Filmmuseum Sept | Okt 2016

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Sept | Okt 2016

Wahl der Waffen Der französische Kriminalfilm 1958–2009 Kino-Atlas 4: München-Schwabing Helga Reidemeister – In person Premiere: Samuel Beckett, Buster Keaton, Ross Lipman Zyklische Programme: Was ist Film | Die Utopie Film T +43 /1/ 533 70 54

www.filmmuseum.at


Sept | Okt 2016 Inhalt

Filmmuseum ist. Anti-apokalyptisch

Wahl der Waffen Der französische Kriminalfilm 1958–2009. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Ein Filmtitel, der im ersten Programmheft der neuen Filmmuseum-Saison erscheint, bringt die Sache auf den Punkt, im Großen wie im Kleinen: Von wegen „Schicksal“! Gemeint ist damit, dass unsere Lebensumstände und -verläufe zumeist nicht von naturhaften, unveränderlichen und schon gar nicht von überirdischen Instanzen ausgehen. Stattdessen wirken gesellschaftliche Kräfte und Konstellationen: solche, die gern den Anschein des naturhaft Unveränderlichen erwecken – und jene, die auf das Geschick der Menschen bauen, eben diesen Anschein zu konterkarieren, mittels konkreter Taten, Werke, Gedanken und durch die Bewusstmachung widerstreitender Interessen und möglicher Bündnisse. Das gilt auch für den Umgang mit der apokalyptischen „Grundstimmung“, die derzeit den öffentlichen und privaten Diskurs dominiert. Sie wird andauern, solange sich die Beteiligten einer Art Schicksal ausgesetzt sehen und ständig Bilder aus der Natur bemühen: Flut, Lawine, Kontinentalverschiebung. Im Kleinen, z. B. bei der Frage nach dem Weiterleben von Film, ist es nicht viel anders: Entweder man fügt sich der Ideologie, dass die „digitale Lawine“ als „Schicksal“ des Mediums Film auch das Ende seiner Überlieferung als analoges Projektionsereignis bedeutet – oder man setzt Schritte und initiiert Bündnisse, die rationaleren und kulturhistorisch besser begründeten Zielen dienen. Dass sich die Republik Österreich in ihrer Kulturerbe-Politik dezidiert der Überlieferung des analogen Films verschrieben hat und zu diesem Zweck ein Film Conservation Center einzurichten plant, ist – als Zwischenstand – durchaus geeignet, apokalyptische Gefühle gar nicht erst aufkommen zu lassen. Alexander Horwath

Kino-Atlas 4 München-Schwabing

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Lange Nacht der Museen

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Von wegen Schicksal Helga Reidemeister – In person . . . 41 Premiere: Film | Notfilm Samuel Beckett, Buster Keaton, Ross Lipman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Schule im Kino Vermittlungsprogramme des Filmmuseums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Filmmuseum on location Past & Futures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Zyklische Programme Was ist Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Die Utopie Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Spielplan Alle Filme von 26. August bis 13. Oktober . . . . . . . . . . . 57 Informationen

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Innerhalb eines Themas sind die Filme in der Reihenfolge ihrer Programmierung geordnet.

Das Filmmuseum zeigt Werke aus der Geschichte des Films grundsätzlich in analoger Kinoprojektion und ist um Kopien im jeweiligen Originalformat bemüht (35mm- und 16mm-Film). Video- und digitale Arbeiten sowie Fernsehproduktionen werden in Videoformaten bzw. digital projiziert. Sonderfälle werden speziell ausgewiesen. Die Utopie Film und der Zyklus Was ist Film bilden zusammen ein dauerhaftes Element in der Programm- und Sammlungsarbeit des Filmmuseums. Jeder Dienstag ist diesen beiden Reihen gewidmet, in denen das Kino auf komplementäre Weise anhand signifikanter Werke aufgefächert wird.


Förderer Das Filmmuseum wird gefördert durch die Kulturabteilung der Stadt Wien und das Bundeskanzleramt Österreich. Weitere Finanzierungspartner sind der Fachverband der Film- und Musikindustrie der WKO, die Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden (VDFS), die Verwertungsgesellschaft für Audiovisuelle Medien (VAM) sowie die Freunde des Filmmuseums (Fördernde Mitglieder).

Veranstaltungspartner

Medienpartner

Das Filmmuseum ist Partner der Initiative „Hunger auf Kunst und Kultur“, die die Zugänglichkeit von Kunst und Kultur für alle Menschen ermöglichen will. Inhaber/innen eines im Rahmen dieser Initiative vergebenen Kulturpasses erhalten Freikarten für die Vorstellungen des Filmmuseums. Veranstaltungen, deren Erlöse dieser Aktion zugute kommen, sind mit „1€ Solidarbeitrag für Aktion Kulturpass“ gekennzeichnet.

Unterstützt von

Dank Für ihre Hilfe bei der Realisierung des September/Oktober-Programms danken wir: Wolfgang Bihlmeir, Bernd Brehmer (Werkstattkino); Mathias Bollinger, André Mieles (Deutsches Filminstitut – DIF); Konrad Boneberg (Concorde Filmverleih); Hannes Brühwiler; Émilie Cauquy (La Cinémathèque française); Dennis Doros (Milestone Film & Video); Lukas Foerster; Roger Fritz; Marran Gosov; Dominik Graf; Anke Hahn, Diana Kluge (Deutsche Kinemathek); Marco Henn (Atlas Film); Konrad Hirsch (Schamoni Film & Medien); Christine Houard, Anne-Catherine Louvet (Institut français, Paris); Ross Lipman; Bernhard Marsch; Laurence Millereux (Forum des images); Peter Nestler; Helga Reidemeister; André Schäublin, Carina Carballo (Cinémathèque suisse); Jörg Schiffauer, Andreas & Jie Ungerböck (ray Filmmagazin); Franziska Schonger (Schongerfilm); May Spils; Stefanie Stejskal (Polyfilm); Rudolf Thome; Klaus Volkmer, Stephanie Hausmann (Filmmuseum München); Max Zihlmann Impressum Medieninhaber: Österreichisches Filmmuseum. Für den Inhalt verantwortlich: Regina Schlagnitweit, Alexander Horwath. Filmtexte: Alejandro Bachmann, Hannes Brühwiler, Lukas Foerster, Rui Hortênsio da Silva e Costa, Christoph Huber, Olaf Möller, Harry Tomicek; alle: 1010 Wien, Augustinerstraße 1. Corporate Design, Grafik und Produktion: Gabi Adébisi-Schuster. Druck: Rema Print. Der Begriff Filmmuseum ist. wurde dem Werktitel Film ist. von Gustav Deutsch entwendet, courtesy of G. D. Fotos: Cinémathèque suisse, Deutsche Kinemathek, Deutsches Filminstitut, Milestone Film & Video, Schamoni Film & Medien sowie Fotosammlung Österreichisches Filmmuseum/Oliver Hanley (Kadervergrößerungen). Titelbild: Plein soleil (1960, René Clément)

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26. August bis 12. Oktober 2016

Wahl der Waffen Der französische Kriminalfilm 1958–2009

Zum Saisonauftakt präsentiert das Filmmuseum die zweite Hälfte seiner großen Schau zum französischen Kriminalfilm: Ausgehend vom Innovationsschub durch die Nouvelle Vague um 1960 wird der Krimi aus seiner klassischen Periode in die Moderne geschleudert. Als GenreSpiegelbild der nationalen Verfassung erlebt er dabei nicht nur eine ästhetische Wandlung, sondern auch eine politische und kulturelle. The Outside Während Jean-Pierre Melville, als Galionsfigur und Vorbild, den Man (1972, Gangsterfilm zu absoluter „Reinheit“ führt, macht sich eine neue Jacques Deray) Regie-Generation – von François Truffaut bis Claude Sautet – daran, das Traditionsgenre für ein verjüngtes Publikum von Grund auf zu überholen. Dabei wird Vaterfigur Jean Gabin als Inbegriff des internationalen Superstars à la française von einem neuen Männertypus abgelöst: Lino Ventura reüssiert als ruppigerer Nachfolger Gabins, und Jean-Paul Belmondo sichert sich mit jugendlicher Coolness einen – abgesehen vielleicht von Alain Delon – einzigartigen Status, der insbesondere im Kriminalfilm Dekaden mitprägt. Erst in den Achtzigern findet sich in Gérard Depardieu ein würdiger Erbe – im Geiste einer rohen Wildheit, gespeist aus der Politisierung und radikalen Zuspitzung des Genres durch federführende Regisseure der 70er Jahre (Alain Corneau, Yves Boisset, Philippe Labro) und Autoren wie Jean-Patrick Manchette, Schöpfer des französischen Krimi-Überbegriffs Polar. Parallel dazu führt die Entwicklung des populären Kinos in Richtung Oberflächenspannung – etwa bei den Action-Serien um Belmondo – zur Geburt des Cinéma du look, geprägt Anfang der Achtziger von Jean-Jacques Beineix’ Diva und in den folgenden 3


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Dekaden von Luc Besson (Nikita) zur Weltexport-Marke gemacht. Doch im Gegensatz zum Rest Europas hat sich Frankreich erfolgreich gegen die gleichzeitige Nivellierung des Krimis unter fortschreitendem Druck der Fernseh-Konkurrenz behauptet: Zentralwerke von Altmeistern wie Claude Chabrol (La Cérémonie) belegen das ebenso wie die Weiterführung der soziologischen Polar-Tendenz im neuen Millennium bei Jacques Audiard oder Éric Valette. Der Umbruch des französischen Krimis ab Ende der 50er Jahre folgt einem neuen, frischen Lebensgefühl, einem Aufbegehren gegen den Paternalismus der Nachkriegsjahre. Es ist international ausgerichtet und neigt zu verspielter Stilisierung – parallel zur Hollywood-geprägten politique des auteurs der Nouvelle Vague. Der US-Einfluss zeigt sich in Jean-Luc Godards Gangsterfilm-Radikalkur À bout de souffle, die dem Billigstudio Monogram gewidmet ist, in Truffauts Adaption von Krimi-Kapazunder David Goodis mit Tirez sur le pianiste oder bei Louis Malle, der Miles Davis für den Soundtrack zu Ascenseur pour l’échafaud engagiert. Thriller-Gott Hitchcock wird zum Bezugspunkt für Truffaut (La Mariée était en noir mit Jeanne Moreau als femme fatale) wie für den Veteranen René Clément, der mit Plein soleil Delon als amoralischen Killer zum Star macht. Indessen erlebt der Polar dank radikaler Entschlackung und maximaler Lakonie eine ganz eigenständige Modernisierung, angekündigt in Sautets Classe tous risques, vollendet in Melvilles Meisterwerken. Für einen weiteren Schub sorgten der Aufruhr im Mai 1968 und das darauffolgende Ende der Ära De Gaulle – ein Symbol für „Stabilität“, das freilich längst wirtschaftlich und sozial angeknackst war. Während Chabrol-Hauptwerke wie Le Boucher die innere Fäulnis der Bourgeoisie auf den Punkt brachten, entstand auch eine linksradikale beziehungsweise anarchisch-satirische Strömung – ein härterer, wütender, geschärfter Neo-Polar, inspiriert von den Kriminalromanen Jean-Patrick Manchettes. Der (auch in seinem Humor) tiefschwarze Terror-Thriller Nada, Gipfeltreffen von Chabrol und Manchette, ist das Nonplusultra systemischer Kritik in den 70er Jahren. Zum zentralen Filmemacher dieses Aufbruchs wird jedoch Yves Boisset, flankiert von Anarchisten wie Jean-Pierre Mocky (L’Albatros) und Regievirtuosen wie Philippe Labro (L’Héritier). Boissets Demontagen der Polizei (Un condé, La Femme flic) und der Justiz (Le Juge Fayard dit le Shériff) fusionieren die Kraft des 4


Série noire (1979, Alain Corneau)

populären Kinos und sozialen Protest auf mustergültige Art. Sein Meisterwerk, die antirassistische Krimi-Satire Dupont Lajoie, legt den Finger in eine klaffende Wunde: Die Reaktionen auf den Zustrom nordafrikanischer Immigranten prägen den Polar parallel zum nationalen Tagesgeschehen, über Bertrand Taverniers KolonialäraReflexion Coup de torchon und Maurice Pialats Genre-Abgesang Police bis zu La Haine von Mathieu Kassovitz. In La Haine kulminieren viele Schlüsseltendenzen: etwa die Banlieue-Analysen von Alain Corneau (in Série noire und am Rande von Le Choix des armes, seiner Krimi-Apotheose im Geiste Melvilles) – aber auch der Wandel des Kinos in Richtung Jugendkultur- Entertainment im Gefolge von Beineix und Besson. Die Polar-Renaissance im neuen Jahrtausend hat sich von dieser Entwicklung nicht entmutigen lassen: Filme wie Audiards die Angst vor Muslimen betonender Un prophète oder Valettes Une affaire d’état mit seiner linken Fusion von Korruptions-Politthriller und Polizistinnen-Power belegen die Wirkmacht von Polar-Traditionsbewusstsein im Zeichen einer neuen (Kino-)Ära. Am 8. und 9. September wird Dominik Graf, der bedeutendste deutschsprachige KrimiRegisseur, im Filmmuseum zu Gast sein und über den französischen Neo-Polar sprechen. Die Schau findet mit großzügiger Unterstützung der Cinémathèque suisse statt.

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Ascenseur pour l’échafaud (Fahrstuhl zum Schafott) (1958) Regie: Louis Malle; Drehbuch: Malle, Roger Nimier nach dem Roman von Noël Calef; Kamera: Henri Decaë; Musik: Miles Davis; Darsteller: Jeanne Moreau, Maurice Ronet, Lino Ventura, Georges Poujouly, Yori Bertin. 35mm, s/w, 91 min

Freitag 26. August 19 Uhr Frz. OmdU Sonntag 18. September 19 Uhr Frz. OmdU

Das perfekte Verbrechen scheitert am Zufall: Maurice Ronet als Fallschirmjäger-Veteran der Kriege in Indochina und Algerien, der seinen Arbeitgeber, den Ehemann seiner Geliebten, erschießt und es wie Selbstmord aussehen lässt. Als er zur Beseitigung einer letzten verräterischen Spur ins Bürogebäude zurückkehrt, bleibt der Fahrstuhl stecken. Während der Täter mit allen Mitteln versucht, sich aus der engen Kabine zu befreien, wandert Jeanne Moreau als seine Geliebte auf der Suche nach ihm ziellos durch Paris (und Kommissar Lino Ventura beginnt zu ermitteln). Das Debüt von Louis Malle, ein effektvoll und stilsicher inszenierter, von Henri Decaë in edlem Schwarzweiß fotografierter Krimi, mit einem ikonischen Auftritt von Jeanne Moreau (die, damals unerhört, ungeschminkt blieb) und einem der klassischen Filmsoundtracks schlechthin: ein cooler, von Miles Davis mit einem US-französischen Quartett im Lauf einer langen Nacht improvisierter Jazz-Score. (C. H.)

Série noire (1979) Regie: Alain Corneau; Drehbuch: Corneau, Georges Perec nach A Hell of a Woman von Jim Thompson; Kamera: Pierre-William Glenn; Musik: Duke Ellington & Juan Tizol, Gérard Lenorman, Dalida, Boney M., Sacha Distel; Darsteller: Patrick Dewaere, Myriam Boyer, Marie Trintignant, Bernard Blier, Jeanne Herviale. 35mm, Farbe, 115 min Freitag 26. August 21 Uhr Frz. OmeU Mittwoch 14. September 19 Uhr Frz. OmeU

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Corneaus großes, beunruhigendes, von surrealem Humor durchzogenes Meisterwerk, ultimative Adaption von Jim Thompsons ultrapessimistischer, verschlagen satirischer hardboiled - Prosa und Apotheose der Karriere von Patrick Dewaere, einem der faszinierendsten Schauspieler der 1970er Jahre, der sich 1982 jung das Leben nahm. Dewaere spielt den erfolglosen, filmbesessenen, verrückten Vertreter Franck, der in den desolaten Landschaften der Pariser Banlieue zwischen Schlager plärrenden Transistorradios überlebt, indem er sich in Fantasien flüchtet: Wenn er nicht (irrational) handelt, erfindet sich Franck immer wieder neu, indem er redet, ununterbrochen, in pointiert gedrechselter Krimi-Slang-Poesie. Von seiner Frau verlassen, lernt Franck ein eigenartiges, introvertiertes Mädchen kennen, das ihm das Geldversteck der Tante zeigt und einen Revolver gibt. Vielleicht ahnt er da eine Chance, seiner Umgebung zu entkommen. Aber das ist nur Gerede. (C. H.)


Le Doulos (Der Teufel mit der weißen Weste) (1962) Regie, Drehbuch: Jean-Pierre Melville nach dem Roman von Pierre Lesou; Kamera: Nicolas Hayer; Musik: Paul Misraki, Jacques Loussier; Darsteller: JeanPaul Belmondo, Serge Reggiani, Jean Desailly, Michel Piccoli, René Lefèvre. 35mm, s/w, 108 min Samstag 27. August 19 Uhr Frz. OmdU Sonntag 25. September 21 Uhr Frz. OmdU

Nacht. Ödnis der Vorstadt. Ein Mann betritt ein Haus und betrachtet das Konterfei seines Gesichts im zerbrochenen Spiegel. Vom ersten Augenblick an herrscht Gewissheit, dass Melvilles Helden tragische sind – unabwendbar vorlaufend in den Tod. 1962 hat er sein Terrain abgezirkelt, seinen Stil gleich einer Damaszenerklinge geschliffen und den Prozess abgeschlossen, einzig sich als Herrscher seiner ritualisierten Kinoträume zu dulden. Le Doulos ist der erste pure Gangsterfilm in seinem Sinn. Um die dreifache Bedeutung des Argot-Worts doulos („Hut“, „Spitzel“, „einer, der anderen hilft“) baut er ein düsteres Handlungslabyrinth aus Treue, Freundschaft, Verrat. Jeder Blick, jedes Wort vermag Versprechen oder Lüge zu sein. Und jede Tat ist eine Entscheidung über Leben und Sterben. Melvilles Gangsterfilme stellen die wesentlichen Aussagen über die Freiheit dar, die das Kino hervorgebracht hat. Sie sind, paradox, Filme über Reinheit: moralische Filme. (H. T.) 7


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Plein soleil (Nur die Sonne war Zeuge) (1960) Regie: René Clément; Drehbuch: Clément, Paul Gégauff nach The Talented Mr. Ripley von Patricia Highsmith; Kamera: Henri Decaë; Musik: Nino Rota; Darsteller: Alain Delon, Maurice Ronet, Marie Laforêt, Erno Crisa, Romy Schneider, René Clément. 35mm, Farbe, 116 min Samstag 27. August 21.15 Uhr Frz. OmdU Samstag 17. September 19 Uhr Frz. OmdU

Der Film, mit dem Alain Delon endgültig zum Star wurde: als Patricia Highsmiths Talentierter Mr. Ripley, von einem US-Millionär nach Italien geschickt, um dessen Playboy-Sohn Philippe (Maurice Ronet) zur Heimkehr und Übernahme des väterlichen Geschäfts zu bewegen. Doch der launische Philippe frönt lieber mit seiner Freundin dem süßen Luxusleben, an dem auch Ripley Gefallen findet – so sehr, dass er beschließt, Philippe zu töten, um sich dessen Identität anzueignen. Ein homoerotischer Persönlichkeitstausch à la Hitchcock in verführerisch mediterranem Urlaubsflair: Abgesehen vom Schlusskompromiss wirft Regisseur René Clément mit gewohnt eisiger Eleganz (und der Unterstützung des künftigen Chabrol-Stammautors Paul Gégauff) einen Blick auf die amoralische Welt einer neuen Generation, schwelgt im Glamour der schönen jungen Körper und flirrenden Farben im benommen machenden Sonnenlicht. Unter den makellosen Oberflächen flirrt aber noch etwas anderes: unheimliche Verkommenheit. (C. H.)

