Gesunder Schlaf
Inhaltsverzeichnis
c Das Kapitel verschafft einen Überblick darüber, wie wichtig ein erholsamer Schlaf für die Gesundheit ist. Für das grundlegende Verständnis ist es wesentlich, den homöostatischen Basisprozess von Schlaf und Wachheit, die Physiologie des gesunden Schlafes mit der Schlafarchitektur, die hormonellen Zyklen sowie die Entwicklung des Schlafbedürfnisses über die Lebensspanne des Menschen zu kennen. Die Bedeutung eines erholsamen Schlafes spiegelt sich in einer Vielfalt seiner Funktionen wider, die durch schlechte Nächte beeinträchtigt werden. So kann sich Schlafdeprivation beispielsweise durch höhere Infektanfälligkeit infolge eines geschwächten Immunsystems oder mit psychischen Störungen aufgrund dysfunktionaler Emotionsregulation äußern. Gedächtnisbildung und Stoffwechselprozesse und vieles mehr werden ebenfalls maßgeblich im Schlaf reguliert.
Erst wenn wir den gesunden Schlaf verstehen, können wir Schlafstörungen behandeln. Der gesunde Schlaf kommt und geht von allein, muss nicht optimiert, erzeugt oder erzwungen werden.
c Der gesunde, natürliche Schlaf ist unser Behandlungsziel.
Ohne einen gesunden Schlaf sinkt unmittelbar die Lebensqualität und längerfristig wächst das Risiko ernsthafter körperlicher und psychischer Krankheiten.
1.1 Warum schlafen wir? – Die Evolutionstheorie
Um zu verstehen, wie und warum wir schlafen, müssen wir nachvollziehen, welche Funktionen der Schlaf für den Menschen und dessen Vorfahren zu den unterschiedlichen Zeitpunkten in der Erdgeschichte eingenommen hat und wie sich jene Funktionen in Abhängigkeit der natürlichen Gegebenheiten verändert haben. Wir müssen die Evolution des Schlafes verstehen. Aufgrund der Erdrotation unterlagen alle Organismen von Anbeginn der Zeit auf der Erde
1 Gesunder Schlaf
einem Hell-Dunkel-, also einem Tag-NachtRhythmus. Schon die einfachsten einzelligen Algen richteten ihre Aktivität nach dem Sonnenstand. Auch die Blüten verschiedener Pfanzen öffnen und schließen sich, Sprosse und Blätter werden nach dem Verlauf der Sonnenstrahlung, der Quelle des Lichtes und der Temperatur ausgerichtet. Mit dem Beginn des Lebens auf der Erde fanden im Rahmen der Evolution Anpassungen an die Licht- und Temperaturverhältnisse des 24-Stunden-Zyklus statt. Es haben nur die Spezies überlebt, die ihren Stoffwechsel entsprechend anpassen und koordinieren konnten (Staedt und Stoppe 2001).
Alles, was gegen die Natur ist, hat auf die Dauer keinen Bestand! (Charles Darwin)
Doch dessen nicht genug: Die Natur hat im Laufe der Evolution die verschiedenen Spezies so an den Wechsel zwischen Tag und Nacht angepasst, dass sie die verschiedenen Bedingungen nahezu perfekt nutzen können und dabei eine enorme Artenvielfalt entstand.
In der Behandlungspraxis greife ich oft auf die evolutionäre Entwicklung des Schlafes zurück, um den Patienten zu verdeutlichen, dass beispielsweise ein polyphasischer Schlaf (also mehrere Schlafphasen pro Nacht beziehungsweise innerhalb von 24 Stunden) natürlich und damit durchaus gesund sind. Die Aufgabe der Therapie besteht dann darin, diesen natürlichen Schlaf mit dem modernen gesellschaftlichen Leben in Einklang zu bringen. Für viele Betroffene sind diese Informationen bereits hilfreich, um Ängste zu lindern und somit mehr Lebensqualität zu erlangen.
1.1.1
Die evolutionäre Entwicklung des menschlichen Schlafes
Das Bedürfnis nach Schlaf und die kognitive Leistungsfähigkeit stehen in einem proportionalen Verhältnis zueinander: Je mehr kognitive Leistung ein Organismus erbringen muss, desto größer ist sein Schlafbedürfnis zur Regeneration und desto größer ist wiederum die kognitive Leistungsfähigkeit. Dieser Verlauf war evoluti-
onär vor allem wichtig für die Entwicklung der Hirnleistung: Mit der Zunahme der Hirnmasse (Entwicklung neuronaler Netzwerke) konnte auch die kognitive Leistungsfähigkeit ausgebaut werden. Für diesen Entwicklungsprozess mussten unsere Urahnen mehr Energie aufbringen, also mehr Nahrung fnden. Um diesen steigenden Nahrungsbedarf zu sichern, war es notwendig, sich an Orte mit guten Bedingungen für die Nahrungssuche und die Jagd zu erinnern. Es brauchte folglich mehr neuronale Strukturen für bessere kognitive Leistungen. Hierfür war vor allem der Ausbau des Gedächtnisses zwingend notwendig. Die Gedächtniskonsolidierung ist eine der wichtigsten Funktionen des Schlafes.
c Die neuronale Weiterentwicklung des Gehirns brauchte mehr Energie; mehr Energie kann nur durch mehr Nahrung gewonnen werden; nur „ausgeschlafene Jäger und Sammler fanden aufgrund ihrer neurokognitiven Fähigkeiten ausreichend Nahrung für diese Entwicklung“ (Staedt und Stoppe 2001).
Infolgedessen ist also das Schlafbedürfnis des Menschen kontinuierlich gestiegen.
1.1.2
Die evolutionären Schutzfunktionen des Schlafes
Der Schlaf hat für tagaktive Lebewesen wie den Menschen eine Schutzfunktion in der Dunkelheit. Der Mensch ist kein „Nachttier“. Ihm fehlen die nötigen Ausstattungsmerkmale wie gute Nachtsicht, ein guter Geruchssinn oder andere Orientierungsmöglichkeiten im Dunkeln (z.B. Ultraschall bei Fledermäusen). Eine wesentliche Triebfeder der evolutionären Prozesse stellte daher der Schutz vor Gefahren dar. Die nächtliche Nahrungsmittelsuche und Jagd waren im Dunkeln sehr gefährlich, eine ausreichend gute Orientierung in der Umwelt war auch unseren Vorfahren nicht möglich. Deshalb war es für den Homo sapiens „ratsam“, sich nachts zurückzuziehen und Schutz zu suchen, um sich von den Anstrengungen des Tages zu erholen und nur
während der Helligkeit „die Höhle“ zu verlassen (Allison und van Twyver 1970).
Unsere menschliche Schlafarchitektur sieht vor, dass wir während des Schlafes verschiedene Bewusstseinszustände durchlaufen. Unter anderem erleben wir jede Nacht insgesamt bis zu 2 Stunden Bewusstlosigkeit, aus der uns nur ein Schmerzreiz wecken kann. Zudem wechseln sich diese Tiefschlafphasen mit Phasen leichteren Schlafes und Wachphasen ab, in denen auch unsere Vorfahren somnolent, also nicht bei klarem Bewusstsein waren. Das bedeutet, für nächtliche Angreifer war und ist der Mensch eine leichte Beute. Wie es Allan Rechtschaffen, einer der Pioniere der Schlafforschung so treffend bemerkte:
Sollte der Schlaf keine grundlegende lebenserhaltende Funktion haben, so wäre er der weitaus größte Irrtum der Evolution. (Rechtschaffen 1978)
Wissenswert für Ihre Patienten mit Durchschlafstörungen ist, dass unser nächtlicher UrSchlaf nicht in einer durchgehenden Schlafphase stattgefunden hat. Man geht heute davon aus, dass unsere Urahnen nachts mehrmals und zum Teil auch länger wach waren, um nach dem Rechten zu schauen. Daher sind nächtliche Wachphasen zwar belastend, jedoch nicht zwangsläufg pathologisch. Zudem ist bemerkenswert, dass unser Körper von Natur aus darauf angelegt ist, am Tage, beispielsweise zur Mittagszeit, zu schlafen oder zu ruhen. Denn auch der Mittagsschlaf hatte evolutionäre Vorteile: Die Erholungsphase zur Mittagszeit ermöglichte dem frühen Homo, sich von den Strapazen des Vormittages zu erholen und am Nachmittag ausreichend kognitive und körperliche Ressourcen zu mobilisieren, um auf Nahrungssuche zu gehen und sich gegen Bedrohungen zu verteidigen. Diese Ruhephase zur Mittagszeit war daher essenziell, um das Überleben der Art sichern zu können. Auf der Basis dessen macht es Sinn, weshalb die meisten Menschen noch heute ein sogenanntes „Mittagstief“ mit gedrosselten Körperfunktionen erleben und viele Menschen in dieser Zeit eine Siesta oder einen Mittagsschlaf abhalten.
Die beschriebenen Verhaltensweisen unserer Vorfahren spiegeln sich in unserem aktuellen Wissen zum Schlaf und den zugrundeliegenden physiologischen Prozessen.
Das an den Hell-Dunkel-Rhythmus angepasste Schlaf-Wach-Verhalten folgt einer zirkadianen Rhythmik, deren Taktgeber das Licht und der Temperaturwechsel im 24-Stunden-Verlauf sind.
Diese Rhythmik beeinfusst nahezu alle menschlichen Lebensfunktionen, wie Leistungsfähigkeit, Körperkerntemperatur, Blutdruck, Herzfrequenz, Lungen- und Organfunktionen, Hormonkonzentration etc., die periodisch zu den verschiedenen Tageszeitpunkten ablaufen.
So kann die „Ineffektivität“ des menschlichen Organismus in der Dunkelheit mit Schlaf außergewöhnlich gut genutzt werden, um Körper und Psyche auf seine Funktionen während der Helligkeit vorzubereiten (Zulley 2010).
Wenn dieser Prozess „ungestört“ und an die jeweiligen Bedürfnisse und Erfordernisse des Schläfers angepasst abläuft, bleibt der Mensch gesund. Schlafstörungen haben dann keinen Nährboden. Erst die Arbeitstaktung der Industrialisierung und die Erfndung der Glühbirne haben es möglich gemacht, auch während der Dunkelheit und in der Nacht zu arbeiten. Daher war es nötig, „effektiver“ zu schlafen: in einer langen nächtlichen Schlafphase. Aus unserem genetisch angelegten polyphasischen Schlafmuster (eine oder mehrere Wachphasen in der Nacht sowie einer oder mehrerer Schlafphasen am Tag) musste ein monophasischer Schlaf werden.
c Die Erfindung der Glühbirne 1879 durch Thomas Alva Edison war quasi die Geburtsstunde der Schlafstörungen.
Von nun an bestand die Möglichkeit zu jeder Tages- und Nachtzeit wach zu sein und Dinge zu erledigen. Die Erforschung der Naturvölker bestätigt diese These: Vor Einführung des elektrischen Lichtes gingen alle Bewohner einer Gruppe in etwa zur gleichen Zeit zu Bett. Durch das künstliche Licht entwickelten sich die ver-
1 Gesunder Schlaf
schiedenen Chronotypen von Eule bis Lerche heraus und die Gesamtschlafzeit verkürzte sich.
Exkurs in das Schlafverhalten der Tiere
Die evolutionäre Anpassung des Schlafverhaltens der verschiedenen Spezies, unabhängig ob nacht- oder tagaktiv, lässt sich entsprechend deren Lebensanforderungen sehr gut erkennen. Beispielsweise können viele Zugvögel, die sehr lange Strecken am Stück fiegen müssen, auch während des Fluges schlafen. Dieser Schlafzustand dauert durchschnittlich jedoch nur 30 Sekunden, sodass die Tiere nicht abstürzen. Diese Kurzschlafzeiten summieren sich über 24 Stunden allerdings zu einer beachtlichen Gesamtschlafzeit auf mehrere Stunden. Andere Zugvögel schlafen nur mit einer Hirnhälfte, um mit der anderen weiterhin fiegen und steuern zu können. Auch das Gruppen- beziehungsweise Schwarmverhalten wurde evolutionär an diese besonderen Bedingungen angepasst. So ordnen sich die schlafenden Vögel in der Mitte der Reisegruppe an, um nicht verloren zu gehen. Immerhin können Mauersegler ununterbrochen bis zu 10 Monaten in der Luft sein.
