Leonce und Lena

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soziale Drama in der deutschen Literatur. Büchner brach hierin mit der sogenannten Ständeklausel und machte erstmals den vierten Stand tragikfähig. Die soziale Determiniertheit des Menschen und das fatalistische Geschichtsbild Büchners stehen hier, ebenso wie in seinen anderen Dramen, im Mittelpunkt der Handlung. Leonce und Lena entstand 1836 anlässlich eines Lustspiel-Wettbewerbs des Verlegers Cotta, wo es allerdings keine Beachtung erfuhr, da Büchner das Manuskript nicht fristgerecht einreichte. In der Rezeption wurde das dreiaktige «Lustspiel der Langeweile» lange Zeit als Gelegenheitswerk und ausschliesslich romantische Komödie bewertet. Leonce und Lena ist allerdings ein äusserst ambivalentes Stück. Es einer bestimmten literarischen Strömung zuzuordnen fällt schwer. Auch die Doppelbödigkeit der Figurenrede und die Vielschichtigkeit der Sprache Büchners stellen es in diverse literarische Kontexte. Die vordergründig romantische Verwechslungskomödie enttarnt sich rasch als Satire auf die Zustände in den deutschen Zwergstaaten des ausklingenden Absolutismus: «Romantizismen und Stimmungsbilder, Melancholie-Ausbrüche und Totenklagen, Liebesergüsse und pathetische Italien-Feiern, Tanzfeste, Sprachspielereien und Kalauer, all das sind nur Zitate aus der Welt einer anachronistisch gewordenen Feudalklasse.» Den Luxus der höfischen Inszenierung und des Mätressentums, ebenso wie den Luxus, an Weltschmerz und Langeweile zu kranken, können sich lediglich die Überprivilegierten leisten. Der Abgesang auf die deutsche Kleinstaaterei artikuliert sich zudem in den kindersprachlichen Eigennamen der Fürstentümer Pipi und Popo sowie in der Karikatur des sich selbst genügenden, lächerlichen und vor allem handlungsunfähigen Königs Peter. Daneben parodiert Büchner den höfischen Machtapparat, dem Leonce und Lena zwar zu entfliehen versuchen, jedoch in der Automaten-Szene erliegen: Mit der maskierten Heirat «in effigie» gehen sie unwissentlich die arrangierte Ehe ein und unterwerfen sich somit doch den Mechanismen des Hofstaats. Das Automaten-Motiv ist Spiegel des fatalistischen Weltbildes Büchners, wie er es selbst in Dantons Tod formuliert: «Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kämpfen – man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen.»

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