Die Farbe Weiß. 11 Kunstpositionen.

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Ralf Bohnenkamp Helge Emmaneel Robin Horsch Gabriele Kaiser-Schanz Dieter Kränzlein Bianca Müllner Jürgen Paas Eberhard Ross Michaela Schulze Wehninck Andreas Titzrath Thomas Zika

Die Farbe Weiß 11 Kunstpositionen


Die Farbe Weiß 11 Kunstpositionen Eine Ausstellung der Sachtleben Chemie Duisburg im September 2011 © Bilder bei den Künstlern Titelbild: Entwurf zu "Titanic", 2011, von Jürgen Paas Einführung: Dr. Heike Baare, DKM Duisburg Redaktion: Torsten Obrist Initiator: Axel Markens, Sachtleben Chemie Kontakt: GAM Galerie Obrist am Museum Kahrstraße 59, 45128 Essen Tel.: +49 201 72 6 6 203 www.gam-essen.de


Die Farbe WeiĂ&#x; 11 Kunstpositionen



Inhalt Vorbemerkung Einf端hrung Ralf Bohnenkamp Helge Emmaneel Robin Horsch Gabriele Kaiser-Schanz Dieter Kr辰nzlein Bianca M端llner J端rgen Paas Eberhard Ross Michaela Schulze Wehninck Andreas T itzrath Thomas Zika Abbildungen/ Anmerkungen

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Ralf Bohnenkamp - Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Leinwand, 100 x 100 x 4 cm


Vorbemerkung Eine Ausstellung zum Thema „Die Farbe Weiß“ kann nichts anderes als bruchstückhaft sein, denn mit dem Weiß beginnt die große Mehrheit aller Kunstwerke: Weiß ist das leere Papier, die leere Leinwand, der Bildschirm, weiß ist das Licht und die Summe aller Spektralfarben, weiß ist die Wand und unendlicher Raum. So können unter diesem Thema die unterschiedlichsten künstlerischen Ansätze subsumiert werden. In dieser Ausstellung sind elf Künstlerinnen und Künstler vereinigt, die verschiedene Ansätze und Positionen haben, denen aber gemein ist, dass sie innerhalb ihres Werkes oder eines Teiles ihres Werkes Weiß als Farbe vorrangig verwenden. Das Spektrum reicht hier von Weiß in seiner materialen Wirkung, als Öl- oder Acrylfarbe, Kunststoff, Textilie, Stein, Pulver, bis zur Verwendung von Weiß als Metapher oder Symbol, denn Weiß steht für Winter und Schnee, Unschuld und Trauer, weiß ist die Leere. Etwas wegzulassen, die blanke Leinwand einfach stehen zu lassen oder das weiße Papier freizulassen, Teile des Malgrundes mit dem informationslosen Weiß abzudecken, liegt nicht in der Natur des Schaffenden. Der „Horror Vacui“, die Angst vor der Leere, ist ein bekannter Topos der Kunstgeschichte. Umso mehr erfordert die Bevorzugung der Farbe Weiß eine Konzentration, eine Komprimierung der künstlerischen Idee auf das Wesentliche. Die hier vorgestellten künstlerischen Positionen deklinieren die Möglichkeiten durch, die dem Weiß innewohnen, und schaffen dabei Werke von schönster Einfachheit und Klarheit. Es ist der Sachtleben Chemie Duisburg, namentlich Herrn Axel Markens sehr zu danken, dass diese kontrastreiche Ausstellung mit Publikation zustande gekommen ist. Als weltweit führender Hersteller von Weißpigmenten wie Titandioxid und Bariumsulfat könnte es dafür keinen besseren Ausstellungsort geben, werden doch vielfältige Anwendungsmöglichkeiten dieser Pigmente aufgezeigt. Fast überall, wo man in unserer Umwelt weiß sieht, sind diese Pigmente enthalten, so auch natürlich im Bereich der Kunst. Die Werke belegen dies eindrucksvoll, lassen Sie sich entführen in eine fast weiße Kunstwelt.

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Robin Horsch - Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Leinwand, 140 x 120 cm

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Einführung Heike Baare VON DER KRAFT DES ABSOLUTEN - Die Farbe Weiß in der Kunst des 20. Jahrhunderts Bei der näheren Bezeichnung ist das Weiß, welches oft für eine Nichtfarbe gehalten wird […], wie ein Symbol einer Welt, wo alle Farben, als materielle Eigenschaften und Substanzen, verschwunden sind. Diese Welt ist so hoch über uns, dass wir keinen Klang von dort hören können. Es kommt ein großes Schweigen von dort, welches, materiell dargestellt, wie eine unübersteigliche, unzerstörbare, ins Unendliche gehende kalte Mauer uns vorkommt. Deswegen wirkt auch das Weiß auf unsere Psyche als ein großes Schweigen, welches für uns absolut ist. Es klingt innerlich wie ein Nichtklang, was manchen Pausen in der Musik ziemlich entspricht, den Pausen, welche nur zeitlich die Entwicklung eines Satzes oder Inhaltes unterbrechen und nicht ein definitiver Abschluss einer Entwicklung sind. Es ist ein Schweigen, welches nicht tot ist, sondern voll Möglichkeiten. Das Weiß klingt wie Schweigen, welches plötzlich verstanden werden kann. Es ist ein Nichts, welches jugendlich ist oder, noch genauer, ein Nichts, welches vor dem Anfang, vor der Geburt ist. So klang vielleicht die Erde zu denweißen Zeiten der Eisperiode.1

Unternimmt man den Versuch, kursorisch Geschichte und Bedeutung der Farbe Weiß in der Kunst des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen, so ergibt es sich zwangsläufig, dass man zugleich die verschiedenen Etappen monochromer Malerei nachzeichnet und damit jenes künstlerischen Prinzips, das seit Beginn der 1950er Jahre eine extreme Reduzierung erstrebt: die reine Präsenz der Farbe ohne Gegenständlichkeit oder Narration. Die größtmögliche Simplifizierung des Artefakts scheint mit der weißen Monochromie erreicht, steht das weiße Bild doch für die unberührte Leinwand oder den Inbegriff des Nichts. Demgegenüber ist es verblüffend, welche Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten die Beschränkung auf das weiße Pigment hervorgebracht hat, welche Bandbreite an gedanklichen, spirituellen, emotionalen oder philosophischen Intentionen ihre ideale Verkörperung in der Un- oder Nichtfarbe Weiß gefunden hat. Hinzu kommt, dass die starke Reduzierung der Gestaltungsmittel keineswegs mit vereinfachten Rezeptionsbedingungen einhergeht. Der Betrachter ist vielmehr zu einem aktiven Seh- und Wahrnehmungsprozess aufgefordert. Die völlige Abwesenheit des Bildgegenstands offeriert keinerlei Anhaltspunkt oder Zerstreuung mehr. Das Gegenüber ist vollständig auf sich und seine innere Wahrnehmung zurückgeworfen, mithin auf Erfahrungen, die sich oftmals der sprachlichen Fassbarkeit entziehen. Physikalisch betrachtet rechnet man Weiß, Grau und Schwarz, im Gegensatz zu den Primärfarben Rot, Gelb und Blau, zu den unbunten Farben oder Nichtfarben. Durch

