Peter Bruckner Preis für produzierende Gestalter*innen 2022

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Für produzierende Gestalter*innen 2022 PREISBRUCKNERPETER

Für produzierende Gestalter*innen 2022 PREISBRUCKNERPETER

Medieninhaber/Verlag New Design 3100MariazellerPrivatuniversitätUniversityGesmbHStraße97aSt.Pölten,Österreich Herausgeber Stefan Moritsch Grafische Gestaltung Isabella KatharinaFürstPartik Lektorat Übersetzungsbüro Andrea Kraus, Graz Urheberrecht Das Urheberrecht der Texte liegt bei den Autor*innen. Alle Rechte vorbehalten. © 2022 New Design University Privatuniversität GesmbH ISBN 978-3-9505032-4-1 Ermöglicht durch Impressum Mit freundlicher Unterstützung der D.E.S.I.G.N. Foundation

Seite 6 Vorwort Stefan Moritsch Seite 10 Auf der Suche nach dem Stil, zur Hebung des Geschmacks. Rainald Franz Seite 26Handwerk und/oder Design –eine Standortbestimmung Stefan Moritsch und Julia Pintsuk-Christof Seite 50Preisträger*innen Seite 78 Nachtrag Gerhard Pirkner Inhaltsverzeichnis

6 VORWORT Hans Stefan Moritsch

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Hintergrund Ziel der Ausschreibung des Peter Bruckner Preises für produzierende Gestalter*innen 2022 war es, sowohl in Osttirol/Lienz einen Impuls für aktuelle Entwicklungen im Kontext Design und Handwerk zu setzen als auch mit einer jungen Generation und anhand konkreter Produkte und Prozesse das Potential der Verbindung von Entwurf und Produktion am Beginn des 21. Jahrhunderts zu diskutieren.

Die sieben Jahrzehnte umfassende Berufstätigkeit des Schlosser meisters Peter Bruckner (geb. 1935) in Lienz ist gekennzeichnet durch die Verbindung von Entwurf und Produktion auf höchstem handwerklichem und gestalterischem Niveau. Peter Bruckner steht exemplarisch für jene Gruppe von Produzierenden Gestalter*innen des 20. Jahrhunderts die Entwurf und Umsetzung, technisches, unternehmerisches und gestalterisches Wissen ganzheitlich verbinden Produzierendekonnten.Gestalter*innen des 21. Jahrhunderts bewegen sich zwischen handwerklich-ausführendem, Facharbeiter*innenund kreativ-entwerfendem Designmilieu. In diesem Zwischenbereich entwickeln sich durch sich verändernde sozioökonomische und technologische Rahmenbedingungen neue berufliche Identitäten, zu deren Entwicklung der Studiengang „Design, Handwerk und materielle Kultur / Manual & Material Culture“ der New Design University in St. Pölten einen Beitrag leisten möchte. Gesucht waren Prototypen von Produkten, die zum überwiegenden Teil aus Metall (vorzugsweise Stahl) gefertigt werden können. Teilnahmeberechtigt bei der erstmaligen Auslobung waren ausschließlich Studierende und Absolvent*innen des Studiengangs „Design, Handwerk & materielle Kultur.“

Am 22. Juli 2022 fand in der Werkstatt von Peter Bruckner in Tristach die feierliche Abschlussveranstaltung und die Präsentation der prämierten Projekte statt.

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Besonderer Dank gilt dabei den Sponsoren HELLA Sonnenund Wetterschutztechnik GmbH und der D.E.S.I.G.N Foundation, die diese Initiative finanziell ermöglicht haben, sowie der WKO Bezirksstelle Lienz, die uns bei der Kommunikation und Durchführung der Veranstaltung unterstützt hat.

Weiters danken wir dem Team bestehend aus Katharina Maria Bruckner, Christian Herzog, Martin Koberwein, Isabella Fürst, Katharina Partik und Christa Scheidl (NDU), die maßgeblich zum Erfolg der Veranstaltung beigetragen haben.

Stefan Moritsch

Fachjury bestehend aus Andrea Moya Hoke, Marco Dessi und Stefan Moritsch wählte unter den 22 Einreichungen fünf Anerken nungspreise und einen Hauptpreis aus. Neben einem Preisgeld erhielt der mit dem Hauptpreis ausgezeichnete Teilnehmer auch die Möglichkeit, eine Kleinserie des Siegerprojekts zu produzieren.

Portrait Peter Bruckner. Copyright: Stefan Moritsch

10 AUF DER SUCHE NACH DEM STIL, ZUR HEBUNG DES GESCHMACKS. Rainald Franz

Die Geschichte der Kunstgewerbeausbildung und der kunst- und sozialreformerische Aspekt der Geschmacks- und Designbildung für Handwerk und Gewerbe aus der Sicht eines Museumskurators

„Das Nützliche fördert sich selbst, denn die Menge bringt es hervor und Niemand kann es entbehren; das Schöne muss befördert werden, denn Wenige stellen es dar und Viele bedürfen es.“ Die Begriffe „Kunsthandwerk“ oder „Kunstgewerbe“ zur Bezeichnung von künstlerisch gestalteten Produkten des Handwerks waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa nicht gebräuchlich. Sie wurden von Kunsttheoretikern um 1840 in den kulturellen Diskurs, zuerst über historische, dann über die zeitgenössischen Erzeugnisse und Produktions-methoden dessen eingebracht, was wir heute als angewandte Kunst zu bezeichnen pflegen. Als im 18. Jahrhundert Industrie- und Kunstausstellungen aufkamen, zeigte man die Werke des damaligen Kunstgewerbes gemeinsam mit den frühen Industrieprodukten – und nicht zusammen mit der Kunst. Im Handwerk bestand bis ins 18. Jahrhundert keine Diskrepanz zwischen Fertigung und Formgebung nebst ästhetischer Gestaltung. Ästhetische oder stilistische Innovationen fanden mit großem zeitlichen Abstand ihren Weg in die traditionellen Handwerksbetriebe. In Werkstätten und in den frühen Manufakturen wurden Kenntnisse über Technik und Formgebung traditionellerweise durch die Lehrlingsausbildung von Generation zu Generation weitergegeben. Der Siegeszug der neuen industriellen, maschinen- und wissenschaftsgestützten Fertigungsme thoden im Kunstgewerbe, die Arbeitsteilung in der Produktion und der sich dabei entwickelnde Antagonismus von ausgebildetem Handwerker im Gegensatz zum angelernten Arbeiter und seine daraus resultierende „Entfremdung“ im Arbeitsprozess, aber auch Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1795/96, 8. Buch, 5. Kapitel

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Den Höhepunkt dieser Überbewertung der Technik im Kunsthandwerk stellt die Great Exhibition 1851 in London dar. Die Kulturkritik an der Ausstellung wird zur Geburtsstunde des Aesthetic Movement in England und der Welt. Auch Gottfried Semper nimmt seine Erfahrungen als Gestalter auf der ersten Weltausstellung zum Anlass, in frühen Schriften Reformen der Kunstgewerbeausbildung und eine dem Maschinenzeitalter angepasste Ästhetik zu fordern.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt mit der Etablierung eines modernen Geschichtsempfindens, auch hinsichtlich der Ästhetik, die Suche nach der Einheit von Form, Material und Technik im Kunstgewerbe. Hinzu tritt der Stil als weitere Forderung im Historismus. Semper definiert ihn „als das zu künstlerischer Bedeutung erhobene Hervortreten der Grundidee“. Dem Primat der Technik wird nun die Verbindung von Gewerbe und Kunst entgegengestellt.

Die Reformer des Kunsthandwerks – Theoretiker wie John Ruskin, Augustus Welby Northmore Pugin, Owen Jones, Jakob von Falke und Praktiker wie William Morris, Walter Crane sowie eine große Anzahl aufgeschlossener Produzenten – finden ihre Vorbilder in der Vergan genheit, entwickeln sie aber ästhetisch weiter. Gefordert wird die Wiedervereinigung von Kunst und Gewerbe, die zu Zeiten Dürers, Cellinis oder Raffaels noch bestanden habe. Künstler sollen sich nicht nur zweckfreier „hoher“ Kunst widmen, sondern auch, wie ihre Vorfahren, mit Entwürfen zum ästhetisch befriedigenden, „geschmackvollen“ Bild der Gewerbeprodukte beitragen. Produzenten werden dazu angehalten, Künstler als Entwerfer zu beschäftigen.

die12 Differenzierung der Ansprüche neuer bürgerlicher Schichten an die Waren im beginnenden Massenkonsum verändern diesen Prozess entscheidend. Das Ingenieurwesen und ein Enthusiasmus für das plötzlich Machbare in der Technik überformen alle Fragen der künstlerischen Gestaltung. Die Folge ist eine „Verwirrung auf dem Gebiet derjenigen Fähigkeiten des Menschen, die sich im Erkennen und Darstellen des Schönen betätigen“ (Gottfried Semper).

Objekte der gehobenen Wohnungsausstattung, die nun erstmals auch für breitere Schichten der Gesellschaft zugänglich und erschwinglich werden, sollen sich aber auch auf Wunsch der

Kunden an der Gestaltung und dem Geschmack jener Zeiten orientieren, als sie noch einer kleinen Elite vorbehalten waren.

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Mustersammlungen für das Kunsthandwerk entstehen, in denen historische Vorbilder für die Ausbildung neuer Entwerfer für die Kunstindustrie zusammengetragen werden, und nach dem Vorbild des Londoner South Kensington Museum überzieht bald ein Netz von Museen, die sich der Förderung der Kunst und Industrie widmen, den europäischen Kontinent. Die Erkenntnis, dass man Geschichte als Instrument der ästhetischen Gestaltung und Bildung in der Gegenwart nutzen kann, führt zu einer umfassenden Editionstätigkeit.

Vorlageblätter für die Kunstindustrie – auch in der neuen Technik der Farblithografie, wie Owen Jones’ Grammar of Ornament (1856) –machen die historischen Ornamente und Stile allen Käufern zugänglich. Erfolgreiche Werke der Ratgeberliteratur, von Charles Locke Eastlakes Hints on Household Taste in Furniture, Upholstery, and Other Details (1836) bis zu Jakob von Falkes Die Kunst im Hause.