Tirez sur le pianiste (Schießen Sie auf den Pianisten) (1960) Regie: François Truffaut; Drehbuch: Truffaut, Marcel Moussy nach Down There von David Goodis; Kamera: Raoul Coutard; Musik: Georges Delerue; Darsteller: Charles Aznavour, Marie Dubois, Nicole Berger, Michèle Mercier, Albert Rémy, Daniel Boulanger. 35mm, s/w, 80 min

Sonntag 28. August 19 Uhr Frz. OmdU Freitag 30. September 19 Uhr Frz. OmdU

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Truffauts erfolgreichste Kreuzungen von tragischem und komischem Register sind seine Hommagen ans Noir- Genre: sein letzter Film Vivement dimanche! und sein zweiter, Tirez sur le pianiste, in dem die abrupten Tonfallwechsel auch kongenial der gespaltenen Existenz des Protagonisten entsprechen. Charles Aznavour spielt einen einst berühmten Konzertpianisten, der sich nach dem Tod seiner Frau als Kneipenmusiker vor der Welt versteckt. Aber die Liebe und eine Gangstertruppe, die einem B-Picture entsprungen sein könnte, holen ihn aus der Abgeschiedenheit zurück, in einen ironischen, bewusst unwahrscheinlichen Handlungstanz, dessen letzte Schritte einen Schusswechsel im Schnee begleiten, von Raoul Coutard in blendendes Licht getaucht, von Georges Delerue fröhlich atonal untermalt. Truffaut: „Ich wollte ein Genre, den Detektivfilm, explodieren lassen, indem ich die Genres mischte.“ (C. H.)


Tirez sur le pianiste

Un condé (Ein Bulle sieht rot) (1970) Regie: Yves Boisset; Drehbuch: Boisset, Claude Veillot nach La Mort d’un condé von Pierre Lesou; Kamera: Jean-Marc Ripert; Musik: Antoine Duhamel; Darsteller: Michel Bouquet, Françoise Fabian, Gianni Garko, Michel Constantin, Bernard Fresson. 35mm, Farbe, 98 min

Sonntag 28. August 20.45 Uhr Frz. OmdU

Tavernier, genannt der Mandarin, kontrolliert den lokalen Drogenhandel – während er auf Stadtebene Politik macht. Die Hände verdreckt er sich längst nicht mehr selbst, fürs Grobe hat er Beausourire und dessen Truppe. Zu deren Aufgabenbereich gehört das Einschüchtern, notfalls Verstümmeln oder gleich Töten von Leuten, die nicht mit dem Mandarin ins Geschäft kommen wollen – Leute wie Dassa. Dessen grausames Verscheiden wollen einige alte Kameraden entsprechend vergolten sehen, auf die alttestamentarische Art. Bulle Barnero verfolgt diese Vendetta von fern, durchaus gewillt, selbst einzugreifen, wenn er damit das Imperium des Mandarins geschliffen und gesalzen bekommt. Favenin, noch so ein in Staatsdiensten zum Zyniker Erwachsener, sieht das nicht unähnlich. Und so wird bald Blut fließen, viel Blut … Yves Boissets erste Frontalattacke gegen französische Zustände – die Gewalttätigkeit der Handlung, die Grausamkeit sämtlicher Charaktere stießen dem Innenministerium übel auf. (O. M.) 9


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Judex (1963) Regie: Georges Franju; Drehbuch: Jacques Champreux, Francis Lacassin nach dem Drehbuch von Louis Feuillade & Arthur Bernède; Kamera: Marcel Fradetal; Musik: Maurice Jarre; Darsteller: Channing Pollock, Francine Bergé, Édith Scob, Sylva Koscina, Théo Sarapo. 35mm, s/w, 97 min Montag 29. August 19 Uhr Frz. OmeU Mittwoch 5. Oktober 19 Uhr Frz. OmeU

Wiederauferstehung einer Stummfilm-Legende: In den 1910er Jahren spiegelten die Serials von Louis Feuillade Frankreichs Angst vor verbrecherischer Anarchie, zu seinen Superschurken wie Fantômas gesellte sich mit dem selbsternannten „Richter“ Judex eine ebenso mysteriöse Figur, die das Verbrechen bekämpfte. Franjus liebevolleigensinniger Tribut verdichtet Feuillades Zwölfteiler zum ominös schillernden Bildertraum: Judex, Meister der Verkleidung (verkörpert vom Magier Channing Pollock), entführt einen betrügerischen Banker und bekämpft eine verführerische Kontrahentin. Francine Bergés maliziöser Sex-Appeal und lustvolle kriminelle Energie setzen faszinierende Sixties-Noten im bewusst anachronistischen Stoff, den Franju von zunehmend deliranten Spuk-Abenteuern bis zur Kostümball-Epiphanie à la Max Ernst als zeitlose Poetik des Phantastischen zelebriert. (C. H.)

Dupont Lajoie (Monsieur Dupont) (1975) Regie: Yves Boisset; Drehbuch: Boisset, Jean Curtelin, Jean-Pierre Bastid u. a.; Kamera: J. Loiseleux; Musik: Vladimir Cosma; Darsteller: Jean Carmet, Pierre Tornade, Isabelle Huppert, Jean Bouise, Jacques Villeret. 35mm, Farbe, 100 min Montag 29. August 21 Uhr Frz. OmdU Sonntag 9. Oktober 19 Uhr Frz. OmdU

Jeden Sommer fährt der Pariser Café-Betreiber Georges Lajoie (Jean Carmet, darstellerischer Inbegriff des einfachen Mannes) mit Frau und Sohn zum Urlaub an die Côte d ’Azur. Seit Jahren treffen sich am Campingplatz dieselben Familien, laben sich an Schlachtplatten und meckern über den Zuwachs afrikanischer Immigranten. Bis es während des Sommerfests (samt absurdem TV-GameshowGastspiel) zur Entgleisung kommt: Abseits des Rummels fällt Lajoie über die hübsche Tochter (Isabelle Huppert) eines Freundes her und tötet sie unabsichtlich. Als er die Schuld kurzerhand algerischen Gastarbeitern in die Schuhe schiebt, bildet sich schnell ein Lynchmob. Ein Kernwerk des französischen 70er-Jahre-Kinos und einer der größten Erfolge des populären Anklägers Yves Boisset: Was sich als überhitzte Urlaubersatire anlässt, wird schlagartig zur tiefschwarzen Thriller-Demontage des ganz normalen Rassismus und seiner institutionalisierten Sanktionierung. (C. H.) Einführung von Christoph Huber am 29.8.

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Dupont Lajoie

L’Étrangleur (Der Würger) (1970) Regie, Drehbuch: Paul Vecchiali; Kamera: Georges Strouvé; Musik: Roland Vincent; Darsteller: Jacques Perrin, Julien Guiomar, Paul Barge, Eva Simonet, Jacqueline Danno, Hugues Quester. 35mm, Farbe, 95 min

Mittwoch 31. August 19 Uhr Frz. OmeU Mittwoch 28. September 19 Uhr Frz. OmeU Print courtesy Forum des images

Ein Beginn wie im italienischen Giallo-Alptraum: Der kleine Émile reißt nachts aus, begegnet einem Fremden – der plötzlich zum weißen Wollschal greift und eine hübsche junge Frau erdrosselt. Das Ereignis lässt Émile nie mehr los: Als junger Mann mit engelsgleichem Auftreten (ideal besetzt: Jacques Perrin) spürt er lebensmüde Frauen auf, um sie mit dem Schal vom Leid ihrer Existenz zu erlösen. Der ermittelnde Polizist ist zu allen Tricks bereit, um den Serienmörder zu schnappen, eine junge Frau bietet sich als Lockvogel an, und ein Dieb, „der Schakal“, raubt die Leichen von Émiles Opfern aus … Ein Hauptwerk des französischen Kino-Außenseiters Paul Vecchiali, der seine Vorliebe für das Kino der 1930er Jahre hier auf zeitgenössisches Terrain überträgt: L’ Étrangleur ist eine enorm elegante Neuvermessung der alten, vernebelten Straßen – mit Blick auf die aktuelle Malaise. Ein Psychothriller als Gesellschaftsfanal: Nur der Würgeengel handelt aus reiner Liebe. (C. H.)

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Le Cercle rouge (Vier im roten Kreis) (1970) Regie, Drehbuch: Jean-Pierre Melville; Kamera: Henri Decaë; Musik: Éric Demarsan; Darsteller: Alain Delon, André Bourvil, Yves Montand, Gian Maria Volontè, François Périer. 35mm, Farbe, 140 min

Mittwoch 31. August 20.45 Uhr Frz. OmdU Samstag 8. Oktober 21 Uhr Frz. OmdU

Das Meisterstück unter Melvilles Gangsterfilmen und das Resümee eines Genres. Der im Titel angesprochene Bannkreis des Todes erfasst in gleichem Maß die Personen und die Bewegung des Films selbst: In genialer, einstündiger Exposition werden die Schicksale von vier Menschen aufgegriffen, in synchroner Unverbundenheit zuerst, dann näher und näher rückend, bis achtzig Kinominuten lang der Sog des Kreises sie erfasst, im Scheitern vereint, im Sterben trennt. Unter allen Filmen Melvilles der geheimnisvollste: die nahezu stumm bleibenden Beziehungen, die Autofahrten durch grünlasierte Ödnisse der Banlieue, die Bilder der Nacht, die dunkelblauen Grotten der Wohnräume und einmal ein beleuchtetes Zugfenster, das in fatalem Flug und endgültiger Eleganz in die Weite der Dunkelheit entweicht. Jean-Pierre Melville: „In Le Cercle rouge lebt jede der Personen eine von mir erträumte Existenz. Jede von ihnen ist die Verkörperung meines notgedrungen einsamen Lebens als Künstler.“ (H. T.)

Un témoin dans la ville (Der Mörder kam um Mitternacht) (1959) Regie: Édouard Molinaro; Drehbuch: Molinaro, Gérard Oury, Alain Poiré, Boileau & Narcejac; Kamera: Henri Decaë; Musik: Barney Wilen; Darsteller: Lino Ventura, Sandra Milo, Franco Fabrizi, Jacques Berthier. 35mm, s/w, 88 min

Donnerstag 1. September 19 Uhr Frz. OmdU

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Der Industrielle Verdier tötet seine Geliebte, deren Gatte plant den perfekten Rachemord: In nächtlicher Stille erwartet Ancelin (Lino Ventura) das Opfer in dessen Wohnung, täuscht Verdiers Suizid vor – und begeht einen folgenschweren Fehltritt. Beim Verlassen des Hauses sieht ihn ein Taxifahrer. Als Ancelin den Zeugen aufspüren und eliminieren will, gerät er ins Visier der gut vernetzten Taxler. Tödliches Katz-und-Maus-Spiel bis zum Morgengrauen: So wie Fahrstuhl zum Schafott annonciert Molinaros frühes Virtuosenstück den Übergang des klassischen Polar in die Moderne – nur ökonomischer, härter, dichter. Und wie Louis Malles Film profitiert Un témoin von Henri Decaës bestechenden Nocturno-Atmosphären, einem sensationellen Jazz-Score und der Präsenz Lino Venturas, der hier eine existenzielle Tragik à la Melville ansteuert. Der kühle Suspense der Inszenierung wird nur vom warmen Porträt der proletarischen Taxler-Gemeinschaft konterkariert. (C. H.)


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Un prophète (2009) Regie: Jacques Audiard; Drehbuch: Audiard, Thomas Bidegain, Abdel Raouf Dafri, Nicolas Peufaillit; Kamera: Stéphane Fontaine; Musik: Alexandre Desplat; Darsteller: Tahar Rahim, Niels Arestrup, Reda Kateb, Adel Bencherif, Hichem Yacoubi. 35mm, Farbe, 155 min

Donnerstag 1. September 20.45 Uhr Frz. OmeU Mittwoch 28. September 20.45 Uhr Frz. OmeU

Der 19-jährige Immigrant Malik (Tahar Rahim) ist zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Das Gefängnis entpuppt sich als korruptes System, kontrolliert vom korsischen Mafia - Don und Trainingsanzugträger César (Niels Arestrup), der den Neuankömmling gleich zwingt, einen Mord für ihn zu begehen – und ihm dafür Privilegien verschafft. Malik, der Mann ohne Eigenschaften, ein Analphabet ohne Heimat, Religion und Ambition, passt sich schnell an, steigt zum Unmut von dessen araberfeindlichen Gang zur rechten Hand Césars auf und beginnt auf Freigängen, sein eigenes Imperium zu zimmern … Der Gefängnisfilm als Schnittpunkt einer gesellschaftlichen und psychologischen Entwicklung: Seinen kriminellen Aufsteiger Malik präsentiert Jacques Audiard als „Anti-Scarface“: ein Gangster - Mythos, verkompliziert durch Skrupel, halluzinatorische Traumsequenzen und die Bewegung durch soziale Netzwerke. Am Ende steht der Alptraum Frankreichs in der Sarkozy-Ära: Fear of a Muslim Planet. (C. H.) 13


Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

Le Boucher (Der Schlachter) (1970) Regie, Drehbuch: Claude Chabrol; Kamera: Jean Rabier; Musik: Pierre Jansen; Darsteller: Stéphane Audran, Jean Yanne, Roger Rudel, Mario Beccaria, William Guérault. 35mm, Farbe, 92 min Freitag 2. September 19 Uhr Frz. OmeU Samstag 8. Oktober 19 Uhr Frz. OmeU

Chabrol offizielles Meisterwerk, von Le Figaro als „der beste französische Film seit der Befreiung“ ausgerufen. Eine Geschichte von unmöglicher Liebe und möglichem Mord in sonnigen Bildern aus der idyllischen Pagnol-Provinz, genauer: dem kleinen Städtchen Trémolat, dessen Einwohner als authentische Hintergrundfiguren zum psychologischen Pas de deux am Abgrund auftreten. Wie uns der Film nebenbei erinnert, ist die Stadt unmittelbar über den Höhlenmalereien einer Epoche primitiverer Instinkte gebaut, wo bei einem Schulkinder-Picknick bald Blut aufs Brot tropfen wird. Zwei Außenseiter, die frigide Dorflehrerin, die Hélène heißt, wie fast alle Frauenfiguren Chabrols in dieser Zeit (und wie fast immer von seiner Frau Stéphane Audran gespielt), und der schüchterne Metzger, der erst vor kurzem aus dem Indochina-Krieg zurückgekehrt ist, kommen einander näher. Nachdem sie seine Avancen zurückweist, beginnt eine Serie von Sexualmorden. (C. H.)

Le Juge Fayard dit le Shériff (Der Richter, den sie Sheriff nannten) (1977) Regie: Yves Boisset; Drehbuch: Boisset, Claude Veillot; Kamera: Jacques Loiseleux; Musik: Philippe Sarde; Darsteller: Patrick Dewaere, Aurore Clément, Philippe Léotard, Marcel Bozzuffi, Bernard Giraudeau. 35mm, Farbe, 111 min

Freitag 2. September 21 Uhr Frz. OmdU

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Jean-Marie Fayard ist ein Untersuchungsrichter, wie ihn sich jede Judikative wünschen sollte: hartnäckig, unbestechlich sowie in der Wahl seiner Methoden manchmal recht einfallsreich. Fayards aktueller Fall wirkt auf den ersten Blick überschaubar: Es gibt ein Verbrechen, ein Opfer, einen Zeugen, einen Täter – nur hat letzterer ein Alibi von so beeindruckender Dichte, dass Fayard den Zeugen glaubwürdiger findet und anfängt, Fragen zu stellen. Angelehnt ist die Figur des Fayard an François Renaud, den ersten Richter, der im Nachkriegsfrankreich ermordet wurde. Bemerkenswert ist an Yves Boissets angewidertem Provinzfilz-Fresko unter anderem, wie weit er sich mittlerweile aus dem Fenster zu lehnen traute. Der Film benennt mehrmals Ross und Reiter – etwa die gaullistische Parallelpolizei SAC, welche auch gleich indigniert klagte und damit erreichte, dass zum Filmstart ihre drei Buchstaben aus den Kopien entfernt wurden. Mittlerweile sind sie wieder da. (O. M.)