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Isaac Newton wurde der Beweis erbracht, dass sich weißes Licht aus den Spektralfarben zusammensetzt. Auch in der Physiologie wird die Unterscheidung zwischen Farbe und Nichtfarbe vorgenommen, da das menschliche Auge neben den Farbrezeptoren über einen eigenen Sehapparat für das Erkennen von Weiß oder Schwarz verfügt. Aus malerischer Sicht wiederum ist Weiß primär als Pigment anzusehen, als Malmaterial ebenso wie alle anderen Farben. Im Unterschied zu diesen kann das Pigment Weiß allerdings niemals durch das Mischen anderer Pigmente erzeugt werden. Von der naturwissenschaftlichen Bewertung der Farbe Weiß ist deren Symbolgehalt und Empfindungswert jedoch streng zu unterscheiden. Kaum eine andere Farbe hat einen derartig weit gestreuten Bedeutungshorizont wie die Farbe Weiß, die auch innerhalb der abendländischen Kultur sowohl positiv wie negativ konnotiert sein kann. Sie steht für das Reine und Unberührte, als Summe des Farbspektrums ist sie potenziertes Licht, während sie gleichzeitig ein Synonym für Leere und Kälte sowie bei vielen Völkern die Farbe von Trauer und Tod darstellt.2 In der europäischen Kunst spielten die Nichtfarben Weiß und Schwarz lange Zeit eine untergeordnete Rolle. Goethe konnte ihnen keinerlei Reiz abgewinnen und bezeichnete weiße, graue oder schwarze Flächen in seiner Farblehre als "das Traurigste, was wir nur erblicken können."3 In der chinesischen Kultur hingegen, in der sich schon lange vor der Entwicklung des modernen westlichen Purismus eine Ästhetik der Einfachheit sowie besondere Wertschätzung für die elementare, reine Form entwickelten, wurden beispielsweise schlichte weiße Porzellanschalen, die auf jegliches Dekor verzichteten, bereits seit der Song-Zeit (960-1279) als besonders kostbar angesehen.4 So geht die Entwicklung der Monochromie im Europa der 1950er und 1960er Jahre nicht zufällig mit der Auseinandersetzung mit ostasiatischer Kunst sowie dem Denken und der Philosophie Japans, Chinas oder Indiens einher.5 Berühmt wurde Wassily Kandinskys einleitend zitierte Beschreibung der Farbe Weiß. Der Künstler entwickelte keine Farblehre im eigentlichen Sinn, beschrieb in den unter dem Titel "Über das Geistige in der Kunst" zusammengetragenen Notizen und Gedanken jedoch die verschiedenen Farben im Hinblick auf deren psychologische

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Wirkung sowie ihren symbolischen Charakter. Für Kandinsky bedeutete Weiß das absolute Schweigen, wodurch er dessen kontemplative Kraft hervorhob. Daneben betonte er vor allem das dem Weiß innewohnende, nahezu grenzenlose Potential. Weiß ist das Nichts, meint aber nicht die Leere als Abschluss, sondern den Anfang oder Nullpunkt, der eine unbeschränkte Fülle an Möglichkeiten in sich birgt. Kandinskys 1911/12 herausgegebene Farbtheorie beschreibt damit bereits diejenigen Aspekte des weißen Pigments, die die wesentlichen Spielarten weißer Monochromie im 20. Jahrhundert aufgreifen bis hin zur Analogsetzung der Nichtfarbe mit der Stille, die gleichsam John Cages durch Robert Rauschenbergs "White Paintings" angeregtes Stück "4'33" vorwegnimmt, in dem der Komponist das Schweigen zum künstlerischen 6 Akt erhob. Aus kunsthistorischer Sicht waren meditative und monochrome Malerei der 1950er und 1960er Jahre Reaktionen gegen die vom gestischen Malakt und von impulsiver Farbigkeit beherrschten Exzesse des abstrakten Expressionismus. Tatsächlich lässt sich die Idee der Monochromie noch viel weiter zurückverfolgen, ist es doch Malewitsch, der als konsequente Fortsetzung seines "Schwarzen Quadrates" von 1915 drei Jahre später sein "Weißes Quadrat auf weißem Grund" schuf. In der Geschichte des weißen Pigments im 20. Jahrhundert nimmt sich diese radikale Geste wie ein Paukenschlag aus, dessen Widerhall weit bis ins 20. und auch ins 21. Jahrhundert zu vernehmen ist, wie unter anderem Jürgen Paas' Arbeit "Archiv für Malewitsch" belegt. Schon mit seinem "Schwarzen Quadrat" schien Malewitsch das viel zitierte Ende der Malerei ausgerufen zu haben, doch war nicht erst mit seiner rein weißen Leinwand der absolute Nullpunkt Jürgen Paas - Archiv für Malewitsch, 2000. Lack auf verz. Stahl, verz. Stahlklammern, 210 x 210 x 24 cm