Geschichtlich-kritische Studien über die Decoration und Ausstattung der Wohnung (1871), werden zu mannigfach kopierten und übersetzten Bestsellern «zur Hebung des Geschmacks». Das im Kunstgewer be des Historismus vorherrschende Durchdeklinieren der Stile, die Rainald Franz. Copyright: Partik/Fürst, NDU

eines historischen Form- und Ornamentkanons gemäß der neu etablierten Kunstgeschichte wird zum Mittel sozialer Distinktion und nationaler Repräsentation. Stilreinheit der Einrichtung findet sich ebenso wie Stilmischung – je nach Angemessenheit für die Gestal tungsaufgabe.

Aneignung14

Gemäß Gottfried Sempers Erkenntnis, wonach die Geschichte der Architektur mit der Geschichte der Kunstindustrie beginnt und die Schönheits- und Stilgesetze der Architektur ihr Urbild in denjenigen der Kunstindustrie haben, wird der Architekt jetzt auch zum Gesamtgestalter aller Bereiche des Kunstgewerbes in allen Materialien. Man formuliert einen Gestaltungs-, aber keinen Kunstanspruch wie in der frühen Moderne. Stil und historisches Ornament sowie die materialgerechte Wiederaufnahme historischer Handwerkstechniken kennzeichnen hochwertiges Kunstgewerbe aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Kunstgewerbe der Zeit lief Gefahr, von der maschinellen Fertigung, die noch nichts vom Industrial Design wusste, zugrunde gerichtet zu werden. Manche Forderung der Kunstgewerbereformer ist erst im Jugendstil oder in der Neuen Sachlichkeit verwirklicht worden. Die Tatsache, dass sich die Theorie des späten 19. Jahrhunderts noch nicht von historisierenden Deko rationsformen als ihren Vorbildern losgelöst hatte, verstellt uns heute noch den Blick, wenn es um die Anerkennung ihrer beispielhaften Vorarbeit für eine materialgerechte und ästhetisch befriedigende Gestaltung von Objekten der angewandten Kunst im Alltag geht. Die Kunstgewerbereform im Habsburger Reich fing mit der Krise im Kunstgewerbe nach der ersten Weltausstellung (London 1851) und der Gründung des South Kensington Museums (1853) an. Im Jahre 1863 wurde das erste Kunstgewerbemuseum auf dem Kontinent, das Österreichische Museum für Kunst und Industrie in Wien gegründet. Wie in London, fungierten die Beamten des österreichischen Museums als oberste Geschmacksrichter des Reiches – ihre

Das neue „Stilwollen“ (Alois Riegl) bedarf nun der auch historisch gebildeten Gestalter. Der moderne Designer hat seinen Vorläufer im historistischen Musterzeichner, wobei Persönlichkeiten wie Owen Jones, William Holman Hunt, William Morris, Christopher Dresser das Kopieren zugunsten des eigenen kreativen Entwurfs hinter sich lassen.

Mari Bruckner, Peter Bruckner, Maria Großgasteiger. Copyright: Partik/Fürst, NDU

Mission16 war eine Art der „ästhetischen Erziehung des österreichi schen Menschen“. In diesem Sinn trachtete das Museum mit Ausstellungsbeschickungen, der Verbreitung von Musterstücken und der Herausgabe von Vorlagenwerken danach, die nationale Kunstgewerbeproduktion und den nationalen Geschmack zu heben. In den ersten Jahrzehnten seines Bestehens förderte das Museum den Historismus im Kunstgewerbe. Das änderte sich langsam nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871. Zwischen 1873 und 1900 setzte das Museum von Wien aus eine „kreative Rezeption“ von bäuerlichem Handwerk und vernakularer Architektur innerhalb der österreichischen Länder der Doppelmonarchie in Gang. Die Museumskuratoren sammelten materielle Zeugnisse der „Volkskunst“ einer Region, um sie dem Publikum – nicht nur in Wien, sondern auch in den Provinzen – zu präsentieren. So dirigierte das Zentrum Wien die Zirkulation einer Vielfalt von „Volkskünsten“ in der österreichischen MittlerweileReichshälfte.entwickelte sich zwischen Theoretikern in Wien und dem deutschen Reich ein paralleler Diskurs über Nationalstil und zwei verschiedene ‚deutsche’ Identitäten. Die Unterschiede zwischen Wien und Deutschland wurden nach 1900 besonders klar: Während deutsche (Werkbund-)Theoretiker wie Hermann Muthesius „Reinheit“, „Ordnung“ und „Sachlichkeit“ als Merkmal des deutschen Kunstgewerbes betonten, erdachten sich Wiener Theoretiker wie Josef A. Lux ein buntes Mosaik, dessen einzelne Bestandteile ein harmonisches und österreichisches Ganzes bilden sollten – ein Ideal, das 1918 unterging. Dennoch: Die Kunstgewerbereform und der „exhibitionary complex“ wurden in Mitteleuropa in einem langjährigen Kampf um eine ästhetische und kulturelle „Vorherrschaft in Deutschland“ Dasentwickelt.österreichische Museum für Kunst und Industrie gilt als erste Instanz eines öffentlichen „exhibitionary complex“ in Mitteleuropa. Im Gegensatz zu den Wiener Hofmuseen, die auch in den kommenden drei Jahrzehnten dem Publikum zugänglich wurden, war das österrei chische Museum von Anfang an als öffentliche Anstalt angelegt. Nach

17 dem Modell des South Kensington Museums sollte das Österreichi sche Museum für Kunst und Industrie in den habsburgischen Ländern den Geschmack des Publikums heben und die kunstgewerbliche Produktion verbessern. Dem Vorbild des South Kensington auch hierin folgend, erdachte der erste Direktor des Österreichischen Museums, Rudolf von Eitelberger (1814–1885), ein vielfältiges Programm für Sammlung, Ausstellung und Veröffentlichungen. Eitelbergers erstes Ziel war es, zunächst die Hersteller selbst von ihrem Bedarf für verbesserte, dem „guten Geschmack” folgende Produkte zu überzeugen. Zu diesem Zweck stellte das Museum seine Muster sammlung kunstgewerblicher Erzeugnisse der Vergangenheit den Herstellern zur Verfügung. Als zweite Ebene seiner Bildungsmission verstand das Museum die Erziehung der Konsumenten, die in der Folge den erforderlichen Absatzmarkt für hochqualitative Produkte bilden sollten. Drittens sollte das Museum eine neue Generation von Industriedesignern und Kunsthandwerkern durch eine zentrale Kunstgewerbeschule heranbilden, die im Jahre 1867 eröffnet wurde. Schlussendlich sollten diese erstklassig gestalteten Gegenstände, forciert durch internationale Ausstellungen, auch positive Aufmerksamkeit auf sich ziehen und damit Marktanteil, Prestige und Profit nicht nur der österreichischen Hersteller, sondern auch der Regierung Inerhöhen.denfrühen 1870er-Jahren begann das Museum seine Reichwei te in die österreichischen Länder durch ein Netz kunstgewerblicher Fachschulen auszubauen. Diese neuen Fachschulen waren in regionalen Industriezentren angesiedelt und orientierten sich an der bodenständigen Produktion, sei es Glas, Keramik oder Holzindustrie. Waren die Fachschulen auch geographisch weit verstreut und vielgestaltig, für den Unterricht setzte das Museum mit seinem pädagogischen Personal von Wien aus die Lehrpläne. Die Autoritäten des Zentrums gaben die Unterrichtsbehelfe vor, ließen Musterobjekte zirkulieren und vermittelten Ausstellungsbeteiligungen der Fachschulen, in der Region wie auch international. Gleichzeitig gründeten Hersteller und Künstler in den einzelnen Städten Kunst gewerbevereine und Kunstgewerbemuseen, um die Fachschulen zu

unterstützen.18

Auf diese Art und Weise durchdrang der vom Historismus geprägte Wiener Kunstgeschmack alle österreichischen Länder. Am fünfund zwanzigsten Jahrestag des Museums 1889 jubelte ein Mitglied des Kuratoriums: „[Das Museum …] gleicht eben einem Baume, der seine Wurzeln in allen Provinzen hat und [... in dem …] die in den Fachschulen erzielten Resultate [...] zur Anschauung gebracht werden.”

Der Kreislauf schloss sich in geradezu vollkommener Weise, zumal die Absolventen der Wiener Kunstgewerbeschule an die ihr untergeordneten Schulen als deren Direktoren und Lehrer zurückkehrten.

Das kunsthandwerkliche Ausbildungssystem stellte die einheitliche Qualität und die Wettbewerbsfähigkeit der österreichi schen Hersteller auf dem internationalen Marktplatz sicher, die internationalen Ausstellungen erlaubten es den Nationen, auf „friedlichen Schlachtfeldern“ zu konkurrieren. Nationale Rivalitäten köchelten also unter der friedlichen Oberfläche dieser Ausstellungswelt weiter; ein ästhetischer Triumph auf einer Ausstellung war Grund zur Freude, eine Niederlage setzte nationa le Selbstrevision in Gang. Letzteres besonders in Deutschland, als auf den Ausstellungen in Philadelphia und München im Jahr 1876 österreichische Erzeugnisse als den deutschen überlegen angesehen wurden. Dies war ein harter Schlag für das Prestige des jungen Deut schen Reiches. Die Institutionen des „exhibitionary complex” waren

In den folgenden drei Jahrzehnten entwickelte dieser Lehr- und „exhibitionary complex” in der österreichischen Reichshälfte eine rastlose Aktivität, die Beamte, Bürger und Fachschulen in Ausstellungen auf allen Ebenen involvierte und Handwerker wie Kon sumenten an den „guten Geschmack“ heranführte. Die Organisation der Fachschulen folgte einer künstlerischen und sozialen Hierarchie. Auf der untersten Ausbildungsstufe standen die lokalen Fachschulen, die Handwerker und Facharbeiter heranbildeten. Auf der nächsten die in Städten wie Prag, Reichenberg, Graz oder Innsbruck angesiedelten Staatsgewerbeschulen, aus denen Techniker, Kunsthandwerker und Lehrer hervorgingen. Die Spitze des Ausbildungsbaums bildete die Kunstgewerbeschule in Wien, an der die talentiertesten Studenten der Staatsgewerbeschulen aus dem gesamten Reich Aufnahme fanden.

