Kleidung aus Papier

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Kleidung aus Papier Die erstaunliche Vielfalt und Stofflichkeit des Materials

Elisabeth Paul 2009



Inhalt Beispiele f端r Papierkleidung Papiergarn herstellen Papierkleider in Kunst und Design


Japan Shifu erstmals 1638 erwähnt Shifu ist Stoff aus verwebtem Japanpapier. Shi bedeutet Papier, fu heißt Tuch oder Gewebe.

Grundmaterial ist Japanpapier, das möglichst schlicht, feinfasrig und regelmäßig sein sollte. Die Grundfasern dieses Papiers werden aus folgenden Pflanzen gewonnen: Papiermaulbeerbaum (kozo-Strauch) Seidelbastgewächs (mitsumata und gampi)

Aus Mangel an anderen Materialien verwendete man ursprünglich die hochwertigen Papierseiten alter Rechnungsbücher (fukocho) für die Shifu-Herstellung

Shifu‑Stoffe haben hervorragende Trageeigenschaften. Sie reagieren intensiver als andere Stoffe auf Körperwärme und Verdunstung und passen sich organisch den Körperformen an. Im Sommer sind sie leicht wie Leinen, saugen Körperschweiss gut auf ohne zu kleben. Dicht gewebte Stoffe halten aufgrund der isolierenden Wirkung von Papier im Winter gut warm. Fein gewebte Shifu-Stoffe schmeicheln dem Körper und haben einen besonders schönen Fall. Shifu­Stoffe können problemlos gewaschen werden.


Die Anfänge des Shifu gehen auf die Landbevölkerung zurück. Aus Mangel diente das Papier alter Rechnungsbücher als Grundmaterial. Sie entdeckten die Stabilität der fest gedrehten Papierstreifen. Diese konnten zu Geweben verwoben werden. Auch Adlige und die Samurai übernahmen das Shifu-Verfahren der Bauern und verfeinerten es zu einem beinahe rituellen Akt. Aus einem Blatt Papier (38 cm x 53 cm) wurden Garne mit über 100 m Länge gewonnen. Die daraus gewebten Stoffqualitäten waren mit feinster Seide vegleichbar. Die Herstellung fand nun in großen Werkstätten in einem arbeitsteiligen Verfahren statt. Das wichtigste Produktionszentrum für Shifu war die Stadt Shiroishi, 300 km nördlich von Tokio.

Im Hintergrund: Grob gewebter Arbeitsmantel eines Bauern aus verarbeiteten Rechnungsbüchern Im Vordergrund: Geknüpftes Unterhemd eines Samuraikriegers aus feinstem Shifu


DDR Modelabel „Sonnidee“ 1968 Ä Päschn For Fäschn – Wie der POP in den Osten kam Das Vliesettkleid als Modeschlager der Saison

Vliesett ist bis zu fünfmal waschbar. Es wird in Papiertechnologie hergestellt und besteht zu 60 % aus Viskose. Zum Tragen der Kleider gab die Jugendzeitschrift „Junge Welt“ den Rat: „Vliesettkleider sollten nicht in der Schule und vor allem nicht beim Rad​fahren oder Federballspiel getragen werden. Sie dürfen auch nicht zu eng am Körper liegen, weil durch starkes Bewegen der Arme Einreißgefahr besteht. Dafür hat das Papierkleid andere Vorteile: Die Länge des Kleides konnte mühelos selbst bestimmt werden: Ihr nehmt eine Schere und schneidet die entsprechenden Zentimeter ab. Umsäumen ist dann nicht mehr erforderlich. Bei Rissen klebt man von links einen Streifen durchsichtige Klebefolie darüber, dann ist er von außen weder zu spüren noch zu sehen. Allerdings muss dieser ‚Klebevorgang‘ nach jeder Wäsche wiederholt werden, da sich der Klebstoff durch das Wasser löst.“

Die Papierkleider wurden als praktische Urlaubsbekleidung beworben. Sie nahmen wenig Platz im Koffer weg