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erreicht? De facto bedeutete die Farbe Weiß für den Erfinder des Suprematismus, der eines seiner Manuskripte "The White Thought" ("Der weiße Gedanke") betitelte, nicht nur die höchste Vollendung der Gegenstandslosigkeit. Wie Kandinsky sah auch Malewitsch in der Unfarbe neben der, durchaus auch religiös besetzten, Reinheit vor allem deren bejahendes Potential. Für ihn verkörperte Weiß symbolisch die Befreiung des Menschen bis hin zur sozialen Utopie, in der gesellschaftliche und kulturelle 7 Unterschiede überwunden werden. Schon bei Malewitsch findet sich der auf zukünftige künstlerische Positionen vorausweisende Gedanke, dass mit dem Einsatz der weißen Farbe die Leinwand wie ein Fenster zu einer neuen Dimension geöffnet werden kann. Lucio Fontana war es schließlich, der seit 1949 mit seiner Durchlöcherung und ab 1958 schließlich mit dem Schnitt in die Leinwand nicht nur einen irreversiblen Angriff auf die Maloberfläche und damit das klassische Tafelbild vollzog, sondern, wie auch der wiederholt vergebene Titel "Concetto Spaziale" deutlich macht, der Malerei einen jenseits der Leinwand liegenden, spirituellen Raum eroberte. An die Stelle des illusionistischen Raumes tritt die reale dritte Dimension, die auch Ausdruck des Göttlichen, Numinosen ist, für das er angesichts revolutionärer Erkenntnisse in den Naturwissenschaften, wie der fortschreitenden Eroberung des Weltraumes, eine zeitgemäße, zugleich aber vieldeutige Darstellungsform sucht. In seinem rein weißen, eiförmigen "Concetto Spaziale La fine di Dio" von 1963 konfrontiert er den Betrachter mit dem inhärenten Widerspruch der Eiform, die im Christentum symbolisch mit der unbefleckten Empfängnis sowie mit Geburt und Auferstehung verbunden ist, und dem im Titel proklamierten Tod Gottes. Von der bei vielen Völkern verbreiteten Vorstellung vom weißfarbenen Ei als Lebens- und Glückssymbol lässt sich hier schließlich ein direkter Bogen zu den zarten aufgerissenen Papier-Kokons (2007) von Gabriele Kaiser-Schanz 8 in diesem Katalog (Abb. S. 21) schlagen. Wie weit Fontanas mit der Farbe Weiß verbundene Intentionen reichten, zeigen seine unter Einbeziehung künstlicher Lichtquellen gestalteten Raumkonzepte, die im 1966 für die 33. Biennale von Venedig gestalteten "Ambiente Ovale Bianco" kulminierten.

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Schon 1946 hatte er in seinem "Manifiesto Blanco" eine neuartige dynamische Kunst gefordert, die neben Farbe und Raum, Klang, Licht und Bewegung einbeziehen sollte, Vorstellungen die auch die seit Ende der 1950er Jahre in Düsseldorf agierende Gruppe ZERO verfolgte. Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der künstlerischen Bewältigung des Kriegstraumas in einer existentialistischen, abstrakt-expressiven Malerei strebten die ZERO-Künstler nach einem Neuanfang. Symbol dieses unbelasteten künstlerischen Aufbruchs war für Heinz Mack, Otto Piene und Günther 9 Uecker, die weiße Farbe, die ab 1958/59 ihre Struktur- und Rasterbilder dominierte. Bei den ZERO-Künstlern zeigte sich einmal mehr, dass mit der Verwendung des weißen Pigments von Anfang an die Ausweitung des Artefakts in den Realraum, die Aktivierung des Betrachters sowie das Weiß als potenziertes Licht gemeint waren. Obwohl der Minimal-Künstler Robert Ryman grundsätzlich von vollkommen anderen Voraussetzungen ausging als die Gruppe ZERO, lassen sich zwischen dem Amerikaner und den vorgenannten künstlerischen Positionen doch gewisse Parallelen ziehen. Rymans Oeuvre beschränkt sich nahezu vollständig auf Weiß, während sich die Differenzen zwischen den Einzelwerken aus der Variation der Basiselemente wie Bildträger, Farbauftrag oder die Art der Hängung ergeben.10 Einerseits schätzt Ryman die Farbe Weiß aufgrund ihrer völligen Neutralität und schließt somit ihre symbolischen oder emotionalen Aspekte gänzlich aus; andererseits nutzt auch er die dem Weiß innewohnende Lichthaltigkeit, die in den Betrachterraum hineinwirkt.11 Von Malewitsch über Fontana, die Gruppe ZERO und Ryman kann man die Beobachtungen zur Farbe Weiß im 20. Jahrhundert auf einen Künstler ausweiten, dessen Arbeiten die Zweidimensionalität des Bildträgers schließlich gänzlich verlassen und die Gleichsetzung Helge Emmaneel - Bergen III, 2010. Fineartprint / Dibond, ed. 5, 100 x 100 cm

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von Weiß mit dem Licht in aller Konsequenz weitergeführt haben. Die von Dan Flavin eingesetzten Leuchtstoffröhren stellten dem Künstler gleich eine ganze Reihe unterschiedlicher Nuancen weißen Lichts zur Verfügung, die er sich in zahlreichen seiner Objekte und Installationen zunutze gemacht hat, ebenso wie die physikalische Tatsache, dass sich weißes Licht aus den übrigen Farben des Spektrums erzeugen lässt. Auch wenn Flavin einige seiner frühen Arbeiten als Ikonen bezeichnet hat, steht ihm ein Anschluss an die christlich-religiöse Lichtsymbolik denkbar fern. Flavins Ikonen lenken ihr Licht nicht in ein metaphysisches Jenseits. Sie schaffen Lichtsituationen und -körper ganz diesseitiger Art und greifen mit der industriell gefertigten Leuchtstoffröhre auf ein gewöhnliches, gänzlich profanes Ausgangsmaterial zurück. Mit allen anderen angeführten Künstlern haben Flavins Arbeiten jedoch gemein, dass sie den Raum als Resonanzkörper benötigen und zudem, um ihre materielle wie immaterielle Wirkung entfalten zu können, den ebenfalls puristisch weißen Ausstellungsraum voraussetzen, eben jenen von Brian O'Doherty beschriebenen "White Cube". Die Farbe Weiß als Pioniertat, als Verkörperung einer sozialen Utopie, Akt der Befreiung oder reinste, keinerlei Bedeutung enthaltende Leere: das Potential dieser Farbe, die eigentlich gar keine ist, scheint unbegrenzt. Dennoch bleibt anzumerken, dass die Unfarbe Weiß dem Betrachter auch Einiges abverlangt, fordert sie doch oftmals sein völliges Einlassen auf den Wahrnehmungsprozess, seine erhöhte Konzentration auf ihre reduzierte Erscheinung oder veranlasst ihn schließlich zur selbstreflexiven Kontemplation. Wer sich indes für den Akt des Sehens öffnet und sich nicht vom vorschnellen Urteil, dass es hier nichts zu sehen gibt, leiten lässt, der wird mitunter durch wunderbare Entdeckungen entlohnt, wie vor den auf den ersten Blick völlig leeren, nur von leichten Grauschleiern überzogenen Leinwänden des chinesischen Malers Qiu Shihua, aus denen das Auge nach und nach Umrisse von Gebirgszügen oder Küstenlinien herauszulösen vermag, während seine Sinne in traumgesichtig zarten Landschaften versinken. Die in diesem Katalog vorgestellten künstlerischen Positionen zeigen, wie unvermindert aktuell diese "Sprache des Schweigens"12 ist, die uns in ihrer Immaterialität und Entzogenheit Seherlebnisse, intellektuelle Gedankenfülle oder Ruhe in der Meditation verspricht und uns zu uns selbst zu führen vermag. 10