19 untrennbar mit der Verteidigung des nationalen Ansehens im Ausland und der Stärkung der nationalen Identitäten im Inland verbunden. Die Frage war, wie das Handwerk zur Lösung sozialer und ökonomischer Probleme herangezogen werden konnte, ohne die mit der Handwerksdebatte unauflöslich verbundenen nationalistischen Strömungen zu stärken. Eitelberger sah in der Einrichtung eines neuen speziellen Schultyps, der (ethnisch) nationalen Fachschule, ein Mittel zum patriotischen Zweck. Dieser neue Schultyp sollte die verschiedenen ethnischen Hausindustrien der österreichischen Länder bewahren und neu beleben. Anders als die Fachschulen wurden die „nationalen Hausindustrieschulen“ in entlegenen Dörfern ethnischer Minderheiten angesiedelt. Hier sollten sie den subversiven nationalistischen Elementen begegnen, indem sie modellhaft den Führungsstil eines aufgeklärten und toleranten Staates abbildeten. Während die nationalistische Rhetorik etwas Trennendes und Spaltendes an sich hatte, sollte Eitelbergers Schulprogramm integrieren und ländliche Bevölkerungsgruppen in österreichische Staatsbürger verwandeln: kreativ, tugendhaft, aufrecht, gut ausgebildet und pat riotisch. Für ihn waren das Museum und seine Unterrichtsanstalten Instrumente im patriotischen Kampf gegen die anflutenden regionalen Publikum. Copyright: Partik/Fürst, NDU

Nationalismen.20 Museum, Fachschulen und Ausstellungen sollten der Bevölkerung Österreichs einen „neutralen Boden” der Kunst bereiten, um den Nationalitätenstreit zu entschärfen. Das Museum verbreitete eine patriotische Ideologie, die gleichzeitig mit der HausindustrieForschung verlief. Nach 1875 setzte das Museum mit seinen nationalen Fachschulen einen intensiven Austausch vernakularer handwerk licher Objekte und Muster zwischen Zentrum und Peripherie in Gang. Studenten aus weit voneinander entfernten Orten, wie Zakopane (Galizien) und Innsbruck oder Brünn und Laibach/Ljubljana (Slowenien), erfuhren die gleiche kunstgewerbliche Ausbildung, die zentral von Wien aus administriert wurde. Ihre Lehrer waren in Wien ausgebildet worden; ihre Zeichenateliers waren mit Gipsabgüssen, Lehr büchern und Modellen aus Wien ausgestattet; ihre „bodenständigen“ Entwürfe wurden von den Lehrern verfeinert und von Wien aus über ganz Österreich verbreitetet. Im Sinne von Eitelbergers patriotischer Vision vereinigte das System der Kunstgewerbeschulen Wiens ästhe tische und ökonomische Strategien mit einem an alle Völker der österreichischen Reichshälfte gerichteten assimilierenden „DasKulturauftrag.grenzenlose

Unheil, welches die schlechte Massenproduktion einerseits, die gedankenlose Nachahmung alter Stile andererseits auf kunstgewerblichem Gebiete verursacht hat, durchdringt als Riesenstrom die ganze Welt. Wir haben den Anschluss an die Kultur unserer Vorfahren verloren und werden von tausend Wünschen und Erwägungen hin- und hergeworfen. An Stelle der Hand ist meist die Maschine, an Stelle des Handwerkers der Geschäftsmann getreten. Diesem Strome entgegenzuschwimmen, wäre Wahnsinn. Dennoch haben wir unsere Werkstätte gegründet. Sie soll uns auf heimischem Boden, mitten im frohen Lärm des Handwerks einen Ruhepunkt schaffen und dem willkommen sein, der sich zu Ruskin und Morris bekennt.“ Mit diesem Verweis auf die Gründerväter der aus dem Pre-Raphaelite Movement entstandenen Arts-and-Crafts-Bewegung im viktorianischen England, John Ruskin (1819–1900) und William Morris (1834–1896), beginnt das 1904 publizierte Arbeitsprogramm der „Wiener Werkstätte“. Die Verfasser Koloman Moser (1868–1918)

21 und Josef Hoffmann (1870–1956) waren zu diesem Zeitpunkt Gründer und Direktoren der „Productiv-Genossenschaft von Kunst handwerkern in Wien“, wie die 1903 bis 1932 bestehende „Wiener Werkstätte“ in der Eintragung ins Genossenschaftsregister des Wiener Handelsgerichts bezeichnet wurde. Auch für die Gründer des Deutschen Werkbundes hatte der Handwerker alter Prägung Vorbild- und Reformpotential. „Denn der alte Handwerker vereinigte alle drei Arbeitsgebiete des Technikers, des Kaufmanns und des Künstlers in einer Person“, schreibt Walter Gropius (1883–1969) 1913. Der 1907 gegründete Deutsche Werkbund zielte auf eine „Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk“, wie es in den Satzungen heißt. Das 1919 gegründete Staatliche Bauhaus in Weimar führte die Idee der Auseinandersetzung mit dem Handwerk konsequent weiter. Der Versuch der Zusammenführung von Kunst und Handwerk drückte sich in der Organisation der Ausbildung nach Meisterwerkstätten aus. Walter Gropius fordert keinen neuen Stil oder eine neue Kunst, sondern, sehr viel grundsätzlicher, eine Reform der künstlerischen Arbeit. Diese soll auf ihre Grundlagen und Voraussetzungen zurückgeführt werden, die er im Handwerk – verstanden als Umgang mit dem Material – als Fundament aller Künste sieht. Auch die gesellschaftliche Aufgabe des Handwerks wird für die Kunst entdeckt; ihr wird nun eine Rolle im Arbeitszusammenhang der Gesellschaft zugewie sen. Da nur das Handwerk, nicht aber die Kunst lehrbar ist, soll die Bauhaus-Lehre auf einer handwerklichen Ausbildung in Werkstätten beruhen. Dem Ideal einer Arbeitsgemeinschaft aller Künste entspricht die Vorstellung vom Einheitskunstwerk, der Wiedervereinigung der werkkünstlerischen Disziplinen – Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk – zu einer neuen Baukunst. Das Idealbild des Handwerkers in der Reformkunst der Moderne ist der in Materialkenntnis und Wissen um die Bearbeitung wurzelnde Gestalter, als Gegenbild zum der eigenen Produkte entfremdeten Arbeiter – ein häufig wiederkehrender Topos. Handwerkerwissen wird zur Voraussetzung für Innovation in der Gestaltung, die Zusammen arbeit des Handwerkers mit dem Architekten oder Künstler-Entwerfer oder Designer als Weg in die Zukunft postuliert.

22 Dr. Rainald Franz Kustode der Sammlung Glas und Keramik des MAK-Museum für angewandte Kunst, Wien. Kurator des Josef-HoffmannMuseum, Brtnice/Pirnitz. Literatur Franz, R. (2000) Das System Gottfried Sempers. Reform des Kunstgewerbes und Grundlagen für ein Museum für Kunst und Industrie in ihren Auswirkungen auf das österreichische Museum. In: Noever, P. (Hrsg.): Kunst und Industrie: Die Anfänge des Museums für angewandte Kunst in Wien. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz. Franz, R. (2016) Das Manuelle im Geistigen. Handwerk und seine Wertschätzung in Europa vom Mittelalter bis zur Neuzeit. In: ThunHohenstein, C., Franz, R., Zickler, T. (Hrsg.) handWERK: tradiertes Können in der digitalen Welt. Wien: Verlag für moderne Kunst, S. 197-2000. Franz, R. (2018) Von der Stilverwirrung zu Kunst und Industrie. Kunstgewerbe 1850–1900. In: Schweizerischen Nationalmuseum (Hrsg.) Auf der Suche nach dem Stil 1850–1900, Kunst und Design im Zeitalter der Industrialisierung. Zürich: Park Books. Ottillinger, E. (1989) Jacob von Falke und die Theorie des Kunstgewerbes. In: Institut für Österreichische Kunstforschung des Bundesdenkmalamtes (Hrsg.) Wiener Jahrbuch der Kunstgeschichte XLII. Wien: Böhlau Verlag. Reynolds, D. (2007) Semperianismus und Stilfragen: Riegls Kunstwollen und die „Wiener Mitte“. In: Franz, R., Nierhaus, A. (Hrsg.) Gottfried Semper und Wien. Die Wirkung des Architekten auf „Wissenschaft, Industrie und Kunst“. Wien: Böhlau Verlag.

Reynolds, D. (2000) Vom Nutzen und Nachteile des Historismus für das Leben. In: Noever, P. (Hrsg.): Kunst und Industrie: Die Anfänge des Museums für angewandte Kunst in Wien. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz. Riegl, A. (1893) Stilfragen: Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik. Berlin: Siemens.

Werkstattaufnahme. Copyright: Partik/Fürst, NDU

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26 HANDWERK UND/ ODER DESIGN –STANDORTBESTIMMUNGEINE Stefan Moritsch, Julia Pintsuk-Christof

unserer Forschung in den letzten Jahren gelernt haben, und unsere Position zu einer zeitgemäßen Durchdringung von Design- und Handwerkslehre zur Diskussion stellen.

2. Produzierende Gestalter*innen 2.1. Die Beziehung von Handwerk und Design Bis vor wenigen Jahren bestand noch eine grundlegende Forschungslücke hinsichtlich des Verhältnisses zwischen diesen Berufsbildern und was sie voneinander lernen können. Mit dem sozio-technischen Wandel in der Gesellschaft, den digitalen Produktions- und Distributionsmethoden sowie der Verfügbarkeit

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1. Die Transformation des Handwerks Produzierende Gestalter*innen müssen heute sowohl hohe fachliche Kompetenz in Design und Handwerk haben, den ökonomischen Herausforderungen und der zunehmend numerisch kontrollierten Produktion gewachsen sein als auch immer schneller neues Wissen in die Praxis integrieren und in dieser weiterentwickeln.

Doch wie wird neues Wissen zu bewährter Praxis? Designer*innen und Handwerker*innen haben zwar seit jeher neue Technologien und Methoden in ihr praktisches Handeln einbezogen, die Teilung von Methoden in wissenschaftlich, künstlerisch und handwerklich macht es aber schwierig, sowohl das technische bzw. kulturelle Erbe in zeitgenössisch anwendbares Wissen zu übersetzen als auch professionelle Identitäten zu bilden, die mit den immer schnelleren Entwicklungen in Technologie und Gesellschaft Schritt halten können.

Im Rahmen dieses Artikels möchten wir zusammenfassen, was wir über handwerkliche und gestalterische (Aus)bildung auf Basis

Um die neuen Praktiker*innen auf diese Herausforderungen vorzu bereiten, müssen unserer Meinung nach sowohl das Handwerk mit seinen Wurzeln und Wissenspraktiken als auch die Aufgaben und Werkzeuge des Designs neu betrachtet und in Beziehung gesetzt werden.

