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Buchbesprechungen – Comptes rendus

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mit Plutarchs Kimon und Perikles, in denen Ion am meisten zitiert wird. Im ersten Text lässt die Erwähnung von Namen und Herkunftsort die persönliche Meinung eines Aussenseiters über Kimon eindringen. Hingegen führt Plutarch im zweiten Text Ion explizit als Dichter an, um seinen unsteten Geist zu betonen bzw. eine anekdotische Erzählung über Perikles in scheinbar unpolitischem Gewand zu präsentieren. P. zeigt, dass die kleinsten Abweichungen in Zitierweise Unterschiede entlarven in der Art und Weise, wie Plutarch mit der aus den Epidemiai klingenden, immanent politischen Stimme Ions umgeht. Zugleich erleuchtet er durch seine vorbildliche Lektüre in beträchtlichem Masse den Gattungscharakter der ansonsten sehr obskuren Epidemiai. Alles in allem lässt sich sagen, dass das Kriterium der Originalität in allen Beiträgen in hohem Masse erfüllt ist, was das Lesen des Bandes zum wahren Vergnügen macht. Die Herausgeber haben einen hohen Grad an innerer Kohärenz des Bandes erzielt, die durch die operative Anordnung der Beiträge und die darin zu findenden Querverweise erfolgt. Druckfehler sind dementsprechend auf ein Mindestmass reduziert. Gewisse Themen und Textpassagen tauchen mehrfach auf, so kommt es z.B. zur Wiederholung von Aussagen über Ions Vielseitigkeit, aber dies ist schwer zu vermeiden, wenn man die begrenzte Anzahl der erhaltenen Fragmente des Werks von Ion bedenkt. Trotzdem kann man mit Blick auf die gewonnenen Forschungserkenntnisse nur hoffen, dass in Zukunft ähnliche Projekte zu fragmentarisch überlieferten Autoren unternommen und genauso erfolgreich ausgeführt werden. Marios Skempis Amalia Margherita Cirio: Gli epigrammi di Giulia Balbilla (ricordi di una dama di corte) e altri testi al femminile sul Colosso di Memnone. Satura – Testi e studi di letteratura antica a cura di Onofrio Vox, 9. Edizioni Pensa Multimedia, Lecce 2011. 175 S., 8 Abb., 1 Tab. Unter den zahlreichen Kritzeleien auf der Kolossalstatue des Memnon im ägyptischen Theben sind vier äolische Epigramme von Julia Balbilla erhalten, in denen sie den Besuch Hadrians und seiner Gattin Sabina verewigt. Cirio widmet diesen Gedichten und ihrer aus der kommagenischen Herrscherfamilie stammenden Dichterin, die in der bisherigen Forschung ganz vernachlässigt oder nur stiefmütterlich behandelt wurde, eine eigene Studie, in welcher sie die soziokulturelle und religiöse Dimension dieser Texte sowie ihre literarhistorische Bedeutung aufzeigt. Der Neuedition mit Beschreibung der Inschriften, ausführlichem kritischen Apparat, Übersetzung und Kommentar geht eine Einleitung voraus, in der Cirio einerseits die antiken Zeugnisse zur Memnonstatue und ihrem wundersamen Sprechen bei Sonnenaufgang auswertet, andererseits für Julia Balbilla als eine der spätesten bekannten Nachahmerinnen der sapphischen Dichtung einen Platz in der Literaturgeschichte beansprucht. Die Epigramme verbinden die Form des elegischen Distichon mit literarischem Äolisch, das durch homerische Elemente ergänzt wird, und bezeugen das Bestreben einer selbstbewussten und gebildeten Dichterin, sich in die Tradition ihrer berühmten lesbischen Vorgängerin einzureihen. Ferner führt Cirio aus, dass diese literarisch ambitiösen Kompositionen sowie die Rolle, die ihrer Verfasserin als Gefährtin der Kaiserin Sabina zukommt, im philhellenischen Kontext des hadrianischen Kaiserhofs zu sehen sind. Zwei Anhänge stellen Julia Balbilla ausserdem in einen grösseren Zusammenhang: Im ersten bespricht Cirio weitere Inschriften von Frauen auf der Memnonstatue und evoziert auf diese Weise den zeitgenössischen Kontext weiblichen Schreibens, und im zweiten macht Cirio den Versuch, den Marmorkopf einer namenlosen jungen Frau aus der Villa Hadriana mit Julia Balbilla zu identifizieren. Christine Luz Calum Alasdair Maciver: Quintus Smyrnaeus’ Posthomerica. Engaging Homer in Late Antiquity. Mnemosyne Suppl. 343. Brill, Leiden/Boston 2012. Calum Macivers Monographie setzt einen seit einiger Zeit anhaltenden Trend in der Gräzistik fort, die griechische Epik der Kaiserzeit aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Quintus Smyrnaeus, der mit seinem Epos Posthomerica die Ilias nahtlos fortsetzt, ist der ‹homerischste› unter den späteren Epikern und somit am anfälligsten für Negativurteile bezüglich Qualität und Originalität. Dass Maciver die spezifische ‹Spätheit› dieses Werkes in den Fokus seiner Studie rückt, ist somit nur folgerichtig. Seine poetologischen Beobachtungen im ersten Kapitel (7–38) zur posthomerischen


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