Ralf Bohnenkamp

Ralf Bohnenkamp - Ohne Titel, 2010. Mischtechnik auf Leinwand, 180 x 180 x 4 cm

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Bohnenkamps Kompositionen entstehen direkt auf der Leinwand, ohne Vorzeichnung. Jedes Bild erfordert seinen eigenen Schaffensprozess, und erst im Prozess entwickelt sich die Komposition. Vor der Leinwand ist es für den Künstler ein ständiges Austarieren der Flächen, Linien und Farben, stets mit dem Risiko verbunden, wieder von neuem anfangen zu müssen, und bereits fertig geglaubtes zu übermalen. Am besten kann die Arbeitsweise von Ralf Bohnenkamp als eine lyrische bezeichnet werden, denn sie verlässt sich auf die Anschauung und vertraut den stillen Pfaden der Poesie mehr als den zielsicheren Strategien der Begriffe. Kurzum: Bohnenkamps Bilder sind Poesie von Farbe und Form, und damit sind sie zeitlos schön.

Ralf Bohnenkamp - Ohne Titel, 2010. Mischtechnik auf Leinwand, 80 x 180 x 4 cm

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Ralf Bohnenkamp wurde 1966 in Essen geboren, und machte eine Ausbildung zum Theatermaler. Seit 1992 ist er als freischaffender Maler und Grafiker tätig, und kann auf zahlreiche Ausstellungsund Messebeteiligungen zurückblicken, unter anderem in Bologna, Birmingham, Brüssel, Hamburg, Köln, München, New York, Utrecht. Kunstdrucke und Grafiken von Bohnenkamp werden durch diverse Kunstverlage weltweit vertrieben.

Abbildung Oben: Ralf Bohnenkamp - Jeweils Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Holz, 30 x 30 x 5 cm Unten: Ohne Titel, 2010. Mischtechnik auf Leinwand, 60 x 200 x 4 cm

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Helge Emmaneel Der Photograph Helge Emmaneel sucht die Leerstellen in der gestalteten Landschaft, Durchblicke in der Bebauung, die den Blick auf die ursprüngliche Topographie freigeben, den Blick raus dem Gewerbegebiet. Immer wieder Wasser, Himmel, weite Horizonte. Die Aufnahmen scheinen leicht verschwommen, wie im Gegenwind, im Fahrtwind. Man weiß nie wo man genau ist, irgendwo in Norddeutschland oder Oklahoma oder Patagonien. In jedem Bild gibt es so etwas wie ein zartes Nachbeben, kaum merkliche Erschütterungen, eine Art mechanische Weichzeichnung. Irgendwas passiert hinter dem Horizont, meteorologisch oder tektonisch.

Helge Emmaneel - Dünenland XX, 2009. Fineartprint / Dibond, ed. 5, 100 x 150 cm

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Konkrete Topographien sind nicht definierbar. Aber die Stimmung, das Wetter, die Jahreszeit, die Tageszeit, sind für den Betrachter nachfühlbar. Helge Emmaneel gelingt über die Umwege der Technik genau das Gegenteil des zu Erwartenden. Der Blick wird nicht entemotionalisiert, die Bilder sind sehr impressiv. Das hat auch damit zu tun, daß er mit einem großen Bildatlas allgemeiner visueller Erfahrung arbeitet. Er kann darauf vertrauen, daß wir die Bilder alle schon vorher erahnen können. Es sind Landschaften, die jeder Reisende bereits verinnerlicht hat. Die flämische Landschaftsmalerei, Caspar David Friedrich, William Turner und Otto Modersohn treffen sich auf den mit den Jahren leicht verfärbten elterlichen Urlaubsphotos. (Aus einem Text von Rüdiger Giebler)

Helge Emmaneel - Dünensee II, 2009. Fineartprint / Dibond, ed. 5, 100 x 150 cm

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Helge Emmaneel wurde 1969 in Essen geboren. Nach zweij채hriger Assistenz bei dem Maler und Bildhauer Ernst Oldenburg in Unna und Photoassistenz bei Ralf Steinhoff in Kamen begann er als freier K체nstler zu arbeiten. Viele seiner Arbeiten entstehen auf Reisen an die Nordsee, nach Schweden, Irland, Schottland u.v.m. Emmaneel lebt und arbeitet in Hamburg.

Helge Emmaneel - Bergen II, 2010. Fineartprint / Dibond, ed. 5, 100 x 150 cm

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Robin Horsch

Robin Horsch - Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Leinwand, 140 x 120 cm

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Nach vielen Jahren, in denen es ausschließlich Skulpturen und Arbeiten auf Papier gab, malt Robin Horsch seine neuen Bilder wieder auf Leinwand. Schemenhaft scheinen Figuren aus dem Hintergrund auf, drängen sich nach vorn, oder ziehen sich wieder zurück. Der Maler selbst entdeckt sie im Schaffensprozess gleichwie später der Betrachter, setzt sie zueinander in eine Beziehung, ohne sich rational darüber im Klaren zu sein, welcher Art die Beziehung ist. - Alles ergibt sich aus der Malerei selbst.

Abbildung Links: Robin Horsch - Ohne Titel, 2011. Eichenholz, farbig gefasst, Höhe ca. 163 cm Rechts: Robin Horsch - Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Leinwand, 70 x 100 cm

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Intuitiv hebt Horsch die eine oder die andere entdeckte Form durch zeichnerische Elemente hervor. Es bereitet ihm sichtliches Vergnügen, der Phantasie freien Lauf zu lassen, und in der Entstehung wechselnde Geschichten zu entdecken und zu unterstreichen, die Malerei selbst erzählen zu lassen. Ihre Sprache ist nicht mit dem gesprochenen Wort vergleichbar, und sie erschließt sich demjenigen, der sich in diese Bilder „einfühlt“. Horsch, *1963 in Wermelskirchen, ist seit mehr als zwanzig Jahren freischaffender Bildhauer und Maler, und lebt in Mülheim/ Ruhr. 2006 erschien eine umfangreiche Monographie zu seinem Werk, das neben zahlreichen Ausstellungen in Deutschland auch in Basel, Chicago, London, Moskau, Toronto und Zürich zu sehen war.