Le Samouraï (Der eiskalte Engel) (1967) Regie, Drehbuch: Jean-Pierre Melville; Kamera: Henri Decaë; Musik: François de Roubaix; Darsteller: Alain Delon, Nathalie Delon, François Périer, Cathy Rosier, Michel Boisrond. 35mm, Farbe, 104 min Samstag 3. September 19 Uhr Frz. OmeU Mittwoch 21. September 21 Uhr Frz. OmeU

Jef Costello, Killer: liegend, als wäre er bereits aufgebahrt, wartend, rauchend. Erst das Ende wird diese Dimension irisierender Ruhe wiedererlangen – in seinem Tod, den er mit regloser Miene inszeniert, um in seinem letzten Augenblick, ein einziges Mal, an der Kippe der Dunkelheit die Augen entgeistert aufzureißen, als wäre er nicht mehr von dieser Welt. Zwischen den Polen des ersten und letzten Bilds die Beschreibung zweier Tage. Eine Jagd auf Costello: durch Polizei und Unterwelt. Eine Beschattung im Röhrensystem der Métro. Das Engerwerden der Freiheit, ihr völliger Verlust und restloser Gewinn im Triumph des Todes, der gewählt und heraufbeschworen wird. Melvilles Kälte und Rigorosität der Mise en scène erreichen das Limit funktionaler Eleganz. Ein Ritus aus Einsamkeit, Ästhetik, Stolz, Tod, zelebriert in betörender Zeitverzögerung, versetzt ins Dekor einer fremd und neu entworfenen Metropole. Le Samouraï ist Melvilles No-Spiel ¯ vom Tod. Und einer der schönsten Filme der Welt. (H. T.)

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Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

Coup de torchon (Der Saustall) (1981) Regie: Bertrand Tavernier; Drehbuch: Tavernier, Jean Aurenche nach Pop. 1280 von Jim Thompson; Kamera: Pierre-William Glenn; Musik: Philippe Sarde; Darsteller: Philippe Noiret, Isabelle Huppert, Stéphane Audran, Jean-Pierre Marielle, Eddy Mitchell, Guy Marchand. 35mm, Farbe, 128 min Samstag 3. September 21 Uhr Frz. OmdU

Knapp vor dem Zweiten Weltkrieg in einem westafrikanischen Kaff unter französischer Herrschaft: Polizist Lucien (Philippe Noiret) hat es sich mit träger Seelenruhe im rassistisch-korrupten Kolonialsumpf bequem gemacht, auch wenn er das Gespött der Leute ist. Seine Frau geht mit ihrem angeblichen Bruder fremd, von den örtlichen Gangstern und Zuhältern lässt sich Lucien gemütlich bestechen und von den Kollegen widerstandslos demütigen. Bis er eines Tages eine höhnische Aufforderung beim Wort nimmt – und den Saustall ausmistet. Mit derselben Seelenruhe wie zuvor schreitet er zum blutigen Rachefeldzug, weiterhin umschmeichelt von fröhlicher Musik, schwerelosen Steadicam-Fahrten und hundsgemeinem Dialogwitz. Bertrand Taverniers kühne Transposition von Jim Thompsons Texas-Krimi in die Kolonialvergangenheit ist ein satirischer Geniestreich: Während in der französischen Gegenwart (und den Polars der Ära) der Rassismus wieder aufflackert, zerrt Tavernier die Wurzeln ans Tageslicht. (C. H.)

À bout de souffle (Außer Atem) (1960) Regie, Drehbuch: Jean-Luc Godard nach einer Erzählung von François Truffaut; Kamera: Raoul Coutard; Musik: Martial Solal; Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Jean Seberg, Daniel Boulanger, Jean-Pierre Melville, Jean Douchet, André S. Labarthe. 35mm, s/w, 89 min Sonntag 4. September 19 Uhr Frz. OmdU

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Quelle explosion! Der Enthusiasmus im Angesicht von Godards erstem Spielfilm ist einhellig. „Ich betrachte À bout de souffle als ein Wunder“, wie Jean Cocteau zu sagen weiß. Claude Sautet, Regiekollege: „Ein Narr, wer die Bedeutung dieses einzigartigen Films leugnet!“ Obgleich die Elemente von À bout de souffle auf bereits Gesehenes zurückgreifen (auf Jean-Pierre Melvilles Gangsterfilme, das Tempo von B-Pictures, den Kamera-Verismus der New Yorker Schule), erweckt ihre Kombination im Betrachter das Gefühl, der Geburt einer neuen, atemberaubend spontanen Art des Kinos beizuwohnen. Ein Film, der in jedem Augenblick erfunden und zugleich gefunden erscheint: auf demonstrativ bewusste Weise gemacht, aufs Nonchalanteste improvisiert. Eine Doppelqualität, die heute so provokant anmutet wie 1960. Außer Atem: Sturmlauf eines Gangsters in den Tod, Sturmlauf des Kinos in ein neues Leben. (H. T.)


Classe tous risques (Der Panther wird gehetzt) (1960) Regie: Claude Sautet; Drehbuch: Sautet, Pascal Jardin, José Giovanni nach dessen Roman; Kamera: Ghislain Cloquet; Musik: Georges Delerue; Darsteller: Lino Ventura, Jean-Paul Belmondo, Sandra Milo, Marcel Dalio. 35mm, s/w, 113 min Sonntag 4. September 20.45 Uhr Frz. OmdU Donnerstag 29. September 19 Uhr Frz. OmdU

Der zum Tode verurteilte Gangster Abel Davos (Lino Ventura) hat sich vor Jahren ins Ausland abgesetzt. Nun will er zurück nach Paris, mit seiner Frau und ihren beiden Kindern. Ein gewagter Überfall in Mailand finanziert die Rückkehr: Der Coup gelingt, doch an der Grenze endet Abels atemberaubende Flucht in einer Tragödie. Seinen inzwischen arrivierten alten Kumpanen ist die Affäre zu heiß: Sie schicken einen Handlanger (Jean-Paul Belmondo), der Abels einziger Freund im Überlebenskampf wird. Sautets Spielfilmdebüt ist ein unangreifbarer Höhepunkt des französischen Gangsterfilms. Als Genrestück effizient und modern, unsentimental und lakonisch bis ins erstaunlich abrupte Ende – zugleich eine differenzierte Charakterstudie: die erste Sautet-Chronik der Dinge des Lebens. Tiefste Empfindungen übersetzt in knappe Blicke, Gesten, Worte. Als Studie von Einsamkeit und Loyalität ein Schlüsselwerk für Regisseure von Jean-Pierre Melville bis John Woo. (C. H.)

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Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

Garde à vue (Das Verhör) (1981) Regie: Claude Miller; Drehbuch: Miller, Jean Herman, Michel Audiard nach Brainwash von John Wainwright; Kamera: Bruno Nuytten; Musik: Georges Delerue; Darsteller: Lino Ventura, Michel Serrault, Romy Schneider, Guy Marchand, Annie Miller. 35mm, Farbe, 84 min

Montag 5. September 19 Uhr Frz. OmeU Sonntag 2. Oktober 19 Uhr Frz. OmeU

Nachdem zwei Mädchen vergewaltigt und ermordet aufgefunden worden sind, bestellt Inspektor Gallien (Lino Ventura) den überheblichen Notar Martinaud (Michel Serrault) noch in der Silvesternacht als Zeugen zur Befragung. Dabei ist Gallien überzeugt, den Täter vor sich zu haben: Im gnadenlosen Kreuzverhör verwickelt sich Martinaud bald in Widersprüche, aber es fehlt Gallien an handfesten Beweisen – bis plötzlich die Gattin (Romy Schneider) des Verdächtigen auftaucht, um einige verstörende Aussagen zu machen. Die Grundsituation dieses Kammerspiels mag theatralisch wirken, aber Claude Miller übersetzt seine britische Krimivorlage mit makelloser Mise en scène und uneitel grandiosen Darstellern raffiniert und handwerklich souverän in ein kinematografisches Kleinod, das aus einer vermeintlich klaren Angelegenheit ein komplexes psychologisches Labyrinth webt. Am Ende der langen Reise durch die Nacht ist keiner ohne Schuld. (C. H.)

Le Deuxième souffle (Der zweite Atem) (1966) Regie: Jean-Pierre Melville; Drehbuch: Melville, José Giovanni nach dessen Roman; Kamera: Marcel Combes; Musik: Bernard Gérard; Darsteller: Lino Ventura, Paul Meurisse, Raymond Pellegrin, Christine Fabréga, Marcel Bozzuffi, Michel Constantin. 35mm, s/w, 150 min

Montag 5. September 20.45 Uhr Frz. OmdU Freitag 30. September 20.45 Uhr Frz. OmdU

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Le Deuxième souffle entwirft mit Grandeur und betörender Geometrie einen geschlossenen Kosmos der Zwänge, Gesetze. Zum einen die Verbote des code civil, zum anderen die Spielregeln des „Milieus“. Zum dritten das Freundschaftsgebot der Treue. Zum vierten der Imperativ der Ehre. Zu Beginn: ein Ausbruch. Aus dem realen Gefängnis gerät der tragische Held in ein imaginäres, das der Regeln. Lino Ventura alias Gu Minda, Gangster, doppelt hoffnungslos, weil doppelt gejagt: von der Polizei, die sich der Methoden der Unterwelt bedient, von der Unterwelt, deren Gesetz noch unerbittlicher ist. Ungerührt, mit einer Rigorosität des Stils, die der Moral von Gu entspricht, erzählt Melville die Geschichte vom „zweiten Atem“: Wiederherstellung des Namens, Gewinn der Freiheit in äußerster Unfreiheit. Melvilles Werke sind abgrundtief pessimistisch, zugleich Rituale des großen Untergangs. Dies verleiht ihnen absurde Feierlichkeit wie auch dunkle Magie. (H. T.)


Le Deuxième souffle

L’Albatros (Der Albatros) (1971) Regie: Jean-Pierre Mocky; Drehbuch: Mocky, Claude Veillot, Raphaël Delpard; Kamera: Marcel Weiss; Musik: Léo Ferré; Darsteller: Jean-Pierre Mocky, Marion Game, Paul Müller, André Le Gall, René-Jean Chauffard. 35mm, Farbe, 92 min Mittwoch 7. September 19 Uhr Frz. OmeU

Stef (Jean-Pierre Mocky) wurde als Mörder inhaftiert, nachdem er bei einer politischen Demonstration unabsichtlich einen Polizisten getötet hat. Auf der Flucht nimmt er eine Frau als Geisel, damit sie ihn über die Grenze in Sicherheit bringt – nicht ahnend, dass es sich um Paula Cavalier handelt, Tochter des mitten im Wiederwahlkampf befindlichen Präsidenten. Dessen politischer Widersacher will aus der sich prompt abzeichnenden Krise Kapital schlagen: Während das Paar von verschiedenen Parteien gejagt wird, entbrennt die amour fou zwischen Paula und Stef. Mocky, Libertin und Einzelgänger im französischen Kino, am Höhepunkt seiner Periode als romantischer Anarchist: In Noir-Stoffen wie Solo und L’Albatros setzte er sich als von der Justiz gejagter Rebell in Szene und ließ die Thriller-Plots durch politisch-farcenhafte Überspitzung entgleisen. Alexandre Astruc erklärte Mocky dafür zum Schauspieler-Regisseur vom Range Erich von Stroheims und Buster Keatons. (C. H.)

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Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

Nada (1974) Regie: Claude Chabrol; Drehbuch: Chabrol, Jean-Patrick Manchette nach dessen Roman; Kamera: Jean Rabier; Musik: P. Jansen; Darsteller: Fabio Testi, Maurice Garrel, Michel Duchaussoy, Michel Aumont, Lou Castel. 35mm, Farbe, 111 min

Mittwoch 7. September 21 Uhr Frz. OmdU Montag 19. September 21.15 Uhr Frz. OmdU

Die Pariser Anarchisten-Gruppe Nada träumt von der Revolution. Ihre große Aktion: eine Entführung des US-Botschafters aus einem exklusiven Bordell. Die Regierung gibt vor, auf die Forderungen der samt Geisel im Bauernhaus verschanzten Terroristen einzugehen – und gewährt dem skrupellosen Polizeichef freie Hand zum Durchgriff. Einer von Chabrols ungeliebtesten Filmen – womöglich sein bester: In radikaler Abkehr von seinen gefeierten bürgerlichen Krimimelodramen mischt er nihilistischen Thriller-Zorn und politische (Real-)Satire zur systemischen Verdammung der Grande Nation (und der westlichen Welt im Allgemeinen) im ideologischen Fallout der 1970er. Ebenso radikal lässt er Links und Rechts sich und einander zerfleischen, ohne Rücksicht auf Kollateralschäden. Chabrols sardonische Natur erweist sich als kongenial für die Adaption eines Romans von Überfigur Jean-Patrick Manchette, dem zynisch-verzweifelt-visionären Polar-Theoretiker und -Erneuerer. (C. H.) Einführung von Christoph Huber am 7.9.

La Guerre des polices (Der Polizeikrieg) (1979) Regie: Robin Davis; Drehbuch: Davis, Jean-Patrick Manchette, Patrick Laurent, Jean-Marie Guillaume, Jacques Labib; Kamera: Ramón F. Suárez; Musik: JeanMarie Sénia; Darsteller: Claude Brasseur, Marlène Jobert, Claude Rich, JeanFrançois Stévenin, Jean-Pierre Kalfon; François Périer. 35mm, Farbe, 108 min Donnerstag 8. September 19 Uhr Frz. OmdU

Kommissar Ballestrat (Claude Rich) und sein Team sind bereit für den großen Schlag: Es ist ihnen gelungen, den Unterschlupf von Hector Sarlat, Staatsfeind Nr. 1, aufzuspüren. Im Morgengrauen wollen sie zuschlagen – als unerwartet die rivalisierende Polizeitruppe von Kommissar Fush (Claude Brasseur) auftaucht. Es kommt zur Konfrontation, Sarlat kann entkommen, während einer der Polizisten erschossen wird. Der Innenminister verordnet die Zusammenarbeit der verfeindeten Polizisten, um Sarlat zur Strecke zu bringen. Aber Fush und Ballestrat gehen auf Privatfeldzug, während sie sich intern den „Polizeikrieg“ erklären, mit fatalen Folgen. Inspiriert von einem wahren Fall, zeigt sich La Guerre des polices als Inbegriff des schmutzigen, desillusionierten und zugleich tieftraurigen policier der Siebziger: Wo die ganze Welt zum Feindesland geworden ist, werden keine Gefangenen mehr gemacht. (C. H.) Einführung von Dominik Graf

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Max et les ferrailleurs (Das Mädchen und der Kommissar) (1971) Regie: Claude Sautet; Drehbuch: Sautet, Jean-Loup Dabadie, Claude Néron nach dessen Roman; Kamera: René Mathelin; Musik: Philippe Sarde; Darsteller: Michel Piccoli, Romy Schneider, François Périer, Georges Wilson, Bernard Fresson, Philippe Léotard. 35mm, Farbe, 112 min

Donnerstag 8. September 21.15 Uhr Frz. OmdU Samstag 24. September 21 Uhr Frz. OmdU

Der frustrierte Richter Max (Michel Piccoli) ist Kommissar geworden, getrieben von der idée fixe, Verbrecher auf frischer Tat zu ertappen. Als der Erfolg ausbleibt, fabriziert er die Gelegenheit selbst. Sein alter Militärkamerad Abel und dessen Kollegen vom Schrottplatz schlagen sich mit kleinen Diebstählen durch. Max macht sich an Abels Gunstgewerbler-Freundin Lili (elegante Traurigkeit: Romy Schneider) heran und beginnt eine ausgeklügelte Manipulation, um die Schrottplatz-Gang zum „todsicheren“ Banküberfall zu motivieren. Der wohl persönlichste, bewegendste Film von Claude Sautet besetzt die Schnittstelle zwischen seinen frühen GenreArbeiten und seiner späteren Chronik des bürgerlichen Lebens: tragisches Vexierbild menschlicher Abhängigkeiten, geboren aus dem grausam auf den Kopf gestellten Polizeifilm. Der monströs erscheinende Außenseiter-Cop Max handelt aus persönlicher Überzeugung – als perverser Bruder von Jean-Pierre Melvilles Samouraï. (C. H.) Gespräch im Anschluss mit Dominik Graf am 8.9.

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Police (1985) Regie: Maurice Pialat; Drehbuch: Pialat, Catherine Breillat, Sylvie Danton, Jacques Fieschi; Kamera: Luciano Tovoli; Musik: Henryk Mikołaj Górecki; Darsteller: Gérard Depardieu, Sophie Marceau, Sandrine Bonnaire, Pascale Rocard, Richard Anconina. 35mm, Farbe, 113 min

Freitag 9. September 18.30 Uhr Frz. OmdU Montag 3. Oktober 21 Uhr Frz. OmdU

Maurice Pialats erste größere Produktion, ermöglicht durch den Erfolg von À nos amours: ein Genre-Film, der dem typischen, streckenweise wie improvisiert wirkenden Stil des Regisseurs erstaunliche Realitätsnähe verdankt. Gérard Depardieu als Polizist, dessen Sinn für Recht und Unrecht nicht viel ausgeprägter scheint als jener der Kriminellen, die er jagt. Ein Porträt der symbiotischen Beziehung zwischen Polizeiarbeit und Verbrechen, ohne Moralisieren oder Zynismus, gekennzeichnet von der Wucht des Augenblicks – einer „Alltagsperspektive“, in der oft jene Momente in den Mittelpunkt rücken, die in anderen Policiers keine Rolle spielen (dürfen). Der Stillstand zwischen den Ermittlungen, die Details der mühsamen Kleinarbeit, das Weitertreiben durch den Morast, die Kamera immer zittrig hinterdrein – ein Leben, ständig an der Schwelle. (C. H.) Einführendes Gespräch mit Dominik Graf am 9.9.

