Pasta! Sommer 2013 Doppelausgabe

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PASTA! Bist Du es eigentlich leid, immer wieder erklären zu müssen, was ein Countertenor ist? SPENGLER Nein, denn so oft muss ich es gar nicht mehr erklären. Durch den Boom der Barockmusik wissen mittlerweile recht viele, dass Countertenöre beim Singen nur die Ränder ihrer Stimmlippen und nicht die ganzen Stimmbänder benutzen und dadurch in der Lage sind, Alt- und teilweise sogar Sopranstimmen zu singen. Trotz der zunehmenden Verbreitung von Countertenören passiert es aber immer wieder, dass Zuhörer zu kichern anfangen, wenn sie mich mit dieser Falsett-Technik singen hören. Es wird wahrscheinlich noch eine Weile dauern, bis Countertenöre so normal und anerkannt sind wie Tenöre, Baritone und Bässe. PASTA! Beeinflussen Dich solche Reaktionen? SPENGLER Ich kann sie ganz gut ausblenden. Wenn ich singe, bin ich sehr konzentriert auf die Musik, ich bin dann irgendwie in einer anderen Welt. Neben den kichernden Zuhörern gibt es in meinen Konzerten aber auch viele, die von der Musik richtig ergriffen sind. Das merke ich zum Beispiel unmittelbar nach den Stücken. Den Moment, wenn sich nach dem letzten Ton zunächst niemand zu klatschen traut, genieße ich sehr. Diese Stille vor dem Applaus ist für mich das Schönste. PASTA! Jochen Kowalski, ein weltweit geschätzter Countertenor, muss sich nicht der Falsett-Technik bedienen, um in der Altlage zu singen. Er singt mit seiner Normalstimme. Falsett ist für ihn „asexuelles Gesäusel“. Würdest Du das unterschreiben? SPENGLER Unter den Countertenören gibt es natürlich solche und solche. Die Falsettstimmen gewisser Countertenöre klingen tatsächlich nach asexuellem Gesäusel. Da muss ich Jochen Kowalski rechtgeben. Ich persönlich fühle mich aber nicht angesprochen. PASTA! Stimmt es, dass Countertenöre früher an ihre stimmlichen und körperlichen Grenzen kommen als andere Sänger? SPENGLER Nein, das ist ein Mythos, genauso wie die Annahme, dass man als Sänger nichts Kaltes trinken dürfe und nichts Scharfes essen sollte. Wenn ein Auftritt ansteht, muss man natürlich eine gewisse Disziplin an den Tag legen. Da sollte man vorher nicht um die Häuser ziehen. Mich nerven aber diese hyperventilierenden Sängerkollegen, die meinen, nach einer Vorstellung sofort schlafen gehen zu müssen, keinen Alkohol trinken zu dürfen und keine Nüsse essen zu können. PASTA! Wie kommt es, dass Du bisher noch

