PASTA! November 2014

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die schand

gesandt, glaubt er. Doch der da ganz oben sagt schon lange nichts mehr. Wäre mir aber auch peinlich, wenn ich so ein zweibeiniges Montagsprodukt in meine Schöpfung gesetzt hätte. Trotzdem – lassen Sie mich nochmal kurz auf das Bild des in die Arbeit fahrenden Normalbürgers zurückgreifen: Angenommen, er ist eines Tages gewillt, die paar Ausblendungsmechanismen zu deaktivieren, welche man allgemein unter dem Begriff „Ignoranz“ zusammenfasst: Vielleicht fällt ihm dann plötzlich auf, dass sich um ihn herum leere Sitze befinden, die er sinnlos mit sich herumfährt. Vielleicht macht ihm dann auch jenes neue Logistikzentrum zu schaffen, das da gerade wieder seinen Teil zu den 17 Hektar beiträgt, die in Bayern täglich zubetoniert werden – nächstes Jahrtausendhochwasser inklusive. Vielleicht denkt er sogar noch so weit, dass er sich fragt, wofür man diese ganze Logistik eigentlich

braucht. Für die unzähligen Discounter etwa (manchmal frage ich mich, warum die Menschen vor deren krebsartiger Ausbreitung bei uns nicht flächendeckend an Hunger krepiert sind)? Oder etwa für die zehn Pakete pro Woche, deren Inhalt sich für die Aufhübschungsversuche von Frau und Tochter meist ohnehin nicht als zielführend erweist? Vielleicht nervt ihn das alles irgendwann einfach mal, dieses postmoderne Dinosauriertum, dieses Wohlstandsmästen auf Kosten derer, denen wir im Höchstfall ein paar Reste vor die Füße werfen. Vielleicht liegt hierin die Hoffnung der Menschheit. Genervte Menschen haben schon ganze Revolutionen entfacht. Hier wäre es eben mal das Genervt-Sein von sich selbst. Mir geht es mittlerweile (oder besser: Ich gehe ich mir) auf die Nerven, wenn ich aus purer Faulheit mit dem Auto zum Semmelnholen fahre. Ist immerhin ein Anfang. Und allem Anfang wohnt ja bekanntlich ein Zauber inne – solange es eben kein fauler ist.

Langsam

wird’s

eng

Zweifellos, unser Lebensstandard bewegt sich auf hohem Niveau – ganz im Gegensatz zum Grad der Reflexion über die Folgen, die wir damit Millionen anderen Menschen sowie unseren und deren Nachkommen aufbürden. Wir befeuern damit von Tag zu Tag die Dynamik eines Prozesses, dessen Ausläufer – ob in Gestalt massiver Umweltprobleme, Fluchtbewegungen oder Wirtschaftskrisen – früher oder später auch unsere „Insel der Seligen“ erreichen werden. Darauf hinzuweisen ist Ziel dieser Serie. Zumal wir als Verbraucher über ein gewaltiges Machtpotenzial verfügen. Da mag mancher den allseits verhassten „erhobenen“ Zeigefinger aufscheinen sehen – doch er sei getröstet: Den sieht auch der Autor täglich (im Spiegel), zieht ihn aber dem gesenkten Daumen eindeutig vor. Und das ist doch schon mal was.

du sollst zu fuß semmeln holen november 2014

Christian Götz ... ist weder Veganer noch Carsharer oder Ökoaktivist. Dafür jedoch regelmäßig erstaunt, wie leicht es sein kann, mit einem Bröckchen weniger Plunder diese Welt ein Stückchen besser zu machen.

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