Robin Horsch - Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Leinwand, 140 x 100 cm

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Gabriele Kaiser-Schanz Die Installation „WEISS“, die speziell für diese Ausstellung entstanden ist, setzt sich mit dem Thema der Vergänglichkeit und der Metamorphose auseinander. Die Gefäße sind Symbol für die letzte Hülle, welche die sterblichen Überreste des Menschen aufbewahren und ihm einen eigenen Raum gewähren. Die Farbe Weiß steht in allen Kulturen für Unschuld, Reinheit, Friede und Unendlichkeit, aber auch für Trauer.

Gabriele Kaiser-Schanz - Weiss, Installation, 2011. Kaschiertes Hanfpapier und weiße Pigmente, 25,5 x 185 x 230 cm Je Gefäß 21,5 x 19,5 cm,19,5 x 18,8 cm, 25,5 x 22 cm, je Pigmentkreis Durchmesser ca. 16 cm

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Mit dieser neuen Arbeit knüpft Gabriele Kaiser-Schanz an den Werkzyklus der „Kokons“ an, der sich auf vielfältige Weise ebenfalls mit dem Begriff der Metamorphose auseinandersetzt. Die Kokons 2006/ 2007 veranschaulichen den Prozess der Wandlung und des Ausbruchs und beinhalten gleichzeitig eine Spuren- und Identitätssuche. In der Umsetzung greift die Künstlerin auf unterschiedliche Medien zurück und fügt schließlich alle Einzelteile zu einem multimedialen Werk zusammen. Abbildung Oben: Gabriele Kaiser-Schanz - Kokon, 2007. Hanfpapier kaschiert, sign./ datiert, 180 x 90 cm Rechts: Performance "Kokon", 2007, Unten: Gabriele Kaiser-Schanz - Weiss, Installation, 2011. Siehe Seite 20

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Gabriele Kaiser-Schanz wurde 1968 in München geboren, sie studierte Bühnengestaltung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz, und war 1993-95 als Bühnen-, Kostüm- und Maskenbildnerin am Theater am Ortweinplatz in Graz tätig. Nach dem Studium der Textilen Kunst und Bildnerischen Erziehung an der Akademie der Bildenden Künste in Wien belegte sie 2005-08 ein Gaststudium der Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. David Rabinowitch. Gabriele Kaiser-Schanz lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Essen.

Gabriele Kaiser-Schanz - Kokons, 2007. Hanfpapier kaschiert, Glas und Stahl, Unikat, signiert und datiert, 134 x 60 x 50 cm

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Dieter Kränzlein Dieter Kränzlein verwandelt das kompakte Material von Muschelkalk oder Marmor in eine dynamische, vielgestaltige Masse. Einschnitte, Fräsungen, Spaltungen und Schichtungen lassen uns Schweres leicht, Statisches bewegt empfinden. Seine Fräsungen in hartes Material, das er damit zu einem neuen und anderem Leben erweckt, bestehen aus Linienstrukturen, die unter die Oberflächen blicken wollen, um dem unbelebten Stein eine Geschichte über seine Entstehung und sein Wesen zu entlocken. Kränzleins Skulpturen sind nicht darauf bedacht, aus dem gewählten Material im Sinne von

Dieter Kränzlein - Ohne Titel, 2011. Marmor, 40 x 95 x 4 cm

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Bildhauerei Skulpturen oder Plastiken zu formen. Der Künstler lässt das Material sprechen und lässt ungeahnte Nuancen zur Ansicht kommen. (aus einem Text von Beate Ermacora) Dieter Kränzlein wurde 1962 in Stuttgart geboren. Er lebt und arbeitet in Bietigheim-Bissingen. Nach einer Ausbildung zum Steinbildhauer wurde er Schüler des ungarischen Bildhauers und Zeichners Franz Dakáy. Seit 1989 ist Kränzlein als freischaffender Künstler tätig. Einzelausstellungen von ihm wurden bereits in Basel, Darmstadt, Essen, München, Stuttgart u.v.m. gezeigt. Eine Reihe von Außenskulpturen hat Kränzlein verwirklicht, darunter auch eine große Arbeit am Schillermuseum in Marbach am Neckar, welche in 2011 eingeweiht wurde.

Dieter Kränzlein - Ohne Titel, 2011. Marmor, 30 x 30 x 10 cm

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Dieter Kr채nzlein - Jeweils Ohne Titel, 2011. Oben: Marmor, 30 x 30 x 4 cm, Mitte: Muschelkalk, 30 x 30 x 4 cm, Unten: Muschelkalk gef채rbt, 30 x 30 x 4 cm

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Bianca Müllner Alles fließt in den Landschaften von Bianca Müllner. Gebirge, Täler, Gletscher, Wald und Wiese. Topographie und Atmosphäre schlingen ineinander, gehen ineinander über. Alles flüssige Materie. Nicht eingefroren, nicht mal erstarrt, einfach nur in dem flüchtigen Moment erfasst, als sich die Schlieren zu großen Panoramen erweitern. Diese Bilder werden in der Waagerechten gemalt. Bianca Müllner gießt ihre Landschaften. Sie arbeitet mit Zufall und Kalkül. Mit dem Spontanen und dem Unbewußten. Sie arbeitet mit den Bildern, die wir selbst im Kopf haben. Sie dämmt den Verlauf der

Bianca Müllner - circle, 2011. Acryl, Gouache auf Leinwand, 200 x 300 cm

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Farbe nicht ein, der Betrachter soll nicht merken, wo Hand angelegt wurde. Die nötigen Pinselstriche sind getarnt, die nachträglich von Hand eingefügten Flächen stellen nur die Balance zwischen den gestoppten Farbläufen her. Sehr selten sind minimale, fast versteckte Muster eingefügt. Es gibt Differenzen im Farbmaterial, in seiner Struktur, manches ist sehr dünn und transparent, andere Flächen sind wie verschorft, da zeigt sich auch schon einmal ein Krakelee. Das ist Landschaftsmalerei im besten Sinne. Müllner sagt: In dieser Welt sind wir sehr klein, aber ohne unseren Blick auf sie, gäbe es weder diese noch überhaupt irgendeine Welt. (a us einem Text von Rüdiger Giebler) Bianca Müllner wurde 1973 in Hamburg geboren. Sie absolvierte ein Studium an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg im Fachbereich Gestaltung, Illustration/ Kommunikationsdesign, das Sie mit dem Diplom abschloss. Sie lebt und arbeitet als freie Künstlerin in Hamburg.