Viele Fische schlafen während des Schwimmens mit offenen Augen und intakter visueller Reaktionsfähigkeit, um auch während des Ruhezustandes potenzielle Gefahren erkennen zu können. Besonders interessant ist der Schlaf der Delfne: Sie schlafen nur mit einer Hirnhälfte, um mit der Wachheit der anderen Hemisphäre das Auftauchen und Luftholens während des Schlafes motorisch koordinieren zu können (Kavanau 1997).
Wenn die Natur im Rahmen der Evolution diese umweltbedingten Anpassungsprozesse nicht vollzogen hätte, gäbe es heute keine Lebewesen mehr, die schlafen würden, da sie im Sinne der Nahrungskette beziehungsweise natürlichen Selektion nicht überlebt hätten (Born und Birbaumer 2019). Da der Schlaf, wie im Folgenden beschrieben, jedoch viele überlebenswichtige Funktionen hat, wäre die Lebensdauer der jeweiligen Spezies um ein Vielfaches verkürzt. Schildkröten haben bekanntlich eine Lebenserwartung von bis zu 100 Jahren. Verweigert man diesen Tieren jedoch die Winterstarre, die einem Schlaf gleichkommt, werden die Tiere durchschnittlich nur 30 Jahre alt.
Zwischen verschiedenen Lebewesen besteht eine erhebliche Varianz hinsichtlich Dauer, Art und Struktur des Schlafes. Sie zeigen verschiedene evolutionsbiologische Anpassungsprozesse an ihre jeweilige Umwelt- und (Über-)Lebensanforderungen. Eine Reihe von Studien weisen darauf hin, dass die Variabilität des Schlafverhaltens einer komplexen genetischen Architektur folgt. Dabei scheint die Existenz eines Schlaf-Wach-Rhythmus beziehungsweise einer Ruhe-Aktivität-Periodizität allen Lebewesen gemein zu sein (Keene und Duboue 2018).
1.2.1 Die Homöostase – Ausgleich von Müdigkeit und Wachheit:
Eine der bedeutendsten Beobachtungen der Schlafforschung war, dass längere Wachheit ermüdet und anschließender Schlaf entmüdet. Daraus entstand der Begriff „Schlafdruck“.
c Je länger die Wachzeit andauert, umso höher baut sich der Schlafdruck auf, desto müder werden wir also.
Diese Dynamik unterliegt dem Homöostaseprinzip. Der Begriff Homöostase kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Gleichstand“. Im biologisch-medizinischen Kontext bezeichnet Homöostase einen dynamischen Regelprozess zur Aufrechterhaltung des physiologischen Gleichgewichts und dient der Konstanthaltung aller inneren Prozesse im Organismus. Dabei beschreibt die Homöostase keinen starren Gleichgewichtszustand, der einmal eingestellt wird und dann grundsätzlich ausgeglichen ist, sondern sie unterliegt ständigen Schwankungen und wird fortwährend wieder neu angepasst – im Sinne eines Regelkreislaufes. Grundlegend ist es nicht so, dass eine längere Wachzeit auch eine längere Schlafzeit erfordert. Unser Körper ist von Natur aus darauf ausgerichtet, sich den Schlaf zu holen, den er benötigt. Das bedeutet, zur Aufrechterhaltung des Ausgleichs zwischen Ermüdung und Entmüdung kann unser Körper in der gleichen Zeit „effektiver“ schlafen. Mit zwei Nächten natürlichen Schlafes kann meist auch die Müdigkeit einer längeren Phase mit zu wenig Schlaf ausgeglichen werden.
Alexander Borbély griff 1982 diesen homöostischen Prozess des Schlafens und Wachens auf. Er stellte dem Ermüdungsprozess (Schlafdruck) den zirkadianen Prozess gegenüber, der parallel
dazu im menschlichen Körper tagtäglich abläuft. Bei diesem Prozess synchronisieren sich verschiedene Hormone wir Cortisol und Dopamin, die Körpertemperatur und der Schlaf-WachRhythmus in einem zirka-dianen, also ungefähr einen Tag dauernden 24-Stunden-Intervall.
Ausschlaggebend für dieses Intervall sind die CLOCK-Gene im suprachiasmatischen Nukleus (SCN), der „inneren Uhr“ beziehungsweise dem körpereigenen „Schrittmacher“. Natürliche Taktgeber wie Licht, Tagestemperatur oder stabile soziale Zeitgeber wie Uhr-, Arbeits- und Mahlzeiten können den Takt der „inneren Uhr“ zusätzlich beeinfussen.
1.2.2 Das 2-Prozess-Modell
In der hier dargestellten Abb. 1.1 sehen Sie das 2-Prozess-Modell von Borbély (1982). Dabei stellt die rote eher gezackte Kurve den Schlafdruck (Prozess S) dar, die gelbe wellenförmige Linie ist der zirkadiane Tagesverlauf, Prozess C. Nach einem erholsamen Schlaf ist ein Lebewesen so ausgeschlafen, dass der Schlafdruck (Prozess S) zu Beginn eines Tages quasi nicht vorhanden ist. Mit steigender Wachzeit wächst dieser kontinuierlich an. Weil der individuelle zirkadiane Rhythmus (Prozess C) den stetig steigenden Schlafdruck antagonistisch unterdrückt, nimmt die subjektiv empfundene Müdigkeit vor allem am Vormittag jedoch nicht kontinuierlich zu (Dijk und Edgar 1999; Borbély und Achermann 1999). Um dem Schlafdruck entgegenzuhalten, sendet der Körper zunehmend zentral gesteuerte Wecksignale, im Prozess C dargestellt (auch circadian alerting signal, CAS, genannt). Diese Signale sorgen für eine ansteigende Ausschüttung aktivierender und wachhaltender Hormone, sodass Menschen über einen längeren Zeitraum wach und leistungsfähig bleiben, ohne den stetig steigenden Schlafdruck zu spüren.
S: Schlafdr uc k C: zir kadianer Rh ythmus
Abb. 1.1 2-Prozess-Modell von Borbély
Hintergrund
Nach dem Aufwachen am Morgen erhöht sich der Schlafdruck im Verlauf des Tages kontinuierlich, bis er am Abend kurz vor dem Einschlafen sein Maximum erreicht. Bereits im 18. Jahrhundert sprach der Arzt Hufeland vom „Abendfeber“, das sich nach 12–16 Stunden „ununterbrochener Dauer intensiven Lebens“ einstellte (Hufeland 1797). Heute ist bekannt, dass sich während dieses Prozesses am Tag das müdigkeitserzeugende Hormon Adenosin im Körper anreichert und den Schlafdruck erzeugt und verstärkt (Cajochen 2009). Es wirkt im Zentralnervensystem als Neuromodulator und blockiert die Ausschüttung aktivierender Neurotransmitter wie Acetylcholin, Noradrenalin und Dopamin. Adenosin senkt den Blutdruck sowie die Herzfrequenz, was am Ende eines Tages notwendig ist, um vom Wachzustand in den Schlaf zu kommen. Adenosin wirkt zudem im Hypothalamus hemmend auf die Wachzentren und damit schlafnduzierend. Gemeinsam mit unserem „Schlafhormon“ Melatonin steuert es den Schlaf-Wach-Rhythmus (Borbély et al. 2016). Beim Schlafen schließlich wird das angereicherte Adenosin wieder abgebaut.
In der ersten Nachthälfte sinkt die Aktivierung durch das zirkadiane System, der Schlafdruck
1 Gesunder Schlaf
bleibt jedoch zunächst ausgeprägt bestehen. Daher kann der Schlaf bei gesunden Personen in dieser Zeit gut aufrechterhalten werden. Nach ca. vier Stunden Schlaf und dem Durchlaufen mehrerer Tiefschlafphasen fällt der Schlafdruck gemeinsam mit dem Adenosin deutlich. Im Verlauf des Tages gibt es Einbrüche der hormonellen Wecksignale, die dann als Müdigkeit verspürt werden, wenn der Schlafdruck zu dem Zeitpunkt bereits angestiegen ist. Besonders deutlich wird dies beim häufg erlebten „Mittagsloch“, je nach Chronotypen (Frühaufsteher oder Langschläfer) eines Menschen meist zwischen 13 und 15 Uhr. Häufg wird dies auf die Einnahme eines zu schweren Mittagessens zurückgeführt und daher in Fachkreisen als postprandiale Somnolenz bezeichnet. Doch auch Personen, die mittags nur leichte Gerichte zu sich nehmen oder gar nichts essen, erleben diesen Einbruch.
1.2.3 Licht als Taktgeber
Evolutionär war Licht ein wichtiger Taktgeber für die Synchronisation vieler endokriner, physiologischer, aber auch sozialer Abläufe. Da sich die Gesellschaft in den letzten 10.000 Jahren
deutlich schneller entwickelt hat, als die Evolution voranschreiten konnte, sind im modernen Menschen Informationen zur Steuerung endogener Abläufe genetisch verankert, die aus der Zeit unserer Urahnen, der Höhlenmenschen, stammen (Perrez und Baumann 2005).
Tageslicht ist dabei nach wie vor ein sehr wichtiger Faktor, der heute jedoch immer öfter übergangen wird, beispielsweise aufgrund künstlicher Lichtreize während der Nachtschicht, wegen schädlicher nächtlicher Gewohnheiten oder aber aufgrund der Möglichkeit, sich tagsüber im Dunkeln aufzuhalten. Vor allem Schichtarbeiter leiden unter derartigen Bedingungen, und es kann zum sogenannten Schichtarbeitersyndrom kommen (Angerer und Petru 2010). Dieses führt zu einer Desynchronisation grundlegender Prozesse im Körper und zu schweren Schlafstörungen (Rodenbeck 2007).
Bereits Anfang der 1990er-Jahre entdeckten Foster und Kollegen (Foster et al. 1991) neben den Stäbchen (zum Hell-Dunkel-Sehen) und den Zapfen (zum Farbensehen) einen dritten Fotorezeptortyp in der Retina (Netzhaut) von Säugetieren: die photosensitiven Ganglienzellen. Diese sind im Gegensatz zu den beiden anderen Photorezeptortypen über die gesamte Netzhaut verteilt. Treffen Lichtreize auf diese photosensitiven Ganglienzellen in der Retina, die das Photopigment Melanopsin enthalten, kommt es zu einer komplexen chemischen Reaktion. Die Impulse werden über den retinohypothalamischen Trakt an den SCN (Nucleus supraspachiasmaticus), die „innere Uhr“, die den Tag-Nacht-Rhythmus im menschlichen Körper steuert, übermittelt. Dort wird bei Lichtstimulation die Aktivierung der Melatoninausschüttung in der Epiphyse (Zirbeldrüse) unterdrückt (Lewy et al. 1989). Bei fehlender Lichtstimulation wird die Hemmung im SCN aufgehoben und aus der EpiphyseMelatonin ausgeschüttet. Die Ausschüttung von Melatonin wird also zentralnervös hauptsächlich vom SCN gesteuert.
Die Melatoninausschüttung wird durch den Lichteinfall in das Auge über den Tag hinweg natürlich gehemmt und kommt erst wieder mit zunehmender Dunkelheit in den Abendstunden
zur Aktivierung. Mit seinem raschen Anstieg ist es schlafeinleitend und aufrechterhaltend. Um dieses natürliche Phänomen nutzen zu können, sollten Schlafphasen möglichst im Dunkeln stattfnden (Kryger et al. 2014).
Zusätzlich zur Synchronisation der zirkadianen Rhythmik kann Melatonin den Schlaf einleiten (Lewy et al. 1989). Pharmakologische Studien mit der oralen Gabe von Melatonin zur Schlafnitiierung zeigten jedoch wenig Wirksamkeit bei der Behandlung von Schlafstörungen (Macchi und Bruce 2004). Da tagsüber die natürliche Melatoninausschüttung im Tageslicht eher gering ist, war die Gabe kleiner Dosen ausreichend, um müde zu machen. Abends beziehungsweise nachts steigt jedoch auch der natürliche Melationinspiegel exponentiell an. Um dann noch potente Effekte zu erzielen, wurden sehr hohe Melatonindosen benötigt, um überhaupt eine Wirksamkeit zu erkennen. Bei älteren Menschen ist die natürliche Melatoninproduktion manchmal träge, weshalb dann eine zusätzliche orale Gabe von Melatoninpräparaten den Schlaf verbessern konnte.
Neben den biologischen Grundlagen spielen vor allem auch gesellschaftliche Normen und Anforderungen eine entscheidende Rolle bei der Rhythmisierung der Tagesstruktur. Seit es gutes künstliches Licht gibt, ist man nicht mehr auf Tageslicht angewiesen, um aktiv zu sein. Das verschiebt bei vielen Menschen den Schlaf-WachRhythmus nachhaltig und nachteilig.