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Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

L’Héritier (Der Erbe) (1973) Regie: Philippe Labro; Drehbuch: Labro, Jacques Lanzmann; Kamera: J. Penzer; Musik: Michel Colombier; Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Carla Gravina, Jean Rochefort, Charles Denner, Jean Desailly, Maurice Garrel. 35mm, Farbe, 112 min Freitag 9. September 21 Uhr Frz. OmdU

Medien- und Industriemagnat Hugo Cordell stirbt bei der ungeklärten Explosion seines Flugzeugs. Mit Spannung erwarten die Zeitungsleute des Cordell-Imperiums daraufhin den Erben: Sohn Bart (Jean-Paul Belmondo) galt bislang als unbedeutender Playboy, was sein Flirt auf dem Rückflug aus den USA prompt zu bestätigen scheint – mit dem Ergebnis, dass sich Bart am französischen Zoll unerwartet für einen Koffer voller Drogen verantworten muss. Überzeugt davon, dass etwas faul ist im Reich seines Vaters, beginnt er nachzuforschen und sich für die Rechte der Arbeiter einzusetzen. Die Spur führt zurück in die Zeit der Nazi-Besatzung Frankreichs. Philippe Labro, neben Yves Boisset und Alain Corneau dritter Regie-Säulenheiliger der Übergangsphase zum Néo-Polar der 1970er, hat mit L’Héritier den ungewöhnlichsten aller populären Belmondo-Filme geschaffen: die französische Antwort auf Point Blank aus dem Geiste der Post- 68er- Wut. (C. H.) Einführung von Dominik Graf

Que la bête meure (Das Biest muss sterben) (1969) Regie: Claude Chabrol; Drehbuch: Paul Gégauff, Chabrol nach The Beast Must Die von Nicholas Blake; Kamera: Jean Rabier, Claude Zidi; Musik: Pierre Jansen, Johannes Brahms; Darsteller: Jean Yanne, Michel Duchaussoy, Caroline Cellier, Maurice Pialat, Guy Marly. 35mm, Farbe, 111 min Samstag 10. September 19 Uhr Frz. OmdU Montag 26. September 21.15 Uhr Frz. OmdU

Nachdem sein Sohn überfahren wurde, macht sich ein Kinderbuchautor auf die Suche nach dem flüchtigen Fahrer, um ihn zu töten. Detektivarbeit und der Zufall bringen ihn zur Schwägerin des Schuldigen. Er beginnt eine Affäre mit ihr, um in den engeren Familienkreis vorzudringen – wo sich der Täter tatsächlich als Bestie im Mantel bürgerlicher Respektabilität entpuppt, die von den Seinen ebenso hingebungsvoll gehasst wird wie vom Autor. Doch knapp bevor der seinen Plan umsetzen kann, wird sein Tagebuch entdeckt, und die Dinge erweisen sich als wesentlich komplizierter als geahnt. Ein Hauptwerk Claude Chabrols, ein tödliches Familienmelodram, das die felsige Küstenlandschaft der Bretagne virtuos für Stimmungsmalerei und psychologische Effekte nutzt. Chabrol: „Ich bin daran interessiert, die Gesellschaft so zu zeigen, wie sie heute ist: völlig verfault. Aber es ist eine sehr angenehme Fäulnis, und darum ist sie schön anzusehen.“ (C. H.) 23


Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

Diva (1981) Regie: Jean-Jacques Beineix; Drehbuch: Beineix, Jean Van Hamme, Delacorta nach dessen Roman; Kamera: Philippe Rousselot; Musik: Vladimir Cosma; Darsteller: Wilhelmenia Wiggins Fernandez, Frédéric Andréi, Richard Bohringer, Thuy An Luu, Dominique Pinon, Brigitte Lahaie. 35mm, Farbe, 117 min

Samstag 10. September 21.15 Uhr Frz. OmdU Sonntag 2. Oktober 20.45 Uhr Frz. OmdU

Der junge Postbote Jules hat heimlich das Konzert einer von ihm verehrten Operndiva mitgeschnitten, die keine Aufnahmen zulässt. Ohne dass er es merkt, wird ihm am nächsten Tag eine andere Audiokassette zugesteckt, auf der sich belastendes Material in einem Kriminalfall befindet. Unversehens findet sich Jules daraufhin im Fadenkreuz einer taiwanesischen Killer-Gang, die obendrein von einem korrupten Kommissar unterstützt wird. Aus Jules romantischen Fantasien wird ein sadistischer Alptraum, aber in Form eines auf reine Unterhaltung zugeschnittenen Krimi-Märchens, das die Verspieltheit der Nouvelle Vague mit visueller Extravaganz im Zeichen der damaligen Werbeästhetik auf die Spitze treibt. Ein Schlüsselfilm zur Geburt des sogenannten Cinéma du look, in Frankreich erst ein Publikumshit, nachdem er internationales Aufsehen erregt hatte – dann aber von durchschlagender Nachwirkungskraft zwischen Kunst (Leos Carax) und Kommerz (Luc Besson). (C. H.).

La Mariée était en noir (Die Braut trug schwarz) (1968) Regie: François Truffaut; Drehbuch: Truffaut, Jean-Louis Richard nach The Bride Wore Black von Cornell Woolrich; Kamera: Raoul Coutard; Musik: Bernhard Herrmann; Darsteller: Jeanne Moreau, Michel Bouquet, Jean-Claude Brialy, Charles Denner, Claude Rich, Michael Lonsdale. 35mm, Farbe, 107 min

Sonntag 11. September 19 Uhr Frz. OmdU Donnerstag 6. Oktober 19 Uhr Frz. OmdU

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Ein Liebesfilm ohne Liebesszene, weil die Liebe lange vor dem Film stattgefunden hat. La Mariée était en noir verbeugt sich vor dem amerikanischen Kino. Genauer gesagt: Nach dem Privatissimum des 50 -Stunden-lnterviews mit Mister Hitchcock filmt Monsieur Truffaut seine Dissertation über Mister H. Die magische Musik Bernard Herrmanns beweist es, so wie jedes der schönen glatten Fallenbilder und die Fallenstruktur des Films insgesamt. Julie reist durch Frankreich, tötet fünf Repräsentanten des männlichen Geschlechts und der französischen Bourgeoisie. Die Herren, die sich, unwissend über ihr Schicksal, wie siegreiche Verführer gegenüber Julie gebärden, sind die Mörder ihres Geliebten. JulieMoreau-Nemesis aber, Göttin der revenge story, bleibt undurchschaubar wie die steinerne Statue auf der Insel in Jules et Jim. Der schöpferische Epigone weiß: Das Kino liebt Bilder und Rätsel – nicht die Psychologie. (H. T.)


La Mariée était en noir

The Outside Man / Un homme est mort (1972) Regie: Jacques Deray; Drehbuch: Deray, Jean-Claude Carrière, Ian McLellan Hunter; Kamera: Silvano Ippoliti, Terry K. Meade; Musik: Michel Legrand; Darsteller: Jean-Louis Trintignant, Ann-Margret, Roy Scheider, Angie Dickinson, Michel Constantin, Ted de Corsia. 35mm, Farbe, 104 min Sonntag 11. September 21 Uhr Engl. OF Montag 3. Oktober 19 Uhr Engl. OF

Der französische Auftragskiller Lucien Bellon (Jean-Louis Trintignant) soll in Los Angeles einen Mafiaboss eliminieren und zieht den Anschlag mit cooler Effizienz im Handumdrehen durch. Doch als er ins Hotel zurückkehrt, sind sein Gepäck und Pass verschwunden, und auf offener Straße findet er sich im Fadenkreuz eines anderen gedungenen Mörders wieder. Kaum des Englischen mächtig, spürt er der Verschwörung nach: in einem fremden Land, dessen Gepflogenheiten auf ihn, gelinde gesagt, bizarr wirken. Trintignant brilliert mit bewährtem Understatement als verwirrte hitman Version von Lewis Carrolls Alice, die sich hier nicht mehr durchs Wunderland, sondern hinter den Spiegeln bewegt. Das Spiegelland wird verkörpert vom eigentlichen Hauptdarsteller des Films: Los Angeles, von dem hier Schauplätze gezeigt werden, die das USKino nie betreten hat. Jacques Derays beste Regiearbeit und der Meilenstein des franko-amerikanischen Krimi-ExistenzialismusAustauschs schlechthin. (C. H.) 25


Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

La Femme flic (Die Polizistin) (1980) Regie: Yves Boisset; Drehbuch: Boisset, Claude Veillot; Kamera: J. Loiseleux; Musik: Philippe Sarde; Darsteller: Miou-Miou, Jean-Marc Thibault, Jean-Pierre Kalfon, Leny Escudéro, Niels Arestrup, Roland Amstutz. 35mm, Farbe, 102 min

Montag 12. September 19 Uhr Frz. OmdU Freitag 7. Oktober 19 Uhr Frz. OmdU

Die idealistische junge Polizistin Corinne Levasseur (Miou-Miou) hat im Alleingang gehandelt und dabei eine Figur des öffentlichen Lebens angepatzt. Also wird sie in eine kleine Provinzstadt im Norden strafversetzt, die von einer reichen Industriellenfamilie dominiert wird. Dort soll sie zu rein administrativen Aufgaben abgestellt werden, doch sie verbeißt sich hartnäckig in einen neuen Fall: Ein Mädchen wurde ermordet, die Spur führt zu einem Kinderprostitutionsring. Vom lokalen Establishment werden diese Ermittlungen gar nicht goutiert, und die Polizistin stößt schnell auf Widerstand in den eigenen Reihen. Nach seiner Serie zorniger Krimi-Exposés wie Un condé schlägt Yves Boisset mit La Femme flic verhaltenere Töne an, ohne seine Sozialkritik auch nur eine Spur abzumildern: „Das Problem liegt also nicht mehr auf der Ebene des Individuums, sondern auf der Ebene der Institution, die es als Sandkorn in seinem Getriebe ansieht und sich seiner entledigt.“ (C. H.).

Peur sur la ville (Angst über der Stadt) (1975) Regie: Henri Verneuil; Drehbuch: Verneuil, Jean Laborde, Francis Veber; Kamera: J. Penzer; Musik: E. Morricone; Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Charles Denner, Adalberto Maria Merli, Léa Massari, Jean-François Balmer. 35mm, Farbe, 121 min Montag 12. September 21 Uhr Frz. OmdU Donnerstag 29. September 21.15 Uhr Frz. OmdU Print courtesy Forum des images

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Kommissar Le Tellier (Jean-Paul Belmondo) steht unter Überdruck, nachdem ihm ein Bankräuber entkommen ist und bei der Verfolgungsjagd ein unschuldiger Passant getötet wurde. Dann bekommt er es auch noch mit einem Serienkiller zu tun, der sich Minos nennt und es zu seiner Mission gemacht hat, Paris vom „sexuellen Schlamm“ zu säubern: Er tötet junge Frauen als Strafe für ihren „unsittlichen“ Lebenswandel. Während Le Tellier den bizarren Spuren folgt, die Minos auslegt, kreuzt der Bankräuber wieder seinen Weg: Mit halsbrecherischem Einsatz versucht er, beide zur Strecke zu bringen. Der definitive Belmondo-Actionthriller, eine unerreichte Blaupause für seine weitere Karriere als akrobatischer Krimi-Superstar: Seine größtenteils selbst durchgeführten Stunts waren nie wieder so haarsträubend wie die Verfolgungsjagden in Autos, durch (und auf!) U-Bahnen sowie über den Dächern von Paris, die Henri Verneuil hier mit grimmiger Verve als Hochspannungshürdenlauf in Szene setzte. (C. H.)


Jean-Paul Belmondo am Set von Peur sur la ville

La Haine (Hass) (1995) Regie, Drehbuch: Mathieu Kassovitz; Kamera: Pierre Aïm; Musik: Assassin; Darsteller: Vincent Cassel, Hubert Koundé, Saïd Taghmaoui, Benoît Magimel, Vincent Lindon, Karin Viard, Mathieu Kassovitz. 35mm, s/w, 97 min Mittwoch 14. September 21.15 Uhr Frz. OmeU

Vierundzwanzig Stunden im Leben eines Trios Arbeitsloser in der Pariser Banlieue, die von Krawallen erschüttert wird, nachdem ein junger Araber aus dem Viertel von Polizisten bei einer Routinekontrolle lebensgefährlich verletzt worden ist. Der jüdische Skinhead Vinz (Vincent Cassel) hat während der Unruhen einen Polizeirevolver gefunden, den er einzusetzen schwört, sollte der Verletzte im Krankenhaus sterben. Mit dem Araber Saïd und dem Afro-Franzosen Hubert zieht Vinz unruhestiftend durch die Nacht. Ihre aufgestaute Frustration entlädt sich in endlosen Gesprächen und aufflammenden Konfrontationen: Die Zeitbombe tickt. Mit seinem zweiten Film La Haine gelang Mathieu Kassovitz der internationale Durchbruch: Die Weiterschreibung des Konfliktpotentials zwischen Immigranten (-kindern) und einheimischer Reaktion – ein Polar-Leitthema der späten 1970er und frühen 1980er Jahre – mit hyperaktiver Kamera und politischer Provokation als Agitprop-Jugendkino für die Trainspotting -Ära. (C. H.)

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Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

Le Choix des armes

De battre mon cœur s’est arrêté (Der wilde Schlag meines Herzens) (2005) Regie: Jacques Audiard; Drehbuch: Audiard, Tonino Benacquista nach Fingers von James Toback; Kamera: Stéphane Fontaine; Musik: Alexandre Desplat; Darsteller: Romain Duris, Niels Arestrup, Emmanuelle Devos, Jonathan Zaccaï, Linh-Dan Pham, Mélanie Laurent, Emmanuel Finkiel. 35mm, Farbe, 106 min

Donnerstag 15. September 19 Uhr Frz. OmdU

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Mit seiner Musikbegabung hätte Tom (Romain Duris) in die Fußstapfen seiner Mutter, einer gefeierten Konzertpianistin, treten können. Doch nach deren Tod hat er das Klavierspielen aufgegeben und arbeitet als skrupelloser Immobilienhai im Dienste seines Vaters (famos: Niels Arestrup). Ob durch Aussetzen von Ratten, Abstellen von Strom und Wasser oder schlichte Handgreiflichkeiten: Lästige Mieter werden von Tom gehorsam vertrieben. Immer mehr droht Tom wie der bittere Papa zu werden, dem er in Hassliebe ergeben ist – bis ihn eine zufällige Begegnung wieder zur Musik führt. Bald nimmt Tom Klavierstunden bei einer Vietnamesin, mit der er sich weniger durch Sprache verständigt als durch das Piano. Doch die (halb-)kriminelle Existenz ist nicht so leicht abzuschütteln. Jacques Audiards Remake von James Tobacks faszinierendem Debüt Fingers stellt die Tonlage auf den Kopf: Aus dem obsessiven Sturz in räudige Verwirrung wird ein feingliedrig komponierter Entwicklungsroman. (C. H.)


Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

Le Choix des armes (Wahl der Waffen) (1981) Regie: Alain Corneau; Drehbuch: Corneau, M. Grisolia; Kamera: Pierre-William Glenn; Musik: Philippe Sarde; Darsteller: Yves Montand, Gérard Depardieu, Catherine Deneuve, Michel Galabru, Richard Anconina. 35mm, Farbe, 135 min

Donnerstag 15. September 21 Uhr Frz. OmdU Mittwoch 12. Oktober 21 Uhr Frz. OmdU Print courtesy Forum des images

Der hitzköpfige Gangster Mickey (Gérard Depardieu) und sein Kumpan werden nach dem Gefängnisausbruch in eine Falle gelockt. Als letzte Zuflucht dient der Landsitz von Noël (Yves Montand), einem ehemaligen Gangsterboss, der nun als Pferdezüchter ein gesetzestreues Bürgerleben mit seiner Frau (Catherine Deneuve) führt. Als sich Mickey irrtümlich von Noël an die Polizei verraten wähnt, schwört er blutige Rache: Es beginnt ein unbarmherziger Kampf zwischen dem psychopathischen jungen Verbrecher und dem gealterten (Ex-)Gentleman-Gauner, bei dem beide mehr von sich im Kontrahenten erkennen müssen, als ihnen lieb ist. Während sich der klassische Plot wie in einer Kettenreaktion zuspitzt, sorgt Alain Corneau mit immer wieder verblüffender Nuancierung für einen Tiefgang, der Melville-Präzision mit romanhafter Epik verwebt, als wollte er den end- und letztgültigen Polar machen. Es ist ihm gelungen: das Genrestück als Universalkunstwerk. (C. H.)

Le Petit lieutenant (Eine fatale Entscheidung) (2005) Regie: Xavier Beauvois; Drehbuch: Beauvois, Guillaume Bréaud, Jean-Eric Troubat, Cédric Anger; Kamera: Caroline Champetier; Darsteller: Nathalie Baye, Jalil Lespert, Roschdy Zem, Antoine Chappey, Jacques Perrin, Xavier Beauvois. 35mm, Farbe, 115 min Freitag 16. September 19 Uhr Frz. OmdU

Ein junger Polizeischulabgänger aus der Provinz lässt seine Frau zurück und meldet sich zur Pariser Mordkommission, wo ihm die Chefin (Nathalie Baye), eine Ex-Alkoholikerin, und ein arabischer Kollege (Roschdy Zem) zur Ersatzfamilie werden, während sie zwischen Routinefällen zur gefährlichen Suche nach einem Serienverbrecher ansetzen. Ein in seiner quasi-dokumentarischen Uneitelkeit (samt unglaublichen Laiendarstellern), in seiner Verbindung von menschlicher Einsicht und tiefer Desillusioniertheit überwältigendes Meisterwerk von Xavier Beauvois, der auch eine Nebenrolle als Hardliner-Cop spielt: ein Kinomonument über Vergänglichkeit, Einsamkeit, die Enttäuschungen des Lebens. (C. H.) Christian Petzold: „Einer der schönsten Polizeifilme. Eine große Traurigkeit ist in dem Film. Am Ende, in Nizza, am Meer, fährt die Kamera mit der einsamen Nathalie Baye. Sie schaut in die Kamera wie Jean-Pierre Léaud damals am Atlantik. Eine große Traurigkeit.“ 29


Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

Mauvais sang (Die Nacht ist jung) (1986) Regie, Drehbuch: Leos Carax; Kamera: Jean-Yves Escoffier; Musik: Benjamin Britten, David Bowie; Darsteller: Michel Piccoli, Juliette Binoche, Denis Lavant, Hans Meyer, Julie Delpy, Hugo Pratt, Mireille Perrier, Serge Reggiani, Leos Carax. 35mm, Farbe, 127 min

Freitag 16. September 21.15 Uhr Frz. OmdU

In seinem zweiten Film dockt Kunstkinokoryphäe Leos Carax an das Krimi-Genre an: Die Handlung kombiniert heist movie und futuristische Paranoia als Vorwand für die Ekstasen der Carax’schen Dunkelromantik. Im Paris der nahen Zukunft geht AIDS-artig ein Virus um, das bei Sex ohne Liebe tödliche Folgen zeitigt. Das rettende Serum ist in einem Labor weggesperrt – und der fingerfertige Alex (Carax-Ikone Denis Lavant) wird von Marc (Michel Piccoli), einem alten Gangsterfreund seines Vaters, engagiert, um es zu entwenden. Doch Alex packt die Liebe zu Marcs Freundin Anna (Juliette Binoche), von Carax verewigt in einer unvergesslichen Raserei zu David Bowies „Modern Love“. Die Gefühle überwältigen den Polar-Plot und steigern sich zum Bilderrausch in Schwarz-WeißRot. Mauvais sang ist affiziert von der Poesie der großen Stummfilme: hingebungsvoll platzierte Gesten und Gesichter als Material für ein melancholisch schimmerndes Geheimnis. (C. H.)

