Familie rockt 11

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Im sechsten Monat schwanger. Endlich. Viele Jahre hatte es gedauert, bis ihr Kinderwunsch in Erfüllung ging. Ein letzter Urlaub in Südtirol vor der Geburt. Dass daraus ein langer Aufenthalt werden sollte, wußten sie nicht. Und dass der Kampf um ihr Kind noch lange nicht zu Ende war auch nicht. Hier folgt Heidi Sillers Geburtsgeschichte: Zuhause bereiteten wir eine Sauce Bolognese zu, rösteten Zwiebel und brieten Faschiertes an. Von der Pasta aß ich drei Teller und fühlte mich anschließend immer noch hungrig, gleichzeitig aber auch gefräßig und aufgebläht. Ich musste mich hinlegen und eine halbe Stunde ausruhen. Es gelang mir tatsächlich, einzuschlafen. Als ich aufwachte, wusste ich sofort, dass etwas definitiv nicht in Ordnung war. Es war Monate her, seit ich meine Menstruation zum letzten Mal bekommen hatte, aber ich kannte das Gefühl, wenn sie sich ankündigte, nur zu gut. Und genau dieses Gefühl hatte ich in diesem Moment. Und es passte nicht hierher. Ich blieb mit geschlossenen Augen auf dem Sofa liegen. Solange ich meinen Zustand nicht veränderte, würde nichts passieren. Solange ich die Augen nicht öffnete, war alles in Ordnung. Eine Minute. Fünf Minuten. Irgendwann musste ich aber aufstehen und weiterleben. Vielleicht war auch alles in Ordnung. Schnell zur Toilette gehen und nachsehen. Dann aufatmen, über meine Unsicherheit, meine zwanghaft besorgten Gedanken lächeln. Im Vorbeigehen küsste ich Michael auf die Wange. Was sollte denn nicht stimmen, wir waren im Urlaub, die Sonne schien und wir erwarteten ein Baby.

Dunkle Vorzeichen Ich ging auf die Toilette. Es war gar nichts. Ich atmete auf. Na eben. Mit mir selbst nachsichtig schüttelte ich den Kopf. Langsam übertrieb ich es offenbar wirklich mit meiner Ängstlichkeit. Nachdem ich fertig war, warf ich einen Blick auf das benutzte Toilettenpapier. Und da war es plötzlich, wie befürchtet, wie der Anfang des schlimmsten Albtraums, den man sich vorstellen konnte: ein dunkelbrauner Fleck. Altes Blut. Besser als frisches Blut, das hellrot wäre. Aber es war und blieb Blut, und Blut, das aus der Vagina kommt, hat in einer normalen Schwangerschaft nichts verloren. Gut, es mochte in ein paar Prozent der Fälle beinahe nichts bedeuten, etwas Überanstrengung oder eine geplatzte Ader, aber davon ging ich nicht aus. Ich hatte doch bereits die ganze Zeit gefühlt, dass etwas hier ganz und gar nicht stimmte. Wie gelähmt sah ich mich im Spiegel an. Ich sah mein erschrockenes Gesicht und erkannte mich kaum wieder, diese Augen waren mir ganz fremd. Und ich wusste: nun würde sich mein Leben verändern, wie es das noch nie getan hatte. Und ich war machtlos, hilflos, verzweifelt. Dennoch blieb ich noch einige Momente hier auf der Toilette und klammerte mich am Waschbecken fest. Solange ich hier ausharrte, neben der feuchten, duftenden Wäsche, in böser Vorahnung aber doch für mich alleine, konnte Michael draußen an seinem Laptop sitzen und musste noch nicht zu leiden beginnen, er konnte die milde Spätsommersonne genießen, die sein Gesicht wärmte. Er dachte nicht an mich oder das Baby, und das war gut so. Jede Sekunde mehr war jetzt kostbar.

