Neue Szene Augsburg 2019-03

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Die Straßen und Plätze von Augsburg Little Moscow - Ein Besuch im Univiertel. Von Marcus Ertle ie Kälte passt schon mal zum Titel. Im 2.000 Kilometer entfernten und richtigen Moskau kann es, zumindest gefühlt, kaum viel frischer sein als hier und jetzt in Little Moscow, wie das Augsburger Univiertel landläufig auch gerne genannt wird, durch das ein eisiger Wind weht. Ich habe mir zwar vor meiner kleinen Expedition geschworen, dass ich Klischees strikt meiden werde, aber das ist natürlich ein alberner Vorsatz.

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Sind wir doch alle irgendwo, irgendwie, irgendwann Klischees, aber das muss ja nichts Schlechtes sein. Und gleich steht zwanzig Meter vor mir ein junger Mann, der einen gewissen Kleidungsstil kultiviert hat, den man jungen russischstämmigen Männern gerne nachsagt: Turnschuhe, eine Marken-Jogginghose mit Streifen und eine dicke Winterjacke. Woher kommt nur diese Vorliebe? Ich glaube, es sind ganz praktische Erwägungen, die ästhetischen Erwägungen gegenüber vielleicht sogar einen gewissen Vorrang haben. Jogginghosen, Steppjacke (heißt das so?) und Turnschuhe sind, wenn man sich einmal dazu entschlossen hat, sie auch außerhalb sportlicher Aktivitäten zu tragen, nämlich unschlagbar bequem. Und wer sagt denn, dass Männer sich herausputzen oder wie androgyne Models oder herausgeputzte Landadlige aussehen müssen? Ist das nicht vielleicht wirklich ein, ja, verweichlichtes Männerbild, das da gepflegt wird und sind die virilen Vertreter einer eher, naja, bodenständigen Männlichkeit nicht vielleicht, tja, männlicher, authentischer? Schwer zu sagen. Bei den Frauen tue ich mir, typisch Mann, leichter. Die russischen Frauen erkennt man im Univiertel natürlich zum einen einfach daran, dass man sie reden hört und zum anderen an einem Look, der in gewisser Weise traditionell ist. Was meine ich damit? Ich sage mal so, man erkennt gewisse traditionelle Denkweisen an der Kleidung. Bei jungen Frauen fällt mir auf, dass sie viel Wert darauf legen, dass man sie als junge und attraktive Frauen erkennt, das ist bei jungen Frauen ohne russischstämmigen Background nicht anders, könnte man jetzt natürlich mit einer gewissen Berechtigung einwerfen, es gibt aber doch einen Unterschied. Die jungen russischen Frauen, die ich sehe, kommen einer eher traditionellen männlichen Erwartungshaltung insoweit entgegen, als sie zugleich körperbetont und konventionell gekleidet sind und natürlich durchaus aufwendig geschminkt. Ich sage das natürlich mit dem Wissen, dass ich immer nur einen winzigen Teil der Wahrheit sehe, aber ich wage die These, dass die russischen Hippie- oder Hipstermädels eine ziemlich kleine Minderheit darstellen. Und die nicht mehr so jungen russischen Frauen? Auch die achten natürlich auf ihr Äußeres. Ich war einmal mit einer Russin zusammen, deren Mutter immer sagte: Eine russische Frau geht ungeschminkt und schlecht angezogen nicht mal auf die Straße zum Müllrausbringen. Gleichzeitig fehlt hier im Straßenbild ein bestimmter Typus der nicht mehr ganz jungen Frauen, der in der übrigen Gesellschaft relativ oft zu sehen ist:


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