Bianca Müllner - Eisland I+II, 2009. Diptychon, Acryl, Gouache auf Leinwand, 30 x 80 cm

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Bianca M端llner - grey, 2009. Acryl, Gouache auf Leinwand, 120 x 160 cm

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Jürgen Paas Im Zentrum der Arbeiten von Jürgen Paas steht der Grundgedanke des Archivs und des Depots. Seit 1995 entstehen seine Farbarchive, bei denen Metalltafeln in verschiedenen Formaten in ein Gerüst eingestellt sind. Die einzelnen Tafeln sind in unterschiedlichen Farbtönen monochrom überzogen. Als Aufbewahrungselemente dienen verzinkte Stahlklammern, die leer wie industrielle Bauelemente wirken. Diese Arbeiten eröffnen ein weites Assoziationsfeld, das den gesamten Kunstbereich mit einschließt: Sammeln, Bewahren, Präsentation, Zwischen- oder Endlagerung von Kunst. Ausgangspunkt seiner Arbeiten ist jedoch vor allem ein offenes Malereisystem, das Einzelaspekte wie Farbe, Form und Raum

Jürgen Paas - Titanic, 2011. MDF, 120 x 1000 x 10cm

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befragt. Die Aneinanderreihung und Ordnung der Farbtafeln ist nicht vorgegeben, sondern theoretisch dauernd variierbar, woraus sich eine Vielzahl von denkbaren Farbkombinationen ergibt. (aus einem Text des Museum Ritter, Waldenbuch) Jürgen Paas wurde 1958 in Krefeld geboren, und studierte an der an der Hochschule Essen bei László Lakner, Rudolf Vombeck und Franz Rudolf Knubel. 1991 /92 studierte er im Rahmen eines DAAD Stipendiums an der École Nationale Supérieure des BeauxArts bei Jan Voss in Paris. 2002/03 hatte er eine Professur für Malerei am Institut für Kunst und Kunsttheorie, Universität Köln. Jürgen Paas stellt international aus, gewann Jürgen Paas - Weiss/ Teilen, 2000. Lack auf verz. Stahl, verz. Stahlrahmen, 70 x 90 x 5 cm

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zahlreiche Kunstpreise, und ist in renommierten Kunstsammlungen vertreten, darunter die Kunsthalle Bremerhaven, Sparkasse Essen, Ursula-Blickle-Stiftung, Kaiser-Wilhelm-Museum Krefeld, Museum Morsbroich Leverkusen, WilhelmHack-Museum Ludwigshafen, Marli-Hoppe-Ritter-Museum Waldenbuch. J端rgen Paas lebt und arbeitet in Essen. J端rgen Paas - Popplanet, 2011. Acryl auf MDF, verz. Stahlrahmen, 40 x 30 x 7 cm

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Eberhard Ross

Eberhard Ross - finches piece, 2010. テ僕 auf Leinwand, 160 x 180 cm

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Eberhard Ross sucht sich die Vorbilder seiner Malerei in den Strukturen, die uns die Natur vorgibt, sei es im Geäst von Bäumen, im gefallenen Laub oder in Vogelschwärmen. Ihn fasziniert das Ordnungssystem der Natur, das sich von den übergeordneten Strukturen bis in die kleinsten Teilchen wiederholt, das sich aber nicht mit den herkömmlichen Mitteln der Mathematik fassen lässt. Für dieses Ordnungssystem hat Ross den Begriff der „Organischen Geometrie“ geprägt, der sein Werk seit der gleichnamigen Ausstellungsreihe mit umfänglicher Publikation im Jahre 2006 definiert. Die Kunst ist ein adäquater Ausdruck für die Formations- und Wachstumsprozesse in der Natur, denn sie ist in der Lage, sich die Sprache der Natur

Eberhard Ross - fir piece, 2010. Öl auf Leinwand, 140 x 190 cm

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anzueignen, ohne dafür Begriffe, Formeln oder Definitionen verwenden zu müssen. Es ist das Bild, das durch die Hand des Künstlers über die Naturprozesse spricht, und eine Deutung über die menschliche Einbindung in diese anbietet. Eberhard Ross wurde 1959 in Krefeld geboren. Er studierte an der Essener Hochschule bei László Lakner und Friedrich Gräsel. Sein Werk wurde in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, u.a. in Chicago, Essen, Glasgow, London, New York, Toronto. Ross lebt und arbeitet als freischaffender Künstler in Mülheim an der Ruhr.

Eberhard Ross - swarm, 2010. Öl auf Leinwand, 120 x 150 cm

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Michaela Schulze Wehninck

Szenen aus Trテ、umen, Erinnerungen und der Gegenwart treffen in den Arbeiten von Michaela Schulze Wehnink aufeinander. In vielen Fテ、llen ist der Ausgangspunkt ein Foto oder ein Andenken aus ihrer persテカnlichen Geschichte: Dinge, die ein Geheimnis aufbewahren. Michaela Schulze Wehninck - Ballsaal, 2008. テ僕, Tempera auf Leinwand, 140 x 180 cm

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Ein Hochzeitskleid, ganz aus Cellophan und Gummischläuchen gebildet, hängt strahlend illuminiert im Raum. Der Titel der Arbeit „Verpuppung“ ist zweideutig: Im bekannten Sinne ist sie das Stadium des Insekten, in dem dieses sich in etwas Neues verwandelt, gleichwie im Brautkleid das Mädchen zur Ehefrau wird. Dieser wörtlichen Lesart gesellt sich aber noch eine ironische hinzu, denn „Verpuppung“ bedeutet auch, dass etwas zu einer Puppe, einem Spielzeug gemacht wird. Bizarr steht dieses Objekt im Raum, das Feierliche der Präsentation steht im Widerspruch zur Ärmlichkeit des Materiales, das emotional Berührende zur nüchternen Kühle des leeren Gewandes. Das Märchenhafte und Mysteriöse findet sich in einigen Arbeiten der Künstlerin, unterstützt durch eine reduzierte Farbgebung, mit der die Unwirklichkeit, die scheinbare Abstammung aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt, noch deutlicher hervortritt. Michaela Schulze Wehnink wurde 1970 in Hamminkeln Niederrhein geboren. 2001-2003 absolvierte sie Foundation Studies for Art & Design in London, und studierte darauf bis 2007 an der freien Akademie der bildenden Künste (fadbk) in Essen. Dort studierte sie Malerei und Grafik bei Prof. Stephan Paul Schneider und interdisziplinäre Arbeit bei Danica Dakic, und schloss ihr Studium als Meisterschülerin bei Stephan Paul Schneider ab. Michaela Schulze Wehninck - Verpuppung, 2006. Installation, Kunststoff, Licht, Höhe ca. 190 cm

