VINSCHGER GESELLSCHAFT LESERBRIEFE
PESTIZIDPROBEN AUF SÜDTIROLER KINDERSPIELPLÄTZEN 2017 - OFFENER BRIEF AN DIE LANDESRÄTE MARTHA STOCKER UND ARNOLD SCHULER Bereits seit einigen Jahren weist die Umweltschutzgruppe Vinschgau darauf hin, dass sensible Zonen im Vinschgau, wie Kinderspielplätze, Schulhöfe, Sportanlagen u. a. mit Pestiziden kontaminiert sind. Am 20. Oktober 2017 wurde eine vom Dachverband für Natur- und Umweltschutz in Auftrag gegebene repräsentative Studie in Bozen vorgestellt. Die Fragestellung der heuer durchgeführten Studie lautete: „Sind auf Grasflächen von Kinderspielplätzen im Obstbaugebiet Südtirols in der Hauptspritzzeit Pestizide nachweisbar?“ Zum Untersuchungsgebiet gehörten die Tallagen von Mals bis Salurn, sowie das mittlere Eisacktal. Aus den 125 öffentlichen Spielplätzen
des Untersuchungsgebietes wurden nach dem Zufallsprinzip 71 ausgewählt. Aufgrund des angewandten Untersuchungsdesigns gilt das Ergebnis für sämtliche Spielplätze im Untersuchungsgebiet: 45% aller Spielplätze im Obstbaugebiet Südtirols waren im Moment der Untersuchung kontaminiert, 14 Wirkstoffe wurden gefunden. Besonders dramatisch ist die Situation im Vinschgau, wo 76% aller Spielplätze in den Tallagen zwischen Mals und der Töll mit Pestiziden belastet sind. Die Reaktionen des Südtiroler Gesundheitsbetriebes und des Landesrates Arnold Schuler sind nicht nachvollziehbar: Auf Südtirols Kinderspielplätzen gibt es keine gefährlichen Pestizide - Gras ist nicht zum menschlichen Verzehr vorgesehen, die festgestellten Mengen sind minimal und nicht Gesundheit gefährdend. Wenngleich Gras nicht gegessen wird, so berührt ein Kind das Gras, die Spielgeräte, den Sand mit seinen Händen. Sobald das Kind
schaftlich noch ungeklärt sind seine Hände in den Mund steckt, kommt es mit den Pestiziden und bislang nicht Bestandteil direkt in Kontakt. Das Eindrin- der Risikobewertung bei der gen von Pestiziden über Lunge Zulassung von Pestiziden sind, und Haut und die damit ver- umgegangen? (58% der Proben bundenen Risiken wurde wenig mit Pestizidrückständen waren untersucht. Bislang wurde das mehrfach belastet) Risiko von Pestiziden v. a. auf der Basis von Studien mit oraler • Ab welcher Menge geht von Verabreichung bewertet. Wir den gefundenen Wirkstoffen ersuchen Sie um Beantwortung in Kombination eine Gefahr für die Gesundheit aus? folgender Fragen: • Wieso sind möglich hormon- • Auf welchen wissenschaftlichen schädigende (das gilt für 71% Fakten beruhen obgenannte der 14 gefundenen Wirkstoffe) Aussage des Südtiroler Saniund irreversibel die Fortpflan- tätsbetriebes und des Landeszung schädigende Wirkstoffe rates Schuler? für Südtiroler Kinder und Eltern nicht gefährlich? VORSTAND DER UMWELTSCHUTZGRUPPE VINSCHGAU (EVA PRANTL - VORSITZENDE),
• Wie können die Verantwortlichen garantieren, dass die im Gras gefundenen Wirkstoffe sich nicht in der Luft befinden, die eingeatmet wird?
01.11.2017
• Wie wird mit Kombinationseffekten sogenannter Cocktailmischungen, die wissen-
BOZEN - „Was die Pestizidbelastung im öffentlichen Raum angeht, so entsprechen die Ergebnisse der vom Dachverband für Naturund Umweltschutz in Auftrag gegebenen Untersuchungen jenen der Sektion Umweltmedizin des Südtiroler Sanitätsbetriebes, die bei ihren Probeentnahmen und deren Untersuchung amtlich gesicherte Verfahren anwendet.“ Mit dieser Feststellung antworten Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler und Gesundheitslandesrätin Martha Stocker auf ein Schreiben der Umweltschutzgruppe Vinschgau (siehe oben). Stocker und Schuler stützen sich auf die Analysen der Sektion Umweltmedizin. Aus den Daten gehe hervor, dass mit Sicherheit weder Erwachsene noch Kinder über das Gras soviel Giftstoffe aufnehmen können, dass die Unbedenklichkeitsgrenze überschritten werde, wie der Chef-Umweltmediziner im Sanitätsbetrieb, Lino Wegher, in seiner Analyse darlegt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der
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ADI-Wert (d. h., die Menge einer täglichen Aufnahme, die für den Menschen als unbedenklich gilt) bei einer ständigen Exposition berechnet werde, Pflanzenschutzmittelrückstände hingegen meist nur in der Zeit der Ausbringung vorkommen. „Bezogen auf den in Rabland nachgewiesenen Penconazol-Höchstwert müsste beispielsweise also ein Kind mit 30 Kilogramm Körpergewicht im Jahr mindestens 14 Kilo Gras pro Tag zu sich nehmen, um den ADIWert, der an und für sich noch unbedenklich ist, zu erreichen“, erklärt der Umweltmediziner. Wegher erinnert auch daran, dass die Proben Ende Mai entnommen wurden, also in einem Zeitraum, in dem in der Landwirtschaft Pflanzenschutzbehandlungen vorgenommen werden, und trotzdem 39 - also 55 Prozent der insgesamt 71 Probenahmen frei von Pflanzenschutzmittelrückständen waren. In drei der restlichen 32 Proben wurde lediglich das Desinfektionsmittel
Foto: Südtiroler Beratungsring für Obst- und Weinbau
Pflanzenschutzmittel: „Erhebungen decken sich, keine Gefahr“ Benzalkoniumchlorid nachgewiesen. In einer einzigen Probe wurde 2-Phenylphenol gefunden. „Es handelt sich hierbei um ein Konservierungsmittel, also kein Pflanzenschutzmittel“, erklärt der Umweltmediziner. Den hohen Wert des Wirkstoffes Cypermethrin in einer Probe - dessen nachgewiesene Menge in etwa gleich hoch ist, wie die der anderen Rückstände zusammen - führt er auf eine Aktion zur Bekämpfung der Tigermücke zurück. Dabei sei ein frei verkäufliches Mittel zum Einsatz gekommen, das nicht zu den in der Landwirtschaft eingesetzten Pflanzenschutzmitteln LPA zählt.