Im Spital schlägt die Realität zu Endlich begann er zu sprechen, und das erste, was der Arzt sagte, war: „Ich habe leider keine guten Nachrichten.“ Bumm. Mein Muttermund hätte sich bereits geöffnet, schon zwei Zentimeter, und außerdem wäre meine Fruchtblase zu sehen. Obwohl ich ja schon vorher mit schlimmen Nachrichten gerechnet hatte, trafen

mich seine Worte schwer. Er erklärte mir, dass mein Kind an der Grenze zur Lebensfähigkeit wäre. Ein kleiner Mensch, der 700 Gramm wog. Aber 700 Gramm wären doch nicht schlecht, meldete ich mich zu Wort, alles, was über 500 Gramm ist, ist doch gut, hatte alle Chancen. Da war ich offenbar im Irrtum: die Anzahl der Schwangerschaftswochen war viel wichtiger. Die magische 500Gramm-Grenze besagte lediglich, dass die Chancen darunter verschwindend gering sind. Aber nicht automatisch, dass ein Kind ab einem halben Kilo Gewicht auf jeden Fall durchkommen würde.

Umsiedeln in ein größeres Spital Ich wurde samt Bett in den Helikopter befördert und mir wurden Kopfhörer aufgesetzt. Dann wurde es laut und windig, aber dass wir abhoben, uns in der Luft befanden, tatsächlich flogen, das alles konnte ich im Liegen nicht wahrnehmen. Neben mir saß ein Notarzt. Auf seinem Namensschild stand Vittorio. Er sprach kein Wort, es gab auch nichts zu sagen. Irgendwann landeten wir. Wahrscheinlich war der landende Hubschrauber Gesprächsthema bei allen, die gerade rund ums Krankenhaus zu tun hatten. Wieder wurde ich durch ein Krankenhaus geschoben. Diesmal durch eines, das ich von außen noch nie gesehen hatte. Die jungen Männer versuchten betont locker zu sein. Sie machten ein paar Scherze. Obwohl ich das durchschaute, tat es mir gut. Als wir auf die Geburtshilfestation kamen, hörten wir Babys schreien, praktisch aus jedem einzelnen Zimmer. An einer Tür stand eine frisch gebackene Mama mit ihrem Säugling im Arm und musterte mich neugierig. Die Mitarbeiterin vom Roten Kreuz sagte zu ihrem Kollegen, wie süß und klein das Baby sei. Der Kollege gab ihr daraufhin ein Zeichen mit der Hand, dass sie ruhig sein sollte. Ich sah seine Handbewegung nicht, aber ich fühlte, was hinter meinem Rücken geschah. Da war dieses schuldbewusste Schweigen. Wegen mir. Ich wurde in kein Krankenzimmer geschoben, sondern in den Raum, wo CTGs geschrieben werden, das Zimmer direkt neben den Kreißsälen. Die Leute vom Roten Kreuz wünschten mir alles Gute und meinten es auch so, ich sah es ihnen an.

Warten auf das Kind Nach der Visite kam Michael. Ich war so froh, ihn zu sehen und brach sofort in Tränen aus. Obwohl wir erleichtert waren, beieinander zu sein, wussten wir nicht viel zu reden. Es war alles entweder zu banal oder zu heikel, zu ungewiss oder zu schmerzhaft. Als das Mittagessen serviert wurde, war ich wieder nicht sicher, ob ich mich überhaupt aufsetzen durfte und so fütterte Michael mich im Liegen. Bei aller Verzweiflung hatte ich den besten Mann an meiner Seite. Einmal am Tag telefonierte ich mit meinen Eltern. Jedes dieser Telefonate verlangte mir alles ab. Ich musste positiv klingen, Sätze sagen, an die ich nicht glaubte, eine Zukunft erschaffen, die es möglicherweise nicht geben würde. Meine Mutter wollte nach Bozen kommen, aber das lehnte ich ab. Fünf Minuten ohne Blickkontakt konnte ich schauspielern, aber nicht von Angesicht zu Angesicht. Am Sonntag würden die Schwiegereltern auf Besuch kommen, das würde schwierig genug werden. Den ganzen Tag nichts anderes machen, als dutzende Male das Plakat zu lesen, das auf der Wand gegenüber meinem Bett hing. Die wenigen informativen Worte über das Verbot der Handynutzung, die ich schon lange auswendig konnte. Die Monotonie machte mich wahnsinnig, der Zwang, diese Zeilen immer und immer wieder zu lesen, wie in einem Fiebertraum.

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