Der fliegende Holländer

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Man hat Richard Wagner entweder ganz oder gar nicht. Eine reinliche Scheidung zwischen Gutem und Bösem, Bedeutung und Anmassung, Zukunftsweisendem und Rückwärtsgewandtem ist ebenso unmöglich wie eine Trennung von Licht und Schatten in dem Jahrhundert, das er samt seinen Strö­mungen und Tendenzen bis ins letzte repräsentiert. Eine der gesichertsten Erkenntnisse der neueren Forschung ist denn auch der heute in West und Ost akzeptierte Befund, dass es einen eindeutigen, periodischen Bruch zwischen frühem und spätem Wagner, zwischen einem revolutionären WAGNERS REGRESSIONEN und einem reaktionären, der sich mit Namen wie Feuerbach und SIND NIE OHNE LEIDEN AN FALSCHER GEGENWART, Schopenhauer, Röckel und Gobineau etikettieren liesse, nicht gibt, sondern dass sich von Anfang bis zum Ende heterogene DIE NACH VORN Grundtendenzen, Anschauungen und Meinungen überlagern, NICHT DURCHLÄSSIG IST. die sich nur durch das Werk und im Werk gesiebt und gefiltert werden – meist durch einen Durchgriff auf den mythopoetischen Kern der Fabel –, die im Leben und Denken jedoch unverbunden nebeneinander bestehen. Wagners Regressionen sind nie ohne Leiden an falscher Gegenwart, die nach vorn nicht durchlässig ist. Da die Wirklichkeit und die Vorstellungen Wagners so weit auseinanderlagen, war es in seinem Umkreis ungemütlich, und man kann sich die Menschen nicht so recht denken, die es in seiner Nähe aushielten und von ihm geliebt werden woll­ten. Als man den französischen Dichter-Grafen Villiers de l’Isle-Adam, der sich mit Richard Wagner befreundet fühlte, einmal fragte, ob der Umgang mit dem Komponisten eigentlich unterhaltsam sei, antwortete er mit Schärfe: «Ist etwa der Umgang mit dem Ätna unterhaltsam?»

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