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Michaela Schulze Wehninck - Frau im Wald mit Ballon, 2005. テ僕, Tempera auf Leinwand, 150 x 100 cm

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Andreas Titzrath

Andreas Titzrath - Weiß, 2011. Öl auf Malplatte, 24 x 18 cm

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Beharrlich konzentriert sich Andreas Titzrath auf das kleine Format, und motivisch auf das Portrait und das Brustbild, das er in vielen malerischen Techniken variiert. Das Arbeiten am Material, das Pinseln, Spachteln, Abdecken, Freikratzen, das Modellieren mit der Ölfarbe und anderen Farbmaterialien ist ein intensiver und langwieriger Prozess, der bei Titzrath einen grundlegenden Teil seiner Arbeit ausmacht. Manchmal auf Leinwand, meist aber auf Holz schafft er neuzeitliche Ikonen; mal in der pastosen Manier der Art Brut, mal mit der feinen Eleganz eines Modigliani entstehen Köpfe, die von Erinnerungen an wirkliche Menschen ausgehen, nie aber bloße Portraits sind. Andreas Titzrath, geboren 1957 in Essen, kommt von seiner Ausbildung her aus der Graphik und Buchillustration, allein deshalb blieb er seit den Anfängen einer figürlichen und erzählenden Malerei treu. Titzrath studierte 1977 bis 1983 Folkwangschule/ GHS Universität Essen und schloss dort als Graphikdesigner ab. Andreas Titzrath lebt und arbeitet in Essen.

Andreas Titzrath - Oben: Im Dorfe, 2009. Öl auf Leinwand auf Karton, 24 x 18 cm Mitte: Miniatur, 2009. Öl auf Leinwand auf Karton, 18 x 13 cm Unten: Edda, 2007. Mischtechnik auf Leinwand auf Karton, 24 x 18 cm

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Andreas Titzrath - Schwarz, 2011. テ僕 auf Malplatte, 24 x 18 cm

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Thomas Zika

Thomas Zika - untitled weiss (Mainau 1), 2010. Lambdaprint/ Aludibond/ weiĂ&#x;er Holz-Objektrahmen, 70 x 90 cm

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Der Fotograf Thomas Zika reflektiert in seiner Arbeit die Bedingungen unserer Wahrnehmung und Aneignung der Wirklichkeit. Sein Thema ist der Zustand eines medial überladenen Individuums. Während Nachrichten, Fernsehen, Werbung uns Bilder offerieren, die unmittelbar und brutal auf unsere Sinne wirken, zeigt uns Thomas Zika Bilder, deren Identifizierbarkeit gerade nicht offenkundig ist, und deren Entschlüsselung auch nicht vordergründiges Ziel ist. Vielmehr geht es ihm um ein Nachdenken über die Wahrnehmung, speziell über die Wahrnehmungsform des Sehens.

Thomas Zika - untitled 1, 2011. Pigment-Print/ Aludibond/ weißer Holz-Objektrahmen, 70 x 90 cm

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Zika hat sein Anliegen selbst beschrieben: „Für mich ist der Begriff Placebo eine hervorragende Metapher für unser Verhältnis zu Bildern und für das Verhältnis von Bildern zur realen Welt. ...Ich vergleiche die Scheinwirkung des Medikaments mit der Schein-Wirkung des technischen Bildes. Das (technische) Bild an sich will immer gefallen in dem Sinne, dass es meine visuelle Wahrnehmung immer und sofort affiziert. Ich lasse mich zwanghaft zum Sehen verführen, weil ich die Welt und auch mich selbst - überhaupt nicht anders identifizieren, aneignen, reflektieren kann als im Medium meiner Projektionen.“ Zikas Bilder entstehen

Thomas Zika - untitled weiss (Provence 1), 2010. Lambdaprint/ Aludibond/ weißer Holz-Objektrahmen, 70 x 90 cm

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mit dem technischen Gerät der Kamera, der per se eine hohe Realitätsnähe und Wirklichkeitstreue unterstellt wird. Gerade in den hier vorgestellten Bildern wird dies konterkariert: Wiedererkennbares lässt sich nur schwer entziffern, das fotografische Objekt im klassischen Sinne fehlt, und auch Information wird kaum vermittelt. „Weißes Rauschen“ meint in der Informationstheorie einen Zustand zwischen Information und Desinformation, und die Annäherung daran scheint hier das Ziel von Thomas Zika gewesen zu sein. So sagt er: „In meiner künstlerischen Arbeit soll an der Schnittstelle zwischen “abstrakt” und “konkret” visuelle Information an Nicht-Information herangeführt werden.“ Zika schafft damit Bilder, die auf etwas außerhalb der reinen Abbildung verweisen. Thomas Zika, geboren 1963, studierte von 1986-92 Fotografie an der Fachhochschule Dortmund. Von 1996 bis 1999 absolvierte er ein Ergänzungsstudium Kommunikationsdesign an der Universität Wuppertal. Seit 1992 arbeitet er als freier Fotograf und Künstler und seit 2001 hat er Lehraufträge an der Uni Wuppertal, der EcosignAkademie Köln, und der Freien Kunstakademie Essen. Zika erhielt nationale und internationale Preise und Stipendien, sein Werk war in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen, so auch in der Galerie Van Kranendonk in Den Haag und Galerie Edward Cella, Los Angeles. Thomas Zika lebt und arbeitet in Essen.