Nach Nascimento (2009) besteht ein wachsender gesellschaftlicher Bedarf an einer ehrlicheren und aufrichtigeren Verbindung mit der materiellen Welt. So sehnen sich Menschen nach „down-to-earth experiences”. Aktas et al. (2015) präsentierten einen experimentellen Zugang zum Erhalt kultureller Erbgüter verbunden mit Fragen des Wissenstransfers zwecks Erhalts handwerklichen Könnens. Baggerman et al. (2013) fokussierte sich auf die sozialen Komponenten von Handwerkskunst in Beziehung zu Dienstleistungsdesign. Hier wird der Transfer von (handwerklichem) Wissen und Fertigkeiten als Dienstleistung zwischen Meister*in und Lehrling verstanden.

von28 automatisierten Produktionstechnologien, die nicht mehr nur dem industriellen Sektor vorbehalten sind, beginnen sich die Grenzen zwischen Entwurf und Produktion – und damit zwischen Design- und Handwerksberufen – zunehmend zu öffnen. Die deutsche Designfor scherin Melanie Kurz widmete sich diesem Thema ausführlich in ihrer 2015 erschienenen Publikation „Handwerk oder Design“, in der sie argumentierte, dass Veränderungen sozialer, ökonomischer und politischer Bedingungen, gesellschaftlicher Vorstellungen und Ideale sowie des Selbstverständnisses von Gestalter*innen die Grenzen zwischen Kunst, Design und Handwerk immer wieder verschwimmen haben lassen, wodurch sich gestalterische und produzierende Tätigkeitsbereiche in den kreativen Ökonomien zunehmend verschmolzen haben.

Als Beispiele hierfür nannte sie u. a. den synonymen Gebrauch von Design und Kunsthandwerk, um sich das Assoziationsfeld des jeweils anderen Berufsbildes zu Nutze zu machen, die Bewerbung eigens manuell gefertigter Werke als Einzelstücke oder die Betonung handgemachter Produktion (vgl. Kurz 2015, S. 185f). Manuelles Arbeiten im Designprozess darf jedoch keinesfalls mit dem produzierenden Handwerk gleichgesetzt werden, das hochwertige Alltags- oder auch Luxusgegenstände herstellt. So sind die Entwicklungen von Designer*innen üblicherweise keine Gebrauchsprodukte im herkömmlichen Sinne, sondern fungieren in der Regel als tem poräre Modelle in einem Entwicklungsprozess für letztlich zumeist arbeitsteilig hergestellte Serienprodukte (vgl. Kurz 2015, S. 191ff).

Gemäß eines explorativen Forschungsinteresses definierten wir ein vergleichendes Fallstudiendesign bestehend aus literaturbasierter Kontextforschung und insgesamt 65 leitfadengestützten biogra fisch-narrativen Interviews mit Personen zwischen 21 und 85 Jahren, die in kreativen Berufen tätig waren/sind und dabei Design und Handwerk verbunden haben. Eine wesentliche Beobachtung aus der Untersuchung war die signifikante Veränderung der berufli chen Identität. Die folgenden Abschnitte geben einen Einblick in die zentralen Ergebnisse dieses Forschungsprojekts.

Am Beginn unserer Untersuchungen zur Beziehung von Handwerk und Design stand 2014 das dreijährige Forschungsprojekt „Practice Based Research – Manual & Material Culture“1, in dem wir untersuchten, wie sich handwerkliches Wissen in den letzten Jahrzehnten verändert hat und welches Wissen heute noch als Grundlage für die Ausübung von Handwerks- und Kreativberufen dienen kann.

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Im wissenschaftlichen Diskurs wird Design heute mit Anwendungsori entierung, Partizipation, Demokratie (vgl. Fallan 2012), Verantwortung und Selbstbestimmung (vgl. Borries 2016) assoziiert. Nach Mäkelä (2007) haben Kunst- und Designforschung begonnen, neue Dimensionen zu entwickeln. Durch Fokussierung auf den kreativen Prozess sowie das Endprodukt übernehmen Designer*innen eine aktive Rolle in der Kontextualisierung und Interpretation des „practiced creative process”. In diesem Zusammenhang kann das Artefakt als von Designer*innen geschaffenes Objekt als Methode des Sammelns, Bewahrens und Verstehens von Information betrach tet werden. Um Artefakten eine Stimme zu geben, müssen diese in einen theoretischen Kontext gebracht werden, im Rahmen dessen inkorporiertes Wissen greifbar gemacht und interpretiert werden kann.

1Die Ergebnisse des Projekts wurden 2017 in einem internen Studienbericht vorgestellt und schließlich im Rahmen eines öffentlichen Symposiums an der NDU in St. Pölten 2017 sowie in den beiden Publikationen „Craft-based Design“ (Moritsch 2017) und „Kreative Identitäten“ (Moritsch et al. 2020) vertiefend dargestellt und diskutiert.

30 2.1.1. Beweggründe für die Berufswahl Während beide befragten Generationen das familiäre bzw. familiennahe Umfeld als prägend für die Berufsfindung an sich erlebten, zeigte sich ein wesentlicher Unterschied hinsichtlich der Beweggründe für den eingeschlagenen Bildungs- und Berufsweg. So orientierten die Jüngeren ihre Entscheidung vor allem an persön lichen Interessen und individuellen Begabungen, bei den Älteren waren aber ökonomische sowie pragmatische Überlegungen von stärkerer Bedeutung. Für die ältere Generation stand dementsprechend weniger die Selbstverwirklichung im Wunschberuf denn das Erlernen eines Berufs für die selbstständige Erwirtschaftung des Lebensunterhalts im Vordergrund.

Sowohl bei den älteren als auch bei den jüngeren Befragten zeichne ten sich heterogene und nicht-lineare Bildungsbiografien ab, wobei die jüngeren eine etwas höhere Tendenz im Wechsel von Ausbildung und Beruf zeigten. Die tendenziell höhere Ausbildung der jüngeren gegenüber der älteren Generation kann auf die generelle Zunahme an Maturant*innen und Studierenden in Österreich sowie auf die formalen Voraussetzungen neuerer Kreativberufsbranchen zurück geführt werden.

Während die Verzögerungen in der Bildungsbiografie der älteren Generation überwiegend Folgen externer Umstände, wie Diskrimi nierung bei der Lehrstellensuche oder eine erschwerende Arbeits marktsituation, waren, wurden die jüngeren Befragten eher durch individuelle Wünsche und Vorstellungen zu Umwegen oder Phasen der Selbstfindung motiviert. Hier gilt jedoch zu beachten, dass die Handwerksbranchen der Älteren tendenziell einer spezifischen Aus bildung und einem relativ scharfen Berufsprofil unterlagen, während die neueren Kreativberufsbranchen häufig eine unscharfe Vielfalt an beruflichen Möglichkeiten bieten und (teils) Spezialisierungen erfordern. Unter den Jüngeren gibt es auch einzelne Interviewte, denen es ohne formale Ausbildung gelang, kreativberuflich erfolgreich zu werden und eine Marktnische zu finden.

Deutliche

Während diese bei der älteren Generation tendenziell das Ende des Bildungswegs markierte, startete die jüngere Generation häufig bereits mit dem Anspruch zur Selbstverwirklichung sowie dem Wunsch zur selbstständigen Tätigkeit in Ausbildung und Beruf. 2.1.2. Erleben von Ausbildungs- und Lehrzeit

Ein weiterer Unterschied zwischen den Generationen zeigte sich hinsichtlich des Beginns der Selbstständigkeit in der Berufsbiografie.

Die durch Unterbrechungen, Abbruch und Neuorientierung gekennzeichnete Ausbildungs- bzw. Lehrzeit spielte als institutionalisierte Sozialisationsinstanz eine große Rolle. Sie wurde von der befragten älteren Generation als überaus prägende Zeit beschrieben, in der die Interviewten sowohl Freuden als auch Leiden des Berufs erfahren Diehatten.jüngere Generation schreibt der Ausbildungszeit eine deutlich geringere Bedeutung zu. So wurde über diese Lebensphase nur marginal berichtet und wenn, dann eher in Zusammenhang mit Orien tierung als mit Inkorporierung. Durch Möglichkeiten, in verschiedene Bereiche hineinzuschnuppern, wechselnde Ausbildungen, Auslands erfahrungen und unterschiedliche (parallele) Beschäftigungen erlebten die jüngeren Befragten die Ausbildungszeit als eher abwechslungsreich denn repetitiv.

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Generationsunterschiede zeigten sich auch in der Fokussierung der Erzählung. Während die ältere Generation teils sehr emotional über freudige und leidvolle Erlebnisse, soziostruktu relle Aspekte wie Hierarchien und Arbeitsklima oder ihnen überant wortete Tätigkeiten berichtete, äußerten sich die jüngeren Befragten eher nüchtern über Stationen ihres Bildungswegs oder Inhalt und Gestaltung ihrer Ausbildung; im Zentrum standen viel mehr berufliche Orientierung und Selbstfindung. In den heterogenen und individualisierten Bildungs- und Berufsbiografien der jüngeren Befragten spiegelt sich die in den letzten Jahr zehnten zugenommene Individualisierung der Gesellschaft (vgl. Beck

1986).32

In beiden Generationen stellt die Fähigkeit, exklusive Angebote zu entwickeln und mit diesen Nischen zu besetzen, eine erfolgver sprechende Möglichkeit dar, um im ökonomischen Wettbewerb mit bestehen zu können. Die Bereitschaft, gestalterische Autonomie und Kundenwünsche nicht als unvereinbaren Widerspruch zu begreifen, sondern als ökonomische Notwendigkeit, die auch kreativ genutzt werden kann, wird von beiden Generationen als Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg beschrieben.

2.1.4. Neue Potenziale Sowohl die älteren als auch die jüngeren Befragten stehen der Zukunft und Technologisierung von Handwerk bzw. Kreativberuf mehrheitlich positiv und offen gegenüber, wobei die jüngere Generation eine insgesamt optimistischere Haltung einnimmt. Dies kann zum einen darauf zurückgeführt werden, dass handwerkliche und kreativberufliche Branchen seit jeher technische Innovationen in Arbeitsprozesse integriert haben (vgl. z. B. Ax 2013). Zum anderen handelt es sich bei den jüngeren Befragten teils um so genannte „digital natives“ (Prensky 2001), die im Zeitalter der Digitalisierung aufgewachsen und entsprechend stärker mit neuen technischen Möglichkeiten vertraut sind.