Interessanterweise synchronisieren sich verschiedene Hormone, die Körpertemperatur und der Schlaf-Wach-Rhythmus in einem ungefähren 24-Stunden-Intervall. Dies erfolgt auch ohne äußere Taktgeber wie Helligkeit/Dunkelheit, Tageszeit u. a. (Cajochen 2009). Daran wird die starke genetische Verankerung des 24-StundenRhythmus deutlich.
Alle Zeitinformationen werden zu den Schlaf-Wach-Zentren des Gehirns weitergeleitet und dort durch eine komplexe Integration verschiedener endogener, aber auch sozialer und umweltbedingter Informationen zum SchlafWach-Rhythmus zusammengefasst (Reid und Zee 2009).
Exkurs: die Farbe des Lichtes Es ist allgemein bekannt, dass der Mensch auf verschiedene visuelle, auditive oder olfaktorische Reize mit Emotionen und auch vegetativen Effekten reagiert. Licht hat nicht nur einen Einfuss auf die Steuerung des Biorhythmus, auch die Farbe des Lichts kann physiologische und psychische Prozesse, wie die Stimmung, maßgeblich beeinfussen (Rosenthal Jr et al. 1990). Zur Behandlung von Depressionen wird diese Erkenntnis bereits genutzt.
Aufgrund intensiver Forschung ist nun auch für den Schlaf bekannt, welch großen Einfuss die verschiedenen Spektren von Licht auf den Biorhythmus haben, und die Lichttherapie wird zunehmend zur Behandlung von Schlafstörungen genutzt. Die Empfndlichkeit der retinalen photosensitiven Ganglienzellen verändert sich in Abhängigkeit von der Wellenlänge des Lichts. Je nach Tageszeit hat die natürliche Sonneneinstrahlung verschiedene Lichtfarben. Wenn die Sonne zur Mittagszeit am höchsten steht, überlagern sich die Wellenlängen so, dass uns das Licht farblos, also weiß erscheint. Dies ist die Zeit unserer größten Leistungsfähigkeit, an Müdigkeit oder Schlaf ist dann nicht zu denken. Für den Ausgleich der Farbspektren zu weißem Licht sind intensive Blau-Wellenlängen notwendig, die heutzutage auch in vielen Displays (Handy, Tablet, Rechner etc.) verwendet werden.
Trifft am Ende des Tages ein Blaulichtanteil auf unsere Retina, bekommt der Körper das Signal: „Es ist Mittagszeit, wir sind am leistungsfähigsten, in den nächsten Stunden wird nicht geschlafen.“
Daher schadet späte Bildschirmtätigkeit unseren Schlaf so maßgeblich (z.B. Thapan et al. 2001).
In Abschn. 3.4.6 wird genau darauf eingegangen, wie die Beschaffenheit des Lichtes therapeutisch genutzt werden kann.
1.2.4 Temperaturverlauf und Wärmeregulation
Der zirkadiane Rhythmus und damit auch der Schlaf werden grundlegend vom Verlauf der Sonne gesteuert. Damit gibt es nicht nur Schwankungen in der Helligkeit sowie der Farbe des Lichtes, sondern auch in der Umgebungstemperatur. Die Tagestemperatur verändert sich im Verlauf der 24 Stunden im Mittel um ca. 12 °C im Sommer und ca. 5 °C im Winter in den gemäßigten Klimazonen. Andernorts können die Schwankungen mehr als 40 °C betragen. Die evolutionäre Antwort auf diese tageszeitlichen Differenzen unseres Körpers war eine Anpassung der Körperkerntemperatur mit ca. 1 °C Schwan-
kungsbreite. Sie erreicht ihr Maximum abends vor dem Zu-Bett-Gehen und sinkt während der Nacht wieder ab. Am frühen Morgen ist sie dann am niedrigsten.
Die Schwankung unserer Körpertemperatur erklärt, weshalb viele Menschen nachts frieren oder sie früher als es ihre biologischen Uhr vorgibt, aufstehen müssen.
c Mit dem Sinken der Körpertemperatur kommt auch die Schläfrigkeit.
Dieser Temperaturtiefpunkt startet dann den ersten Schlafzyklus, sodass wir zügig in den NonREM- und schließlich in den REM-Schlaf fnden. Während des REM-Schafes ist es für den Menschen kaum möglich, die Körpertemperatur zu regulieren. Daher kann es zu nächtlichen Schweißausbrüchen oder Frier-Phasen kommen. Im Non-REM-Schlaf hingegen geschieht dies wie im Wachzustand. Für einen gesunden und erholsamen Schlaf ist es wichtig und notwendig, dass unser Körper diese Variabilität der Körper- und Umgebungstemperatur durchlaufen kann. Heizung und Klimaanlagen erschweren diese natürliche Regulation.
Die physiologische Veränderung der Körpertemperatur über einen 24-Stunden-Zyklus wurde sehr intensiv beforscht. Im Verlauf eines Tages folgt die Körpertemperatur einer sinusähnlichen Kurve, die ihren Tiefpunkt um 2:00 Uhr nachts und ihr Maximum am Nachmittag erreicht (Zulley 1976). Im Tierexperiment wurde gezeigt, dass dauerhafter Schlafentzug zu einer Stoffwechselentgleisung führt, die über eine Dysregulation der Körpertemperatur bei Ratten tödlich endet (Everson 1995). Beim Menschen zeigte Schlafentzug über 5–10 Tage keine nachhaltigen psychischen oder physischen Schäden. Es folgte eine starke Müdigkeit, die es unmöglich machte, die Probanden über mehrere Minuten wach zu halten, sie schliefen unmittelbar wieder ein (Vaitl 2012). Es ist nicht bekannt, dass Menschen an dauerhaftem Schlafentzug gestorben wären, da es einen zentralen Schutzmechanismus gibt, durch den der Mensch vorher einschläft.
1.2.5
Die Chronobiologie
Aus dem individuellen Verlauf des Biorhythmus eines Menschen ergibt sich sein Chronotyp. Der Chronotyp wird von der inneren Uhr und damit verbundenen Hormonen, Leistungs-, Ruhe- und Erschöpfungsphasen, Körpertemperatur, sowie Schlaf- und Wachphasen bestimmt. Je nach Tageszeit verlaufen die zirkadianen Rhythmen in individuell verschiedenen Ausprägungen.
c Die verschiedenen Chronotypen sind zu unterschiedlichen Zeiten wach oder schläfrig, leistungsfähig oder im Leistungstief.
Die entsprechenden Aufwach- und Zu-BettGeh-Zeiten sowie der Tagesverlauf sollten sich am jeweiligen Chronotypen des Menschen ausrichten, um Wohlbefnden und längerfristige Gesundheit aufrecht zu erhalten. Das Zentrum für Chronobiologie der Ludwig-MaximiliansUniversität München hat hierzu bahnbrechende Forschungsarbeit geleistet. Mit einer Stichprobe von über 150.000 Probanden konnten insgesamt sieben wesentliche Chronotypen voneinander unterschieden werden (Roenneberg et al. 2019), wie in Tab. 1.1 dargestellt.
Dabei wird ersichtlich, dass lediglich ca. 30 % der Bevölkerung die typischen Bürozeiten von
9 bis 17 Uhr entsprechend ihres Chronotypen mit einer optimalen und gesunden Leistungsfähigkeit bewältigen kann. Frühere Typen sollten daher zeitiger und spätere Typen entsprechend später beginnen dürfen. Freie Arbeitszeiten und Gleitzeit kommt den Angestellten und auch den Arbeitgebern zugute, da die Gesamtleistungsfähigkeit so deutlich höher ist, weniger Krankmeldungen auftreten und die Menschen mehr Freude an ihrer Arbeit haben.
c Egal, ob Eule oder Lerche – die Produktivität dieser Personen ist gleich.
Pausenzeiten
Es ist wichtig entsprechend seines Chronotypen und des zirkadianen Hormonverlaufes Pausenzeiten einzurichten. Nach ca. 4–5 Stunden Leistungsfähigkeit muss ein Zeitfenster für Erholung geschaffen werden. Das bedeutet nicht, dass in diesen Erholungszeiten unbedingt die Füße hochgelegt werden müssen. Wichtig ist es hier andere Tätigkeiten zu verrichten als die eigentliche Arbeit. Menschen mit körperlich passiven Schreibtischtätigkeiten sollten diese Zeit nutzen, um sich mehr zu bewegen. Dies kann auch im Rahmen der Arbeitsaufgaben körperliche aktivere Tätigkeiten beinhalten, wie Post holen oder wegbringen, abheften oder schlicht im Stehen arbeiten. Auch die
Tab. 1.1 Chronotypen und deren Eigenschaften (alle Zeiten sind Zirka-Angaben und können individuell variieren)
Chronotyp Schlafenszeiten Leistungshoch* Pause* Happy Hour*
extremer Frühtyp ca. 1 % der Bevölkerung
moderater Frühtyp ca. 15 % der Bevölkerung
leichter Frühtyp ca. 20 % der Bevölkerung
21 bis 5 Uhr 6 bis 11 Uhr; 13 bis 15 Uhr 11 bis 13 Uhr 16 bis 18 Uhr
22 bis 6 Uhr 7 bis 12 Uhr; 14 bis 16 Uhr 12 bis 14 Uhr 17 bis 19 Uhr
23 bis 7 Uhr 8 bis 13 Uhr; 15 bis 17 Uhr 13 bis 15 Uhr 18 bis 20 Uhr
Normaltyp ca. 30 % der Bevölkerung 0 bis 8 Uhr 9 bis 14 Uhr; 16 bis 18 Uhr 14 bis 16 Uhr 19 bis 21 Uhr
leichter Spättyp ca. 25 % der Bevölkerung 1 bis 9 Uhr 10 bis 15 Uhr, 17 bis 19 Uhr 15 bis 17 Uhr 20 bis 22 Uhr
moderater Spättyp ca. 8 % der Bevölkerung
extremer Spättyp ca. 1 % der Bevölkerung
2 bis 10 Uhr 11 bis 16 Uhr; 18 bis 20 Uhr 16 bis 18 Uhr 21 bis 23 Uhr
4/5 bis 12/13 Uhr 13 bis 17 Uhr; 19 bis 21 Uhr 17 bis 19 Uhr 22 bis 0 Uhr
*Diese Zeiten sind Erfahrungswerte
Mittagspause sollte entsprechend aktiv gestaltet werden, beispielsweise mit einem Spaziergang nach dem Essen. Wesentlich ist vor allem, dass in dieser Zeit möglichst lange der eigentliche Arbeitsplatz verlassen wird. Für Menschen, die einer körperlich aktiven Arbeit nachgehen, wie Gerüstbauer, Reinigungs- und Hausmeisterdienste, Gärtner etc., gilt das Gegenteil. Sie sollten in den Ruhephasen tatsächlich auch körperlich ausruhen. Auch dies kann Arbeitsaufgaben beinhalten, wie Rechnungen schreiben, Wareneinkauf oder Buchhaltung.
c Pause ist alles das, was anders ist als Arbeit.
Exkurs: Sozialer Jetlag
Anhand der Daten des Zentrums für Chronobiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München konnte bewertet werden, wie sich die Schlafdauer und der Schlafzeitraum in den verschiedenen Jahreszeiten sowie über die Lebensspanne verändern.
Die Studienergebnisse zeigen, dass mehr als 60 % der arbeitenden Bevölkerung einen sogenannten „sozialen Jetlag“ erleben (Roenneberg et al. 2012).
Sie wechseln zwischen Werktagen und am Wochenende, beziehungsweise an freien Tagen in verschiedene „Zeitzonen“.
Die Arbeitstage und -nächte werden vom Wecker bestimmt, die freien Tage von der inneren Uhr. So kann es passieren, dass die Betroffenen an Arbeitstagen mehr als zwei Stunden weniger schlafen als am Wochenende. Hier gilt es zu bedenken, dass der Schlaf nur im geringen Maße „vorgezogen“ oder „nachgeholt“ werden kann. Der „soziale Jetlag“ ist eine häufge Ursache für Schlafstörungen.
1.2.6 Der ultradiane Rhythmus
Der ultradiane Prozess entsteht aus komplexen hormonellen Interaktionen, die REM-, NonREMSchlaf und Wachheit steuern, Müdigkeit aufbauen und schließlich Schlaf einleiten, indem Hormonausschüttungen aktiviert oder gehemmt werden. So ist die dopaminerge, serotonerge und adrenerge Aktivität während des Wachseins hoch, nimmt über den NonREM-Schlaf ab und wird während des REM-Schlafs fast vollständig unterdrückt. Dagegen zeigt sich beim Wachsein und im REM-Schlaf immer eine hohe cholinerge Aktivität. Für viele dieser Hormone werden Regelkreise angenommen, welche die regelmäßige
1 Gesunder Schlaf
Ausschüttung unabhängig vom zirkadianen System steuern (Bourguignon und Storch 2017).
