsalber war 5 Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft. Der Zeitzeuge erinnert sich an eine schreckliche Zeit. SCHLEIS - 3,2 Millionen Soldaten der deutschen Armee gerieten mit Ende des 2. Weltkrieges in Russland in Kriegsgefangenschaft. 1.900 davon waren Südtiroler. Einer davon ist der Schleiser Andreas Sachsalber. „Es war der 25. April 1945. Die Russen haben unsere Division in Berlin eingekesselt. Dann ging alles schnell. Wir wurden gefangen genommen“, erinnert sich der heute 91-Jährige im Gespräch mit dem der Vinschger im Malser Martinsheim. Erst seit einigen Monaten ist er dort untergebracht. Er fühlt sich wohl, erzählt Geschichten aus seinem Leben, einem Leben voller Ereignisse. Wertvolle Erfahrungen, schöne Momente, aber es war vor allem ein Leben, das von schrecklichen fünf Jahren geprägt war – den Jahren in russischer Gefangenschaft. Es war im September 1944. Andreas Sachsalber, damals noch zarte 17 Jahre alt, wurde zur Deutschen Wehrmacht eingezogen. Doch schon bald zeichnete sich die schwerste Niederlage der deutschen Kriegsgeschichte ab. „Zu dieser Zeit marschierten wir noch zu Fuß von Berlin nach Frankfurt an der Oder. Über 100 Kilometer Fußmarsch, Kämpfe an der Front. Wir hatten nur mehr unsere Gewehre“, blickt Sachsalber zurück. Später ging es wieder nach Berlin. Dort überschritten

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die ersten sowjetischen Einheiten am 21. April die Stadtgrenze. Wenig später kamen auch die amerikanischen Soldaten hinzu. Die Alliierten waren dabei, Berlin zu erobern und den Krieg zu beenden. Deutsche Soldaten wurden getötet oder gerieten in Kriegsgefangenschaft. „Die Gewehre mussten wir wegwerfen. Wir hatten keine Chance und uns bereits ergeben. Wir standen den Amis gegenüber. Die konnten mit uns wohl nichts anfangen und haben uns an die Russen übergeben“, erzählt Sachsalber. Die wirkliche Tortur sollte nun beginnen. Hilfe bei russischem Wiederaufbau Es war der 13. Juni als die Gefangenen nach wochenlanger Zug-Fahrt die Sowjetunion erreichten. „Ich stieg halb tot aus dem Waggon, und da ging die Sonne am Horizont auf. Blutrot. Das war mein erster Eindruck von Russland, ein wunderschönes Bild“, so Sachsalber. Anfangs ging es für die Kriegsgefangenen nach Podolsk. Für ein Jahr hielten sie sich dort auf. Gleich bei Ankunft wurde mit der harten Arbeit begonnen. Später ging es dann in die heutige Weißrussische Hauptstadt Minsk. „Die Stadt war damals völlig zerstört. Mir mussten aufräumen und beim Wiederauf-

bau helfen“, erzählt der Schleiser. blickt Sachsalber zurück. Und Geschickt habe er sich angestellt, nur wer seine vorgeschriebene auf dem Bau sei er stets tüchtig Arbeitsnorm vollständig erfüllt gewesen. Die harte körperliche habe, erhielt auch seine vollstänArbeit habe er ertragen, „was dige Lebensmittelration. Dass es sollte man auch sonst machen?“. die härteste Zeit seines Lebens Nach drei Jahren in Minsk ging es gewesen war, stehe außer Frage. 1949 nach Kiew. Dort wurden die Viel Leid, viele Grausamkeiten Kriegsgefangenen dazu benutzt, habe er in den Jahren der Gefanein Entbindungsheim aufzubauen. genschaft gesehen und erlebt. Das Leben der Kriegsgefangenen war Tod oder gefangen? geprägt vom täglichen Umgang mit dem Tod. „Viele Kameraden Hoffen, Bangen, Ungewissheit. starben“, sagt Sachsalber. InsgeDie Zeit in russischer Gefangen- samt mehr als eine Million Kriegsschaft war auch für die Eltern von gefangener starben hinter dem Andreas Sachsalber eine schlim- russischen Stacheldraht. Der Tod me Zeit. Sie führten in Schleis wurde Alltag. Unterernährung, den heimatlichen Hof, 3 Jahre Krankheiten und die damit kaum lang hörten sie nichts von ihrem zu bewältigende schwere Arbeit einzigen Kind. Sollte er im Krieg waren unter anderem Ursachen gefallen oder in Gefangenschaft für das Massensterben. Die hygiegeraten sein? Erst 1947 über- nischen Zustände seien natürlich brachte der Tauferer Josef Spiess katastrophal gewesen. Gefangene die Botschaft. „Er war mit mir in wurden zu „Entlausungsstationen“ Gefangenschaft und durfte früher begleitet, dort wurden die Läuse nach Hause als andere. Ich habe abgetötet. Gegen die Wanzen ihm gesagt, ‚schau bei mir daheim habe man jedoch kein Mittel gevorbei und sag, dass ich noch funden. am Leben bin‘. Den Gefallen hat er mir natürlich getan“, erzählt Die Heimkehr Sachsalber. Später fand auch ein Briefwechsel mit der Heimat statt. Es war im Jahre 1950, als endlich für Andreas Sachsalber mit Harte Jahre dem 20. Mai der Tag kam, auf den Kriegsgefangene warten. Die EntDie Arbeit war hart, das Essen lassung. „Wir kamen in ein Lager bescheiden. „Wassrige Suppe. Das nach Rumänien, nach Marmaros war unser Hauptnahrungsmittel“, Sziget. Dort wurde man sozu-


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