Das Bildungswesen hat sich gewandelt: Strukturen, Curricula und Lernorganisation wurden teils entstandardisiert und entgrenzt.

Folge davon war die Entstrukturierung und Entstandardisierung von menschlichen Lebens-, Bildungs- und Karriereverläufen (vgl. Gruber 2000). 2.1.3. Selbstständigkeit: zwischen Autonomie, Exklusivität und ökonomischem Kalkül Ein bedeutender Unterschied zwischen den Generationen zeigte sich im Beginn der Selbstständigkeit in der Berufsbiografie. Während die jüngeren Befragten tendenziell bereits mit dem Wunsch zur selbstständigen Tätigkeit in Ausbildung und Beruf starteten, markierte diese bei den älteren eher das Ende des Bildungswegs.

Wenn auch beide befragten Generationen dem technologischen Wandel überwiegend positiv gegenüberstehen, zeigt sich dennoch eine Veränderung im Verhältnis zwischen Handwerker*in, Produkt und Kund*in: So werden Materialien etwa nicht mehr per Hand bearbeitet oder Prototypen nicht mehr manuell gebaut, sondern mittels CNC-Fräsen bzw. zumindest teilweise mit dem 3D-Drucker erzeugt. Menschliche Handarbeit konzentriert sich heutzutage mehr auf die Maschine als Werkzeug, die von Menschen entwickelt, verbessert und betrieben werden muss, was ebenso spezifisches, implizites Wissen und Fingerfertigkeit erfordert – so etwa im Hinblick auf Materialeigenschaften oder Programmierung. Zu diesem Zwecke entwickeln heutige Praktiker*innen, wie auch die Generationen vor ihnen, stetig neue Fertigkeiten und verlieren dabei zugleich auch obsoletes Wissen.

Das gestiegene Bewusstsein für Ökologie und Nachhaltigkeit, Kosten wahrheit und zunehmende Konsumkritik in den potenziellen Kundensegmenten produzierender Gestalter*innen hilft der heutigen Gene ration dabei, einen angemessenen Preis für ihr Angebot verlangen zu können.

2.2. Das Wesen des Handwerks: zwischen Produktion und Gestaltung

33

Beide Gruppen beschreiben technische Innovationen in erster Linie als Werkzeuge zur Ergänzung manueller Arbeit sowie zur Erleich terung und Beschleunigung komplexer und teurer Arbeitsprozesse. Handarbeit sei folglich kein Gegensatz zu modernen Gestaltungsund Produktionstrends, sondern Teil davon. Betont wird hier auch die Relevanz sinnlicher Erfahrungen bei der Entwicklung von Werkstücken. Die jüngere Generation verweist in diesem Zusammenhang auch auf die zunehmende Bedeutung von Handarbeit als Wert an sich. So heben sich, teilweise bewusst, als handgemacht erkennbare Produkte durch den „Fehler” als Merkmal für Exklusivität von perfekter, industriell gefertigter Massenware ab. Trotz unterschiedlicher beruflicher Sozialisation in den Generationen bildet implizites Praxiswissen und Erfahrung die Grundlage für sowohl theoretisches als auch praktisches Verständnis des eigenen Metiers.

Für34 eine zukunftsorientierte Ausbildung im gestaltungsbezogenen Handwerk bzw. Kreativberuf bedeutet dies, dass Design, Produktion und Ökonomie eine gleichberechtigte Rolle zugeordnet werden muss. So sollten für diese Bereiche etwa spezifische Fertigkeiten im Umgang mit Hard- und Software für Gestaltung, Produktion, Vertrieb und Marketing vermittelt werden. Die Aneignung immer neuer Kompetenzen verlangt in der Ausbildung aber nach neuen Modellen. Insbesondere die Förderung der Bildungsdurchlässigkeit zwischen berufsbildenden und akademischen Formaten sowie die Anschlussfähigkeit an andere Disziplinen (z. B. mit Wissenschaft, Ökonomie oder Informationstechnologie) ist aus Sicht der Autor*innen ein zentraler Hebel, um handwerksbezogene Ausbil dungen zu aktualisieren und ihre gesellschaftliche Anerkennung zu stärken. Der direkte und körperliche Kontakt mit der Materie an sich als intrinsische Motivation dafür, ein Handwerk zu erlernen und seine Fähigkeiten als Mensch ganzheitlich zu entwickeln, stellt aber auch in Zukunft die Grundlage von handwerksbezogenen Bildungsformaten dar. 2.3. Handwerk lernen: Sozialisationsinstanzen im Wandel der Zeit Der Wandel des Handwerks fordert in der heutigen Wissensgesell schaft insbesondere jene Institutionen und Ausbildungsstätten, die Wissen und Kompetenzen an die neue Handwerks- bzw. Kreativ berufsgeneration vermitteln sollen. Beobachten wir die Sozialisa tionsinstanzen von Handwerks- und Kreativberufen hinsichtlich einer Lebenslaufperspektive, offenbart sich, dass die beiden untersuchten Generationen ihre Wissensbestände und Kompetenzen auf unter schiedliche Weise in den einzelnen Lebensphasen erworben und vertieft haben. Dabei repräsentiert insbesondere die Lehrzeit im Generationenvergleich eine Zäsur in der Sozialisation zum*r Hand werker*in. Beruflich sozialisiert in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, spielte die Lehre eine zentrale Rolle für die ältere Generation. So wurden in deren Rahmen nicht nur praktische Grundkompetenzen erlernt, sondern diese auch durch stetige Praxis verinnerlicht. Darüber hinaus wurden teils schmerzhafte Erfahrungen mit Autorität, Unterord-

Diese abnehmende Relevanz der Ausbildung kann dazu führen, dass Individuen eine eher lose, wenn nicht sogar prekäre Berufsidentität entwickeln. Gerade, wenn es darum geht, Anforderungen an Interdisziplinarität gerecht zu werden, kann dies Nachteile nach sich ziehen. So erschwert eine losere Verortung in der eigenen Disziplin ein Hineinversetzen in andere Berufsfelder und die Entwicklung eines auf Expertise basierenden Selbstvertrauens.

Für die Ausbildung bedeutet dies, die Berufsprofile der neuen Handwerker*innen bzw. Kreativberufler*innen wieder zu schärfen und die Relevanz der Ausbildungszeit in der beruflichen Sozialisation zu stärken. Dabei umfasst Lernen nicht nur das Erlernen von Fertig keiten, sondern auch Identitätsbildung. Transdisziplinäre Zusammenarbeit kann dabei soziales Lernen sowie perspektiverweiternde und den Lebenslauf positiv prägende Erfahrungen maßgeblich begünstigen. 2.4. Handwerksidentitäten: von Handwerker*innen zu produzierenden Gestalter*innen Sowohl im Handwerk als auch im Design zeichnet sich seit geraumer Zeit ein Paradigmenwechsel ab, der zu einer Veränderung beruflicher Identitäten führt. Dadurch fühlen sich vermehrt andere soziale Gruppen motiviert, ein Handwerk zu erlernen, als dies etwa noch im 20. Jahrhundert der Fall war. Hier handelt es sich beispielsweise um Frauen oder Personen aus formal hochgebildetem Elternhaus, die teilweise mit Matura oder Studienabschluss in eine handwerkliche bzw. kreative Ausbildung kommen und andere Vorstellungen von Selbstverwirklichung, Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und Kreativität sowie auch einen anderen Habitus haben als Handwerkslehrlinge früherer Generation, bzw. auch um

35 nung und Aufbegehren gemacht. Für die jüngere Generation, die im 21. Jahrhundert ihren Beruf erlernte, stellte die Ausbildung hingegen keine zentrale Sozialinstanz mehr dar. Die handwerkliche, kreativwirt schaftliche Ausbildung dient primär der beruflichen Orientierung und wird nicht selten gegen den elterlichen Widerstand absolviert.

Während Öffentlichkeitsarbeit eher ein Randthema bei der älteren Generation einnahm, betonte die jüngere die Relevanz einer kompe tenten Selbstpräsentation für die berufliche Karriere. Die Befragten präsentieren ihre Projekte und Produkte auf ihren Homepages, in sozialen Medien oder auf Messen und verstärkt im Rahmen von Wettbewerben. Technologie wird von ihnen sowohl als Mittel zum Zweck begriffen, Abläufe effizienter zu machen, als auch kreative Prozesse zu entwickeln und neue Märkte zu erschließen. Handwerk, Design und Technologie werden folglich als einander ergänzend verstanden. Deutlich wird dadurch aber auch ein Wandel in den Berufsidentitäten. So verschwimmt das Selbstbild zwischen Handwerker*innen, Designer*innen, Techniker*innen und Kreativ berufler*innen.

Die von uns untersuchten Handwerksidentitäten sind aber untrennbar mit einem Anspruch an Kreativität verknüpft. Diesem kann eine praxisorientierte Ausbildung Erdung verleihen, indem sie zum einen Gestaltungskompetenz und Materialwissen in den Vordergrund rückt und zum anderen vermittelt, dass „Selbstverwirkli chung” nicht nur künstlerisch definiert werden muss, sondern letztlich dort beginnt, wo kreative Arbeit nachhaltig das wirtschaftliche Überleben sichert.

Im Diskurs findet sich dieser Wandel der Berufsidentitäten von Handwerker*innen häufig unter dem Schlagwort der Individualisie rung. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass es sich auch bei dieser letztlich um eine gesellschaftliche Anforderung handelt. So zeigte unsere Studie etwa, dass Arbeitsmarkt und Wettbewerb geradezu verlangen, sich als Handwerker*in bzw. Kreativberufler*in von Kolleg*innen durch spezielle Kompetenzen, Zusatzqualifikationen und Angebote abzuheben.

Lehrlinge,36 die heute einem klassischen dualen Ausbildungsweg mit etwa Berufsschule und Lehre folgen.

37 2.5. Herausforderung einer Ausbildung produzierender Gestalter*innen

Im Anschluss an das vorgestellte Forschungsprojekt setzten wir uns im Rahmen der Publikation „Kreative Identitäten: Eine Milieustudie in Handwerks- und Kreativberufen” (Moritsch et al. 2020) vertiefend mit unserer Studie und ausgewählten Fallgeschichten auseinander. Dabei zeigte sich, dass unterschiedliche, teils auch widersprüchliche wirtschaftliche Entwicklungen und Anforderungen, institutionelle Sozialisationsformen sowie diskursive Praktiken von An- und Aberkennung in Ausbildungen die Entwicklung des neuen Typus des*r „produzierenden Gestalter*in” tangieren.

