VINSCHGER GESELLSCHAFT
Im Bild links Lucius Tamm (links) mit dem Moderator Markus Lobis; rechts Eva Prantl, die Vorsitzende der Umweltschutzgruppe Vinschgau.
Obstwirtschaft wohin? Lucius Tamm: Apfelproduzenten stehen vor großen Herausforderungen. „Chemisch-synthetische Pestizide sind massiv zu reduzieren.“ SCHLANDERS - Dass es durchaus möglich ist, auch über Themen wie Pestizide, Monokultur, Pflanzenschutz und Apfelanbau-Systeme sachlich und ohne Emotionen zu diskutieren, zeigte sich am 30. März im voll besetzten Saal des Kulturhauses in Schlanders. Es war die Umweltschutzgruppe Vinschgau, die den Agrarwissenschaftler Lucius Tamm vom Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz zu einem Vortrags- und Diskussionsabend eingeladen hatte. Tamm stellte einleitend fest, dass die Apfelbauern im Vinschgau eine Riesenleistung erbringen. Er sei durch das ganze Tal gefahren: „Ihr habt eine unglaublich schöne Landschaft und tragt eine Riesenverantwortung.“ Tamm findet es gut, „wenn mit der Landwirtschaft Geld verdient wird und Arbeitsplätze geschaffen werden.“
Pestizide stellen ein großes Gesundheitsrisiko dar Ausgehend von Erhebungen in der Schweiz, wo vor allem in Obstbaugebieten über 100 Pestizide in Fließgewässern nachgewiesen wurden, sowie von wissenschaftlichen Studien in den USA und anderen Ländern, sei es laut Tamm allerdings unbestritten, dass speziell chemisch-synthetische Pestizide ein großes Gesundheitsrisiko darstellen. Vor allem Pestizid-Cocktails geben Anlass zur Sorge, „weil niemand weiß, wie sie wirken.“ Grundsätzlich hielt der Agrarwissenschaftler fest,
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DER VINSCHGER 12/17
dass die Umwelt weder mit Pestizi- und Schädlinge zwar in den Griff den, noch mit anderen Chemikalien zu bekommen sind, die Lagerkrankbelastet werden sollte. heiten aber zunehmen. Was die resistenten Sorten betrifft, „kann man damit im Integrierten Anbau zwar Große Unterschiede zwischen Bio und IP ein paar Probleme lösen, aber bei weitem nicht alle.“ Viel mehr PotentiBei den Vergleichen, die Tamm al liege diesbezüglich im Bio-Anbau. zwischen konventionellem, Auch auf Systeme, die den Einbau integriertem und biologischem von Biodiversitäts-Elementen vorseAnbau sowie weiteren, neuartigen hen, ging Tamm ein, im Besonderen Anbau-Systemen anstellte, zeigte auf die Errichtung von Blühstreifen. sich, dass viele Dinge oft viel kom- Ein Versuch, Äpfel ohne Pflanzenplizierter und vielschichtiger sind als schutz zu produzieren, habe gezeigt, allgemein angenommen. Unbestrit- dass die Artenvielfalt von Pflanzen, ten sei aber, dass Pflanzenschutz- Vögeln und Insekten zunimmt und mittel, die im Bio-Anbau eingesetzt das Schädlingsniveau erstaunlich tief werden, fast ausnahmslos schnell gehalten werden kann, der Krankabbaubar sind, nicht in die Pflanzen heitsbefall aber ist sehr hoch. Aueindringen und kaum Rückstände ßerdem können neue Krankheiten hinterlassen. Zum Kupfer mein- auftreten. Grundsätzlich hielt Tamm te Tamm, dass die Bauern in der fest, dass eine erfolgreiche ApfelproSchweiz damit sorgfältig umgehen. duktion ohne Pflanzenschutz so gut Eine weitaus größere Kupfer-Menge wie nicht möglich ist. Der Aspekt werde in Futtermitteln (Schweine) der Produktionskosten, der Ernteeingesetzt. Die schädlichen Auswir- mengen und der Erlöse für die Prokungen von Kupfer auf die Umwelt duzenten sei immer mit zu berücksei überschätzt worden. „Trotzdem sichtigen. Die Herausforderungen, muss Kupfer weiter reduziert wer- denen sich die Apfelproduzenten den“, so Tamm. stellen müssen, sind laut Tamm groß und vielfältig, aber sie sind zu schaffen. Als erste Herausforderung Neue Strategien nannte er eine massive Reduktion Auch auf Anbaumethoden, bei von chemisch-synthetischen Pesdenen auf Pestizide verzichtet wird tiziden. Auch in Gärten, Nachbarund die zum Teil noch in der Ex zellen und Naturflächen muss der perimentierphase sind, ging Tamm Eintrag von Pflanzenschutzmitteln ein. Bei der „Low Residue Produkti- vermindert werden: „Die Mitbeglüon“, bei der nur während der ersten ckung des Nachbarn ist ein Unding.“ Vegetationsphase herkömmlicher Auch der Klimawandel, „der bereits Pflanzenschutz betrieben wird, habe jetzt passiert“, die Kontrolle der sich gezeigt, dass Blattkrankheiten Hauptkrankheiten und Schädlinge
sowie die Wirtschaftlichkeit für den Landwirtschaftssektor und der Schutz des Tourismus gehören zu den Herausforderungen. Wie kombinieren wir Landwirtschaft und Wohnen? Außerdem seien Antworten auf folgende Frage zu finden: Wie kombinieren wir Landwirtschaft und Wohnen? Tamm ist überzeugt, dass es letztendlich nur betriebsübergreifende Lösungen geben kann: „Es braucht ein Denken in Landschaftsräumen, nicht in Parzellen.“ Ökologische Leistungen müssten anerkannt und entschädigt werden. Der Integrierte Anbau muss sich gewaltig weiterentwickeln, um den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren und die biologische Vielfalt zu fördern. Auch Bio ist noch lange nicht zu Ende entwickelt. Viele Themen angesprochen Bei der von Markus Lobis moderierten Diskussion wurden viele Themen angesprochen. Die P alette reichte vom Einsatz homöopa thischer Mittel im Pflanzenschutz und dem Bienensterben bis hin zur Volksinitiative „Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide“, für die derzeit Unterschriften gesammelt werden. Bedauert wurde, dass im Vinschgau die Wertschätzung den Bauern gegenüber zu wünschen übrig lasse. Auch auf den Umstand, dass die Landwirtschaft in Südtirol stark auf den Export ausgerichtet