Alpine Avantgarden und urbane Alpen

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und opferreichen Kampf gegen die Naturgewalten oder das apokalyptische Narrativ des menschlichen Machbarkeitswahns. Die Speerspitze des technischen Fortschritts, so könnte man sagen, erzeugte in ihrem Fahrwasser jene „Natürlichkeit“, in der sich die KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und TouristInnen aus den Großstädten dann versenken konnten. Jedoch gelang es nur selten, die Geburt der Alpen aus der Moderne tatsächlich unsichtbar zu machen. Die Idealisierung der alpinen Natur war oft – gewollt oder ungewollt – mit einem medientechnischen und künstlerischen Avantgardismus verbunden – von Weggefährten der historischen Avantgarden bis hin zu Vertretern der Popularkultur wie Luis Trenker. Das Imaginäre der Alpen verband sich auf der anderen Seite immer wieder mit genuin urbanen Kulturen. Im Rahmen der Herausbildung nobler Kur- und alpiner Wintersportorte (Bad Ischl, Zermatt, St. Moritz) ließen sich die Eliten im Voralpenraum nieder. Darüber hinaus nahmen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts KünstlerInnen, LiteratInnen und FilmemacherInnen wie Ernst Lubitsch oder Leni Riefenstahl dem Alpinen an. Dabei geht häufig die Idealisierung der Natur mit einem künstlerischen Avantgardismus einher. Das vorliegende Heft möchte aber auch danach fragen, inwieweit es eine Kontinuität ‚alpiner Avantgarden‘, die technisch-ästhetischen Fortschritt und weltanschaulichen Konservatismus vereinen, gibt. Neben den alpinen Moden und Modernen der Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit lässt sich nämlich in den letzten Jahren eine neuer­ liche ‚vague alpine‘ beobachten. Im sportlichen und touristischen Kontext ist eine weitere Welle der Urbanisierung der Alpen und eine zunehmende Alpinisierung des urbanen Raums festzustellen. Gegenstand der Auseinander­ setzung ist hier u.a. der zeitgenössiche Hype von Pilgerreisen, Kletterhallen, ‚alpine‘ Architektur- und Kleidungsstile, und eine Flut neuer Bergfilme. Sie erfreuen sich nicht zuletzt an Orten einer zunehmende Beliebtheit, die oft weit von den Alpen entfernt sind und nicht zuletzt in jungen, technophilen Milieus – ganz im Sinne von Stoibers prägnanter Parole von ‚Laptop und Lederhose‘. Gleichzeitig werden die Alpen von urbaner Eventkultur ‚heim­ gesucht‘: Nicht nur das Phänomen der Snowboardkultur, sondern auch Technoparties auf italienischen Berggipfeln sind Teil davon. Das Heft interessiert sich also auch für Orte der Alpen jenseits der Alpen und möchte so dazu beitragen, die Alpen in der Kartografie der Moderne differenzierter zu verorten. Viel Spaß beim Lesen wünschen Karin Harrasser, Julia Köhne, Theresa Öhler, Larissa Schindler, Daniel Winkler und Marie-Noëlle Yazdanpanah (für diese Ausgabe verantwortliche Redaktion)

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