1967 sollte es der DDR-Jugend an die Wäsche gehen. Im Dezember des besagten Jahres stellte die FDJ-Führung trocken fest, dass die Situation im Bereich der Jugendmode in vielerlei Hinsicht verbesserungswürdig sei. Kein Wunder. Bis dato hatte sich im Arbeiter- und Bauernstaat niemand ernsthaft mit dem Thema beschäftigt. Das Bekleidungsangebot für Teenager unterschied sich von der Mode der Erwachsenen nur in einem Punkt: der Kleidergröße. Eine Aktion „Jugendmode“ sollte gestartet werden. In nur wenigen Monate arbeiteten die Fachleute an der Modekollektion. Im Frühling 1968 präsentierten sie das Ergebnis unter dem Motto „Jugendmode 68 - kess und farbenfroh“. Und sie hatten auch schon einen schmissigen Markennamen für die neue Linie: „Sonnidee - sonnige Jugend, ideenreich gekleidet“ Das Bedürfnis nach jugendlicher Kleidung war offensichtlich größer, als die Funktionäre angenommen hatten. Vor den Jugendmodezentren bildeten sich lange Schlangen, die Shirts, Schuhe und Hosen waren im Handumdrehen ausverkauft. Eine andere Lösung musste her. Daher startete die Redaktion der „Jungen Welt“ im Mai 1968 eine Werbeaktion für Mädchenkleider aus Vliestextilien. Es eigne sich zum Stadtoder Strandbummel, zum Tanzen, aber vor allem sei es ein Modeschlager für nur eine Saison, was die Redakteure der „Jungen Welt“ begeistert hervorhoben: „Sie kommen unserem Bedürfnis entgegen, etwas modisch Neues schnell ausprobieren zu können.“ Und das sollte auch deshalb kein Problem sein, weil das Kleid preisgünstig, für nur 11,50 Mark zu bekommen sei.

In Wirklichkeit waren die Kleider aber weder bequem noch zweckmäßig. Einige der „Junge Welt“-Leserinnen merkten außerdem an, dass die Papierkleider genau genommen gar nicht so besonders preisgünstig seien. So schrieb eine Jugendliche aus Jena in einem Leserbrief: „Ist der Preis von 11,50 für solch ein zwar modisches, aber auch wenig strapazierfähiges und kurzlebiges Kleid nicht etwas hoch? Schon für 16 Mark gibt es Zellwollkleider, die nicht so empfindlich sind.“ So war der Hype um die neue Papiermode von beinahe ebenso kurzer Dauer wie die Haltbarkeit der Kleider selbst.


Deutschland und Finnland Papier als Ersatzmaterial in Krisenzeiten 19. und 20. Jahrhundert Totenkleidung aus Papier Die Sterbewäsche ärmerer Leute bestand aus Papier. Bis in die 1960–er Jahre war die Verwendung von Totenhemden aus Papier üblich. Aus Umweltgründen wurden diese in den letzten Jahren wieder aktuell.

Papierwäsche Aus Mangel an Rohstoffen wurde Mitte des 19. Jahrhunderts Papier als Ersatzmaterial für die Textilerzeugung genutzt. Es wurde für Accessoires wie Hemdkrägen, Unterwäsche, Krawatten, Manschetten und Bettbezüge verwendet. Ende des 19. Jahrhunderts kamen Männerhemden in Mode, an die separat produzierte Krägen, Manschetten und Vorhemden geknöpft werden konnten. Dies hatte den Vorteil, dass die Einzelteile je nach Notwendigkeit getrennt, gereinigt oder ersetzt werden konnten. Oft wurden Spitzenmuster und Gewebestrukturen in das Papier geprägt, um die textile Wirkung zu erhöhen. Der erste Weltkrieg Ein Ausfuhrverbot der Verbündeten brachte den Import ausländischer Güter beinahe zum Erliegen. Es fehlten die notwendigen Textilfasern. Eine Suche nach Ersatzstoffen setzte ein. Die Technologie zur Produktion von Textilfasern wurde entwickelt. Zwischen 1915 und 1918 wurden pro Monat 600 Tonnen Papiergewebe produziert. Die Produkte waren unter der Bevölkerung nicht beliebt. Die Qualität, Waschbarkeit und Trageeingenschaften waren schlecht. Das Material war sehr unelastisch und hart. Nach Beendigung des Krieges verschwand es rasch aus dem täglichen Leben.