Ausschließlich ultradian ist der Schlaf-WachRhythmus bei Neugeborenen. In den ersten Wochen bis Monaten nach der Geburt laufen für Neugeborene mehrere Schlaf-Wach-Zyklen über den Tag ab. Der zirkadiane Rhythmus mit nur einer Schlaf- und Wachphase am Tag entwickelt sich erst später (Rivkees 2003). Während die Schlaf-Wach-Phasen in den zirkadianen Rhythmus wechseln, geht der ultradiane Rhythmus aber nicht verloren, sondern beide integrieren sich harmonisch. So wechseln sich leistungsstarke und aktivere Phasen ca. alle 3–4 Stunden mit weniger energetischen und gegebenenfalls passiveren Phasen ab. Es überlagern sich also kurze Phasen von „Aktivitätsschüben“ mit den längeren Phasen des Wach- und Schlafzustandes.
c Im Alltag lässt sich der ultradiane 4-StundenRhythmus auch in der Verteilung von Mahlzeiten beobachten.
Das zirkadiane System ist an die „innere Uhr“ gekoppelt und wird zusammen mit vielen anderen Prozessen über den Biorhythmus synchronisiert. Somit reagiert es eher träge auf Veränderungen. Wenn wir unseren Biorhythmus neu synchronisieren wollen oder müssen, z.B. beim Antritt einer neuen Arbeit, die deutlich früher beginnt, beim Schuleintritt von Kindern nach der Kindergartenzeit etc., bedarf es daher wochenlanger konsequenter Einhaltung der neuen Zeiten.
Der Schlafdruck und das ultradiane System sind dagegen abhängig von täglichen Besonderheiten im Leben und variieren je nach Schlafenszeit, Aktivität oder auch Einnahme von Koffein oder Mahlzeiten. Entscheidend für einen gesunden und erholsamen Schlaf ist die Synchronisation von Schlafdruck und Biorhythmus. Deshalb ist es vor allem für Schlafgestörte so wichtig, gleichmäßige Schlafenszeiten einzuhalten und auch den Tagesablauf darauf abzustimmen.
Der Wechsel von REM- und NonREM-Phasen folgt ebenfalls einer wiederkehrenden Rhythmik. Da der Wechsel dieser Phasen deutlich schneller als der zirkadiane Rhythmus verläuft, wird er als ultradian bezeichnet (Borbély und Achermann 1999).
1.3 Wie schlafen wir?
1.3.1
Die Physiologie des Schlafes
Schlafarchitektur
Der gesunde Schlaf unterliegt einer intakten Schlafarchitektur und verläuft in vier Schlafstadien (AASM, American Academy of Sleep Medicine 2005): drei Non-Rapid-Eye-Movement(NREM, ohne schnelle Augenbewegungen) und eine Rapid-Eye-Movement-Phase (REM, mit schnellen Augenbewegungen). Rechtschaffen und Kales (1968) schlugen ursprünglich eine 5-stufge Einteilung vor, nach der neben dem REM-Schlaf vier NREM-Phasen unterschieden wurden. Aufgrund der großen Ähnlichkeit und der schwierigen Abgrenzbarkeit der Phasen 3 und 4 im Hypnogramm (Schlafprofl) wurden diese schließlich zu N3, dem Tiefschlaf, auch ShortWave-Sleep (SWS), zusammengefasst. Abb. 1.2 zeigt eine schematische Darstellung der Schlafarchitektur einer gesunden Nacht, in Fachkreisen Hypnogramm genannt. Auf der x-Achse ist der Zeitverlauf abgetragen und auf der Y-Achse absteigend die Schlaftiefe. Die gelbe Linie stellt den Schlafverlauf dar, die hellgrau abgesetzten Balken die REM-Schlaf-Anteile.
Ein Schlafzyklus setzt sich aus NREM- und REM-Schlaf zusammen, dauert beim Erwachse-
nen zwischen 80 und 110 Minuten und wird von einem gesunden Schläfer 4- bis 7-mal pro Nacht durchlaufen. Jeder Schlafzyklus beginnt mit leichtem Schlaf (N1). Sehr zügig darauf folgt der robustere Schlaf (N2) und der Tiefschlaf (N3). Der REM-Schlaf schließt einen Schlafzyklus ab. Das bedeutet: Immer am Ende eines Schlafzyklus, nach ca. 90 Minuten, ist der Schlaf eher oberfächlich und leicht. Personen mit Durchschlafstörungen berichten dann, zwischen den Schlafzyklen (nach 1,5 Stunden, 3 Stunden oder 4,5 Stunden) belastende Wachphasen zu erleben. Gute Schläfer kommen nach einem Schlafzyklus schnell wieder in einen tieferen Schlaf. In der ersten Nachthälfte kommt es vermehrt zu Tiefschlaf. Es kommt jedoch nicht in jedem Zyklus zum Tiefschlaf. In den Morgenstunden ist der Schlaf insgesamt leichter und fragmentierter, es ist also „normal“ öfter aufzuwachen, sofern man schnell wieder einschläft.
Die Hirnaktivität während des Schlafens
Abb. 1.3 zeigt die verschiedenen Hirnströme (Wellen des Elektroenzephalogramms; EEG-Wellen) der verschiedenen Schlafstadien sowie verschiedene Schlafphänomene.
Um gut schlafen zu können, sollte ein aufmerksamer Wachzustand in einen entspannten
Abb. 1.2 Schematische Darstellung eines Hypnogramms (der Schlafarchitektur) einer natürlichen Nacht
(aufmerksam)
1 Gesunder Schlaf
(Augen geschlossen, entspannt)
Alpha-Wellen: 8-13Hz
Theta-Wellen: 4-7Hz
Beta-Wellen: 13-20Hz
Delta-Wellen: 0-4Hz
Abb. 1.3 Die Hirnwellen (EEG) während der verschiedenen Schlafstadien (mit freundlicher Genehmigung der Fa. Daizu GmbH, Berlin)
Wachzustand übergehen. Dieser geht mit AlphaAktivität dem Schlafstadium N1 voraus. Die in der Abbildung ersichtlichen Vertexzacken zeigen auf psychophysiologischer Ebene den Einschlafzeitpunkt.
Im robusteren Schlaf N2 wird die Hirnaktivität langsamwelliger, das bedeutet, dass die einzelnen Hirnzellen zunehmend im Gleichklang miteinander arbeiten. Die dargestellten K-Komplexe zeigen im Wachzustand die Wahrnehmung und Verarbeitung äußerer Reize. Im Zusammenhang mit
dem Schlaf geht man davon aus, dass sie Weckreaktionen (Arousals) einleiten. Sie gehen häufg mit Schlafspindeln einher. Die Funktion der Schlafspindeln konnte bislang nicht erschöpfend herausgefunden werden. Es wurden jedoch Zusammenhänge zur frühkindlichen Hirnentwicklung, Gedächtnisprozessen und dem Ausblenden vor allem akustischer Reize gefunden.
Im Tiefschlafstadium N3 fndet der langsamwellige Delta-Schlaf statt. Er zeigt, dass nun alle Hirnareale im Gleichklang miteinander kommu-
Tab. 1.2 Charakteristika der Schlafstadien bei Erwachsenen nach AASM (2005)
Stadium EEG
Wach Dominierende Alpha- und Beta-Aktivität
EOG
Lidschläge, rasche Augenbewegungen, vereinzelt schon langsame, z. T. rollende Augenbewegungen am Übergang zu N1
N1 Theta-Aktivität, (Vertex-Zacken) Langsame, z. T. rollende Augenbewegungen
N2 Theta-Aktivität, K-Komplexe, Schlafspindeln
N3 Delta-Wellen < 2 Hz (slow waves): > 20 %
REM Theta-Aktivität (auch langsame Alpha-Aktivität), Sägezahnwellen
Keine Augenbewegungen, EEGArtefakte, vereinzelt noch langsame, z. T. rollende Augenbewegungen beim Übergang aus N1
Keine Augenbewegungen, EEGArtefakte
EMG
Hoher Muskeltonus, Bewegungsartefakte
Abnahme des Muskeltonus (< W)
Abnahme des Muskeltonus (< N1)
Abnahme des Muskeltonus (< N2)
Konjugierte, rasche Augenbewegungen, REM Niedrigster mittlerer Tonus (≤ N3), z. T. phasische Aktivierung
nizieren. Deltaaktivität fndet sich beim gesunden Menschen nur während des Tiefschlafes sowie bei sehr Geübten der tiefen Meditation. Die typischen Charakteristika der einzelnen Schlafstadien sind in Tab. 1.2 dargestellt. Beim Übergang von Schlafphase N1 zu N2 und zu N3 nehmen der Muskeltonus, der Herzschlag, der Puls, die Körpertemperatur sowie die Empfänglichkeit für äußere Reize immer mehr ab.
c Aus einer Tiefschlafphase, die insgesamt ca. 25 % der Gesamtschlafzeit ausmachen, ist man nur mit Schmerzreiz erweckbar.
In der ersten Nachthälfte fndet vorwiegend der Tiefschlaf statt, in der zweiten Nachthälfte eher die Phasen leichteren Schlafes. Das bedeutet nicht, dass die erste Nachthälfte die wichtigere ist, denn auch im leichteren Schlaf fnden viele wichtige Prozesse zur Aufrechterhaltung der Homöostase statt.
Das Schlafstadium N1 wird als Übergang vom Wachen zum Schlafen beschrieben, das Stadium N2 als stabiler Schlaf und das Stadium N3 als Tiefschlaf (Stuck et al. 2018). Beim Einschlafen durchwandert der gesunde Schläfer die Phasen NREM 1–2 sehr zügig. Diese Phasen nehmen insgesamt bis zu 60 % der Gesamtschlafdauer ein. Anschließend verbringt der gesunde Schläfer im ersten Schlafzyklus je nach Schlafbedürfnis bis zu einer Stunde im Tiefschlaf. Nach diesem
ersten Schlafzyklus lockert sich die Schlaftiefe bis zum Stadium N2, N1 und dem REM-Schlaf. Die Schlafzeit bis dahin wird auch als REMSchlaf-Latenz bezeichnet und ist ein polysomnographischer Parameter zur Klassifkation und Diagnostik von Schlafstörungen (Shrivastava et al. 2014). Der REM-Schlaf kann bei einem gesunden Erwachsenen bis zu 25 % der Gesamtschlafdauer betragen (Stuck et al. 2018). Zwischen den Zyklen mit leichterem Schlaf ist es möglich, dass die Schläfer erwachen. Auch der Wachzustand ist Teil des Hypnogramms und kann bei einem gesunden Schläfer bis zu 5 % der Gesamtschlafzeit einnehmen. Ist diese Aufwachzeit kürzer als 3 Minuten, können sich die Schläfer am nächsten Morgen nicht daran erinnern.
c Es ist also völlig „normal“, nachts zu erwachen und schnell wieder einzuschlafen.
Anschließend fällt der Schläfer wieder in einen tieferen Schlaf. Dieser Zyklus wird in einer Nacht ca. 2- bis 4-mal durchlaufen.
Der REM-Schlaf hat die Wissenschaft viele Jahrzehnte besonders fasziniert. Die genauen Funktionen des REM-Schlafs sind bis heute nicht bekannt. Er wird häufg mit dem Traumschlaf gleichgesetzt, da in diesen Phasen vornehmlich geträumt wird. In neueren Studien wurden jedoch auch Träume von Schläfern berichtet, die keinen REM-Schlaf hatten (Siclari et al. 2013). Er scheint eine wichtige Rolle bei der Gedächt-
nisbildung, Emotionsregulation und Problemlösefähigkeiten zu spielen. Zudem wird der REMSchlaf sehr empfndlich durch die Einnahme von Medikamenten beeinfusst (Shrivastava et al. 2014).