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keine CD herausgebracht hast? SPENGLER Ich habe da einfach einen hohen Anspruch. Mir ist es wichtig, eine sehr gute erste Aufnahme zu machen. Denn im Unterschied zu einem Konzert, wird man an einer CD jahrelang gemessen. Hinzu kommt, dass man für eine CD sehr viel Zeit im Studio verbringen muss, in meinem Fall mit einem Pianisten oder einem Orchester. Bisher hat es sich einfach nicht ergeben. PASTA! Hast Du bestimmte Vorstellungen oder Wünsche, welche Musik Du aufnehmen möchtest und mit wem? SPENGLER Es wird sicher eine CD mit Barockmusik sein. Das erwartet man einfach von einem Countertenor. Ich könnte es mir zum Beispiel sehr gut vorstellen, mit Michi Gaigg und dem „L’Orfeo Barockorchester“ ins Studio zu gehen: ein tolles Orchester mit einer unglaublich guten Dirigentin. Konkrete Pläne gibt es bisher aber noch nicht. PASTA! Liegt Dir das Szenische der Opern und Operetten? Machst Du das gerne? SPENGLER Oh ja, sehr gerne. Mein nächstes Opern-Projekt beginnt im Herbst in Eggenfelden am Theater an der Rott. „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck steht auf dem Programm. In meinen Augen ist das eine hammergeile Oper. Ich werde die Hexe spielen. Das ist eine sehr interessante Rolle. Meines Wissens wurde sie bisher noch nie von einem Countertenor gesungen. Bei der Rolle kann man seine ganze Boshaftigkeit ausleben. Musikalisch hat die Hexe die besten Stücke der ganzen Oper. Es klingt teilweise hochromantisch, fast schon nach Richard Wagner. Wir werden ein Arrangement von Helga Pogatschar aufführen, eine recht schräge Version für elf Instrumente, inklusive Hackbrett und Akkordeon. Ich freue mich schon sehr auf diese Produktion. PASTA! In der nachbarocken Oper gab es nur selten Rollen für Countertenöre. Erst im 20. Jahrhundert wurden wieder Opern komponiert, in denen für sie Rollen vorgesehen sind. Kannst Du mit diesen modernen Opern etwas anfangen? SPENGLER Jein, es kommt immer darauf an. Ich habe mich lange geweigert, moderne Lieder zu singen. Mit der Zeit habe ich aber festgestellt, dass es für Countertenöre auch in der Moderne viel Interessantes gibt. Die Opern von Benjamin Britten gefallen mir zum Beispiel sehr gut, „A Midsummer Night’s Dream“ oder „Death in Venice“ sind tolle Werke. Opern, die kein Sänger singen kann, bei denen du merkst, dass sie am Computer komponiert wurden, gefallen mir allerdings überhaupt nicht. Die finde ich schrecklich.

PASTA! Was macht Deiner Meinung nach eine gute Operninszenierung aus? Wann ist Oper mehr als ein musikalischer Zeitvertreib mit Sektpause? SPENGLER Gut finde ich eine Operninszenierung, wenn sie mich mitreißt, wenn ich bei der Vorstellung nicht auf die Uhr schaue, sondern die Zeit völlig vergesse. Eine Oper darf mich nicht langweilen. PASTA! Wann ist es Dir zuletzt so ergangen, dass Du bei einer Operninszenierung die Zeit vergessen hast? SPENGLER Die „Polnische Hochzeit“ am Theater an der Rott war die letzte Inszenierung, bei der mir das passiert ist. Diese Operette ist von Joseph Beer, einem jüdischen Komponisten, der unter den Nazis aus Wien fliehen musste. Lange Zeit wurde die „Polnische Hochzeit“ nicht mehr aufgeführt. Erst 2011 wurde das Stück neuaufgelegt. In Eggenfelden war die deutsche Erstaufführung. Ich saß drin und dachte mir: Wow! Grandiose Musik, tolle Sänger und eine wirklich gelungene Inszenierung. PASTA! Wie ist es möglich, dass an diesem Landkreistheater in Eggenfelden solche Produktionen zustande kommen? SPENGLER Ich denke, das ist in erster Linie dem Intendanten Karl Sibelius zu verdanken. Er bietet einem tolle Stücke, tolle Regisseure und tolle Kollegen. Das motiviert. Unter solchen Bedingungen spielt es dann auch keine Rolle, ob man ein Engagement an einem großen Haus oder in der Provinz hat. PASTA! Hast Du konkrete Ziele für die Zeit nach dem Studium? Strebst Du ein festes Engagement an? SPENGLER Am Mozarteum habe ich noch ein Jahr vor mir. Ich hätte nichts dagegen, danach ein festes Engagement einzugehen. Als Countertenor ist das allerdings unwahrscheinlich. Außerdem finde ich es auch toll, unterwegs zu sein und immer wieder neue Menschen kennenzulernen. PASTA! Können Dir Deine Professoren am Mozarteum überhaupt noch etwas beibringen? SPENGLER Ja, sicher. Wer als Sänger meint, nichts mehr dazulernen zu können oder zu müssen, der ist schon auf dem absteigenden Ast. Man muss immer dranbleiben. PASTA! Abschließende Frage: Mit welchem Stadtmusikanten kannst Du Dich am ehesten identifizieren? SPENGLER Mit dem Hund, ich bin ein Hundenarr.

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