Neben solchen Kernkompetenzen müssen produzierende Gestal ter*innen nicht bloß Ideen entwickeln und mit Material umgehen können, sondern auch mit Werkzeugen bzw. Maschinen sowie neuen Technologien, die es überhaupt erst möglich machen, Ideen in Entwürfe umzusetzen und ein Material schließlich zu einem Produkt werden zu lassen. Weiters sind breite soziale Kompetenzen erforder-

Die

Tätigkeitsbereiche der produzierenden Gestalter*innen zeichnen sich durch neue und komplexe Zusammenhänge von Kompetenzen und Wissensbeständen, Technologien und Materialien sowie Sinnund Bedeutungszuschreibungen aus. So müssen sie das Material, mit dem sie arbeiten, genau kennen, seine Beschaffenheit, seine Eigenschaften, Möglichkeiten und Grenzen. Dieses Wissen gilt es zu verinnerlichen, es wird eingeschrieben in jede körperliche Bewegung im Umgang, in der Interaktion mit dem Material. Zum einen muss ein*e produzierende*r Gestalter*in wissen, was grundsätzlich möglich ist mit dem Material, zum anderen sollte er*sie sich aber auch nicht von Konventionen einengen lassen. Demnach gilt es einerseits frei, innovativ und kreativ denken zu können, andrerseits aber auch dazu fähig zu sein, dieses Denken in Konzepten, Entwürfen und Designs sowie auch in konkreten Prototypen und Produkten wieder manifest werden zu lassen. Hierfür bedarf es einer umfassenden Gestaltungsund Produktionskompetenz, die stets wechselseitig aufeinander bezogen werden muss (vgl. Moritsch et al. 2020, S. 132).

lich,38 um mit u .a. Kolleg*innen, Fördergebenden, Kund*innen und Konkurrent*innen gleichermaßen professionell umgehen zu können, sowie Darstellungskompetenzen, die es erlauben, Produkte in analogen sowie sozialen und digitalen Medien, vor Fördergebenden und potenziellen Kund*innen, bei Ausstellungen, auf Messen oder Märkten zu präsentieren. Dafür sind nicht zuletzt auch kulturelle Kompetenzen essenziell, um einem Objekt sowie auch sich selbst als Individuum eine spezifische Bedeutung zu verleihen (vgl. Moritsch et al. 2020, S. 132f). So verkauft ein*e produzierende*r Gestalter*in nicht bloß Gebrauchsgegenstände, sondern damit auch Distinktions merkmale und Lebensstile, Aspirationen und Hoffnungen, Stil und Individualität. Aus der Tätigkeit produzierender Gestalter*innen entstehen somit neue Praxisbündel sowie neuartige Konstellationen aus Kompetenzen, Materialien und Bedeutungen (vgl. Shove et al. Es2012).wird deutlich, dass es weder aus ökonomischer noch kultureller Sicht einfach ist, produzierende*r Gestalter*in zu werden. Wie wir auf Basis unserer Publikation „Kreative Identitäten” argumentieren, bedarf es Unterstützungsstrukturen auf unterschiedlichen Ebenen, um neue Formen kreativ-wirtschaftlicher Berufe nachhaltig überlebensfähig zu Aufmachen.derdiskursiven

Ebene benötigen wir neue, medial sowie institu tionell unterstützte Bilder produzierender Gestalter*innen – nämlich solche, die sowohl Kreativität als auch handwerkliche und ökonomische Kompetenz positiv darstellen. Das gegenwärtige Ausbildungs system konzentriert sich schon in sehr frühem Alter auf die Hinleitung zur akademischen Bildung; so wird dem Erlernen praktischer Fähig keiten im klassischen Schulsystem nur wenig Raum gegeben und damit entsprechende Begabungen seltener erkannt und gefördert (vgl. Moritsch et al. 2020, S. 133). Nicht zuletzt das EU-InterregProjekt „DuALPlus – Promoting excellence in dual education”2 (Laufzeit 2018–2021), an dem wir als Projektpartner*innen beteiligt 2https://www.alpine-space.org/projects/dualplus/en/home

Werkstattaufnahme. Copyright: Partik/Fürst, NDU

In Österreich starteten in den letzten Jahren mehrere Initiativen und Programme, um handwerkliche Ausbildung sowohl attraktiver als auch formal durchlässiger zu gestalten. Beispielsweise kombiniert die neue Werkraumschule Bregenzerwald3 auf Sekundarschulebene einen Handelsschul- sowie Lehrabschluss in unterschiedlichen Berufsfeldern. Auf tertiärer Ebene entwickelten, testeten und evaluier ten wir im Rahmen von „DuALPlus” das Pilotmodell „Facharbeiter*in nenausbildung für Studierende”4 mit ausgewählten Diplomand*innen des Bachelor-Designstudiengangs „Design, Handwerk & materielle Kultur“ an der New Design University (NDU) in St. Pölten. Parallel zum Studienabschluss als Bachelor of Arts konnten die angehenden Akademiker*innen einen Lehrabschluss als Stahlbautechniker*in erwerben. Dabei traten Problemstellungen auf, die sowohl zeigten, 43http://werkraum.at/werkraumschule/https://www.alpine-space.org/projects/dualplus/pdfs/t241/dt241trainingprogrammereport_ndu_d.pdf

Die bedeutende Rolle, die der institutionellen Ebene dabei zukommt, offenbarte sich auch in den von uns analysierten Fallgeschichten, die das Potenzial einer frühzeitigen Unterstützung und Förderung handwerklich begabter, junger Menschen deutlich machten. Die Präferenz formal höherer Bildung beruht häufig auch im Zeitpunkt (achte Schulstufe) sowie der angeblichen „Endgültigkeit” einer Entscheidung für eine Lehre im Gegensatz zur scheinbar mehrere Möglichkeiten eröffnenden Matura oder zum Studium. Eine stärkere institutionelle Durchlässigkeit zwischen dualen und tertiären Bildungsformen könnte die Herausbildung kreativer, gestalterischer und produzierender Identitäten maßgeblich fördern. Ein Beispiel hierfür sind duale Studiengänge, die etwa ein Hochschulstudium mit einer Berufsausbildung bzw. Berufspraxis kombinieren (vgl. Moritsch et al. 2020, S. 133f).

waren,40 zeigte die Notwendigkeit der Förderung des Images und der Attraktivität und die Entwicklung neuer Modelle dualer Ausbildung, um das Bewusstsein für die Wertigkeit handwerklicher Bildung wieder bei jungen Menschen, Eltern und Entscheidungsträger*innen zu stärken.

41 welch hohes Fach- und Praxiswissen nötig ist, um einen qualifizierten Lehrabschluss zu erreichen, als auch institutionelle und bildungspolitische Hürden im berufsbildenden und akademischen Bereich, welche die Implementierung derartiger innovativer Formate erschwert bis verunmöglicht.

Produzierende Gestalter*innen bewegen sich zwischen handwerklich-produzierendem Facharbeiter*innen- und künstlerisch-kreativem Designmilieu. In diesem beruflichen Zwischenbereich haben sich die befragten Personen eine Nische geschaffen, aus der sich neue berufliche Identitäten, Profile, Bildungsinstitutionen und Ökonomien entwickeln (vgl. Moritsch et al. 2020, S. 135).

Aufbauend auf den Projektergebnissen sowie weiterer Forschung fokussierte sich die Folgestudie „Produzierende Gestalter*in werden“ (2021) auf das Bachelorstudium „Design, Handwerk & materielle Kultur“ an der NDU als Raum, in dem diese Gewohnheitsformen und Identitäten entwickeln, um Unterschiede zwischen Studierenden und Absolvent*innen aus formal „bildungsnahen” und „bildungsfernen” Familien in Bezug auf u. a. Fähigkeiten und akademischen Erfolg, Herausforderungen im Rahmen der Ausbildung oder Übergängen vom Studium ins Berufsleben zu untersuchen. Dabei zeigten die Ergebnisse nur geringe signifikante Unterschiede zwischen den Studierenden bzw. Absolvent*innen aus formal „bildungsnahen” und „bildungsfernen” Familien. So verfügen beide Gruppen über eine hohe intrinsische Bildungsmotivation und profitie ren von einer Kombination theoretischer Spezialisierungen und dem Ausbau praktischer Kompetenzen während des Studiums.

Der Wechsel aus der Lehre oder berufsbildenden Schule an eine Universität und umgekehrt ist zwar grundsätzlich möglich, gestaltet sich in der Praxis aber aufgrund formaler Zugangsvoraussetzungen, durch den Habitus beeinflusster informeller Hürden (z. B. Zugänglichkeit zu Information, Erwartungen), aber vor allem durch die fehlende Bereitschaft zu grundlegenden bildungspolitischen Innovationen schwierig (vgl. Moritsch et al. 2020, S. 134).

Die Ergebnisse unserer bisherigen Forschung verdeutlichen die Notwendigkeit einer Reformierung der Lehre. Den Wandel in Habitus und Identität berücksichtigend, untersucht daher das Projekt „Research in Design Education“5 (2019–2022) Möglichkeiten, Design und wissenschaftliche Praxen in der Designlehre innerhalb von Bachelorstudiengängen so zu implementieren, dass eine tragfähige Wissensbrücke zwischen Theorie, Empirie und Designpraxis gebaut werden kann. Unser mittelfristiges Ziel ist es, einen Beitrag zu leisten, um die Permeabilität zwischen Wissenschaft und Praxis zu verbessern, indem beispielsweise die Anschlussfähigkeit praxisgenerierten Wissens zu wissenschaftlichen Standards schon in der Handwerksund Designausbildung thematisiert wird und die Grundlagen dafür gelegt werden. Dazu ist es erforderlich, weiteres Grundlagenwissen über aktuelle Methoden und Standards innerhalb der epistemischen Traditionen und der konstruktiven Designforschung (experimentell, methodisch, programmatisch und dialektisch) zu generieren. Darauf aufbauend könnten in der Lehre vermittelbare Methoden entsprechend allgemein gültiger wissenschaftlicher Standards entwickelt werden, die den Transfer von Erkenntnissen aus der Praxis in die Wissenschaft und vice versa ermöglichen. Wir sehen die Notwendig keit der Verbesserung des Wissenstransfers zwischen Forschung, 5https://www.ndu.ac.at/forschung/drittmittelprojekte/research-in-design-education/

Der42 Bildungserfolg wird tendenziell auch heute noch durch den familiären Hintergrund geprägt. So zeigte auch unsere Studie, dass die Herausforderungen im Rahmen des Studiums der Befragten durch den beruflichen Hintergrund ihrer Eltern sowie ihre bisherigen theoretischen und praktischen Erfahrungen beeinflusst wurden. Dabei wiesen die gesammelten Daten aber zugleich auch auf erhebliche kollektive Unterstützungsbemühungen unter den Studierenden hin, die sich sowohl im Austausch praktischer Erfahrungen als auch in impliziten Praktiken äußerten.