1.4 Die Funktionen des Schlafes
Die Schlafforschung gleicht in einem wesentlichen Punkt der Tiefseeforschung: Es gibt mehr Aspekte, die wir noch nicht kennen, als uns bekannt sind. Als gesichert gilt, dass der Schlaf eine Vielzahl von Funktionen im Organismus hat, die bislang noch nicht annähernd erschöpfend untersucht worden sind. Horne (1988) und auch Koella (1988) fassten seinerzeit den Forschungsstand zusammen, indem sie als einzige nachgewiesene Funktion des Schlafes den sogenannten Entmüdungseffekt sehen. Pollmächer und Lauer (1992) unterstützten diese These mit der Aussage: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann nicht eine einzige der möglichen Funktionen experimentell klar belegt werden.“ Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Hypothesen aufgestellt und theoretisch untermauert. Gerade in den letzten 20 Jahren wurden bahnbrechende und faszinierende Erkenntnisse gewonnen. Für den Behandlungsalltag reicht es jedoch, unsere Patienten nach einer oder mehreren „schlechten Nächten“ zu befragen, welche Symptome und Defzite sie spüren. Anhand der resultierenden Tagessymptomatik von Schlafstörungen können wir ableiten, wie viel der Schlaf zur Erhaltung unserer Leistungsfähigkeit und unserer Gesundheit beiträgt. Im Folgenden fnden Sie einen Einblick in die wesentlichen Funktionen des Schlafes, die vor allem für Ihre Therapie nützlich sind.
1.4.1 Regeneration
Lange Zeit glaubte man, Schlaf diene einzig und allein der Erholung der Organe, da augenscheinlich alle Körperfunktionen reduziert werden: Herzschlag, Puls, Blutdruck, Atmung, Körpertemperatur etc. Mit der Verbesserung der Unter-
1 Gesunder Schlaf
suchungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers nahm auch die Forschung auf diesem Gebiet stark zu. Heute wissen wir, dass der Schlaf weit mehr Funktionen hat. Eine grundlegende und bekannte Eigenschaft des Schlafes ist der Abbau des Schlafdruckes, um am folgenden Tag wieder aktiv und sowohl körperlich als auch kognitiv leistungsfähig zu sein (Borbély 1982).
Nach intensiver körperlicher Aktivität nimmt die Dauer des Tiefschlafes (short wave sleep, SWS), der üblicherweise vermehrt in der ersten Nachthälfte stattfndet, deutlich zu (Baekeland und Lasky 1966). Damit ist die körperliche Regeneration die erste Funktion, die auch nach längerer Schlafdeprivation mit höchster Priorität ausgeführt wird. Während des Tiefschlafes wird um ein Vielfaches verstärkt unser Wachstumshormon Somatotrophin (growth hormon, GH) aus der Hypophyse ausgeschüttet (Adamson et al. 1974). Bei Kindern und Jugendlichen sind diese Schlafphasen für Wachstum und körperliche und geistige Entwicklung besonders wichtig. Doch auch Erwachsene benötigen Somatotrophin (GH), für die Regeneration und Erhaltung der Vitalität von Körperstrukturen. Dabei folgt GH der zirkadianen Periodik, es verändert seine Konzentration folglich im 24-Stunden-Zyklus. Da Cortisol (unser Stress- bzw. Leistungshormon) im Tiefschlaf nicht oder nur in geringer Konzentration ausgeschüttet wird und Cortisol die Ausschüttung von GH hemmt, ist folglich Tiefschlaf zur gesunderhaltenden Regeneration zwingend notwendig. GH ist zudem maßgeblich an der Konsolodierung des deklarativen Gedächtnisses beteiligt (Van Cauter und Copinschi 2000).
Interessanterweise war GH das erste Hormon, das in direkten Zusammenhang zum Schlaf gebracht werden konnte (Takahashi et al. 1968; Sassin et al. 1969).
Das periphere Nervensystem des Menschen toleriert Schlafdeprivation erstaunlich gut und regeneriert sich oft nach einer, maximal zwei erholsamen Nächten. Im Zentralnervensystem (ZNS) hingegen äußert sich zu wenig Schlaf mit deutlichen neurokognitiven Defziten und emotionaler Instabilität bis hin zu psychotischen Symptomen (Koella 1988).
Exkurs: Rebound-Efekt
Diesbezüglich paradox und besonders interessant ist, dass in der ersten Nacht nach der Schlafdeprivation vor allem Tiefschlaf zu Lasten von REM-Schlaf „nachgefordert“ wird. Erst in der zweiten Nacht – nach intensiver Schlafdeprivation – fnden vermehrt REM-Schlaf-Phasen statt. Dies wird als „Rebound-Effekt“ bezeichnet und könnte auch als ein „Nachholen von Schlaf“ gesehen werden. Insgesamt werden ca. drei Viertel des Tiefschlafs „nachgeholt“, jedoch nur ca. ein Drittel der REM-SchlafZeit.
Diese Rebound-Effekte fnden demnach in zwei Phasen statt:
– dem Kernschlaf, der vornehmlich der Erhaltung und Regeneration grundlegender Strukturen dient und absolut essenziell für das Überleben ist, und – dem adaptiven Schlaf, der es dem Organismus ermöglicht, sich fortwährend auf seine Umwelt und darin stattfndende Ereignisse anzupassen (Horne 1988).
Zudem zeichnet sich eine hohe Korrelation zwischen Wachzeit und anschließender Tiefschlafdauer ab. Die REM-Schlaf-Zeit orientiert sich eher an der zirkadianen Periodik (Dijk und Czeisler 1995).
Zur basalen Erholung des Körpers ist Ausruhen im Wachzustand ausreichend. Es ist jedoch zu beachten, dass wache, sich ausruhende Versuchspersonen etwa ein Drittel mehr Energie benötigen als schlafende (Van Cauter und Copinschi 2000; Jung et al. 2011). Im Schlaf wird demzufolge auch Energie eingespart. Forscher der Harvard Medical School entdeckten im Tierversuch, dass während der Tiefschlafphasen der Energieträger Adenosintriphosphat (ATP) im Gehirn akkumuliert wird (Jung et al. 2011). Dabei wurde klar, dass tagsüber besonders beanspruchte Hirnregionen nach dem Einschlafen mit ATP gefutet werden (Dworak et al. 2010). Wurden die Ratten jedoch am Schlafen gehindert, kam es nicht zu einer erhöhten ATP-Konzentration.
Fazit: Zur schlichten Erholung des Körpers ist Ausruhen im Wachzustand ausreichend. Wenn der Schlafdruck jedoch extrem hoch ist, reicht dies nicht mehr aus: Bevor der menschliche Organismus versagt, also der Mensch stirbt, erzwingt der Körper den Schlaf. Das heißt, wir sterben ganz sicher nicht am Nicht-Schlafen. Gefährlich ist eine Übermüdung dennoch, beispielsweise der Sekundenschlaf am Steuer.
Körper und Psyche holen sich genau die Art von Schlaf, die sie benötigen, um die Regeration so optimal wie möglich zu gestalten. Dabei gleicht unser Körper zunächst das aus, was am Tage zuvor abverlangt wurde: Haben wir uns körperlich stark verausgabt, fordert der Körper mehr
Tiefschlaf. Die Verarbeitung emotionaler Herausforderungen fndet vornehmlich im Leichtund REM-Schlaf statt. Um sich also einmal so richtig auszuschlafen, beispielsweise im Urlaub, sollte man sich vorher ausreichend mit körperlicher und geistiger Aktivität auslasten.
1.4.2 Die synaptische Homöostase „Aufräumen und Platz für Neues schafen“
Die synaptische Homöostase ist aus meiner Sicht eine Glanzleistung der Natur und die faszinierendste Funktion des Schlafes. Während des Tiefschlafes sind wir Menschen komplett bewusstlos und verlieren völlig die Fähigkeit, auf externe Reize zu reagieren. Nur Schmerzstimuli (haptisch oder akustisch) können diesen Zustand willentlich beenden. Es muss folglich eine sehr wichtige Funktion geben, die dieses Überlebensrisiko jede Nacht rechtfertigt.
c Unbestritten ist eine der wichtigsten Funktionen des Schlafes, das Gleichgewicht der Nervenzellen im Zentralnervensystem wiederherzustellen. Nur so ist es möglich, die Plastizität des Gehirns zu erhalten und entsprechende neurokognitive Funktionen auszuführen.
Tagsüber strömen unzählige Reize auf einen Menschen ein, die bewusst oder unbewusst aufgenommen werden. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass unser Bewusstsein „nur“ 40 Bits (ca. 4–5 Einzelreize) pro Sekunde aufnimmt. Unser Unbewusstes hingegen registriert 11 Millionen Bits, also ca. 1,1 Millionen Einzelreize pro Sekunde (von Kopp 2015). Auch die unbewussten Reize bilden Nervenbahnen und Gedächtnisknoten. So entstehen unzählige Nervenverbindungen, die unnötig sind und unsere kognitive Verarbeitungskapazität hemmen. Aus den tagsüber aufgenommenen Informationen wird schließlich das Gedächtnis gebildet, auch redundante Informationen (oft akustisch: Straßenlärm; oder optisch: fahrende Verkehrsmittel) werden dann gespeichert.
Tononi und Cirelli stellten 2005 im Experiment mit Ratten erstmals fest, dass während des
Tiefschlafs das sogenannte „synaptic downscaling“ (Abbau von synaptischer Aktivität) stattfndet. Während der Wachphase strömen unzählige Stimuli auf den Organismus und somit auch auf das ZNS ein. Durch Langzeitpotenzierung entstehen so neue synaptische Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Fände die Erregung dieser Neuronen fortwährend statt, würden unaufhaltsam neue Verbindungen geknüpft. Während des Tiefschlafs wird diese Aktivität durch die Gleichschaltung mehrerer neuronaler Gruppen mit im EEG (Messung elektrischer Aktivität im Gehirn) sichtbaren langwelligen Potenzialen (Delta-Wellen) unterbrochen. Die Verbindungsstärke zwischen den Synapsen nimmt ab, und es werden nur noch die starken Verbindungen erhalten. Dies ist notwendig zur Selektion zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen, zum Schutz vor Überlastung des ZNS und zur Herstellung der nötigen Plastizität für neue synaptische Aktivität (Cirelli und Tononi 2021).
Fazit: Die meisten Sinneseindrücke nehmen wir tagsüber eher unbewusst auf. Da unser Gehirn jedoch alle Informationen verarbeitet, ist es nötig, unwichtige von wichtigen zu unterscheiden. Zur Erhaltung der Verarbeitungskapazität und Plastizität muss folglich bestimmt werden, welche Informationen zur Speicherung im Gedächtnis vorbereitet werden und was vergessen werden darf. Die Bewusstlosigkeit während des Tiefschlafes ist daher essenziell für die Plastizität des Gehirns.
1.4.3
Die Gedächtnisbildung
Die Gedächtnisbildung, vor allem die Bildung des Langzeitgedächtnisses fndet zum größten Teil während des Schlafes statt. Der grundlegende Mechanismus ist auch für diese Funktion das „Ausschalten“ der Wahrnehmung von externen Reizen während des Tiefschlafes. Dieser Prozess der kognitiven Verarbeitung ist eine weitere Erklärung, weshalb es beim Schlafen zum kompletten Verlust des Bewusstseins kommt (Marshall und Born 2007). Da das Gehirn zur Verarbeitung externer Stimuli und zur Bildung eines Langzeitgedächtnisses dieselben neuronalen Netzwerke
Grundsätzlich werden das deklarative und das prozedurale Gedächtnis unterschieden. Das deklarative Gedächtnis verfügt über Faktenwissen, wie z.B. Jahreszahlen, Vokabeln, die bewusst „gelernt“ wurden. Die Konsolidierung deklarativer Gedächtnisinhalte beruht auf Rückkopplungen zwischen dem Hippocampus und dem Neokortex. Der Hippocampus ist der Zwischenspeicher unseres Gehirns und somit die Schaltstelle zwischen dem Kurz- und dem Langzeitgedächtnis. Dort können über die gesamte Lebensspanne hinweg fortwährend neue Nervenzellen gebildet werden, was essenziell für die Gedächtnisprozesse ist. Durch sehr komplexe innere Schaltkreise werden die neuen Neuronen in die bestehenden Strukturen des Hippocampus eingebaut. Man geht davon aus, dass die zu speichernden Informationen zunächst im hippocampalen Netzwerk kreisen (Winocur et al. 2010). Dabei werden alte Gedächtnisinhalte im Hippocampus reaktiviert. Somit wird eine Verlagerung beziehungsweise Repräsentation der Informationen zum Neokortex stimuliert. So können weitere Verknüpfungen gebildet und das Gedächtnis aufgebaut und gefestigt werden. Dabei synchronisiert die langsamwellige Hirnaktivität des Tiefschlafes Hippocampus und Neokortex. So werden im ersten Nachtviertel mit großen Tiefschlafanteilen zunächst entsprechende synaptische Verbindungen markiert, die im letzten Nachtviertel im REM-Schlaf gefestigt werden (Born et al. 2006). Der Schlaf kann zum effektiveren Lernen, bei1 Gesunder
nutzt, ist die Kapazität beschränkt. Durch den zirkadianen Rhythmus kann das Gehirn tagsüber Sinneseindrücke verarbeiten und entsprechende neuronale Verknüpfungen herstellen (Walker und Strickgold 2004). Nachts werden merkenswerte und wichtig erscheinende Informationen über Reaktivierung und Rückkopplung in das Langzeitgedächtnis überführt. Im Tiefschlaf wird die Ausschüttung von Leistungs- und Stresshormonen, wie Cortisol, Adrenalin, Noradrenalin, zum Teil völlig unterdrückt. Dieser Mechanismus ist sehr wichtig für die Gedächtnisbildung. Ohne diese Hemmung ist die Langzeitspeicherung und Elaborierung neuer Informationen beeinträchtigt. Somit ist Schlaf essenziell für die Gedächtnisbildung (Marshall und Born 2007).
spielsweise in der Prüfungsvorbereitung, gezielt eigesetzt werden. Schläft der Lernende zeitnah nach dem Durchlesen, Durcharbeiten etc., also der Enkodierung, erfolgt die Festigung der zuvor wahrgenommenen Inhalte effektiver als ohne Schlaf (Gais et al. 2006). Auch Tageschlafphasen ohne Tiefschlafanteile sind hilfreich.
c Der Konsum von Alkohol stört diesen Mechanismus schwerwiegend, da Alkohol als Zellgift den Tiefschlaf hemmt. Es ist daher nicht ratsam, sich am Ende eines intensiven Lern- oder Weiterbildungstages mit einem alkoholischen Getränk zum Abschalten und zur Entspannung zu verhelfen.