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Thomas Zika - untitled 9, 2011. Pigment-Print/ Aludibond/ weiĂ&#x;er Holz-Objektrahmen, 70 x 90 cm

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Abbildungen / Anmerkungen Abbildungsverzeichnis 2 4 7 9 11 12 13

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Ralf Bohnenkamp - Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Leinwand 100 x 100 x 4 cm Robin Horsch - Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Leinwand 140 x 120 cm Jürgen Paas - Archiv für Malewitsch, 2000. Lack auf verz. Stahl, verz. Stahlklammern, 210 x 210 x 24 cm Helge Emmaneel - Bergen III, 2010. Fineartprint / Dibond, ed. 5 100 x 100 cm Ralf Bohnenkamp - Ohne Titel, 2010. Mischtechnik auf Leinwand 180 x 180 x 4 cm Ralf Bohnenkamp - Ohne Titel, 2010. Mischtechnik auf Leinwand 80 x 180 x 4 cm Oben: Ralf Bohnenkamp - Jeweils Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Holz, 30 x 30 x 5 cm Unten: Ohne Titel, 2010. Mischtechnik auf Leinwand, 60 x 200 x 4 cm Helge Emmaneel - Dünenland XX, 2009. Fineartprint / Dibond, ed. 5 100 x 150 cm Helge Emmaneel - Dünensee II, 2009. Fineartprint / Dibond, ed. 5 100 x 150 cm Helge Emmaneel - Bergen II, 2010. Fineartprint / Dibond, ed. 5 100 x 150 cm Robin Horsch - Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Leinwand 140 x 120 cm Links: Robin Horsch - Ohne Titel, 2011. Eichenholz, farbig gefasst Höhe ca. 163 cm Rechts: Robin Horsch - Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Leinwand 70 x 100 cm Robin Horsch - Ohne Titel, 2011. Mischtechnik auf Leinwand 140 x 100 cm Gabriele Kaiser-Schanz - Weiss, Installation, 2011. Hanfpapier/ weiße Pigmente, 25,5 x 185 x 230 cm Oben: Gabriele Kaiser-Schanz - Kokon, 2007. Hanfpapier kaschiert, sign./ datiert, 180 x 90 cm Rechts: Performance 2007. Unten: Gabriele Kaiser-Schanz - Weiss, Installation, 2011. Siehe Seite 20 Gabriele Kaiser-Schanz - Kokons, 2007. Hanfpapier, Glas/ Stahl 134 x 60 x 50 cm Dieter Kränzlein - Ohne Titel, 2011. Marmor, 40 x 95 x 4 cm Dieter Kränzlein - Ohne Titel, 2011. Marmor, 30 x 30 x 10 cm Dieter Kränzlein - Jeweils Ohne Titel, 2011. Oben: Marmor, Mitte: Muschelkalk, Unten: Muschelkalk gefärbt, jeweils 30 x 30 x 4 cm Bianca Müllner - circle, 2011. Acryl, Gouache auf Leinwand, 200 x 300 cm Bianca Müllner - Eisland I+II, 2009. Diptychon, Acryl, Gouache auf Leinwand, 30 x 80 cm Bianca Müllner - grey, 2009. Acryl, Gouache auf Leinwand, 120 x 160 cm Jürgen Paas - Titanic, 2011. MDF, ca. 120 x 1000 x 10cm Jürgen Paas - Weiss/ Teilen, 2000. Lack auf verz. Stahl, verz. Stahlrahmen, 70 x 90 x 5 cm Jürgen Paas - Popplanet, 2011. Acryl auf MDF, verz. Stahlrahmen 40 x 30 x 7 cm

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40 41 42 43 45

Eberhard Ross - finches piece, 2010. Öl auf Leinwand, 160 x 180 cm Eberhard Ross - fir piece, 2010. Öl auf Leinwand, 140 x 190 cm Eberhard Ross - swarm, 2010. Öl auf Leinwand, 120 x 150 cm Michaela Schulze Wehninck - Ballsaal, 2008. Öl, Tempera auf Leinwand 140 x 180 cm Michaela Schulze Wehninck - Verpuppung, 2006. Installation, Kunststoff, Licht, Höhe ca. 190 cm Michaela Schulze Wehninck - Frau im Wald mit Ballon, 2005. Öl, Tempera auf Leinwand, 150 x 100 cm Andreas Titzrath - Weiß, 2011. Öl auf Malplatte, 30 x 24 cm Oben: Andreas Titzrath - Im Dorfe, 2009. Öl/ Lwd. auf Karton, 24 x 18 cm Mitte: Andreas Titzrath - Miniatur, 2009. Öl/ Lwd. auf Karton, 18 x 13 cm Unten: Andreas Titzrath - Edda, 2007. Mischtechnik auf Leinwand auf Karton, 24 x 18 cm Andreas Titzrath - Schwarz, 2011. Öl auf Malplatte, 24 x 18 cm Thomas Zika - untitled weiss (Mainau 1), 2010. Lambdaprint/ Aludibond/ Holz-Objektrahmen, 70 x 90 cm Thomas Zika - untitled 1, 2011. Pigment-Print/ Aludibond/ weißer Holz-Objektrahmen, 70 x 90 cm Thomas Zika - untitled weiss (Provence 1), 2010. Lambdaprint/ Aludibond/ Holz-Objektrahmen, 70 x 90 cm Thomas Zika - untitled 9, 2011. Pigment-Print/ Aludibond/ weißer Holz-Objektrahmen, 70 x 90 cm

Anmerkungen zu S. 5-10 1)

Wassily Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst insbesondere in der Malerei. Bern 2004, S. 99-100. 2) Barbara Oettl: Weiß in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Studien zur Kulturgeschichte einer Farbe. Regensburg 2008, S. 73. 3) Johann Wolfgang v. Goethe, zit. nach: Dietrich Helms: Plädoyer für Weiß und Schwarz; in: Kleine Mappe für Raimund Girke. Hannover 1960, o.S. 4) Norbert Deuchert: Linien stiller Schönheit. Aus der Sammlung DKM, Bd. 1. Duisburg 2008, S. 93 und S. 127. 5) Horst Richter: Geschichte der Malerei im 20. Jahrhundert. Stile und Künstler. Köln 1993, S. 199. 6) John Cages klang- und notenlose Komposition, die sich in drei Sätze gliedert, wurde 1952 von dem Pianisten David Tudor uraufgeführt. Cage hatte die Dauer des Stückes nicht vorgegeben. Der gängige Titel geht auf die Länge der Uraufführung Tudors zurück. 7) Oettl, a.a.O., S. 122-126. 8) Zur Symbolik der weißen Eiform siehe Oettl, a.a.O., S. 188, und Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg 1994, S. 588-589. 9) Anette Kuhn: ZERO. Eine Avantgarde der sechziger Jahre. Frankfurt a.M. u. Berlin 1991, S. 65. 10) Horst Richter, a.a.O., S. 265. 11) Oettl, a.a.O., S. 250-251. 12) So der Titel eines Aufsatzes von Udo Kultermann in: Quadrum, Bd. 20, Brüssel 1966, S. 730.




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