Die Hamletmaschine

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EXTREM VERDICHTETE GESCHICHTE Ein Gespräch mit Sebastian Baumgarten, dem Regisseur von Wolfgang Rihms «Hamletmaschine» Herr Baumgarten, was ist das für ein ungewöhnlicher Theater-Text, mit dem wir es bei der Hamletmaschine zu tun haben? Heiner Müller hat die Hamletmaschine als eine Art «Schrumpfkopf» in Bezug auf Shakespeares Hamlet bezeichnet. Er arbeitete an einer Übersetzung des Shake­speare­­-Dramas – was bei ihm immer auch einer Interpretation gleichkommt – und hat dann in einer einzigen Nacht diesen neunseitigen Text zusammengeschrieben. Es ist ein Destillat des Shakespeare-Hamlet geworden, das aber auch die Situation von Heiner Müller selbst thematisiert: Der Intel­ lektuelle, der ausweglos zwischen zwei Systemen steht. Man kann die Hamletmaschine auch als ein Künstlerdrama lesen. Wie viel Shakespeare steckt in dem Text? Die bekannte Figurenkonstellation taucht auf: Hamlet, der Schulfreund Horatio, Claudius als böser Stiefvater und Gertrud als Mutter und jetzige Ehefrau des Usurpators Claudius, auch der Geist des Vaters kommt vor und natürlich Ophelia. Alle wichtigen Figuren sind in den Text eingeschrieben, übersetzt und angewandt auf Biografisches, das Heiner Müller selbst erlebt hat, aber natürlich auch auf all­gemeine politische Situationen. Es ist keine ShakespeareBearbeitung, sondern ein Postdrama, das nicht mehr versucht, eine Geschichte mit dramatischen Höhe­punkten zu erzählen. Es geht darin um die Komprimierung von Gedanken des Hamlet-­Materials und die dialektischen Widersprüche, die sich bei Shakespeare auftun. Shakespeare dagegen entwickelt das Ganze als Drama, das Hamlet schliesslich zum Serienmörder werden lässt, was im Widerspruch zu seiner intellektuellen Aus­bildung steht. Das Stück mündet in der Ablösung des verbrecherischen Clau­dius-­Systems und führt zu einer Figur,

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