Das bedeutet: Sowohl Tief- als auch REMSchlaf sind für die Gedächtnisbildung notwendig. Zugleich erklärt dieser Mechanismus, weshalb zum Teil massive Gedächtnisdefzite ein wesentlicher Bestandteil aller Schlafstörungen sind. Es ist an dieser Stelle gut zu wissen, dass dieser Gedächtnismechanismus bereits in der nächsten guten Nacht wiederhergestellt ist. Die bis dahin entstandenen Gedächtnisdefzite können jedoch nicht wiederhergestellt werden. Das prozedurale Gedächtnis nimmt vor allem Sinneseindrücke auf und speichert Bewegungsabläufe, wie z.B. Fahrrad fahren. Diese Informationen beinhalten sehr viele unbewusste Anteile. Während man lange annahm, dass im Tiefschlaf das deklarative und im REM-Schlaf das prozedurale Gedächtnis aufgebaut werden, weiß man heute, dass auch Sinneseindrücke und Bewegungsabläufe zunächst im Tiefschlaf aktiviert und elaboriert werden, um dann im REM-Schlaf prozedural weiterverarbeitet zu werden. Diese Prozesse spiegeln sich nicht selten in zum Teil bizarren Träumen, in denen die zu speichernden Bewegungsabläufe in kortikalen Probehandlungen manifestiert werden. Doch das ist nicht alles: Brand et al. (2010) konnten in einem Experiment zeigen, dass Probanden, die vor dem Schlafen die Ausführung verschiedener neurokognitiver Tests (z. B. Turm von Hanoi) geübt hatten, am nächsten Tag bei ähnlichen und komplizierten Aufgaben besser abschnitten als Probanden ohne vorheriges Training. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass im REM-Schlaf Assoziationen bereits
gespeicherter Informationen aktiviert werden und somit eine Elaboration mit vielfältigen neuronalen Verknüpfungen neuer Gedächtnisinhalte stattfndet (Strickgold und Walker 2007). Das bedeutet, dass auch sehr lange zurückliegende Erfahrungen, Problemlöseprozesse, Erlebnisse und Gefühle mit dieser Reaktivierung zugänglich gemacht werden können. Aktuelle Problemlöseund Verarbeitungsprozesse werden dabei einbezogen. Zusätzlich fördert der REM-Schlaf die Fähigkeit zu Metakognitionen, also zum Nachdenken über sich selbst und eigene Denkprozesse sowie Introspektionen. Eine nach innen gerichtete Wahrnehmung der eigenen Gedanken und Gefühle wird so erst ermöglicht (Wagner et al. 2004). Allein diese Prozesse lassen durch logisches und komplexes Schlussfolgern den Erwerb von implizitem Wissen zu (Fischer et al. 2006).
Dies erklärt möglicherweise, weshalb der Abruf bestimmter Gedächtnisinhalte leichterfällt als der anderer. Die Erinnerung an prozedurale, nichtdeklarative Gedächtnisinhalte erfordert grundlegend weniger Verarbeitungskapazität und ist meist auch nach Schlafdeprivation möglich. Auch nach einer schlechten Nacht gelingt es uns, Fahrrad oder Ski zu fahren und vor allem die Kaffeemaschine zu bedienen. Der Abruf von Fakten hingegen erfordert Konzentration, die nach schlechten Nächten zwar eigeschränkt, jedoch punktuell vorhanden ist.
Fazit: Die Gedächtnisbildung und somit auch das Lernen geschehen eher nachts. Der Mensch kann sämtliche Fakten besser speichern, wenn er einen ausreichenden Schlaf sowohl vor als auch nach der Lernphase hatte. Auch der Abruf der Gedächtnisinhalte funktioniert besser nach einer guten Nacht. Hierzu ist es nicht zwangsläufg nötig, Fakten gezielt auswendig zu lernen. Ein entspanntes Durchlesen der Dinge, also einem Priming, bringt einen enormen Zugewinn für die Gedächtnisleistung.
1.4.4 Emotionsregulation
Die Beziehung zwischen Schlaf, Emotionen und Sozialverhalten sind sehr komplex. Bis heute sind die zugrundeliegenden Mechanismen nicht
vollständig bekannt (Beattie et al. 2015). Sicher ist jedoch, dass der REM-Schlaf gemeinsam mit der nichtdeklarativen Gedächtnisbildung eine entscheidende Rolle für die Bildung des emotionalen Gedächtnisses spielt (Walker und Van der Helm 2009). Die spontanen Primärbewertungen der Erlebnisse des Tages werden im Schlaf intensiver abgeglichen und neu bewertet.
Im Hippocampus, dem Zwischenspeicher unseres Gehirns, werden die Erlebnisse des Tages in Rücklaufschleifen mit bereits verarbeiteten emotionalen Erfahrungen im Gedächtnis abgeglichen. Entgegen der lange vertretenen Annahme, dass ausschließlich Träume die Funktion der Emotionsverarbeitung haben, weiß man heute, dass die Gefühlsregulation zunächst in den Tiefschlafphasen stattfndet. Dieser sogenannte „Replay“ ist zu großen Teilen unbewusst, wird also zunächst nicht im Traumgeschehen des REM-Schlafes widergespiegelt. Anschließend werden die unbewusst und bewusst aktivierten Informationen im REM-Schlaf der zweiten Nachthälfte und vermutlich auch in den Träumen miteinander verknüpft (Wagner et al. 2001). Auf diese Weise werden die tagesaktuellen Situationen mit bereits bewältigten Emotionen in Verbindung gebracht. Der Mensch proftiert an dieser Stelle von früheren Erfahrungen, die in ähnlichen Situationen gefühlt wurden beziehungsweise wie anschließend weiter verfahren wurde.
Daher erhält der weit verbreitete großmütterliche Rat: „Schlaf einmal darüber. Morgen sieht die Welt schon anders aus“ seine Bedeutung. Natürlich verändert sich über Nacht nicht die Welt. Der Schlaf verändert jedoch die Bewertung der emotionalen Geschehnisse, weshalb viele Situationen bei „Tageslicht betrachtet“ weniger belastend oder gefährlich sind als am Tag zuvor.
Durch die Reaktivierung von Kurz- und Langzeitgedächtnis im Hippocampus wird nur der Kern der emotionalen Erlebnisse transferiert, das Wesentliche wurde zur Weiterverarbeitung bereits herausgefltert. Die Informationen werden auf dem Weg in die hippocampalen Strukturen und wieder heraus mit tagesaktuellen Themen angereichert. Auf diese Weise verändern sich die Gedächtnisinhalte und können so emotional neu bewertet gespeichert werden.
1 Gesunder Schlaf
Der Hippocampus ist zugleich eine Schaltstelle zu und zwischen den Strukturen des limbischen Systems. Dem limbischen System werden neben emotionsregulativen Prozessen auch eine Beteiligung an der Antriebssteuerung, vegetativer Regulation (insbesondere der Hormonachsen des Sympathikus), der Nahrungsaufnahme, der Verdauung, der Libido und vielem mehr zugesprochen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die verschiedenen Schlafstörungen enge Komorbiditäten mit Depressionen, Stressreaktion, Burnout und Anpassungsstörungen, Angst-, Ess- und Stoffwechselstörungen aufweisen.
Minkel et al. (2011) konnten in einer Studie zeigen, dass Schlafdeprivierte bei emotionalen Filmszenen deutlich weniger emotionale Gesichtsausdrücke zeigten als Personen, die geschlafen hatten. Noch größere Unterschiede wurden bei lustigen Filmen gefunden (Cooper et al. 2008). Zudem haben Schlafdeprivierte Schwierigkeiten, bestimmten Gesichtsausdrücken die richtige Emotion zuzuschreiben (Franzen et al. 2008).
Neuroimaging-Studien fanden bei Personen, die über eine schlechte Schlafqualität berichteten, eine pathologische Aktivierung der Amygdala, wie sie u. a. auch bei Depressionen und Angststörungen zu fnden ist (Prather et al. 2013). Chuah et al. (2010) wiesen bei schlafdeprivierten Personen eine deutlich höhere Konnektivität zwischen dem präfrontalen Kortex und der Amygdala nach. Minkel et al. (2012) führten Magnetresonanztomographie- Untersuchungen (MRT) zur Emotionsregulation durch und baten die Probanden nach Darbietung bestimmter aufwühlender Stimuli, ihre Emotionen wieder „in den Griff zu bekommen“. Bei Personen, die nicht gut geschlafen hatten, zeigte sich während dieses Prozesses wieder eine deutliche psychopathologische Aktivierung der Amygdala. Auch Verhaltenshemmung ist für schlafdeprivierte Personen schwieriger. Daher sind typische Symptome Stimmungslabilität mit ausgeprägter Weinerlichkeit, euphorische Phasen oder häufge Gereiztheit. Zudem sinkt die emotionale Intelligenz, emotionale Reaktionen sind insgesamt weniger ausgeprägt, und damit werden auch soziale Interaktionen komplizierter (Beattie et al. 2015).
Emotionen spielen eine wichtige Rolle beim Gedächtnisabruf. So können sich depressive Menschen leichter an schmerzhafte Dinge erinnern und haben eine entsprechend negative Sicht in die Zukunft. Das Gleiche gilt für manische oder ängstliche Personen, da das Gedächtnis und die Zukunftssicht emotionskongruent sind.
Fazit: Eine gute Schlafqualität ist essenziell für eine gesunde Psyche. Daher treten Schlafstörungen in den meisten Fällen komorbid mit psychischen Störungen auf.
1.4.5 Immunregulation
Ein sehr wichtiger Effekt von Schlaf ist der Aufbau und die Erhaltung des Immunsystems (Bryant et al. 2004). Dabei reguliert der Schlaf Hormone, die das Immunsystem beeinfussen. Die Ausschüttung von Cortisol, Noradrenalin und Adrenalin wird im Schlaf gehemmt, die Ausschüttung von Wachstumshormonen und Prolaktin hingegen gefördert (Lange und Born 2011).
Anders als in der Peripherie des Körpers verfügt das ZNS nicht über ein Lymphdrainagesystem, mit dem Schadstoffe abtransportiert werden können. Daher ist es sehr interessant zu wissen, dass sich während des Schlafs die zelluläre Struktur des Gehirns verändert, indem sich die Neuronen zusammenziehen und so Lücken zwischen den Zellen entstehen, wie Wissenschaftler in Versuchen mit Mäusen entdeckten. In diese Zwischenräume kann nachts Liquor einströmen und Abfallstoffe ausschwemmen (Xie et al. 2013). Die Liquor-Abfussrate ist nachts doppelt so hoch wie tagsüber. Unter anderem werden Prionen und Plaques, die bei der Entwicklung von Demenzen und der Alzheimer-Erkrankung eine große Rolle spielen, vermehrt abtransportiert. Das heißt, dass ausreichender Schlaf protektiv gegen das Auftreten schwerer neurodegenerativer Erkrankungen wirken kann (Iliff et al. 2013). Dieser Prozess wird u.a. durch eine Blockade von Noradrenalin gesteuert.
