fankyzine Nr. 6

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Jusse Genre: Tattoo’n’Art bei Halunken Bielefeld Heimatstadt: Minden Interview am 5. Juli 2017 im Plan B, Bielefeld Tätowierer gehören irgendwie zur Musik dazu. Das ist schon ein Zusammenspiel. Klar gibt es Leute, die überhaupt nicht tätowiert sind, aber in den meisten Kreisen sind Bandmitglieder zugehackt. Du tätowierst seit Anfang 2011. Kannst du noch zählen, wie viele Menschen du schon verschönert hast? Oh Gott, nee. Ich hab mal probiert, das grob zu überschlagen, aber es ist einfach gar nicht möglich. Das liegt unter anderem an den verrückten Intervallen. Bei Tattoo Family Eisenhauer gab es montags einen Walk In Day mit fünf bis zehn Terminen pro Tätowierer. Regulär habe ich am Tag ein bis drei Kunden. Wenn ich am Wochenende auf einer Convention bin, knüppel ich auch wie verrückt. War das Tätowieren dein erster Berufswunsch? Nee, meine erste Wahl war es nicht, aber trotzdem der absolute Traumjob. Ich bin gelernte Gestaltungstechnische Assistentin. Zur Ausbildung gehörte ganz viel Kunst und Photoshop mit einem sehr starken Bezug zu Printmedien. Ich merkte relativ schnell, dass das nicht mein Fall war. Tätowierer waren für mich bis dahin unantastbar. Mein erstes Tattoo erhielt ich vor zwölf Jahren von einem Tätowierer. Meine Stammtätowiererin war für mich damals ein totaler Rockstar. Sie war die Tochter eines Tätowierers und kam so in die Branche. Ich hatte keine Ahnung, dass man in den Beruf überhaupt irgendwie reinkommen kann. Du hast dein Handwerk bei Tattoo Family Eisenhauer in Minden erlernt. Ja, aber es ist keine staatlich anerkannte Ausbildung. Ich stellte meine Arbeitsmappe zusammen und ging in verschiedene Studios, um da eventuell genommen zu werden. Wie schnell darf man Menschen tätowieren? Bei Eisenhauer durfte ich relativ schnell an die Nadel, natürlich immer nur unter Aufsicht. Du fängst auch mit einfachen Dingen an. Meine erste Kundin kannte ich. Sie kam zu uns mit richtig verkackten, schwarzen Schmetterlingen von ihrem Exfreund auf dem Ober-

schenkel. Meine Chefin zog für das neue Tattoo die Linien, und ich durfte ausfüllen. Ich wurde step by step und ganz entspannt rangeführt. Unser Azubi bei den Halunken ist seit einem halben Jahr da und fing erst vor kurzem mit dem Tätowieren an. Hat es anfangs Überwindung gekostet, auf Menschen zu arbeiten? Total. Das erste Tattoo stach ich auf mir. Das ist die krasseste Überwindung überhaupt. Umso länger man dran sitzt, desto besser läuft es. Bei den ersten fremden Kunden, die zahlten, musste ich vorher ein paar Mal tief durchatmen. Gibt es bei Tätowierern sowas wie Lampenfieber? Es ist immer wieder eine Herausforderung. Zur Arbeit gehört für mich persönlich nicht nur das reine Tätowieren, sondern auch der menschliche Kontakt. Das ist fast noch wichtiger. Du hängst stundenlang zusammen und wenn du dir unsympathisch bist, ist es sowohl für Tätowierer als auch für Kunden echt kacke. Vor dem Stechen habe ich also kein Lampenfieber, aber vor dem Menschen, weil man sich so nahe kommt. Ich mache ja meine Termine per E-Mail und weiß nicht, wer auftaucht. Ich kann dir eigentlich zu 100 Prozent sagen, dass ich keine bescheuerten Kunden habe. Die sind eigentlich durchweg cool. In all den Stunden, in denen man aufeinander hängt, wird man superprivat. Das war in der Zeit, als ich von zuhause aus tätowierte, noch extremer. Die Leute öffnen sich unglaublich. Ich behandle das natürlich mit Respekt, das ist für mich wie eine Schweigepflicht. Du bist als Tätowiererin offensichtlich sehr erfolgreich, hast einen vollen Terminkalender, trittst auf Cons auf, hast eine breite Fanbase und das gerade mal mit 28. Ich tätowiere seit 2011. Angesichts dessen muss ich sagen, dass die Reichweite nicht so groß ist. Wenn ich andere Tätowierer sehe, die auf Instagram 20.000 Follower aufwärts haben, sind meine 2000 Follower nicht so viel. Dennoch habe ich immer zu tun. Ich brauche keine Massen, die mir folgen, solange man mir in der Sache vertraut. Hast du als Tätowiererin Ziele oder kann es so weitergehen? Ich liebe es, im Studio zu arbeiten. Wir haben dort alle Freiheiten, können Guest Spots machen, haben flexible Arbeitszeiten. So, wie es jetzt ist, gefällt es mir zu 100 Prozent. Es wäre natürlich echt ein Traum, wenn man irgendwann, vielleicht in einem Jahr, auf Tour gehen könnte. fankyzine __ 53


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