Finnland Aufgrund der politischen Situation herrschte Rohstoffmangel in Finnland. Auch nach der Anerkennung als eigener Staat 1948 hatte das Land noch lange Reparationszahlungen in Form von Rohstoffen an Russland zu leisten. Auch die im Land vorhandenen Textilfasern gehörten dazu. Viel länger als in anderen Ländern mussten sich die Textilgestalter mit Ersatzstoffen befassen. Die Papierfaser wurde auf hohem technischem und gestalterischem Niveau verarbeitet. Die Euphorie über die Unabhängigkeit des Landes setzte künstlerisches Potenzial frei und trug zur Findung einer eigenständigen, finnischen Identität bei. Namhafte Designer produzierten Modelle in Großbetrieben oder eigenen Werkstätten. Die berühmteste Textilschaffende war Dora Jung. Als sich Ende der 1950–er Jahre die wirtschaftliche Situation besserte, ver-schwand die Produktion der Papiergarne langsam. Die Kollektionen der Künstler und Designer blieben erhalten und sind im Design Museum von Helsinki aufbewahrt. Es verwundert nicht, dass der sich derzeit in Europa ausbreitende Papierschnurboom in den 1980–er Jahren in Finnland seinen Anfang nahm



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Herstellung von Shifu‑Garn Benötigte Materialien: »» Shifu‑Papier »» Geodreieck, Bleistift »» Schneidunterlage »» Eisenlineal »» Papiermesser »» Sprühflasche »» Matte mit griffiger Oberfläche (z.B. Bambus) »» Schraubzwingen »» Geschirrtücher »» Plastikschüssel »» Plastiksäckchen »» Spindel oder Spinnrad

1. Falten Den Papierbogen in W-Form quer zur Faserrichtung des Papiers falten. 2. Markieren Schneidepunkte oben und unten markieren. Eine Streifenbreite von 2 mm ‑ 10 mm wählen. 3. Schneiden Das gefaltete Papier auf einer harten Unterlage mit dem Papiermesser in Streifen schneiden. Den Mittelfalz durchschneiden. An den Aussenkanten etwa 1 cm breite ungeschnittene Verbindungsstellen bestehen lassen. 5. Befeuchten Die ausgefalteten, geschnittenen Papiere für sieben bis acht Stunden in feuchte Tücher einschlagen. Die Menge an Feuchtigkeit ist abhängig von der Papierart.

6. Rollen Den geschnittenen Papierbogen auf Matte mit griffiger Unterlage rollen. Viel Fingerspitzengefühl ist notwenig, um das Papier nicht zu beschädigen. Zuerst mit wenig, dann mit zunehmendem Druck arbeiten. Zwischendurch das Papier ausschütteln und verhakte Teile voneinander lösen. 8. Endloses Zick-Zack-Band reissen Das gerollte Papier so auseinanderreissen, dass ein endloses Band entsteht. Dazu bei jedem zweiten Verbindungsstück die noch bestehende Verbindung durchreissen. Während des Abtrennens die Übergangsstellen zwischen Daumen und Zeigefinger leicht eindrehen. 9. Übergangsstellen eindrehen Dabei wird das Papierband zu einem festen und kompakten Faden verdreht. Mit folgenden Werkzeugen ist dies möglich: »» von Hand »» mit der Handspindel »» mit dem Spinnrad


1. Falten

4. Ausfalten

7. Vorgeformte Papierstreifen

2. Markieren

5. Befeuchten

8. Endloses Zick-Zack-Band reissen

3. Schneiden

6. Rollen

9. Ăœbergangsstellen eindrehen



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Russland Elena Gregusova 2008

Gรถtter der Hoffnung und des Geistes

Calicos Sterne und die Seidenstrasse


USA und Japan Andy Warhol und Issey Miyake 60–er Jahre

Pop-Art und Schockfarben


USA Jolis Paons 2008

Armut, Design, Kleid, minimal, Telefonbuch


D채nemark Ann Schmidt-Christensen und Grete Wittrock 1991

Folded Dresses

The Bird


Schweiz Esther Chabloz 1996

Ungeb채ndigte nat체rliche Faltung des Materials, unterstrichen im Endprodukt


Schweiz Gisela Progin 1993

Die Eigenständigkeit des Materials hervorgehoben – Papier spürbar machen


Belgien Isabelle de Borchgrave 2000

Mode als Institution der demonstrativen Verschwendung. Die Trägerin eines aufwändigen, unpraktischen Kleidungsstückes hat es nicht nötig, durch körperliche Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.


USA James Rosenquist 1933

„The swimmer in the econo-mist“ Hugo Boss kreiert den legendären Paper Suit 1998 neu.

Der Werkstoff als Symbol der Sorglosigkeit in der Wegwerfgesellschaft


Deutschland Arlette Paul 2009

Am Sonntag geht der kleine B채r mit seiner Braut ins Bl체tenmeer


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Das Schwein hat einen Schwimmring an damit es besser schwimmen kann

In der heiĂ&#x;en Sonnenglut tut ein kĂźhles ein Stirnband gut