Nikita (1990) Regie, Drehbuch: Luc Besson; Kamera: Thierry Arbogast; Musik: Éric Serra; Darsteller: Anne Parillaud, Tchéky Karyo, Jean-Hugues Anglade, Jeanne Moreau, Jean Reno. 35mm, Farbe, 117 min Samstag 17. September 21.15 Uhr Frz. OmdU Montag 10. Oktober 21 Uhr Frz. OmdU

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Um an Drogen zu kommen, überfällt die süchtige Psychopathin Nikita (Anne Parillaud) mit ihren Freunden eine Apotheke. Die Polizei schreitet ein. Im folgenden Feuergefecht erschießt Nikita kaltblütig einen Polizisten und wird wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch sie erhält eine unerwartete Chance: ein neues Leben als Killermaschine. Eine Spezialabteilung des Geheimdiensts sieht in Nikita das Idealmaterial für die Top-Secret-Ausbildung zur staatlichen Auftragsmörderin, täuscht ihren Tod vor und unterwirft sie einer jahrelangen Drill-Prozedur, bis sie in ein unauffälliges Privatleben entlassen werden kann, um auf Abruf für so ausgeklügelte wie absurde Mordaktionen bereitzustehen. Eine Männerfantasie als Achterbahn-Attacke, frei nach Kubricks A Clockwork Orange: Nicht zuletzt dank Anne Parillauds packender Performance der gelungenste Film des Oberflächen-Aktionisten Luc Besson, von stilbildender Wirkung nicht nur auf zahllose Remakes. (C. H.)


Mauvais sang

Les Voleurs (Diebe der Nacht) (1996) Regie: André Téchiné; Drehbuch: Téchiné, Gilles Taurand, Michel Alexandre, Pascal Bonitzer; Kamera: Jeanne Lapoirie; Musik: Philippe Sarde; Darsteller: Catherine Deneuve, Daniel Auteuil, Laurence Côte, Benoît Magimel, Fabienne Babe. 35mm, Farbe, 117 min

Sonntag 18. September 20.45 Uhr Frz. OmdU

Ein Kind erwacht durch den Schrei der Mutter: Der Vater ist tot. Erst langsam erschließen sich Davor und Danach, als die Ereignisse aus den Perspektiven verschiedener Figuren aufgerollt werden. Ein vielstimmiges Hauptwerk André Téchinés, in dessen Zentrum die Anmutung eines Kriminalfilms steckt. Aber so wie aus dem großen Autodiebstahl-Plan von Les Voleurs nichts wird, verlagert sich auch die Erzählung in eine – mehrschichtige, oft absichtsvoll uneindeutige – Untersuchung von Gefühlen und Familienbanden. Christian Petzold: „Sie kommen alle nicht zurecht. Sie suchen den Dialog, die Begegnung, die Reibung. Im Stundenhotel. Im Café. Im Auto. Auf dem Balkon. In der Badewanne. Kinder, Lehrer, Polizisten, Gangster.“ Die komplizierten (und sich weiter verkomplizierenden) Beziehungsverhältnisse als Basis für eine erwachsene, eigenwillige Mischung aus Melodram und Milieustudie: Der gefährlichste Dieb hier, an den Emotionen nagend, mit unwiederbringlichen Folgen, ist die Zeit. (C. H.)

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Sept | Okt 2016 Wahl der Waffen

La Cérémonie (Biester) (1995) Regie: Claude Chabrol; Drehbuch: Chabrol, Caroline Eliacheff nach A Judgement in Stone von Ruth Rendell; Kamera: Bernard Zitzermann; Musik: Matthieu Chabrol; Darsteller: Isabelle Huppert, Sandrine Bonnaire, Jacqueline Bisset, Jean-Pierre Cassel, Virginie Ledoyen. 35mm, Farbe, 111 min

Montag 19. September 19 Uhr Frz. OmdU Sonntag 9. Oktober 21 Uhr Frz. OmdU

Eine Bürgerfamilie sucht ein Hausmädchen für den Landsitz. Die ausgewählte Frau erweist sich als pflichtbewusst, wenn auch verstockt. Sie hat ein Geheimnis zu verbergen. Das Verhältnis zur glücklichen Familie wird zusätzlich belastet, als sich das Hausmädchen mit einer aufrührerischen Postbeamtin aus dem Ort anfreundet, die ihren Zorn auf das als repressiv empfundene, kulturbeflissene gutbürgerliche Leben anstachelt. Während die Salzburger Festspiele im Fernsehen laufen, explodiert der aufgestaute Klassenhass. Eines von Chabrols absoluten Meisterwerken, ein mit astronomischer Genauigkeit und traumgleicher Unabänderlichkeit voranschreitender psychologischer Thriller, an dessen Ecken surrealer Humor mit Echos von Buñuel lauert. Claude Chabrol: „Ich habe Industrielle sagen hören, dass der Klassenkampf vorbei ist. Aber es steht ihnen wirklich nicht zu, das zu entscheiden.“ (C. H.)

Feux rouges (Schlusslichter) (2004) Regie: Cédric Kahn; Drehbuch: Kahn, Laurence Ferreira Barbosa, G. Marchand nach dem Roman von Georges Simenon; Kamera: Patrick Blossier; Musik: Claude Debussy, Johannes Brahms, Arvo Pärt, The Warlocks; Darsteller: JeanPierre Darroussin, Carole Bouquet, Vincent Deniard. 35mm, Farbe, 105 min

Mittwoch 21. September 19 Uhr Frz. OmdU

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Ein heißer Spätsommernachmittag in Paris: Schwitzend bestellt Antoine Dunan (Jean-Pierre Darroussin) ein kühles Bier – und bald ein zweites. Eine lange Autofahrt mit seiner Frau Hélène (Carole Bouquet) steht bevor, und schnell ist klar: Antoine trinkt aus Frust, über seine Unterlegenheit in der Ehe, über seine gescheiterten Lebensträume. Auf der Fahrt legt er immer häufiger Zwischenstopps ein, um weiterzutrinken. Nach einem Krach ist Hélène verschwunden – und im Fernsehen wurde eben gemeldet, dass ein Gefängnisausbrecher die Gegend unsicher macht … Cédric Kahn holt einen in den USA spielenden Simenon-Roman der 1950er zurück nach Frankreich und in die Gegenwart, ohne an Substanz einzubüßen: Als Road-Movie, in dem sich Thriller und Ehedrama im fortschreitenden Rauschzustand und in eleganten nächtlichen Atmosphären aufschaukeln bis zum Filmriss – und dem schrecklichen Erwachen. Unheimlich und dicht ist Feux rouges dabei vor allem als kunstvoller Kraftakt subjektiver Inszenierung. (C. H.)


La Cérémonie

Une affaire d’état (Eine Staatsaffäre) (2009) Regie: Éric Valette; Drehbuch: Alexandre Charlot, Franck Magnier nach Nos fantastiques années fric von Dominique Manotti; Kamera: Vincent Mathias; Musik: Noko; Darsteller: Rachida Brakni, André Dussollier, Thierry Frémont, Christine Boisson, Serge Hazanavicius, Denis Podalydès. 35mm, Farbe, 99 min Donnerstag 22. September 19 Uhr Frz. OmdU

Ein Flugzeug explodiert vor einer Küste Afrikas. An Bord waren illegale Waffen für Rebellen im Kongo, um Geiseln freizukaufen. Drahtzieher Victor Bornand (André Dussollier), „Afrika-Mann“ der Regierung, lässt seinen Handlanger, Ex-Agent Fernandez (Thierry Frémont), nachforschen. Im Übereifer tötet der bei einer Befragung eine Edelprostituierte, woraufhin die hartnäckige junge Polizistin Nora Chahyd (Rachida Brakni) mit ihrem Veteranen-Partner wegen Mordes ermittelt. Während die Affäre immer weitere Kreise durchs Labyrinth der Korruption zieht, häufen sich die Toten im Umfeld. Éric Valettes toll gespielter, mitreißender Mix aus Politthriller und handfestem Polizistinnen-Polar ist ein französisches Äquivalent zu den rasanten deutschen Genre-Großtaten von Dominik Graf: Elegant und hinterlistig, locker und brutal, gewitzt und geerdet – tonlagenreich schillernd wie die unglaubliche Killer-Darstellung Frémonts, in der absolute Bösartigkeit und geradezu unschuldige Naivität zwanglos zusammengehen. (C. H.)

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22. bis 26. September 2016 Kino-Atlas 4

München-Schwabing „Die Auswahlkommission hat in diesem Jahr westdeutsche Filme abgelehnt, deren Autoren es gewagt hatten, auf Realität Rücksicht zu nehmen“, hieß es auf einem Flugblatt, das 1965, drei Jahre nach dem berühmten Manifest, auf den Kurzfilmtagen Oberhausen verteilt werden sollte. Zu den Unterzeichnern zählten drei junge Filmemacher, die in den Folgejahren den Kern der Münchner Gruppe bildeten und die zuerst mit Kurz-, bald auch mit Langfilmen Na und …? einen neuen, ungezwungenen Tonfall ins deutsche Kino einbrach(1966, Bohm & ten: Rudolf Thome, Klaus Lemke und Max Zihlmann. Daneben finHerbst) den sich aber auch die Namen zweier Regisseure, die man heute mit ganz anderen Spielarten des Kinos verbindet: Jean-Marie Straub und Peter Nestler. In den 1960er Jahren geriet das Kino weltweit in Bewegung, so auch in Deutschland. Ästhetische wie politische Grenzen verschoben sich andauernd, Bündnisse wurden ebenso schnell geschlossen wie gebrochen. In dieser Phase des Umbruchs entstand in München eine Art deutsche Nouvelle Vague im Verborgenen. In Abgrenzung vom Professionalisierungsdruck der von ihnen als potenzielle Filmbeamte betrachteten Oberhausener schuf die sehr heterogene Gruppe junger Münchner Cinephiler eine eigene Form der Filmpraxis, der es vor allem um die Kontinuität des Kinos zur eigenen Lebenswirklichkeit ging. Und die deshalb Straub/Huillets wütende Abrechnung mit der BRD-Nachkriegsgesellschaft (Der Bräutigam, die Komödiantin und der Zuhälter) genauso gelten ließ wie Thomes lässige Genre-Reflexion Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt. Dem losen Verbund schlossen sich bald weitere Filmemacher und Filmemacherinnen an. Etwa der Bulgare Marran Gosov, der vor 34


May Spils am Set von Zur Sache, Schätzchen (1968)

allem im Kurzfilm eine eigene, originelle Filmpoesie entwickelte; oder der spätere Peckinpah-Darsteller Roger Fritz, der mit seinen wenigen Spielfilmen von der Kritik kaum beachtet wurde, heute aber als einer der modernsten deutschen Filmemacher seiner Zeit wiederzuentdecken ist. Oder die Regisseurin May Spils und ihr Hauptdarsteller Werner Enke: Zur Sache, Schätzchen, der erste Langfilm des Teams, wurde zum ersten und einzigen Blockbuster des Münchner Slacker-Kinos. Nachträgliche filmische Auseinandersetzungen mit „den 68ern“ stellen zumeist deren politisch militante Ausläufer in den Mittelpunkt. Die breiteren sozialen Veränderungen, die die 1960er Jahre mit sich gebracht oder vorbereitet haben – unter anderem: die Zweite Frauenbewegung und die sexuelle Revolution, neuartige Populär- und Jugendkulturen, die gesellschaftliche Duldung alternativer Lebensentwürfe –, haben sich als schwerer fassbar erwiesen. In den Filmen der Münchner Gruppe ist der Geist von ’68 jedoch unmittelbar spürbar – und er offenbart sich weniger in expliziten politischen Diskursen als in den neuen Formen des Sprechens, Lebens, Liebens, auch der Mode und der Popmusik, die die Filme fast dokumentarisch festhalten. Das Manifest von Thome, Lemke, Zihlmann, Straub, Nestler wurde übrigens nie verteilt. Zum Filmpolitiker taugte, das unterschied die Münchner von den Oberhausenern, niemand aus der Gruppe. Umso besser sind ihre Filme gealtert. 35


Fremde Stadt

Münchner Wahlverwandtschaften Klaus Lemke Henker Tom (1965) Darsteller: Werner Enke. 35mm, s/w, 11 min Jean-Marie Straub, Danièle Huillet Der Bräutigam, die Komödiantin und der Zuhälter (1968) Darsteller: Rudolf Waldemar Brem, Irm Hermann, Rainer Werner Fassbinder. 35mm, s/w, 24 min* Max Zihlmann Frühstück in Rom (1966) Darsteller: Ingrid Caven, Lutz Bajohr, Eckhart Schmidt, Klaus Lemke, Rudolf Thome. 35mm, s/w, 17 min Peter Nestler, Kurt Ulrich Ödenwaldstetten (1964) DCP (von 16mm), s/w, 36 min Digital restaurierte Fassung Rudolf Thome Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt (1964 / 68) Darsteller: Elke Haltaufderheide, Alf Brustellin, Marquard Bohm. 35mm, s/w, 18 min

Donnerstag 22. September 21 Uhr Dt. OF * Herzlichen Dank an Christian Aichernig, der im Rahmen des Projekts „Filmpatenschaft“ den Erwerb dieses Films für die Sammlung des Filmmuseums finanziert hat.

Thome/Lemke/Zihlmann und Straub/Huillet: zwei zentrale Mikrokonstellationen des bundesdeutschen Gegenkinos der Nachkriegszeit, die im München der 1960er zeitweise zur Deckung kommen. Etwa beim gemeinsamen Spaghetti-Essen, zu dem Straub/Huillet wiederholt einladen. Und auch in einer generösen Form der Cinephilie, die erkennt, dass Straub/Huillets (an Brecht gebrochener) Verismus und das Slacker-Pathos von Thome/Lemke/Zihlmann zwei gleichberechtigte Optionen sind, sich zur sozialen Wirklichkeit zu verhalten. Peter Nestler, ein Wahlverwandter jener Tage, hatte als Schauspieler in Papas Kino begonnen und erweist sich bald als der Unversöhnteste unter den Außenseitern. Seine niederschmetternde Miniatur Ödenwaldstetten zeigt Kinderspiele auf der Schwäbischen Alb, in die plötzlich die volle Wucht der deutschen Geschichte hineinkracht. (L. F.) Einführung von Lukas Foerster und Hannes Brühwiler

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Sept | Okt 2016 München-Schwabing

Zur Sache, Schätzchen (1968) Regie: May Spils; Drehbuch: Spils, Rüdiger Leberecht, Werner Enke; Kamera: Klaus König; Musik: Kristian Schultze; Darsteller: Werner Enke, Uschi Glas, Henry van Lyck, Rainer Basedow, Inge Marschall. DCP (von 35mm), s/w, 80 min* Zum Auftakt: May Spils Manöver (1967) Kamera: Hubs Hagen; Darsteller: May Spils, Henry van Lyck, Werner Enke. 35mm, s/w, 10 min

Freitag 23. September 19 Uhr Dt. OF

Zur Sache, Schätzchen ist der bekannteste Film der Münchner Gruppe und wird 1968 ein durchschlagender Erfolg an der Kinokasse. Ein Film der „entschlossenen Unentschiedenheit“ (Peter W. Jansen): Edelgammler Werner Enke treibt zusammen mit seinem Kompagnon (Henry van Lyck) durchs Münchner Stadtleben und ver*Digital sucht, ein gelangweiltes Mädchen (Uschi Glas) aus bürgerlichem restaurierte Fassung Haus in die Feinheiten des Lebens und Fummelns einzuweisen. Zur Sache, Schätzchen saugte begierig die damalige Jugendkultur auf, wurde schließlich selbst wichtiger Teil des BRD-Pop und diente als Vorlage für zahlreiche weitere Filme. Vor allem Enkes Genuschel beeindruckte nachhaltig: „Pseudophilosophie ist so eine ernste Sache, da muss man wahnsinnig drauf aufpassen, dass am Ende nix bei rauskommt.“ (H. B.)

Fremde Stadt (1972) Regie: Rudolf Thome; Drehbuch: Max Zihlmann; Kamera: Martin Schäfer; Musik: John Andrews, Richard Palmer-James; Darsteller: Roger Fritz, Karin Thome, Peter Moland, Georg Marischka, Christian Friedel. 35mm, s/w, 107 min Zum Auftakt: Vlado Kristl Arme Leute (1963) Darsteller: Vlado Kristl, Marran Gosov, Peter Schamoni. 35mm, s/w, 8 min

Freitag 23. September 21 Uhr Dt. OF Einführung von Lukas Foerster und Hannes Brühwiler

Wenn die eigene Stadt fremd wird: In den frühen 70er Jahren – während eine neue Generation von Autorenfilmern um Fassbinder und Wenders internationale Erfolge feiert – gehen die Arbeits- und Freundschaftszusammenhänge in der Schwabinger Bohème in die Brüche, werden regelrecht vom Wind verweht: Klaus Lemke geht nach Hamburg, Straub / Huillet zieht es nach Italien, Peter Nestler ist schon lange in Schweden, Marran Gosov landet erst im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen, später wieder in Bulgarien, May Spils zieht sich mit Werner Enke auf einen Bauernhof zurück. Und Rudolf Thome dreht, bevor er sich seinerseits in Berlin neu erfindet, mit Roger Fritz als Hauptdarsteller Fremde Stadt, eine lässig unterkühlte, unverschämt souveräne Genreübung in nüchternstem Schwarzweiß. Arme Leute, ein früher, radikaler Film von Vlado Kristl, einem ewigen Solitär der deutschen Filmgeschichte, ist vielleicht ein missing link zwischen München und Oberhausen. (L. F.) 37


Sept | Okt 2016 München-Schwabing

Negresco**** – Eine tödliche Affäre (1968) Regie: Klaus Lemke; Drehbuch: Lemke, Max Zihlmann, Ingo Hermes; Kamera: M. Marszalek; Musik: Klaus Doldinger; Darsteller: Gérard Blain, Ira von Fürstenberg, Serge Marquand, Charly Kommer, Paul Hubschmid. 35mm, Farbe, 95 min Samstag 24. September 19 Uhr Dt. OF

Ein Hang zum Glamour prägt die ersten Langfilme Klaus Lemkes, des gleichzeitig umtriebigsten und entspanntesten Mitglieds der Münchner Gruppe. Im Fall von Negresco**** heißt das: Die Hauptfigur ist nicht nur eine geheimnisvolle Millionärin, sondern wird auch noch von einer waschechten Adeligen (Ira von Fürstenberg) gespielt; ihren Lover, einen ehrgeizigen Modefotografen, verkörpert Gérard Blain, ein zentraler Schauspieler der frühen Nouvelle Vague und zu Unrecht vergessener Filmemacher (siehe dazu die Werkschau im Filmmuseum, März /April 2016); gedreht wurde an den Jet-Set-Locations der französischen Mittelmeerküste. Weite Teile der Kritik witterten den brutalstmöglichen Ausverkauf ästhetischer wie politischer Ideale. Dabei ist der mit mäandernden ZihlmannDialogen und einer verspielt-naiven Bildsprache bezaubernde Negresco**** vielleicht die reinste Ausformung eines MünchnerGruppen-Credos: „Filmen, was man liebt”. (L. F.)