Während des Schlafes nimmt die Zahl der Leukozyten und Lymphozyten zu. Wenn eine
Infektion vorliegt, kann die Anzahl der Zellen während des Nachtschlafes zusätzlich um ein Vielfaches erhöht werden. Das Schlafbedürfnis von akut leicht Erkrankten (z. B. Infektion mit Grippeviren, Rhinitis, Pharyngitis) steigt im hohen Maß an. Während des Schlafs werden vermehrt Interleukine und andere Botenstoffe freigesetzt, die zum einen den Schlaf anstoßen und gleichzeitig die Infektion bekämpfen. Daher stammt auch der Begriff „sich gesund schlafen“. Zudem stärkt der Schlaf das „Gedächtnis“ von Immunreaktionen, sodass Viren und Bakterien zukünftig schneller erkannt und somit gezielter eliminiert werden können. Dies stützend, wurde in einer Studie zum Immunaufbau nach einer Hepatitis-A-Impfung gefunden, dass sich bei Personen, die nach der Impfung einen normalen Nachtschlaf hielten, deutlich mehr Antikörper bildeten als bei Probanden, die ca. 36 Stunden wach bleiben sollten (Efe 2012). Daher sollten Menschen nach einer Impfung keinen Alkohol trinken und möglichst ausreichend Schlaf einräumen, dann fndet die bestmögliche Antikörperbildung statt. Irwin et al. fanden 1999 heraus, dass Schlafmangel zu einer verminderten Aktivität der Lymphozyten führt. Sie haben die Funktion, Krankheitserreger im Organismus zu erkennen und zu beseitigen. Bereits nach drei Stunden Schlafmangel ist die Funktion dieser T-Helfer-Zellen und damit des gesamten Immunsystems beeinträchtigt. Es wurde zudem festgestellt, dass Schlafentzug die Cortisolkonzentration im Blut erhöht und im Gegenzug das Milzgewicht abnimmt. Die Milz ist grundlegend der Ort für die Bildung, Reifung und Speicherung von Lymphozyten. Somit sinkt die Gesamtzahl der Lymphozyten ebenfalls. Nach ausreichendem Erholungsschlaf wuchs die Lymphozytenzahl wieder (Zager et al. 2007). Weiterhin erfassen und eliminieren Lymphozyten mutierte Zellen, aus denen gegebenenfalls Tumore entstehen können. Daher ist das Krebsrisiko bei Patienten, die unter Schlafstörungen leiden, Menschen, die zu wenig schlafen, und vor allem bei Personen, die im Schichtdienst arbeiten, zum Teil deutlich erhöht. So nahm die WHO die Nachtarbeit als wesentlichen Risikofaktor für die Entstehung von Krebs auf.
c Bei kurzzeitiger Schlafdeprivation nimmt das Immunsystem noch keinen nachhaltigen Schaden und wenige gute Nächte regenerieren es schnell. Bei längerem Schlafmangel hingegen kann es Monate dauern, bis das Immunsystem wieder aufgebaut ist.
Der Schlaf fördert die Wundheilung. Vor allem im Tiefschlaf werden vermehrt Wachstumshormone ausgeschüttet. Diese sind an der Zellerneuerung und dem Zellaustausch, also dem Wiederaufbau von Gewebe, beteiligt. Es wurde beispielsweise beobachtet, dass tiefgreifende Verletzungen von Bären nach dem Winterschlaf deutlich besser verheilen als während der sommerlichen Aktivzeit. Auch bei Ratten wurde festgestellt, dass Brandwunden deutlich besser heilen, wenn die Nager schlafen durften, als bei Schlafentzug (Gumustekin et al. 2004).
Gezielte Studien zu verschiedenen Krankheitsbildern zeigten eine hohe Korrelation zwischen gestörtem Schlaf beziehungsweise dauerhaft verkürzter Schlafdauer und somatischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus (Rafaelsen et al. 2010), Adipositas und Hypertonie (Gangwisch et al. 2006), Herzinsuffzienz (Ayas et al. 2003) sowie frühzeitigem Auftreten von Demenzen (Spira et al. 2014). Weitere Untersuchungen beschreiben sogenannte Endotoxin-Effekte während des Schlafens (Haak et al. 2001). Endotoxine werden von bestimmten Bakterien abgegeben oder bei ihrem Zerfall freigesetzt und können im menschlichen Körper Entzündungen und Fieber hervorrufen. Sie verursachen zunächst einen leichteren, kurzwelligen Schlaf. Nach der Immunantwort des Körpers auf die Endotoxine tritt vermehrt Tiefschlaf auf, um diese gezielt abzuwehren.
Fazit: Der Schlaf ist auch maßgeblich an der Gesunderhaltung unseres Körpers beteiligt.
1.4.6 Stofwechsel
Auch für den Stoffwechsel ist der Wechsel zwischen Wachen und Schlafen und damit die Anpassung an die zirkadiane Periodik essenziell für die Gesundheit, Leistungsfähigkeit und
1 Gesunder Schlaf
Resilienz. Durch das Umschalten sämtlicher physiologischer und neurologischer Prozesse werden alle Zellen nachts auf die am Tage bevorstehenden Aufgaben vorbereitet. Dabei werden verschiedene Gene aktiviert und deaktiviert, Darmzellen werden auf die verschiedenen Verdauungsfunktionen eingestellt, die Endverdauung fndet sogar vornehmlich nachts statt, die Zellen der Hormondrüsen werden regeneriert, und das ZNS wird durch die Synchronisation der Neurotransmitter auf einen leistungsfähigen Wachzustand vorbereitet. Für diese Vorgänge benötigt der Organismus Energie. Daher ist es nicht verwunderlich, dass wir im Schlafzustand nur ca. 30 % weniger Energie benötigen als im Wachzustand.
Bei einer zu kurzen Schlafdauer steigt auch das Risiko, an einer Stoffwechselerkrankung, wie Übergewicht, Adipositas oder Diabetes, zu erkranken, um ein Vielfaches. Daran ist zu großen Teilen das Blutzucker-regulierende Hormon Insulin beteiligt. Neue Forschungsarbeiten konnten einen zirkadianen Verlauf der Insulinsekretion nachweisen, da es neben der Regulation des Blutzuckerspiegels zur Energiegewinnung auch als Taktgeber zur Synchronisation der inneren Uhr fungieren kann (Okubo et al. 2014). Durch unregelmäßige Mahlzeiten und vor allem nächtliches Essen in der Schichtarbeit und im Jetlag kann der zirkadiane Rhythmus aus dem Takt gebracht werden. Umgekehrt kann man eine regelmäßige Nahrungsaufnahme gut zur Stabilisierung der inneren Uhr sowie zur Therapie von nichtorganischen Schlafstörungen nutzen.
Eine nächtliche Unterzuckerung oder starke Varianzen im Blutzuckerspiegel haben einen großen Einfuss auf die Schlafqualität. Wenn der Körper nachts unterzuckert ist, startet er eine Stress-Aufweck-Reaktion, um dem Menschen eine Nahrungsaufnahme zu ermöglichen. Dieser Prozess wird umgekehrt auch bei einem chronisch erhöhten Muskeltonus und damit einhergehenden Durchschlafstörungen in Gang gesetzt. Die nächtlichen Arousals und Aufwachprozesse, die auch durch externe Weckreize wie Lärm, Schlafunterbrechungen durch Kinder oder Bettpartner verursacht werden, setzen den Körper unter enormen Stress. Jede Weckreaktion
verursacht eine Adrenalinausschüttung im Nervensystem. Diese ruft wiederum eine Anhebung des Blutzuckerspiegels hervor. Evolutionär war dieser Vorgang überlebensnotwendig, da unsere Urahnen bei nächtlichen Risiken schnell akute Stressreaktionen aufbauen mussten. Aufgrund des chronischen Stresses unserer Bevölkerung führt dieser Teufelskreis jedoch zu schweren Erkrankungen.
Bereits eine kurzzeitig zu geringe Schlafdauer kann verursachen, dass die Zellen aufgrund des Insulinmangels nicht mehr ausreichend Zucker aus dem Blut aufnehmen können (Rao et al. 2015). Schlafen Menschen dauerhaft weniger als fünf Stunden pro Nacht, ist eine Insulinresistenz eine mögliche Folge und führt zu einer Diabetes Typ 2.
c Diabetes-Patienten sollten daher verstärkt auf einen ausreichenden und erholsamen Schlaf achten, da sie so weniger Insulin benötigen und stabiler in ihrem Krankheitsmanagement sind.
Gesunde Menschen haben gegenüber Schlafgestörten eine erhöhte Stoffwechselrate (Bonnet und Arand 2003). Daher tritt bei Personen mit Schlafstörungen deutlich mehr Übergewicht auf als bei Gesunden (Knutson und Van Cauter 2008). Personen, die durchschnittlich fünf Stunden schlafen, haben ein 50 % höheres Risiko, übergewichtig zu sein, verglichen mit Personen, die zwischen sieben und neun Stunden schlafen. Ausschlaggebend ist jedoch nicht die effektive Schlafzeit der Patienten, sondern der Zeitpunkt, zu dem die Betroffenen zu Bett gehen: Personen, die sehr spät zu Bett gehen, sind deutlich häufger übergewichtig als Personen, die früher zu Bett gehen (Markwald et al. 2013).
Der Schlaf übernimmt jedoch nicht die komplette hormonelle Steuerung des Energiestoffwechsels, sondern beeinfusst vielmehr das Hunger- beziehungsweise Sättigungsgefühl. Schlafstörungen bringen die Synthese und Ausschüttung der Hormone Ghrelin und Orexin aus dem Gleichgewicht. Ghrelin ist ein Akronym für Growth Hormone Release Inducing, also verantwortlich für die Einleitung der Ausschüttung des Wachstumshormons, was vorrangig im
Tiefschlaf stattfndet. Zudem ist es Teil der Regulation der Nahrungsaufnahme. Bei Hunger und Schlafmangel steigt die Ghrelinkonzentration im Blut an, nach der Nahrungsaufnahme gleicht sie sich wieder an (Yildiz et al. 2004).
Das Hormon Orexin stabilisiert zum einen den Wachzustand und stimuliert zum anderen das Hungergefühl, ist also appetitsteigernd. Daher kommt es bei einem zu späten Abendessen oder nächtlichem Snack zu einem Teufelskreis aus Wachheit und gesteigerter Nahrungsaufnahme. So entsteht die enge Verbindung zwischen Schlafstörungen und Übergewicht sowie deren Folgen.
Weiterhin erhöht Orexin die Körpertemperatur, fördert die Wachsam- und Aufmerksamkeit. Orexinhemmer hingegen stabilisieren den Schlaf und es entstehen damit weniger Wachphasen während der Nacht. Ein Orexinhemmer ist mit seiner schlafstabilisierenden Wirkung folglich auch appetitregulierend. Daher sind Orexinhemmer aktueller Gegenstand vieler Forschungsbemühungen als Einsatz zur medikamentösen Therapie bei Schlafstörungen.
Dieses sehr komplexes Hormonsystem steuert auch die Verdauung und den Schlaf. Die Verdauung arbeitet nachts ebenfalls auf Hochtouren.
Grundsätzlich kann man den Verdauungsvorgang in drei sich überlappende Phasen einteilen:
– Die kephalische Phase beginnt bereits bei der Wahrnehmung des Duftes sowie dem Anblick und dem Schmecken der Nahrung. Der gesamte Verdauungstrakt wird auf die kommende Nahrung vorbereitet. Essen wir also unachtsam, zu schnell und „das Falsche“, kann dieser Prozess nicht reibungslos ablaufen.
– Danach folgt die gastrische Phase, die Zerkleinerung und Durchmischung der Speise im Magen.
– Schließlich folgt die intestinale Phase, in der die Nahrung im Dünndarm aufgespalten wird. Nun erfolgen die zelluläre Aufnahme der Nährstoffe, die Verteilung im Körper sowie der Abtransport nichtverdaulicher und „Gefahren-Stoffe“. Diese Phase ist bereits Teil der Endverdauung, die 18 Stunden und länger andauern kann.
