MAG 22: Anna Karenina

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Drei Fragen an Andreas Homoki 7

Foto:  Stefan Deuber

Herr Homoki, Sie legen grosses Gewicht auf starke Regie-Handschriften. Wird die musikalische Qualität am Opernhaus in den Hintergrund gedrängt? Das ist eine falsche Frage. In der Oper bedingen sich Musik und Szene gegenseitig. Die Komponisten, die Opern schreiben, schaffen Musik, um sich theatralisch auszudrücken. Das erleben wir bereits bei einem Liederabend, wenn eine grosse Sängerpersönlichkeit ein Gefühl durchlebt oder eine Situation darstellt. Das ist dann nicht mehr nur blosses Musizieren, sondern bereits Theater. Kommen mehrere singende Menschen auf einer Bühne zusammen, entstehen Situationen und Figuren: Was verbindet sie, was stösst sie ab, wie verhalten sie sich zueinander? Das muss artikuliert und ausgearbeitet werden, damit das, was gesungen wird, Sinn ergibt. Leider ist man gerade im internationalen Business allzu oft damit zu­ frieden, berühmte Leute auf die Bühne zu stellen, die das aufgrund ihrer starken Persönlichkeiten und Erfahrung irgendwie machen. Wenn man sagt, das reicht nicht, heisst es, man will der Regie zu viel Gewicht verleihen. Gibt es während der Probenphasen Konflikte zwischen der musikalischen und der regieführenden Seite? Wenn beide Seiten professionell agieren, eigentlich nicht. Natürlich gibt es zwischen Künstlern immer mal Konflikte, und man ist gut beraten, bei der Planung darauf zu achten, welche Künstler zusammenpassen. Ein viel grösseres Problem besteht darin, dass die Agenturen bestimmter Sänger, die sehr gefragt sind, versuchen, die Probenzeiten für ihre Künstler immer weiter zu reduzieren – wie eine Airline, die ihre Flugzeuge möglichst wenig am Boden haben will. Eine szenische Einstudierung dauert aber länger als eine rein musikalische. Seriöserweise braucht die Entwicklung der Inszenierung auf der Probebühne vier Wochen. Dann benötigt man weitere zwei, um alles

mit dem Orchester auf die Bühne zu bringen. Von Agenturen und «Fans» kommt oft der Einwand, dieser oder jener Star sei mit zwei Wochen Proben immer noch besser als andere mit vier. Selbst wenn das so wäre: Probieren Sie mal mit einem Ensemble zwei Wochen ohne den Pro­ tagonisten, der es sich als einziger leistet, später zu kommen! Eine Konsequenz ist oft, dass die Probenzeit sich derart verkürzt, dass die Aufführung in Richtung kostümiertes Konzert geht. Ganz ehrlich: Dafür ist diese Kunstform zu teuer! Grosse Aufführungen entstehen erst, wenn die musikalische und die inhaltliche Seite auf höchstem Niveau zusammenkommen. Was beschreibt eigentlich der Begriff «Regietheater»? Dieser Begriff ist eigentlich Blödsinn. Wir sprechen ja auch nicht von «Musizier-Musik». Er stammt aus den 1960er Jahren als Versuch, neuartige Inszenierungen zu diffamieren. Dabei sollte jedem klar sein, dass eine gute Inszenierung immer interpretiert und das auch sichtbar macht. Gerade bei historischen Werken geht es um das Freilegen von Inhalten, die allzu oft durch Aufführungstraditionen und Sehgewohnheiten zugeschüttet sind. Die Ikonographie des Lohengrin ist kontaminiert durch wilhelminischen Kitsch und Chauvinismus des 19. Jahrhunderts. Das Stück kann nichts dafür, noch weniger, dass seine Rezeption in Nazi-Deutschland machtpolitisch völlig pervertiert wurde. Um dem Werk gerecht zu werden, müssten wir es mit den Augen und Ohren von 1847 aufnehmen. Da das nicht geht, versuche ich, den Blick auf die tiefer liegenden Inhalte freizulegen und muss dazu an der Oberfläche möglicherweise Dinge verändern. Dass es immer wieder Leute gibt, denen dies unangenehm ist und die lieber beim Alt­hergebrachten bleiben, muss ich als Künstler in Kauf nehmen.


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