Mädchen, Mädchen (1967) Regie: Roger Fritz; Drehbuch: Fritz, Eckhart Schmidt; Kamera: Klaus König; Musik: David Llewellyn; Darsteller: Helga Anders, Jürgen Jung, Hellmut Lange, Renate Grosser, Klaus Löwitsch, Christian Doerner. 35mm, s/w, 102 min

Sonntag 25. September 19 Uhr Dt. OF

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Das filmische Werk von Roger Fritz, charismatischer Fotograf und Mitbegründer der legendären Jugendzeitschrift twen, gehört zu den unbekannteren Seitensträngen des MünchenKinos. In seinem Spielfilmdebüt Mädchen, Mädchen erzählt Fritz von einer quasi inzestuösen Liebe. Der Vater schläft mit der jungen Angela und muss wegen Verführung einer Minderjährigen ins Gefängnis. Sein Sohn übernimmt nicht nur die Geschäfte des Vaters (eine Zementfabrik), sondern verliebt sich auch in Angela. Rainer Knepperges: „Die sehr verschiedenen Frauenfiguren, die Helga Anders bei Roger Fritz dargestellt hat, sind alle, was sonst im Kino fast nur Männer sind: einsam. Nicht von jemandem verlassen, nicht trauernd, nicht suchend, sondern einsam. Das ist so selten und so schön, dass dies allein schon Grund genug wäre, die Filme von Roger Fritz zu lieben.“ (H. B.)


Negresco**** – Eine tödliche Affäre

Kurzfilme: Gosov, Müller, Bohm Marran Gosov Power Slide (1966) Darsteller: Volker Walzenegger, Dieter Augustin, Simone Rethel. 35mm, s/w, 13 min Marran Gosov Harte Arbeit (1967) Darsteller: Dieter Augustin, Marthe Keller, Max Zihlmann. 35mm, s/w, 11 min Marran Gosov Sabine 18 (1967) Darsteller: Veruschka Mehring, Klaus Lemke, Martin Müller. 35mm, s/w, 12 min Marran Gosov Der Alte (1968) Darsteller: Fritz Pauli, Henry van Lyck, Wigbert Wicker. 35mm, s/w, 12 min Martin Müller Die Kapitulation (1967) Drehbuch: Müller, Marran Gosov; Darsteller. Katja Borsche, Klaus Lemke, Marran Gosov. 35mm, s/w, 10 min Marquard Bohm, Helmut Herbst Na und …? (1966) Drehbuch: Bohm; Darsteller: Marquard Bohm, Petra Krüger, Hark Bohm. 35mm, s/w, 33 min

Montag 26. September 19 Uhr Dt. OF Einführendes Gespräch mit dem Filmemacher Bernhard Marsch

„Die Münchner präsentieren sich als ein Tier mit mehreren Köpfen, Gedanken und Funktionen werden hin und hergeschoben wie ein Bierglas.“ (Film, Juli 1967) In der Praxis kann das so aussehen: Zwischen 1965 und 1975 drehte Marran Gosov 27 Kurzfilme und schuf ein Panorama feinster Alltagsbeobachtungen: Drei Jungs spielen mit der Carrera-Bahn; ein alter Mann sorgt für Ordnung; ein Schnorrer versucht eine politische Zeitung zu gründen. Zusammen mit Klaus Lemke stand Gosov dann für Martin Müller in Die Kapitulation vor der Kamera. Zuletzt ein Blick nach Hamburg: In Na und …? erzählen Marquard Bohm (der kurz danach nach München zog) und Helmut Herbst von der Unmöglichkeit, arbeiten zu gehen. (H. B.) 39


1. Oktober 2016

Lange Nacht der Museen

BRUNO KLOMFAR

„Unsere Ausstellungen finden auf der Leinwand statt“: Nach diesem Motto präsentiert das Österreichische Filmmuseum seit 1964 die großen und signifikanten Werke, die im Medium Film geschaffen worden sind. Die „Ausstellungen“ – d. h. unsere Retrospektiven und Programmreihen – zeigen nicht die Nebenprodukte der Kinogeschichte in Vitrinen oder auf Schauwänden, sondern die Hauptsachen: die Filme selbst. Mit seinen Sammlungen und Vermittlungsprogrammen arbeitet das Filmmuseum darüber hinaus an der langfristigen Bewahrung und der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Film und Kino in all ihren Facetten. Die analogen und digitalen Filmrestaurierungen, die Buchpublikationen, Symposien und Vorträge, Publikumsgespräche mit internationalen Filmkünstler/inne/n und die größte Filmbibliothek des Landes sind wichtige Teile dieser Arbeit. In pointierten, spannenden, überraschenden zwanzigminütigen Programmen bietet das Filmmuseum in seinem Kino auch in diesem Jahr den Besucher/inne/n der „Langen Nacht“ einen Querschnitt durch die Welt des Films und seine Geschichte. Die Filmprogramme bis 21 Uhr wurden so zusammengestellt, dass Erwachsene und Kinder ab 8 Jahren gemeinsam daran teilnehmen können.

Samstag 1. Oktober 18 bis 1 Uhr Programmbeginn jeweils zur vollen und halben Stunde

Tickets sind bereits ab Anfang September im Filmmuseum an der Abendkassa, in allen teilnehmenden Museen und am 1. Oktober auch beim „Treffpunkt Museum“ am MariaTheresien-Platz in Wien erhältlich. Das Ticket für die „Lange Nacht“ kostet regulär 15 €, ermäßigt 12 €. Kinder unter 12 Jahren erhalten kostenlosen Eintritt. Weitere Informationen unter langenacht.orf.at

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5. bis 12. Oktober 2016

Von wegen Schicksal Helga Reidemeister – In person

Im nunmehr fünften Jahrzehnt verhandeln die Dokumentarfilme der 1940 in Halle an der Saale geborenen Helga Reidemeister das Ineinander dessen, was gemeinhin als das Persönliche und das Politische bezeichnet (und unterschieden) wird. Nach einem Malereistudium und der Tätigkeit als Sozialarbeiterin im Märkischen Viertel Berlins beginnt Reidemeister im Alter von Rodina heißt 33 Jahren ein Studium an der dffb, das sie mit Von wegen „SchickHeimat (1992) sal“ (1979) abschließt. Im Kern enthält dieser Film bereits alles, was ihre dokumentarische Stimme ausmacht: den einzelnen Menschen in den Fokus nehmen, ohne die ihn umgebende politische Struktur aus den Augen zu verlieren; und dabei nicht so sehr über Menschen erzählen, als vielmehr mit ihnen gemeinsam. Helga Reidemeister wirkt oft mehr wie eine Verbündete ihrer Protagonist/inn/en, weswegen Paradigmen der Objektivität und dokumentarischen Ethik bei ihr zu kurz greifen: Sie mischt sich von hinter der Kamera ein, spricht mit den Menschen, äußert ihre Meinung, artikuliert alternative Sichtweisen, wird so Teil der Welt vor der Kamera. In der Gesamtheit liest sich ihr Werk als Projekt alternativer Geschichtsschreibung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg: Nicht die „großen“ Themen kommen zum Tragen, sondern marginalisierte Diskurse. Kein patriarchaler Blick auf die Zeichen der Zeit, sondern jener einer dezidiert kritisch denkenden Frau auf deren Helga ReideBegleiterscheinungen: Familienstrukturen und Lebensbedingungen meister wird im Filmmuseum zu der Arbeiterschaft in den 1970er Jahren; Frauenbilder zwischen Gast sein und an Kommerz und Rebellion in den Achtzigern; das Ende des Kalten der Schule Friedl Kubelka ein Krieges aus der Sicht abziehender Sowjet-Soldaten in den NeunWorkshop über zigern; Strafinstitutionen und das Leben im vom Krieg gezeichdokumentarische Filmarbeit halten. neten Afghanistan im neuen Jahrtausend. 41


ABSOLUTMEDIEN

Von wegen „Schicksal“ (1979) Ein Film von Helga Reidemeister; Kamera: Axel Brandt, Susanne Beyerle, Thomas Tanner; mit Irene Rakowitz und ihrer Familie. DCP (von 16mm), s/w, 121 min Mittwoch 5. Oktober 21 Uhr Dt. OF

Helga Reidemeisters Abschlussfilm an der dffb: radikal, nicht im spektakulär-reißerischen, doch aber im intim-privaten Sinne. Keine Distanz, keine Objektivität, stattdessen Hingabe und Einsatz, Involvierung und Konfrontation. Von wegen „Schicksal“ ist das Porträt einer Familie Ende der 1970er Jahre im Berliner Märkischen Digital Viertel. Im Zentrum steht die Mutter, Irene Rakowitz, die der Filmerestaurierte Fassung macherin diese Arbeit vorschlug, um das, was stets als Privates verhandelt wird, nach außen zu kehren, die politische Dimension sichtbar zu machen. Emphatische Schonungslosigkeit als dokumentarischer Modus, der ermöglicht, was vor der Kamera passiert und wie hinter ihr agiert wird: Das Kamera-Auge zeichnet einen IstZustand auf, ist agierender Akteur im familiären Raum und wird zum Katalysator der oft auch dunklen, immer aber ehrlichen Seite familiärer Strukturen. Einzig: Um der Komplexität der Dinge auf den Grund zu gehen, müssen alle Beteiligten sich bedingungslos preisgeben. (A. B.) Publikumsgespräch mit Helga Reidemeister

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ABSOLUTMEDIEN

Mit starrem Blick aufs Geld (1983) Regie: Helga Reidemeister; Drehbuch: Reidemeister, Holger Petersen, Karl-Heinz Gschwind; Kamera: Karl-Heinz Gschwind, Johannes Flütsch; Musik: Andi Brauer; mit Hilde Kulbach, ihrer Familie und Heinz Hönig. 16mm, Farbe, 113 min

Donnerstag 6. Oktober 21 Uhr Dt. OF

Zwei Schwestern: Regisseurin und Model – die eine, hinter der Kamera, macht Bilder, die andere, vor der Kamera, ist Gegenstand von Bildern. In der Begegnung der beiden Frauen, die sich bei aller Unterschiedlichkeit auch ähnlich sind, tritt das Motiv des Doppelgängers hervor. Reidemeister begleitet ihre Schwester zu den (oft anzüglichen) Shootings und Catwalks, den Treffen mit diversen Männern, den mühsamen Schönheitsprozeduren – und durch den Alltag mit zwei Kindern. Kameraarbeit, Montage und Gesprächsführung zeugen von einmischender Neugier: Unter der Oberfläche findet dieser Film eine individuelle und gesellschaftliche Tiefe, inklusive markanter Momente der Ablehnung, Irritation und Kritik. Ein schillerndes, vielschichtiges Dokument, das vom Deutschland der 1980er Jahre und den Leben zweier Schwestern erzählt, die auf sehr unterschiedliche Weisen an einer Politik der (Frauen-)Bilder mitwirken. (A. B.) Publikumsgespräch mit Helga Reidemeister

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Sept | Okt 2016 Helga Reidemeister

Rodina heißt Heimat (1992) Ein Film von Helga Reidemeister; Kamera: Peter van den Reek, Thomas Keller, Axel Brandt; Musik: Andi Brauer; mit dem sowjetischen Regiment aus Meiningen (DDR). 16mm, Farbe, 114 min

Freitag 7. Oktober 21 Uhr Dt. OF Publikumsgespräch mit Helga Reidemeister

Dialektischer Humanismus als Motor dokumentarischen Filmschaffens: Während die Zeit nach 1989 in der deutschen Öffentlichkeit dem Diskurs der wiedervereinten Heimat gehört, fragt Helga Reidemeister bei jenen nach, denen genau diese Heimat verlustig gegangen ist: Sechs Monate im Leben sowjetischer Soldaten und ihrer Familien, die ihre Garnisonsstadt in DDR-Grenznähe verlassen und in unterschiedliche Staaten der ehemaligen Sowjetunion zurückkehren. Ohne die Funktionalität der Soldaten innerhalb der Armee – und damit innerhalb größerer politischer, ideologischer Kräfte – in Abrede zu stellen, erobert Reidemeister deren Individualität zurück, befragt sie nach vermeintlich trivialen, tatsächlich aber komplexen Begriffen wie Heimat, Glück oder Ehre. Hier verdichtet sich die Größe eines Filmschaffens, das ständig die eigene Perspektive aufs Spiel zu setzen bereit ist, um sich auf die Suche danach zu machen, was historische Umbrüche und Verfasstheiten für den einzelnen Menschen bedeuten. (A. B.)

Gotteszell – Ein Frauengefängnis (2001) Ein Film von Helga Reidemeister; Kamera: Sophie Maintigneux; Musik: Johann Sebastian Bach, Freiwillige Guggenmusik Überdruck, Bob Marley; mit Insassinnen und Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt Gotteszell. 35mm, Farbe, 104 min Montag 10. Oktober 19 Uhr Dt. OF

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Über den konkreten Ort, die menschlichen Schicksale und bürokratischen Strukturen des Frauengefängnisses Gotteszell verhandelt Helga Reidemeister das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft – oder von „Insasse und Sicherheit“, wie es eine Bedienstete einmal formuliert. Lange Gespräche zwischen den Frauen treffen – wie immer bei der Filmemacherin – auf Gespräche mit den Frauen und Mitarbeitern. Man könnte meinen, in diesem Film vor allem den Menschen näher zu kommen, tatsächlich aber umgeht er genau diese einfache, direkte, durch Empathie gesteuerte Annäherung. Er offenbart Strukturen, die innerhalb einer Gesellschaft festlegen, wer unter welchen Bedingungen was für ein Mensch ist (oder sein kann): Etwa wenn der Werkstattleiter die von ihm betreuten Insassinnen als seine Kinder bezeichnet und wir direkt danach erfahren, wie absurd die Unterscheidung zwischen dem Menschlichen und Institutionellen ist, solange einer die Schlüssel hat und der andere nicht. (A. B.)


Splitter Afghanistan (2013) Regie: Helga Reidemeister; Drehbuch: Reidemeister, Lars Barthel; Kamera: Barthel; Musik: Katia Tchemberdji; mit Alberto Cairo und den Mitarbeitern des Internationalen Roten Kreuzes Kabul sowie Sher Ahmad und seiner Familie. DCP, Farbe, 74 min

Mittwoch 12. Oktober 19 Uhr Dt. OF

Letzter Film einer Trilogie von Helga Reidemeister, die sich mit dem seit über 30 Jahren im Krieg befindlichen Afghanistan auseinandersetzt: Das Motiv des Splitters findet sich im Bild – in den Resten der von den Taliban zerstörten kulturellen Artefakte wie auch den verstümmelten Patienten einer Prothesenmanufaktur in Kabul, dem zentralen Schauplatz des Films. Es findet sich aber auch als Bild – in der fragmentierten Filmstruktur, die sich der Falschheit eines allzu glatten „Gesamtüberblicks“ bewusst ist und die Aufmerksamkeit auf den kleinsten Moment, die minimalste Geste, ein kurzes Aufschimmern lenkt. Die Faszination der Filmemacherin für das Land verwässert ihren Blick nicht, die – stellenweise beunruhigend – ruhige Kamera wandert schwebend zwischen hoffnungsvollem Kindergesicht und den klaffenden Wunden desselben hin und her. Splitter also auch das, was im Gewebe widerständig hängen bleibt, wenn man schon glaubt, nichts mehr damit zu tun zu haben. (A. B.)

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13. Oktober 2016

Premiere: Film | Notfilm Samuel Beckett, Buster Keaton, Ross Lipman

Ein „Special Event“, das diesen Namen ausnahmsweise wirklich verdient: Notfilm ist das poetische und ungemein aufschlussreiche Resultat von Ross Lipmans langjährigen Forschungs- und Restaurierungsarbeiten rund um Samuel Beckett, Buster Keaton und ihren gemeinsamen Kurzfilm namens Film. Das Filmmuseum zeigt Notfilm als Österreich-Premiere in Kombination mit der restaurierten Fassung von Film.

Notfilm (2015) Ein Film von Ross Lipman; Musik: Mihály Víg; mit Kevin Brownlow, Billie Whitelaw, Buster Keaton, Haskell Wexler, Barney Rosset und den Stimmen von Samuel Beckett, Boris Kaufman. DCP, Farbe und s/w, 59 min (Act 1) + 69 min (Act 2)

Film (1965) Regie: Alan Schneider; Drehbuch: Samuel Beckett; Kamera: Boris Kaufman; mit Buster Keaton, Nell Harrison. 35mm, s/w, 21 min Restaurierte Fassung* Donnerstag 13. Oktober 19 Uhr Engl. OF

Vom Genie Becketts zu jenem von Dziga Vertov; vom Mann mit der Kamera (1929) und Keatons The Cameraman (1928) zu jenem heißen Drehtag in New York, 36 Jahre später, als Keaton und Vertovs Bruder, der Kameramann Boris Kaufman, unter der Anleitung von Beckett und Regisseur Alan Schneider den Film Film (1965) fabrizieren – eines der ungewöhnlichsten Kinostücke aller Zeiten. All dies verknüpft Ross Lipman in seinem mächtigen Filmessay mit Fragen nach dem menschlichen Bewusstsein in der Medien-Moderne, mit sensationellen Beckett-Dokumenten und mit einer Reflexion über das Kino – von seiner Geburt bis zu den massiven Verwandlungen, die es heute erfährt.