Hierfür benötigt der Körper Ruhe und keine Überforderung durch übermäßigen Stress oder die Aufnahme neuer Nahrung. Im Schlaf kann die Endverdauung ungestört ablaufen. Daher sollten vor dem Nachtschlaf ca. 4 Stunden vergehen, um diesen Vorgang nicht zu stören. Zum Ende der Verdauung und möglichst am Ende der Nacht sammelt sich der verbleibende Speisebrei im Dickdarm, wo nur noch Wasser entzogen wird. Eine gute Verdauung erkennt man unter anderem daran, dass ein regelmäßiger Toilettengang morgens, entweder gleich nach dem Aufstehen, der Morgengymnastik oder dem Frühstück stattfndet.
Fazit: Der Stoffwechsel im Körper und der Schlaf beeinfussen sich gegenseitig. Daher sollte man für einen erholsamen Schlaf bestimmte Grundsätze der Nahrungsaufnahme beachten. Für einen geregelteren Stoffwechsel ist im Umkehrschluss ausreichend erholsamer Schlaf notwendig.
1.4.7 Kalibration
Zieht man ein Fazit aus allen beschriebenen Funktionen, kann man sagen, dass der Schlaf grundlegend der Kalibration des menschlichen Körpers dient. Sie integriert alle Funktionen des Schlafes. Der gesunde, ausreichende Schlaf soll alle Vorgänge im Körper (Stoffwechsel, Verarbeitung von physikalischen und chemischen Reizen) für einen reibungslosen Ablauf synchronisieren. Während der Wachphasen werden sehr unterschiedliche Anforderungen an den Körper gestellt, je nachdem, wie aktiv oder passiv das Individuum ist, welche und wie viel Nahrung es zu sich nimmt etc. Das bedeutet, dass das Herz-Kreislauf-System sowie die hormonellen, neuronalen und gastrointestinalen Systeme in unterschiedlichen Geschwindigkeiten mit unterschiedlicher Intensität arbeiten. Dies stört das Gleichgewicht des Körpers und wird durch einen ausgewogenen und rhythmischen Nachtschlaf wieder balanciert (Dijk und Lockley 2002) und unterstützt die grundlegende HomöostaseTheorie.
1 Gesunder Schlaf
1.4.8 Die Funktion der Träume
Der Traum wird defniert als „die Erinnerung an psychische Aktivität während des Schlafes“ (Stuck et al. 2018). Dabei wird das inhaltliche Traumgeschehen ganzheitlich mit Sinneswahrnehmungen, Kognitionen und Emotionen erlebt. Bis zum heutigen Tage ist die Funktion der Träume nicht grundlegend geklärt. In der Wissenschaft wird diesbezüglich hypothetisch von den Abläufen und Funktionen im Traumgeschehen gesprochen. Nach wie vor ist die methodische Grundlage der Traumforschung der Haupthinderungsgrund, Antworten auf viele Fragen zu fnden. Man kann Träume nicht messen oder von außen sichtbar machen. Die Forscher sind stets auf die Traumerinnerungen der Probanden angewiesen.
c Aus heutiger Sicht der Wissenschaft gilt als bestätigt, dass alle Menschen träumen. Traumphasen können in allen Non-REM- und auch in der REM-Phase auftreten. Sicher ist jedoch, dass alle Menschen im REM-Schlaf träumen.
Eine der nicht geklärten Fragen lautet: Weshalb erinnern sich manche Menschen an ihre Träume und andere nicht? Genau dieser Aspekt steht derzeit im Fokus der Traumforschung. Bald gibt es also Antworten.
Insgesamt haben Traumstudien ein ausgewogenes Verhältnis zwischen positivem und negativem Traumerleben gefunden. Sofern die Personen nicht von Geburt an blind sind, beinhalten Träume stets visuelle Bilder. Die auditiven Eindrücke konzentrieren sich eher auf Sprache, seltener wird von Geräuschen geträumt. Die Körperwahrnehmung zeigt eher kinästhetische, also Bewegungsempfndungen, jedoch selten Schmerz, Hitze, Kälte etc. Geschmack, Geruch und Berührungen werden selten geträumt.
Wie weiter oben beschrieben, werden beim Träumen Gedächtnishalte konsolidiert und elaboriert. Vor allem die Festigung motorischer Abläufe wird dem Traum zugeschrieben. Auch die Emotionsregulation fndet in Teilen während des
Träumens statt. Evolutionär vermutet man, dass die überlebensnotwendige Angst in Verbindung mit verschiedenen am Tag erlebten Situationen im Traum gefestigt wurde. Probanden, die am REM-Schlaf gehindert wurden, reagierten stimmungslabiler, gereizter und ihr Sozialverhalten war weniger empathisch (Dement et al. 1966), als wenn sie träumen durften.
Exkurs: Die „Mastery-Hypothese“
Diese Hypothese zum Traumgeschehen geht davon aus, dass Träume die unbewussten Versuche sind, Lösungen für Probleme zu fnden. In Träumen refektieren die Menschen ihre Aufgaben, Probleme und Sorgen. Dabei tauchen vor allem Themen auf, die nicht durch bewusstes Denken gelöst werden können (Gazzillo et al. 2020). Zudem wird gesagt, dass im Traum kreativer mit Problemen umgegangen wird. Das Periodensystem der Elemente soll Dimitri Mendelejew nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit schließlich im Traum erschienen sein.
Im Gegensatz dazu wird vermutet, dass wir den Traum benötigen, um unnötige Informationen zu vergessen. Träume entstehen durch die willkürliche Aktivierung des Neokortex (Großhirnrinde). Somit werden auch unwichtige Informationen aktiviert und können „gelöscht“ werden. Crick und Mitchison berichteten 1983 in der äußerst renommierten Zeitschrift Nature, dass es im REM-Schlaf zu einem „umgekehrten Lernmechanismus“ kommt. Im Schlaf aktivierte, unbewusste Gedächtnisinhalte werden im Traum eher geschwächt als verstärkt.
Fazit: Zusammenfassend kann man sagen, dass Träume an allen Funktionen des Schlafes beteiligt sind.
1.5 Hormone, die den Schlaf bestimmen
1.5.1 Adenosin
Adenosin reichert sich über den gesamten Zeitraum des Wach-Seins an und erzeugt den Schlafdruck. Es hat insgesamt eine ermüdende Wirkung, weshalb es auch als „somnogene“ oder „hypnogene“ Substanz bezeichnet wird. Während des Schlafens wird es langsam über die Schlafzeit hinweg abgebaut. Es unterdrückt im Zentralnervensystem verschiedene aktivierende Arousal-Prozesse und leitet den Non-REMSchlaf ein. In der ersten Nachthälfte wird es nur mäßig abgebaut, um den Schlaf zu stabilisieren.
Nach nur 3–4 Stunden Nachtschlaf spürt man noch immer deutliche Müdigkeit. In der zweiten Nachthälfte fndet dann der verstärkte Abbau statt, weshalb man sich nach 5–6 Stunden Schlaf zunächst nicht mehr müde fühlt und sich das Schlafdefzit erst während des Tages zeigt (Stuck et al. 2018). Das Zusammenspiel von zirkadianem Rhythmus und wachheitsfördernden Hormonen sorgt dafür, dass die Müdigkeit von Adenosin über den Tag gehemmt und erst vor dem Einschlafen erlebt wird. Menschen mit Schlafstörungen spüren diese Müdigkeit jedoch auch in leistungsschwachen Tagesphasen, da der Nachtschlaf nicht ausreicht, um den Schlafdruck, also das Adenosin, ausreichend abzubauen.
Ein beliebtes Mittel, um über den Tag wach und aufnahmefähig zu bleiben, ist für viele Menschen Kaffee, schwarzer oder grüner Tee.
c Das Koffein der Getränke (bei Tee auch Teein genannt) blockiert die Adenosin-Rezeptoren, wodurch die müdigkeitserzeugende Wahrnehmung zeitweise gehemmt wird. Auch im Kakao (dunkle Schokolade) ist Koffein enthalten.
1.5.2 Melatonin
Melatonin ist in der Bevölkerung als unser Schlafhormon bekannt. Im engeren Sinne ist das nicht richtig, da Melatonin ein schlafvorbereitendes Hormon ist. Steigt die Melatonin-Konzentration stark an, wirkt es ermüdend, schlafeinleitend und -aufrechterhaltend. Melatonin wird größtenteils in der Zirbeldrüse produziert, die sich im Gehirn direkt über dem Sehnerv befndet. Informationen über Helligkeit und Dunkelheit leitet der Sehnerv direkt an die Zirbeldrüse weiter. Bei Helligkeit wird die Melatoninproduktion unterdrückt (Czeisler et al. 1986). Das gesamte Nervensystem bekommt daher beim Ausbleiben des Melatonins die Information, dass es hell ist, somit Wachzeit, und die Zellen sowie Drüsen schütten aktivierende Neurotransmitter und Hormone aus. Mit Einbruch der Dunkelheit erhält die Zirbeldrüse das Signal, dass nun die Nacht beginnt, und leitet die Ausschüttung von Melatonin ein. Dieses wird in den Blutkreislauf ausge-
schüttet und kann so im gesamten Körper signalisieren, dass nun die Nacht eintritt und von den aktivierenden Leistungsprozessen des Tages auf die regenerierenden Schlafprozesse umgeschaltet werden muss. Über den Kreislauf verbreitet sich Melatonin im gesamten Körper und löst komplexe Reaktionen aus, welche beruhigen, ermüden und das Einschlafen fördern.
So regelt Melatonin am Abend beispielsweise die Körpertemperatur herunter, die am frühen Morgen ihre Minimaltemperatur erreicht (Cagnacci et al. 1997). Die Schilddrüse schaltet die dopaminerge Aktivität aus und das Immunsystem wird angeregt. Am Morgen, mit Einbruch der Helligkeit, sinkt der Melatonin-Spiegel wieder.
Starkes künstliches Licht am Abend kann die Melatoninproduktion ebenfalls hemmen. Aus diesem Grund ist es essenziell, lange Bildschirmzeiten und helle Lichtexposition vor dem Zu-Bett-Gehen zu vermeiden (Rheinberg und Ashkenazi 2008). Auf der anderen Seite können längere Dunkelheit im Tagesverlauf, beispielsweise im Winter, und langzeitige Aufenthalte in mäßig ausgeleuchteten Räumen ebenso die Melatonin-Produktion anregen und ungewollte Müdigkeit und Trägheit hervorrufen. Eine gute Option für so entstehende, saisonal bedingte Depressionen und leichtere Schlafstörungen ist dann die Lichttherapie (Rosenthal et al. 1990).
Der Rohstoff für die Melatoninproduktion ist Tryptophan. Viele Lebensmittel enthalten diese essenzielle Aminosäure. So kommt Tryptophan zum Beispiel in Nüssen, Hülsenfrüchten, Fisch und Getreidefocken vor. Verschiedene Mine-
Abb. 1.4 Cortisolverlauf eines gesunden Erwachsenen des leichten Früh- und Normaltypes
Cor tisolspiegel
ralien, Fette und Vitamine sind ebenfalls an der Umwandlung von Tryptophan in Melatonin beteiligt. Daher ist eine schlaffördernde Ernährung ein wichtiger Teil der Therapie einer Schlafstörung.
1.5.3
Cortisol
Cortisol wird im Volksmund als unser „Stresshormon“ bezeichnet. Tatsächlich ist es jedoch das Hormon, das uns überhaupt leistungsfähig macht. Es hat eine aktivierende und leistungssteigernde Wirkung. Es wird vermehrt in Stress-Situationen ausgeschüttet, und bei chronischem Stress kann dies zu schweren Krankheiten führen. Auch bei der Schlaf-Wach-Regulation hat Cortisol wichtige Funktionen. Die Cortisol-Ausschüttung unterliegt der zirkadianen Periodik, also einem regelmäßigen 24-Stunden-Rhythmus. In Abb. 1.4 ist der natürliche Cortisolverlauf eines gesunden Erwachsenen der häufgsten Chronotypen (leichter Früh- und Normaltyp) dargestellt.
Es ist ersichtlich, dass morgens sowie am frühen Nachmittag eine hohe Ausschüttung stattfndet. In diesen Zeitspannen steigern sich Aktivität und Leistungsfähigkeit. Auf der anderen Seite sorgt Cortisol auch für das bekannte „Mittagstief“. Grund dafür ist ein kurzzeitiges Absinken des Cortisol-Spiegels, wodurch die Leistungsfähigkeit einbricht und die Müdigkeit, durch das angereicherte Adenosin hervorgerufen, spürbar wird. Allgemein fällt ein gesunder Cortisolspiegel zum Abend hin ab und erreicht
Tageszeit