3. Forschungsperspektive

43 Design und Handwerk aber nicht nur im universitären Bereich, sondern ebenso auf Ebene berufsbildender, betrieblicher und schulischer Ausbildung. Dabei beschäftigt uns unter anderem die Frage, wie Fachschüler*innen und somit künftige Praktiker*-innen im Handwerk von der Vermittlung von Forschungs- und Gestaltungs kompetenzen in ihrer Ausbildung profitieren könnten. Die Integration forscherisch-gestaltender Arbeitspraxen in fachschulische Curricula könnte zum einen zur Schärfung praktischer Berufsbilder im Hinblick auf die Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes beitragen, in dem die Verknüpfung von Forschung, Gestaltung und Produktion zunehmend relevant wird. Zum anderen verbessert eine entsprechende Weiterentwicklung des Lehrplans berufsbildender mittlerer Schulen die Durch-lässigkeit zwischen fachschulischer und akademischer Bildung, wodurch Fachschüler*innen zusätzliche Perspektiven für ihren künftigen Bildungs- und Berufsweg eröffnet werden.

4. Schlussfolgerungen Unsere bisherige Forschung legt den Schluss nahe, dass eine Integration forscherisch-gestaltender Arbeitspraxen in duale bzw. fachschulische (Aus-)bildungen einerseits die Entwicklung zukunfts fähiger praktischer Berufsbilder hinsichtlich der Herausforderungen des modernen Arbeitsmarktes, in dem das Zusammenspiel von Forschung, Gestaltung und Produktion immer bedeutender wird, begünstigt. Andrerseits gehen wir davon aus, dass eine entsprechen de Adaption der Curricula von Berufsschulen und berufsbildenden mittleren Schulen auch die Durchlässigkeit zwischen sekundärer und tertiärer Bildung fördert, wodurch sich neue Bildungs- und Karriere wege für Facharbeiter*innen und Fachschüler*innen öffnen und duale Bildungsmodelle, im Unterschied zur reinen Schulbildung, wieder die ihnen zustehende gesellschaftliche Anerkennung finden könnten. Die Ausbildungs- und Lehrzeit spielt im Rahmen der beruflichen Soziali sation eine entscheidende Rolle. In ihr muss sowohl dem praktischen Erlernen spezifisch handwerklicher und gestalterischer Fertigkeiten, dem Erwerb intellektueller Qualifikationen als auch der Identitätsbildung ausreichend Zeit und Raum gegeben werden.

Im44 akademischen Kontext möchten wir mit Blick auf die anhaltende Diskussion und die Frage aus den traditionellen wissenschaftlichen Disziplinen, welche Art von Wissen aus einer praxisorientierten Forschung resultieren könnte, die wissenschaftlichen Standards entspricht, zu einer Verbindung beider Bereiche beitragen. Aus Sicht der Praxis bedeutet dies, neue Methoden mit bewährten zu verbinden, und sich an wissenschaftlichen Standards zu orientieren. Aus der Perspektive der Wissenschaft bedeutet dies, die Praxis als Feld der Wissensgenerierung zu erschließen. Unsere Recherchen sowie unsere eigene empirische Forschung haben deutlich gemacht, dass produzierende Gestalter*innen, Handwerker*innen und Designer*innen heute sowohl solide fachliche Qualifikationen in Gestaltung und Produktion vorweisen und den Herausforderungen der Wirtschaft gewachsen sein als auch Forschung und Entwicklung in ihre Arbeits praxis integrieren müssen, um Innovationsmöglichkeiten zu erkennen und nachhaltig nutzen zu können. Eine zukunftsorientierte Ausbildung in Handwerks- bzw. Kreativberufen muss daher Gestaltung, Produktion, Ökonomie und Forschung eine weitgehend gleichberechtigte Stellung geben. Dafür bedarf es größerer Durchlässigkeit zwischen berufsbildender und hochschulischer Ausbildung sowie der Verbesserung der Anschlussfähigkeit unter den Disziplinen. Wir trauern nicht um jenes „traditionelle” Handwerk als Teil eines immateriellen Kulturerbes, das in Freilichtmuseen, Brauchtumsgrup pen und anderen kulturhistorischen Reservaten gut aufgehoben ist, sondern möchten vielmehr einen Beitrag dazu leisten, dass die produzierenden Gestalter*innen der Zukunft ihre Chancen erkennen und nutzen können und damit an einer positiven Entwicklung unserer Gesellschaft und ihrer materiellen Kultur mitwirken!

Univ.-Prof. Mag.art Stefan Moritsch, Designer, Studiengangsleiter BA „Design, Handwerk & materielle Kultur“, Fakultät Gestaltung, New Design University, St. Pölten Julia Pintsuk-Christof, M.A., Soziologin

45 Literatur Aktas, B. M., Yantac, A. E., Alaca, I. V. (2015) Holding together: Exploring Intangible Cultural Heritage Objects via Diagrammatic Drawings. In: Nordes, No 6, S. 1–9. Ax, C. (2013) Das Handwerk der Zukunft: Leitbilder für nachhaltiges Wirtschaften. Basel: Birkhäuser. Baggerman, M., Kuusk, K., Arets, D., Raumakers, B., Tomico, O., (2013) The Social Fabric: Exploring the Social Value of Craftsmanship for Service Design. In: Nordic Design Research Conference 2013, Copenhagen-Malmö, S. 267–273. Beck, U.(1986) Risikogesellschaft: auf dem Weg in eine andere Moderne. Edition Suhrkamp, Bd. 1365. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Borries, F. v. (2016) Weltentwerfen – Eine politische Designtheorie. Berlin: Suhrkamp Verlag. Fallan, K. (2012) Scandinavian Design: Alternative Histories. Oxford: Berg. Gruber, E. (2000) Schöne neue Bildungswelt? Bildung und Weiterbildung in Modernisierungsprozessen.

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48 Laurenz Kyral, Sarah Lehner, Martin Koberwein, Petra Wieser. Copyright: Partik/Fürst, NDU IMPRESSIONEN VERANSTALTUNGDER

49 Stefan Moritsch im Gespräch mit Michaela und Paul Hysek-Unterweger. Copyright: Partik/Fürst, NDU Peter Bruckner, Maria Großgasteiger. Copyright: Partik/Fürst, NDU

50 PREISTRÄGER*INNEN

Hauptpreis MARTIN KOBERWEIN

v.l.n.r. Rainald Franz, Stefan Moritsch, Martin Koberwein, Andreas Kraler, Michaela Hysek-Unterweger. Copyright: Partik/Fürst, NDU

Schaukästen für den öffentlichen Außenbereich Martin Koberwein Hauptpreis

Dieses Projekt beschäftigt sich mit dem Thema „Freie Verkaufsflä chen im öffentlichen Raum“ in Form von montierten Schaukästen. Es soll zur Förderung der regionalen Kunst und Kultur dienen, da diese als Verkaufsplattform von produzierenden Designer*innen und Künstler*innen genutzt werden können. Dadurch bekommen sie die Möglichkeit, ihre Kunst und teils handgefertigte Exponate im nahen regionalen wie auch im überregionalen Kreis vermarkten zu können. Der Schaukasten fungiert als Verkaufsfläche, in dem Objekte in vordefinierter Größe ausgestellt werden können. Passant*innen und Kaufinteressent*innen können die Objekte in Originalgröße begutachten und allseitig besichtigen. Bei Interesse an den Objekten führen eine Kaufbeschreibung und ein QR-Code,welcher an der Verkleidung der Kästen angebracht ist, den Kund*innen zu den Kon taktdaten bzw.–falls vorhanden–zu einem Onlineshop der Designerin und des Designers. Zusätzlich können Informationen über die Kunst werke wie auch über die schaffende Person, welche diese produziert hat, abgerufen werden. Stahl, Glas, Elektronik 2021

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Gewinnerprojekt. Copyright: Partik/Fürst, NDU

Anerkennungspreis LAURENZ KYRAL

Laurenz Kyral. Copyright: Partik/Fürst, NDU

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REFLECTING LEAF Laurenz Kyral Anerkennungspreis

Obwohl LED-Beleuchtungen für den Wohnraum oft kühl und unangenehm empfunden werden, können deren Reflexionen an polierten Buntmetallen eine angenehmere Atmosphäre erzeugen. Zusätzlich kann die Lichtstimmung durch das Beleuchten der Hammerschlagoberfläche eines getriebenen Blechelements verändert werden. Die Stehleuchte „Reflecting Leaf“ ist für die handwerkliche Produktion als Kleinserie geeignet. Alle Einzelteile, handgefertigt oder normiert, werden miteinander verschraubt und können somit leicht repariert und ausgetauscht werden. Im zylindrischen Fuß aus brüniertem Stahl ist ein LED-Spot integriert. Drei zarte Rundstäbe tragen eine handgetriebene Schale aus Messing oder Kupfer. Diese variiert in Form, Wölbung, Größe und Hammerschlagmuster. So wird jede Lampe zu einem Unikat. Eisen, Cu/Ms/Vergoldet 2022

Reflecting Leaf. Copyright: Laurenz Kyral

Anerkennungspreis DANIEL HUMML

Daniel Humml. Copyright: Partik/Fürst, NDU

Sowohl die GD21 wie auch die GD22 sind nicht nur als einfache Garderobenmöbel zu verstehen, sondern viel mehr als Hilfestellung. Entscheidend ist, dass die Garderobe eine Sitzmöglichkeit bietet, die für jede Person geeignet ist. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Aufstützfunktion, sodass auch ältere Menschen keine Probleme beim Hinsetzen und Aufstehen haben. Die Garderobe zeichnet sich durch eine einfache und stabile Rohrkonstruktion aus. Ihre Form erhalten die GD21 und GD22 in Anlehnung an die von Marcel Breuer entwor fenen Stahlrohrmöbel. Das quaderförmige Gestell aus Stahlrohren ist dabei ein zentrales Element des Designs. Die Offenlegung des Rohrgestells und der verspannten Gurte, die als Sitzfläche fungieren, sorgen für ein schlichtes und zeitloses Design. Die Kombination aus diesen zwei Materialien weist eine sehr hohe Langlebigkeit auf. Stahlrohr verchromt 2022