*Herzlichen Dank an Peter Hörmanseder, der im Rahmen des Projekts „Filmpatenschaft“ den Erwerb dieses Films für die Sammlung des Filmmuseums finanziert hat. Publikumsgespräch mit Ross Lipman am Ende des Abends

Die Veranstaltung findet in zwei Teilen statt: Um 19 Uhr ist der 1. Akt von Notfilm zu sehen, gefolgt von Film. Nach einer 20-minütigen Pause wird der 2. Akt von Notfilm gezeigt.

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13. Oktober 2016

Schule im Kino Vermittlungsprogramme des Filmmuseums

Schule im Kino bietet jedes Semester rund fünfzehn Veranstaltungen für Schulklassen an. Im adäquaten Raum für Filmvermittlung – einem Kinosaal, genauer gesagt: im „Unsichtbaren Kino“ – wird in unterschiedlichen Formaten Film gezeigt, analysiert, besprochen und die Möglichkeit geboten, mit Filmemacher / inne/n ins Gespräch zu kommen. Schule im Kino ist ein kostenloses Angebot für Schulklassen. Auf www.filmmuseum.at finden Sie 1931: Charles das vollständige Programm sowie ein Anmeldeformular. Für geChaplin in Wien nauere Informationen zur Anmeldung können interessierte Lehrer/ innen an Stefan Huber, s.huber@filmmuseum.at, schreiben. Eine rasche Anmeldung wird empfohlen!

Oliver Hanley Retter der verlorenen Schätze. Filmrestaurierung Donnerstag 13. Oktober 10–12 Uhr Ab 15 Jahren

Film ist ein lebendiges Wesen. Auf der Kinoleinwand werden starre Bilder durch die Projektion zum Leben erweckt. Aber auch die Materialträger leben, auf denen diese Bilder jahrzehntelang gespeichert bleiben. Und sie können auch sterben, denn es handelt sich um organische Stoffe, die von Zersetzungsprozessen bedroht sind. Damit Filme auch künftigen Generationen zugänglich bleiben, müssen sie gesichert und restauriert werden. Aber was versteht man unter „Filmsicherung“ und „Filmrestaurierung“ tatsächlich? Entlang ausgewählter Beispiele aus der Sammlung des Filmmuseums werden sowohl historische als auch die aktuellen Prinzipien, Methoden und Werkzeuge erläutert und diskutiert.

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Filmmuseum on location

Past & Futures

Die Litanei der glücklichen Leute (1971, Karpo Godina)

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Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Kinos sind in der Arbeit des Filmmuseums miteinander verflochten. Deshalb war unter den 21 Projekten, die das Museum 2014 anlässlich seines 50-Jahr-Jubiläums initiierte, auch eines, das sich auf die Suche nach dem Kommenden begab: ein neuer Film von Michael Palm mit dem Titel Cinema Futures. Die Filmfestspiele von Venedig haben das nun fertiggestellte Werk zu ihrer 73. Ausgabe eingeladen, wo es Anfang September seine Uraufführung erleben wird. Ausgehend von einfachen Fragen an bekannte Filmemacher/innen, Museumskurator / inn/en und Techniker/ innen erkundet Palms Filmessay die Optionen des Kinos in der digitalen Ära. Kulturelle Ängste, aber auch verheißungsvolle Utopien begleiten die aktuellen Übergänge in der Medienkultur. Es geht um die Liebe zum Kino, aber ohne Nostalgie. Selbiges gilt auch für die Restaurierung von Filmen. Zum Auftakt des Festivals Il Cinema Ritrovato in Bologna wurde am 25. Juni das jüngste Restaurierungsprojekt des Filmmuseums erstmals gezeigt, eine Kooperation mit der Slovenska kinoteka, Ljubljana: vier herausragende Kurzfilme von Karpo Godina, einer der führenden Figuren der jugoslawischen „Schwarzen Welle“ – darunter das Meisterwerk Zdravi ljudi za razonodu (Die Litanei der glücklichen Leute, 1971). Nach der digitalen Restaurierung werden nun auch neue 35mmSicherungsmaterialien hergestellt, um die dauerhafte Verfügbarkeit der Werke im Originalformat zu gewährleisten. Weitere Festivalpräsentationen von Restaurierungen des Filmmuseums stehen bevor: Im August zeigt das größte deutsche Stummfilmfest in Bonn den Sensationsfilm Mister Radio (1924, Nunzio Malasomma), und auf dem traditionsreichen Festival in Pordenone werden Anfang Oktober Prater (1929, Friedrich Kuplent) und Africa Before Dark (1928, Walt Disney) zu sehen sein.


Zyklische Programme

Was ist Film Programm 41– 47 Mit Werken von Kenneth Anger, Robert Beavers, Robert Breer, Dietmar Brehm, James Broughton, Jean Cocteau, Maya Deren, Kurt Kren

Das Zyklische Programm Was ist Film definiert durch Beispiele den Film als eigenständige Kunstgattung, als Werkzeug, welches neue Denkweisen vermittelt. Es wird damit jungen Filmemachern und allen, die sich ernsthaft mit dem Medium Film auseinandersetzen, in 63 Programmen ein grundlegender Überblick geboten. (Peter Kubelka) Peter Kubelkas Zyklus wird dienstags gezeigt. Ermäßigte Tickets (3 Euro) für Studierende mit Mitgliedschaft. Das Buch zum Zyklus – Was ist Film: Peter Kubelkas Zyklisches Programm im Österreichischen Filmmuseum – ist an der Kassa des Filmmuseums um 9 Euro erhältlich.

Breathing

Programm 41 Dienstag Robert Breer Un Miracle (1954) 16mm, 33 sek (16 B/Sek) 30. August Form Phases #4 (1954) 16mm, 3 min 19 Uhr

Cats (1956) 16mm, 1 min 22 sek Recreation (1956) 16mm, 1 min 28 sek A Man and His Dog Out for Air (1957) 16mm, 2 min Jamestown Baloos (1957) 16mm, 5 min Eyewash (1959) 16mm, 3 min Blazes (1961) 16mm, 3 min Breathing (1963) 16mm, 5 min Fist Fight (1964) 16mm, 9 min 66 (1966) 16mm, 5 min 69 (1968) 16mm, 5 min 70 (1970) 16mm, 4 min Gulls and Buoys (1972) 16mm, 7 min Fuji (1974) 16mm, 8 min Rubber Cement (1976) 16mm, 10 min 49


Party

Programm 42 Dienstag Robert Breer 77 (1977) 16mm, 7 min 6. September LMNO (1978) 16mm, 9 min 19 Uhr

T. Z. (1979) 16mm, 8 min Swiss Army Knife with Rats and Pigeons (1980) 16mm, 6 min Trial Balloons (1982) 16mm, 5 min Bang! (1986) 16mm, 10 min A Frog on the Swing (1988) 16mm, 6 min Sparkill Ave! (1992) 16mm, 5 min Time Flies (1997) 16mm, 5 min

Programm 43 Dienstag Kurt Kren 2/60 48 Köpfe aus dem Szondi-Test (1960) 16mm, 4 min 13. September 3/60 Bäume im Herbst (1960) 16mm, 5 min 19 Uhr

5/62 Fenstergucker, Abfall etc. (1962) 16mm, 5 min 15/67 TV (1967) 16mm, 4 min 20/68 Schatzi (1968) 16mm, 2 min 26/71 Zeichenfilm oder Balzac und das Auge Gottes (1971) 35mm, 39 sek 31/75 Asyl (1975) 16mm, 8 min 32/76 An W+B (1976) 16mm, 8 min 33/77 Keine Donau (1977) 16mm, 9 min 37/78 Tree again (1978) 16mm, 4 min 49/95 tausendjahrekino (1995) 35mm, 3 min

Programm 44 Dienstag Dietmar Brehn Interview ohne Ton (1976 / 96) 16mm, 2 min 20. September Film Path-2 (Casting) (1977/ 94) 16mm, 7 min 19 Uhr

U.S.W. (Donauland) (1978 / 96) 16mm, 4 min Color de Luxe (1986 / 93) 16mm, 6 min The Murder Mystery (2nd Version) (1992) 16mm, 16 min Ostafrika (1993) 16mm, 5 min Mix-1 (32 Filme 1989–94) (1994) 16mm, 22 min Party (1995) 16mm, 17 min

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Zyklische Programme Was ist Film

Scorpio Rising

Programm 45 Dienstag Jean Cocteau Le Sang d’un poète (1930) 16mm, 53 min, frz. OF 27. September Schnitt: Jean Widmer; Musik: Georges Auric; Bauten: Jean Gabriel 19 Uhr

D’Eaubaunne; Darsteller: Lee Miller, Pauline Carton, Odette Talazac Maya Deren Meshes of the Afternoon (1943) 16mm, 14 min A Study in Choreography for Camera (1945) 16mm, 2 min Ritual in Transfigured Time (1946) 16mm, 14 min James Broughton Mother’s Day (1948) 16mm, 22 min

Programm 46 Dienstag Robert Beavers Work Done (1972) 16mm, 34 min 4. Oktober Ruskin (1974 –75) 16mm, 50 min 19 Uhr Amor (1980) 16mm, 14 min

Programm 47 Dienstag Kenneth Anger Eaux d’artifice (1953) 16mm, 13 min 11. Oktober Inauguration of the Pleasure Dome (1954) 16mm, 38 min 19 Uhr Scorpio Rising (1963) 16mm, 30 min Rabbit’s Moon (1971) 16mm, 16 min

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Zyklische Programme

Die Utopie Film Kapitel 96 Mit Werken von Ang Lee, LO Wei, Johnnie To, TSUI Hark, Corey Yuen, YUEN Woo-ping

Die Utopie Film besteht aus Kapiteln mit jeweils mehreren Filmen – eine Folge von monatlich wechselnden Konstellationen oder Fragestellungen. Jedes der ausgewählten Werke kann als einzelnes in seinem besonderen Reichtum bestehen, aber die Auswahl ergibt auch eine Perspektive, einen Zusammenhang. Die Utopie Film erzählt eine Geschichte der Filme in ihrem Verhältnis zueinander und zur Gesellschaft. (Alexander Horwath) Ermäßigte Tickets (3 Euro) für Studierende mit Mitgliedschaft.

Crouching Tiger, Hidden Dragon / Wo hu cang long (2000) Regie: Ang Lee; Drehbuch: James Schamus, WANG Hui-ling, TSAI Kuo Jung nach dem Roman von WANG Dulu; Kamera: Peter Pau; Musik: TAN Dun; Darsteller: CHOW Yun-fat, Michelle Yeoh, ZHANG Ziyi, CHANG Chen. 35mm, Farbe, 119 min Dienstag 30. August 21 Uhr Mandarin OmdU

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Schwertkämpfer Li Mu Bai (Action-Star Chow Yun-fat in seiner ersten bedächtigen Altersrolle) ist der Auseinandersetzungen müde. Zum Zeichen des Rückzugs soll sein berühmtes Schwert „Grüne Hoffnung“ dem Gouverneur übergeben werden: ein Auftrag für Li Mu Bais alte Gefährtin (Michelle Yeoh), mit der er dann den Lebensabend zu verbringen hofft – die beiden verbindet tiefe, unausgesprochene Liebe. Doch als eine vermummte Diebin (aufmüpfig: Zhang Ziyi) das Schwert raubt, müssen die alten Recken wieder ausziehen. Ang Lees Martial-Arts-Welterfolg erzählt zwei verschränkte Liebesgeschichten (und eine weibliche Selbstfindung), in bildgewaltigen Landschaftspanoramen und mit epischem Atem, um zwischen den Ruhepausen in schwerkraftverweigernden Stunts und rasantem Schwertkampf die aufgestauten Konflikte kollidieren zu lassen. Ein edler Tribut an Regie-Idol King Hu (samt Gastauftritt von dessen Star Cheng Pei-pei) und das Yin zum Yang von Ang Lees eigenem Meisterwerk Ride With the Devil. (C. H.)


Zyklische Programme Die Utopie Film

The Heroic Trio / Dongfang sanxia (1993) Regie: Johnnie To; Drehbuch: Sandy Shaw; Kamera: POON Hang-sang, Tom Lau; Musik: William Hu; Darsteller: Maggie Cheung, Michelle Yeoh, Anita Mui, Anthony Wong, Damian Lau. 35mm, Farbe, 88 min

Dienstag 6. September 20.30 Uhr Kantonesisch/ Mandarin OmeU

Ein vage futuristisches Hongkong wird von einer bizarren Entführungsserie erschüttert: Auf unerklärliche Weise verschwinden Babys spurlos. Der zuständige Inspektor tappt im Dunkeln, dafür schreitet seine Gattin (Anita Mui) in ihrer Geheimidentität als akrobatische Heldin „Wonder Woman“ ein; aber selbst ihr vermag die unsichtbare Entführerin (Michelle Yeoh) Paroli zu bieten. Zum Zünglein an der Waage wird eine dritte Superfrau, Kopfgeldjägerin Chat (Maggie Cheung). Lange bevor sich Johnnie To als Hongkongs Vorzeige-Genre-Stilist etablierte, schuf er mit dieser quietschvergnügt apokalyptischen Achterbahnfahrt durch die halsbrecherischen und atemberaubenden Action-Choreografien seines Kollegen Ching Siu-tung (A Chinese Ghost Story) einen Asia-Export-Knaller der Neunziger – mit der Lizenz zum reinen Wahnsinn: Das kraftvolle, kostümierte Frauen-Triumvirat lässt retrospektiv die folgende westliche Comic-Fantasy-Welle alt aussehen. (C. H.)

Once Upon a Time in China / Huang Feihong (1991) Regie: TSUI Hark; Drehbuch: TSUI Hark, TANG Pik-yin, YUEN Kai-chi, LEUNG Yiu-ming; Kamera: Ardy Lam, Bill Wong, David Chung, Arthur Wong, Wingo Chan, Wilson Chan; Musik: Romeo Díaz, James Wong; Darsteller: Jet Li, YUEN Biao, Rosamund Kwan, Jacky Cheung, Kent Cheng, WU Ma. 35mm, Farbe, 117 min

Dienstag 13. September 20.30 Uhr Kantonesisch/ Mandarin OmeU

China im späten 19. Jahrhundert. Der legendäre Kampfkunstmeister Wong Fei-hung trainiert eine lokale Bürgerwehr gegen den drohenden Ansturm ausländischer Kräfte und wirkt nebenbei als Mediziner. Die Heimkehr einer schönen, keineswegs leiblich verwandten „Tante“ (Rosamund Kwan) nach Jahren im Ausland stürzt ihn nicht nur wegen ihrer fremdartigen Modernisierungsideen in romantische Verwirrung. Als sich auch noch Wongs ungesitteter Rivale in die Tante verliebt, eskalieren die Auseinandersetzungen – doch der wirkliche Gegner im Hintergrund sind Menschenhandel treibende West-Gwailos (Kaukasier). Ein Box-Office-Superhit, mit dem Tsui Hark im Alleingang das historische Martial-Arts-Genre revitalisierte und Jet Li zum Star machte. Neben kinetischen KampfkunstHöhepunkten – unvergesslich: die Balance-Schlacht auf Leitern – ist dies auch ein entscheidender Film zum nationalen Selbstverständnis in Tsui Harks großem Kino-Geschichtsprojekt: Porträt Chinas als Land der vergebenen Möglichkeiten. (C. H.) 53


Zyklische Programme Die Utopie Film

The Legend of Fong Sai-yuk / Fang Shiyu (1993) Regie: Corey Yuen; Drehbuch: CHAI Kung-yung, KIN Chung Chan, Jeffrey Lau; Kamera: Jingle Ma; Musik: Romeo Díaz, Mark Lui, James Wong; Darsteller: Jet Li, Josephine Siao, Michelle Reis, Adam Cheng. 35mm, Farbe, 103 min Dienstag 20. September 21 Uhr Kantonesisch/ Mandarin OmeU

Ein Spitzenwerk aus der von Tsui Harks Epos Once Upon a Time in China ausgelösten Welle historischer Hongkong-Martial-ArtsFilme, die an einer modernisierten Definition von Nationalgefühl arbeiten. Jet Li muss sich dabei als Volksheld Fong Sai-yuk im Kampf gegen die Schergen des bösen Kaisers das Rampenlicht mit seiner Mutter (fulminant: grande dame Josephine Siao) teilen: Kurze komische Geschlechterverwirrung und Historienrevision in den Atempausen zwischen hochrasanter, den Gesetzen der Schwerkraft spottender Kampfkunst, die Regisseur-Choreograf Corey Yuen oft mit einem an Peking Opera Blues erinnernden, euphorischen Drang auszustatten weiß. Überhaupt da, wo er von den wesentlichen Dingen erzählt: etwa wie man eine Viertelstunde lang auf den Köpfen der Zuschauer kämpft, ohne den Boden zu berühren, oder wie man sein Gesicht im kritischen Moment fachgerecht hinter Schweinskoteletts versteckt. (C. H.)

Iron Monkey / Shaonian Huang Feihong zhi tie maliu (1993) Regie: YUEN Woo-ping; Drehbuch: TSUI Hark, TANG Pik-yin, LAU Tai-muk, CHEUNG Tan; Kamera: Arthur Wong, TAM Chi-wai; Musik: Johnny Yeung, William Hu, CHOW Gam-wing; Darsteller: Donnie Yen, YU Rongguang, Jean Wang, TSANG Sze-man, YUEN Shun-yi. 35mm, Farbe, 89 min

Dienstag 27. September 21.15 Uhr Kantonesisch/ Mandarin OmeU

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China, Mitte des 19. Jahrhunderts: Das korrupte Regime stürzt die Menschen in Armut. Um Mittellose umsonst behandeln zu können, kassiert Dr. Yang bei reichen Patienten – und verkleidet sich nachts als „Iron Monkey“ für Raubzüge im Robin-Hood-Stil. Der erboste Gouverneur nimmt einen anderen Martial-Arts-Arzt (Donnie Yen) ins Visier und zwingt ihn, nach dem Räuber zu fahnden, doch der schlägt sich rasch auf die richtige Seite. Da erscheint ein schier unüberwindlicher Widersacher in Gestalt eines gewissenlosen und gierigen Shaolin-Verräters. Der prototypische Plot (samt obligatorischen Comedy-Zwischenspielen) dient Yuen Woo-ping als Aufhänger für die gestaffelte Steigerung seiner spektakulären ActionSzenen, kulminierend im finale furioso auf brennenden Pfosten. Nebenbei treibt Produzent-Autor Tsui Hark sein Once Upon a Time in China - Projekt weiter: Dessen historische Hauptfigur Wong Feihung, Held einer Hundertschaft von Hongkong-Filmen, ist in einer Schlüsselrolle als Jugendlicher zu sehen. (C. H.)


