Hannah Weinz, Tabuisierung und Enttabuisierung von Sexualität im Alter

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Tabu von Sexualität im Alter

Vorschriften

drücken sich hingegen im manchen Kulturkreisen konkret in der

Gesetzgebung aus (vgl. Sydow (1993), S. 140-142). Da die christliche Sexualmoral den größten Einfluss auf die Normen unseres Kulturkreises nimmt, soll diese näher erläutert werden: Sie ruht (vor allem in der katholischen Variante) auf zwei Fundamenten (vgl. Batholomäus (1993), S. 77): „Fortpflanzungszentrierung“ und „Ehezentrierung“ (Bartholomäus (1993), S. 77). „Fortpflanzungszentrierung“

(Bartholomäus

(1993),

S.

77)

beschreibt

die

ausschließliche Erlaubnis zu sexuellem Verhalten, wenn die Zeugung von Kindern bezweckt wird. Somit beinhaltet dieses Gebot auch ganz klar das Verbot von Selbstbefriedigung, Homosexualität, sexueller Lust, „unnatürlichen Stellungen“ beim Koitus, sowie von analen und oralen Formen der Befriedigung und Empfängnisverhütung. Dieses Prinzip hat sich über die Jahrhunderte hinweg gelockert und verändert. So gestattet die katholische Kirche heute den Geschlechtsakt innerhalb der Ehe, wenn die generelle Bereitschaft für Kinderempfängnis gegeben ist (vgl. Batholomäus (1993), S. 77-80). Auch die Liebe erhält inzwischen vor allem seit dem zweiten Vatikanischen Konzil als Motivation/ Legitimation für den Geschlechtsakt innerhalb der Ehe ethisch ein stärkeres Gewicht gegenüber der Zeugungsabsicht5. Mit der „Ehezentrierung“ (Bartholomäus (1993), S. 77) gibt die christlichbürgerliche Sexualmoral eine klare Rahmenbedingung für gelebte Sexualität vor. Im Gegensatz zu der Fortpflanzungszentrierung wurde diese Grundlinie im Mittelalter zumindest für Männer sehr freizügig ausgelegt (vgl. Bartholomäus (1993), S. 80-81). Erst ab dem 17. Jahrhundert wurden außereheliche sexuelle Erfahrungen als „schwere Sünde“ (Bartholomäus (1993), S. 81) betitelt. Die beiden Fundamente des christlich-bürgerlichen Konzepts von Sexualität beeinflussen bis heute unsere Gesellschaft, zum Beispiel ist heute noch Sexualerziehung in der Schule vorrangig im Fach Biologie verpflichtet, wo lediglich Informationen über Fortpflanzung und Schwangerschaft thematisiert werden. Durch die Verinnerlichung dieses Sexualkonzepts wird es zu einem Sinnkonstrukt, das Wahrnehmung und Erleben von sexueller Wirklichkeit deutlich beeinflusst (vgl. 5

„Der Zeugungszweck als ‚finis primarius’ der traditionellen Ehetheologie rückt in eine Reihe mit den Zielen ‚Ausdruck der Liebe’ (mutuum adjutorium) und ‚Ordnung des sexuellen Begehrens’ (remedium concupiscentiae).“ Hans-Jakob Weinz, Referent für Ehepastoral im Erzbistum Köln,

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