62

GARDEROBE Daniel AnerkennungspreisHumml

Garderobe. Copyright: Foto Korab

Anerkennungspreis SARAH LEHNER

Sarah Lehner. Copyright: Partik/Fürst, NDU

Der Entwurf des C-SoFa entsprang der Idee, ein vollwertiges Sofa zu erschaffen, das man in einem Kofferraum transportieren kann. Alle Materialien sind kreislauffähig. Der Rahmen aus Rohstahl (Modell: Kupfer) reduziert die klassische Sofaform auf eine optische Essenz aus C-Linien und Geraden. Er stellt außerdem sicher, dass keine Streben den Komfort schmälern. Das Gestell ist zerlegbar, aber dennoch stabil genug, um die mit Trampolinfedern aus Alumi nium befestigte Bespannung wippend zu tragen. Die Bespannung aus reißfesten Naturfasern ist durch eine Materialverstärkung an Sitz- und Rückenfläche mit Hilfe einer Zugfeder nach hinten unten verspannt, um die Sitzlast auszugleichen. Das komfortable Sitzkissen wird per Klettverschluss auf der Bespannung befestigt. Die Überzüge können entnommen werden, um den Stoff einerseits waschbar zu machen und andererseits den Transport zu erleichtern. Stahl, Textil 2022

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C-SoFa Sarah AnerkennungspreisLehner

C-SoFa. Copyright: Foto Korab

Anerkennungspreis THERESA BINDER

Theresa Binder. Copyright: Partik/Fürst, NDU

Anerkennungspreis

Floating Spoon ist eine Duftlampe aus Metall. Sie kann aus Messing, Kupfer oder Stahl gefertigt werden. Der Entwurf zeichnet sich durch ein schlankes Design aus, das zu einer angenehmen Atmosphäre beiträgt. Der Henkel ist so konzipiert, dass das Material oben bei der Rundung nicht warm wird. Auch der Abstand vom Löffel zur Flamme ist so gestaltet, dass das Öl nicht verbrennt. Da Messing eine sehr gute Wärmeleitung hat, empfiehlt es sich bei diesem Entwurf eine Fertigung aus Stahl anzudenken. Das Objekt ist im Zuge eines Semesterprojektes im Studiengang „Design, Handwerk und materielle Kultur“ der New Design University in Kooperation mit dem Werkraum Bregenzerwald 2018 entstanden und war 2019 auf der Vienna Design Week ausgestellt.

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2018Messing/Kupfer/Stahl

FLOATING SPOON Theresa Binder

Floating Spoon. Copyright: Foto Korab

Anerkennungspreis ROXANNE KURY

Projekteinreichung Roxanne Kury. Copyright: Partik/Fürst, NDU

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GROWFRAME Roxanne Kury Anerkennungspreis

2021Edelstahl

Der Growframe ermöglicht den Indoor-Anbau von Microgreens nachhaltig und unkompliziert. Durch seine kompakte Größe und die Aufhängung ist er platzsparend und somit auch für kleinere Küchen eine gute Lösung. Der Rahmen besteht aus hochwertigem Edelstahl und ist hygienisch und leicht zu reinigen. Der Anbau im Growframe basiert auf einem Hydroponiksystem, wodurch mit geringen Wassermengen Microgreens gezogen werden können.

In den Growframe werden auf ein in einen Rahmen aufgespanntes, flexibles Netz Samen aufgestreut. Anschließend werden diese mit einem Bewässerungsmedium (Wettex, Kokosfasern, etc.) bedeckt und darauf der Besteckkorb platziert. Nun müssen die Keimlinge nur noch mittels Sprühflasche oder mit abgewaschenem Besteck feucht gehalten werden. Es ist auch möglich, die Keimlinge nach oben wachsen zu lassen.

Growframe. Copyright: Foto Korab

v. l. n. r.: Rainald Franz, Sarah Lehner, Laurenz Kyral, Martin Koberwein, Stefan Moritsch, Daniel Hummel, Theresa Binder, Andreas Kraler, Michaela Hysek-Unterweger .Copyright: Partik/Fürst, NDU

78 NACHAUFNACHTRAGDERSUCHESTIL,ZUR HEBUNG DES GESCHMACKS Gerhard Pirkner

79 Osttirol hat einen neuen Designpreis, benannt nach einem legendären Handwerker: Peter Bruckner. Manche Events passen in keine Schublade. Eine DesignpreisVerleihung in Tristach zum Beispiel. Am 22. Juli traf sich aus diesem Anlass eine illustre Schar in der Ehrenburgstraße 2, einem Ort, der sich erst auf den zweiten Blick nicht als Deponie für Metallschrott entpuppt, sondern als kreativer Tatort, an dem Schlossermeister Peter Bruckner ein ganzes Arbeitsleben lang zur Hochform auflief, wann immer jemand mit einer unkonventionellen Aufgabenstellung zu ihm kam. Und das war häufig der Fall. Bruckner, Jahrgang 1935 und längst im Ruhestand, galt als legendärer Problemlöser weit über sein Schlosserhandwerk hinaus, als Metallbearbeiter und Konstrukteur, Bildhauer und Erfinder, der sich selbst nicht als Designer bezeichnet, auch wenn ihn die nachfol gende Generation zum Namensgeber eines Design-Preises macht.

Dieser Meister seines Faches hat nicht nur ungezählte handwerkliche Objekte hinterlassen, sondern auch eine Werkstätte, die selbst eine Art Denkmal kreativen Schaffens ist. Diese subkulturelle, organisch gewachsene Gegenwelt zur nüchternen Digitalzeit ist ein ebenso archaisch wie schöpferisch anmutender Ort mit einer ganz eigenen Ordnung, eine Fundgrube und zugleich auch ein Display, auf dem sich junge Kreativität in Graffitis entlädt, die mit der gewachsenen Umgebung zu einer erstaunlich urban anmutenden Kulisse Verstärktverschmelzen.wurde

das Gefühl von Urbanität an diesem Freitagabend in Tristach noch durch die angereisten Studentinnen und Studenten der New Design University St. Pölten, einer Privatuni der Wirtschaftskam mer, an der Peter Bruckners Schwiegersohn, der Designer Stefan Moritsch lehrt. Er und Bruckners Tochter Katharina, ebenfalls Designerin, begrüßten das Publikum bei der Preisverleihung, darunter mit Franz und Andreas Kraler zwei Industrielle, deren Familienunternehmen HELLA in Abfaltersbach früher mit dem

Und so wurde das, was auf den ersten Blick etwas anmaßend schien – einen Designpreis nach einem Tristacher Handwerker zu benennen – plötzlich erstaunlich rund und logisch, auch durch die Ausführun gen von Rainald Franz, Museumskurator am MAK in Wien. „Auf der Suche nach dem Stil, zur Hebung des Geschmacks“ übertitelte er sein Gastreferat und spannte den Bogen über 160 Jahre österreichischer Designgeschichte, von den Anfängen in der Monarchie über die legendären Wiener Werkstätten und das Bauhaus bis in eine Gegenwart, die in Osttirol vorwiegend handwerklich, anderswo aber auch architektonisch und künstlerisch eine Brücke zwischen Entwurf und Ausführung schlägt.

Schlosser80 aus Tristach eng zusammenarbeitete und heute immer wieder auf Gestaltungsideen von Designer Stefan Moritsch setzt. HELLA zählt deshalb auch zu den Sponsoren des Preises.

Darum ging es nämlich an diesem Abend. „Wie kann man zusammen führen, was in vielen Denkweisen immer noch getrennt ist, nämlich das Entwerferische und das handwerklich Ausführende?“, fragte Rainald Franz und zitierte Goethe: „Das Nützliche fördert sich selbst, Arbeits- und Wohncontainer Peter Bruckner. Copyright: Dolomitenstadt/Pirkner

Katharina Bruckner, Stefan Moritsch. Copyright: Dolomitenstadt/Pirkner

81 denn die Menge bringt es hervor und niemand kann es entbehren. Das Schöne muss befördert werden, denn wenige stellen es dar und viele bedürfen es.“ Erst wenn Entwurf und Ausführung zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen, entsteht Fortschritt, unterstrich der Referent und schritt mit Stefan Moritsch zur Preisverleihung. 22 Einreichungen hatte eine Fachjury ausgewertet. Der erste Peter Bruckner Preis ging an den Designstudenten Martin Koberwein für ein Objekt, das Symbolcharakter hat: Eine Vitrine, die nur auf den ersten Blick simpel und beinahe banal erscheint, bei näherer Betrachtung aber geradezu Brucknersche Qualitäten zeigt, enorme Robustheit, technische Raffinesse, sinnvolle Funktionalität und Bescheidenheit im eigenen Auftritt, der sich in den Dienst der Inszenierung von Werken anderer stellt.

Beim anschließenden Smalltalk in der Werkstatt wurde klar, dass hier eventuell etwas angestoßen wurde, ein Prozess, der schon lange in den Köpfen lokaler Wirtschaftsfunktionär*innen und Vordenker*in nen gärt und bislang keine wirklich befriedigende Plattform schaffen konnte, nun aber vielleicht gerade durch den Spiritus Rector dieses Preises und die Kompetenz seiner Nachfolger*innen in die Gänge kommen könnte.

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Stefan Moritsch und Partnerin Katharina Maria Bruckner nicht den Fehler machen, dem Provinziellen den Vorrang vor dem Professionellen zu geben und nicht in romantischer Verklärung des Handwerklichen auf die elementaren Bedingungen guten Designs vergessen, dann könnte Peter Bruckner im hohen Alter zur Symbol figur für einen Ausbruch der Osttiroler Szene aus der eigenen Exzentrik werden, hinaus in die offene und unendlich weite Landschaft der Designkunst, die das alte Handwerk ehrt, aber nicht mystifiziert und die neuen Zeiten und Strömungen nicht verdammt, sondern als Chance begreift. Dr. Gerhard Pirkner Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“, Kommunikationsberater und Inhaber der Werbeagentur Pirkner Network. Nachtrag Onlinemagazinartikel aus Dolomitenstadt.at am 26.7.2022

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Werkstatt mit Publikum und Vitrine. Copyright: Partik/Fürst, NDU

Mit freundlicher Unterstützung der D.E.S.I.G.N. Foundation ISBN 978-3-9505032-4-1

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