The Legend of Fong Sai-yuk

Peking Opera Blues / Dao ma dan (1986) Regie: TSUI Hark; Drehbuch: Raymond To; Kamera: POON Hang-sang; Musik: James Wong; Darsteller: Brigitte Lin, Cherie Chung, Sally Yeh, Kenneth Tsang, Wu Ma. 35mm, Farbe, 104 min

Dienstag 4. Oktober 21 Uhr Kantonesisch/ Mandarin OmdU

Eine entfesselte, schwerelose Action-Komödie aus den Wirren nach dem Untergang der Qing-Dynastie. Eine Generalstochter unterstützt 1913 heimlich die Revolutionäre beim Versuch, ein entscheidendes Dokument von ihrem Vater zu entwenden. Dabei kreuzen sich ihre Wege mit der Tochter eines Opernleiters, die in der rein männlichen Truppe mitspielen möchte, und einer herumziehenden Musikantin, die hinter Juwelen herjagt. Tsui Hark inszeniert die Kollision von Theater und Politik samt ausgiebigen Verwechslungen der Geschlechter (sowie von Kunst und Leben) als Hochgeschwindigkeitszusammenstoß von beseelter SlapstickFarce und blutigem Spionage-Melodram. In flüssig montierten Bewegungsfragmenten feiert er die Kinetik des Kinos und singt nebenbei das Hohelied aller Illusionskunst, samt respektvoller Reverenz an die Traditionen von Unterhaltung, Kunst und Populärmythologie – wenn auch mit Widerhaken: Seinen Heldinnen gönnt Tsui einen Triumph, den die Geschichte zunichtemachen wird. (C. H.)

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Zyklische Programme Die Utopie Film

Fist of Fury / Jing wu men (1972) Regie, Drehbuch: LO Wei; Kamera: CHEN Ching-chu; Musik: Joseph Koo; Darsteller: Bruce Lee, Nora Miao, Riki Hashimoto, Robert Baker, Lo Wei, Jackie Chan. 35mm, Farbe, 105 min

Dienstag 11. Oktober 21 Uhr Kantonesisch/ Mandarin OmeU

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Bei der Rückkehr in die Huo-Kampfkunstschule muss Chen-Zhen (Bruce Lee) erfahren, dass sein Meister verstorben ist. Halbwahnsinnig vor Gram bekommt er es bei der Trauerfeier mit Störenfrieden aus dem Judo-Dojo der verhassten japanischen Besatzer zu tun: Sie provozieren in Wort und Tat und mit beleidigendem Schild. Chen-Zhen sieht rot. Der frühe Tod des als Held verehrten Kampfkünstlers Huo Yuanjia im Jahre 1910 ist von Mythen umrankt, die fiktive Version der Hintergründe in Fist of Fury sollte zum Schlüsselstein im mysteriösen Mosaik eines ebenso jung ums Leben gekommenen (Kino-)Kampfkunst-Mythos werden. Bruce Lees Narziss-Charisma und seine innovative Kampftechnik verhalfen dem Kung-Fu-Film zum internationalen Durchbruch. Fist of Fury blieb Lees filmisch bester Beitrag zum Genre, durchpulst von seiner rhythmischen Präzision und der Heftigkeit seiner Person(a): eine Übung in kaum unterdrückter Hysterie zu seiner ikonenmalerischen Verewigung als Märtyrer für die Nationalehre. (C. H.)


Programmübersicht Sept | Okt 2016 19 Uhr

21 Uhr

Fr 26.8. Ascenseur pour l’échafaud (Fahrstuhl zum Schafott) 1958, Louis Malle (S. 6) Freier Eintritt für Fördernde Mitglieder

Série noire

Sa 27.8. Le Doulos (Der Teufel mit der weißen Weste) 1962, Jean-Pierre Melville (S. 7)

21.15 Plein soleil (Nur die Sonne war Zeuge) 1960, René Clément (S. 8)

1979, Alain Corneau (S. 6) Freier Eintritt für Fördernde Mitglieder

So 28.8. Tirez sur le pianiste (Schießen Sie auf den 20.45 Un condé (Ein Bulle sieht rot) Pianisten) 1960, François Truffaut (S. 8) 1970, Yves Boisset (S. 9) Mo 29.8. Judex

1963, Georges Franju (S. 10)

Dupont Lajoie (Monsieur Dupont)

1975, Yves Boisset (S. 10) Einführung Christoph Huber

Di 30.8. Zyklische Programme: Was ist Film 41 Filme von Robert Breer 1954–76 (S. 49)

Die Utopie Film – Kapitel 96 Crouching Tiger, Hidden Dragon / Wo hu cang long 2000, Ang Lee (S. 52)

Mi 31.8. L’Étrangleur (Der Würger)

20.45 Le Cercle rouge (Vier im roten Kreis)

1970, Paul Vecchiali (S. 11) Do 1.9. Un témoin dans la ville (Der Mörder kam um Mitternacht)

1970, Jean-Pierre Melville (S. 12) 20.45 Un prophète

2009, Jacques Audiard (S. 13)

1959, Édouard Molinaro (S. 12) Fr 2.9. Le Boucher (Der Schlachter)

1970, Claude Chabrol (S. 14)

Le Juge Fayard dit le Shériff (Der Richter, den sie Sheriff nannten)

1977, Yves Boisset (S. 14) Sa 3.9. Le Samouraï (Der eiskalte Engel)

1967, Jean-Pierre Melville (S. 15) So 4.9. À bout de souffle (Außer Atem)

1960, Jean-Luc Godard (S. 16) Mo 5.9. Garde à vue (Das Verhör)

1981, Claude Miller (S. 18) Di 6.9. Zyklische Programme: Was ist Film 42 Filme von Robert Breer 1977–97 (S. 50)

Coup de torchon (Der Saustall)

1981, Bertrand Tavernier (S. 16) 20.45 Classe tous risques (Der Panther wird gehetzt) 1960, Claude Sautet (S. 17) 20.45 Le Deuxième souffle (Der zweite Atem) 1966, Jean-Pierre Melville (S. 18) 20.30 Die Utopie Film – Kapitel 96 The Heroic Trio / Dongfang sanxia

1993, Johnnie To (S. 53) Mi 7.9. L’Albatros (Der Albatros)

1971, Jean-Pierre Mocky (S. 19) Do 8.9. La Guerre des polices (Der Polizeikrieg)

Nada 1974, Claude Chabrol (S. 20) Einführung Christoph Huber

1979, Robin Davis (S. 20)

21.15 Max et les ferrailleurs (Das Mädchen und der Kommissar)

Einführung Dominik Graf

1971, Claude Sautet (S. 21) Im Anschluss Gespräch mit Dominik Graf

Fr 9.9. 18.30 Police 1985, Maurice Pialat (S. 22) Einführendes Gespräch mit Dominik Graf Sa 10.9. Que la bête meure (Das Biest muss sterben) 1969, Claude Chabrol (S. 23) So 11.9. La Mariée était en noir (Die Braut trug schwarz) 1968, François Truffaut (S. 24)

L’Héritier (Der Erbe) 1973, Philippe Labro (S. 23) Einführung Dominik Graf 21.15 Diva

1981, Jean-Jacques Beineix (S. 24) The Outside Man / Un homme est mort

1972, Jacques Deray (S. 25) 57


19 Uhr Mo 12.9. La Femme flic (Die Polizistin)

1980, Yves Boisset (S. 26)

21 Uhr Peur sur la ville (Angst über der Stadt)

1975, Henri Verneuil (S. 26)

Di 13.9. Zyklische Programme: Was ist Film 43 Filme von Kurt Kren 1960–95 (S. 50)

20.30 Die Utopie Film – Kapitel 96 Once Upon a Time in China / Huang Feihong 1991, Tsui Hark (S. 53)

Mi 14.9. Série noire

21.15 La Haine (Hass)

1979, Alain Corneau (S. 6) Do 15.9. De battre mon cœur s’est arrêté (Der wilde Schlag meines Herzens)

1995, Mathieu Kassovitz (S. 27) Le Choix des armes (Wahl der Waffen)

1981, Alain Corneau (S. 29)

2005, Jacques Audiard (S. 28) Fr 16.9. Le Petit lieutenant (Eine fatale 21.15 Mauvais sang (Die Nacht ist jung) Entscheidung) 2005, Xavier Beauvois (S. 29) 1986, Leos Carax (S. 30) Sa 17.9. Plein soleil (Nur die Sonne war Zeuge)

1960, René Clément (S. 8)

21.15 Nikita

1990, Luc Besson (S. 30)

So 18.9. Ascenseur pour l’échafaud (Fahrstuhl zum Schafott) 1958, Louis Malle (S. 6)

20.45 Les Voleurs (Diebe der Nacht)

Mo 19.9. La Cérémonie (Biester)

21.15 Nada

1995, Claude Chabrol (S. 32) Di 20.9. Zyklische Programme: Was ist Film 44 Filme von Dietmar Brehm 1976–96

(S. 50) Mi 21.9. Feux rouges (Schlusslichter)

2004, Cédric Kahn (S. 32) Do 22.9. Une affaire d’état (Eine Staatsaffäre)

2009, Éric Valette (S. 33)

Fr 23.9. München-Schwabing Zur Sache, Schätzchen 1968, May Spils Zum Auftakt: Manöver 1967, May Spils

(S. 37)

1996, André Téchiné (S. 31) 1974, Claude Chabrol (S. 20) Die Utopie Film – Kapitel 96 The Legend of Fong Sai-yuk / Fang Shiyu

1993, Corey Yuen (S. 54) Le Samouraï (Der eiskalte Engel)

1967, Jean-Pierre Melville (S. 15) München-Schwabing: Münchner Wahlverwandtschaften Filme von Klaus Lemke, Straub & Huillet, Max Zihlmann, Nestler & Ulrich, Rudolf Thome (S. 36) Einführung Lukas Foerster & Hannes Brühwiler München-Schwabing Fremde Stadt 1972, Rudolf Thome / Zum Auftakt: Arme Leute 1963, Vlado Kristl (S. 37) Einführung Lukas Foerster & Hannes Brühwiler

Sa 24.9. München-Schwabing Negresco**** – Eine Max et les ferrailleurs (Das Mädchen und tödliche Affäre 1968, Klaus Lemke (S. 38) der Kommissar) 1971, Claude Sautet (S. 21) So 25.9. München-Schwabing Mädchen, Mädchen Le Doulos (Der Teufel mit der weißen 1967, Roger Fritz (S. 38) Weste) 1962, Jean-Pierre Melville (S. 7) Mo 26.9. München-Schwabing. Kurzfilme: Gosov, Müller, Bohm Power Slide 1966 / Harte Arbeit 1967 / Sabine 18 1967 / Der Alte 1968, Marran Gosov / Die Kapitulation 1967, Martin Müller / Na und …? 1966, Marquard Bohm, Helmut Herbst (S. 39) Einführendes Gespräch mit Bernhard Marsch 58

21.15 Que la bête meure (Das Biest muss sterben)

1969, Claude Chabrol (S. 23)


Programmübersicht Sept | Okt 2016 19 Uhr

21 Uhr

Di 27.9. Zyklische Programme: Was ist Film 45 Filme von Jean Cocteau, Maya Deren, James Broughton (S. 51)

21.15 Die Utopie Film – Kapitel 96 Iron Monkey / Shaonian Huang Feihong zhi tie maliu 1993, Yuen Woo-ping (S. 54)

Mi 28.9. L’Étrangleur (Der Würger)

20.45 Un prophète

1970, Paul Vecchiali (S. 11) Do 29.9. Classe tous risques (Der Panther wird gehetzt) 1960, Claude Sautet (S. 17)

2009, Jacques Audiard (S. 13) 21.15 Peur sur la ville (Angst über der Stadt) 1975, Henri Verneuil (S. 26)

Fr 30.9. Tirez sur le pianiste (Schießen Sie auf den 20.45 Le Deuxième souffle (Der zweite Atem) 1966, Jean-Pierre Melville (S. 18) Pianisten) 1960, François Truffaut (S. 8) Sa 1.10. Ab 18 Uhr Lange Nacht der Museen (S. 40) So 2.10. Garde à vue (Das Verhör)

1981, Claude Miller (S. 18) Mo 3.10. The Outside Man / Un homme est mort

1972, Jacques Deray (S. 25)

20.45 Diva

1981, Jean-Jacques Beineix (S. 24) Police

1985, Maurice Pialat (S. 22)

Di 4.10. Zyklische Programme: Was ist Film 46 Work Done 1972 / Ruskin 1974–75 / Amor 1980, Robert Beavers (S. 51)

Die Utopie Film – Kapitel 96 Peking Opera Blues / Dao ma dan

Mi 5.10. Judex

Von wegen „Schicksal“

1963, Georges Franju (S. 10)

1986, Tsui Hark (S. 55) 1979, Helga Reidemeister (S. 42) Publikumsgespräch mit Helga Reidemeister

Do 6.10. La Mariée était en noir (Die Braut trug schwarz)

1968, François Truffaut (S. 24) Fr 7.10. La Femme flic (Die Polizistin)

1980, Yves Boisset (S. 26)

Mit starrem Blick aufs Geld

1983, Helga Reidemeister (S. 43) Publikumsgespräch mit Helga Reidemeister Rodina heißt Heimat

1992, Helga Reidemeister (S. 44) Publikumsgespräch mit Helga Reidemeister

Sa 8.10. Le Boucher (Der Schlachter)

1970, Claude Chabrol (S. 19) So 9.10. Dupont Lajoie (Monsieur Dupont)

1975, Yves Boisset (S. 10) Mo 10.10. Gotteszell – Ein Frauengefängnis

2001, Helga Reidemeister (S. 44)

Le Cercle rouge (Vier im roten Kreis)

1970, Jean-Pierre Melville (S. 12) La Cérémonie (Biester)

1995, Claude Chabrol (S. 32) Nikita

1990, Luc Besson (S. 30)

Di 11.10. Zyklische Programme: Was ist Film 47 Filme von Kenneth Anger 1953–71 (S. 51)

Die Utopie Film – Kapitel 96 Fist of Fury / Jing wu men 1972, Lo Wei (S. 56)

Mi 12.10. Splitter Afghanistan

Le Choix des armes (Wahl der Waffen)

2013, Helga Reidemeister (S. 45) Do 13.10. Premiere Notfilm [Act 1] 2015, Ross Lipman / Film 1965, Alan Schneider (S. 46) In Anwesenheit von Ross Lipman

1981, Alain Corneau (S. 29) Premiere Notfilm [Act 2] 2015, Ross Lipman (S. 46) Publikumsgespräch mit Ross Lipman

OF Originalfassung OmdU Originalfassung mit deutschen Untertiteln OmeU Originalfassung mit englischen Untertiteln 59


Allgemeine Informationen www.filmmuseum.at

Spielort Österreichisches Filmmuseum, 1010 Wien, Augustinerstraße 1

Öffnungszeiten und Kontakt Kassa: geöffnet ab einer Stunde vor Beginn der ersten Vorführung. Bei großem Andrang werden ab 30 Minuten vor Beginn nur mehr Karten für die unmittelbar bevorstehende Vorführung verkauft. Bibliothek: Mo & Do, 12–18 Uhr; Katalog online unter www.filmmuseum.at Videosichtungsplatz für Studienzwecke: Mi 12–18 Uhr (gegen Voranmeldung) Büro: Mo bis Do, 10 –18 Uhr; Fr 10 –13 Uhr T +43/1/533 70 54, F +43/1/ 533 70 54-25, E-Mail office@filmmuseum.at

Reservierungen T 01/533 70 54 oder www.filmmuseum.at. Reservierte Karten müssen spätestens 30 Minuten vor Beginn der jeweiligen Vorstellung abgeholt werden.

Mitgliedschaft und Kartenpreise Die Mitgliedschaft ermöglicht den Besuch der Vorstellungen zu stark reduziertem Eintrittspreis bzw. den Kauf des noch günstigeren Zehnerblocks und beinhaltet die Zusendung der Monatsprogramme. Einzelkarte für Mitglieder sowie Kinder und Jugendliche bis 18: 6 Euro (Ermäßigungen für Studierende: 5 Euro bzw. 3 Euro für Zyklen) Sonderpreise sind bei den Programmtexten vermerkt. Herbstmitgliedschaft:* 8,30 Euro Herbstpartnermitgliedschaft:* 13,50 Euro Zehnerblock: 45 Euro Inhaber/innen einer Partnermitgliedschaft können pro Vorstellung zwei Tickets zum Eintrittspreis für Mitglieder beziehen. Besucher/ innen, die keine Jahresmitglieder werden möchten, erhalten mit ihrer Eintrittskarte eine Tagesmitgliedschaft, die für sämtliche Veranstaltungen des jeweiligen Tages gültig ist. Einzelkarte inklusive Tagesmitgliedschaft: 10,50 Euro

Fördernde Mitgliedschaft Die Freunde des Filmmuseums (Fördernde Mitglieder) tragen dazu bei, dass das Filmmuseum auch in Zukunft zu den weltweit führenden Cinémathèquen zählen und die Qualität seiner Arbeit beibehalten kann. Sie erhalten Einladungen zu speziellen Veranstaltungen, Freikarten an bestimmten Tagen und 20 Prozent Ermäßigung beim Erwerb von Publikationen, DVDs und anderen Produkten des Hauses. Fördernde Mitgliedschaft: ab 60 Euro (Beitrag pro Kalenderjahr) Fördernde Partnermitgliedschaft: ab 100 Euro (Beitrag pro Kalenderjahr)

60

*Beitritt zwischen September und Dezember, gültig bis Jahresende


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