MAG 55: Idomeneo

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34 Ballett Zürich

vom Publikum wurde sie enthusiastisch gefeiert, auch die Zeitung Komersant schwärm­te von der «kleinen, zarten Ballerina» und lobte ihre «gewinnende Natürlichkeit und fantastische Koordination». Auch wenn die Ballettgeschichte des Nussknackers ihren Anfang in St. Petersburg nimmt – dort fand 1892 am Mariinsky-Theater die Uraufführung statt – hat der Schtschelkuntschik, wie er auf Russisch heisst, auch am Bolschoitheater eine lange Tra­ dition. 1919 brachte Alexander Gorski hier eine Version heraus, in der Mascha (Marie) erstmals nicht von einem Kind, sondern von einer erwachsenen Tänzerin verkörpert wurde. Lange im Repertoire war dann eine vom Kirov-Ballett übernommene Produk­ tion von Wassili Vainonen (1934). Doch den Rekord hält bis heute die Inszenierung der russischen Choreografenlegende Juri Grigorowitsch. 1966 uraufgeführt, tanzt sein Nussknacker seit einem halben Jahrhundert über die Bühne des Bolschoitheaters. Und natürlich haben auch das Ballett des Stanislawski-Theaters und das im Kreml­palast beheimate Russische Staatsballett ihre eigenen Versionen im Repertoire. Bei so viel Nussknacker-Tradition ist es verständlich, dass Christian Spuck dem Moskau-Gastspiel seiner Compagnie mit etwas Nervosität entgegensah: «Das Bolschoi­ theater gilt neben Paris und St. Petersburg als Hochburg des klassischen Balletts, seine Tänzer gehören zu den besten der Welt. Natürlich fährt man mit gemischten Gefüh­ len an so einen geschichtsträchtigen Ort. Man kann nur verlieren oder gewinnen.» Dass bei einem eng getakteten Tourneeplan nur eine einzige Bühnenprobe am Vor­ mittag des ersten Vorstellungstages stattfinden soll, macht das Unbehagen nicht ge­ ringer. Auch für das Orchester des Bolschoitheaters, das Dirigent Paul Connelly um­sichtig für die ungewohnten Aufführungen präpariert hat, war diese Probe die erste und einzige Gelegenheit, sich mit dem szenischen Ablauf von Nussknacker und Mausekönig bekannt zu machen. Am Ende wuchsen die im Rampenlicht stehenden Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Zürich über sich hinaus und wurden nach bei­ den Vorstellungen vom Publikum bejubelt. Dabei galt der Applaus auch den vielen hilfreichen Geistern im Hintergrund, die dieses Gastspiel des Balletts Zürich zu einem Triumph werden liessen. Für Junior-Tänzer Gustavo Chalub war es die erste Reise mit seinen Tänzerkollegen: «Mich haben die euphorischen Reaktionen des Moskauer Publikums gefreut. Der Erfolg war nur möglich, weil alle Beteiligten vor und hinter der Bühne eine echt tolle Gemeinschaft waren. Wir sind auf dieser Reise wirklich zu­ sammengewachsen». Nur wenig Zeit bleibt an den drei dicht gefüllten Tagen für Sightseeing. Ge­ meinsam mit dem Fotografen Michail Logvinov, der fast vierzig Jahre lang die grossen Aufführungen des Bolschoiballetts fotografiert hat, brechen Christian Spuck und einige Tänzer zu einer Mini-Tour durch Moskaus Zentrum auf. Eisiger Wind fegt über den Roten Platz, der sich über Nacht in einen Weihnachtsmarkt mit Kunsteisbahn ver­wandelt hat. Nach einer Aufwärmpause im Kaufhaus GUM führt der Weg an der Basiliuskathedrale, am Lenin-Mausoleum und an der Kremlmauer vorbei. Krönender Abschluss jedoch ist eine Visite im Bolschoitheater. Durch die Prunkgemächer des Zaren gelangt man in den in Rot und Gold gehaltenen prachtvollen Zuschauerraum.

Vor dem Bolschoitheater: William Moore, Michelle Willems, Christian Spuck, Dominik Slavkovský, Giulia Tonelli In der Aufführung: Mélissa Ligurgo als Mausekönigin


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