Feirer 2016: JETZT

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...wissend, dass die Vergangenheit genauso fantastisch wird, wie es dir Zukunft war! Kerstin Feirer


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Wo stehen wir im Moment? Haben wir einen Standpunkt? Wenn ja, wie steht es sich darauf? Im Jetzt und hier! Denn Jetzt ist der Moment den wir haben. Ein Standpunkt. Vermutlich der einzige, den wir mit Gewissheit einnehmen kĂśnnen. Wir stehen im Jetzt, hinter uns liegt die Vergangenheit und vor uns die Zukunft. FlĂźchtig. Nicht einzuholen. Nicht nachzuholen. Jetzt ist, was ist. War und Wird wird gedacht. Aus dem Jetzt heraus. Ohne zu wissen, wie es war und wird, selbst wenn wir es erlebt haben. 3


...denken wir an Gestern. Mit dem Wissen von heute. Mit all dem, was zwischen jetzt und dem vergangenen Jetzt war, an das wir uns erinnern. Gefiltert, gefärbt und vergessen wird das Erinnern zur Geschichte. Zu einer Geschichte im Kopf, die mit dem Jetzt von damals nichts gemein hat, weil sie gedacht wird von einem, der damals nicht war. Der Selbe und doch ein anderer, verändert durch die vergangene Zeit, durch die eindrucksvollen Momente dazwischen, die ihm die momentane Gestalt verleihen. Immer konstruiert aus den Fragmenten von Tatsachen, die beziffert und gemessen, abgelichtet, aufgemalt und beschrieben wurden, um dem Was War eine unauslöschliche Gestalt zu geben. Ohne Wie. Denn das „Wie es war“ kann nur erinnert, erahnt und somit erdacht werden. Aus dem Jetzt heraus konstruiert. Denn wer nachfühlt, nimmt es jetzt wahr! 4


Geschichte ist konstruiert, ohne dabei Geschehenes zu bezweifeln, selbst wenn das Glauben aus dem Jetzt das Wissen von damals ersetzt – jetzt wissend, dass es sich damals nur um Glauben handelte, auch wenn das Jetzt von damals den glaubhaften Eindruck von Wissen generierte.Wie es das Jetzt gerade tut, immer schon getan hat und immer tun wird. Das ist das Wesen, das dem Moment innewohnt. Wissen um Jetzt. Das Glauben zu wissen um die Vergangenheit ist die Geschichtskonstruktion, die uns im Schlussfolgern hierher führt. Ins Jetzt, aus dem heraus wir Rückschlüsse ziehen, und als historische Konsequenz, als Muster verorten. Wir stellen „Deswegen-Beziehungen“ auf und lassen die Gleichzeitigkeit außer Acht, da die Gleich-zeitigkeit in ihrer Verbindungslosigkeit keine Konstruktion zulassen würde, die wir für unser Geschichtsverständnis brauchen. Wir unterstellen der Vergangenheit Entwicklung indem wir an Wirksamkeit glauben. Daran, dass sich etwas fortsetzt, indem es angestoßen wurde. Weil wir Zukunft denken, indem wir in der Lage sind, uns ein Dann vorzustellen. Wir glauben daran und suchen im Jetzt Beweise dafür. Wir gestalten Ausgangssituationen, um dem Dann eine Chance zur Verwirklichung zu geben.Wir suchen im zukünftigen Jetzt nach dem Beweis, der jetzt noch fehlt um dann von Entwicklungen zu fantasieren, indem wir wieder im Glauben an Wirksamkeit Kausalität unterstellen und Gleichzeitigkeit aus der Gleichung streichen, damit sie sich jetzt lösen lässt. 5


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Dem folgend denken wir Zukunft. Als Trend der sich fortsetzt, an Wirksamkeit glaubend, das Jetzt danach ausrichtend. Morgen wird aus dem Jetzt, aus der Vergangenheit rückschließend gedacht.Würde ich im Jetzt nicht wissen, dass es ein Gestern gab, wie könnte ich an ein Morgen glauben? Unsere Vorstellung von Zukunft ist Denken in Trends, ein Fortsetzen von Wirkung. Gedachte Zukunft ist wie die Vergangenheit. Konstruiert als dann. Selbst wenn sie kommt, wie sie kommt, die Zukunft mit all ihrer Gleichzeitigkeit, wird sie als Jetzt passieren und wieder zur Vergangenheit, mit der wir, wie mit jedem vergangenen Jetzt, verfahren. Jetzt ist eine Standortbestimmung. Ein Aussichtspunkt, aus dem heraus sich der Blick auf Vergangenes wie auf Zukünftiges zu erklären versucht. Obwohl sich selbst der Moment, das Jetzt, nicht in Schranken weisen lässt. Was Jetzt ist, ist und bleibt unklar. Eine Annahme, die getroffen werden muss, um überhaupt gewahr sein zu können, dass man ist. 7


Handfertigkeit und Poesie Das KulturGeviert|Aprilfestival 2016

„Würde ich im Jetzt nicht wissen, dass es ein Gestern gab, wie könnte ich an ein Morgen glauben?“ Mit ihrer Reflexion „Jetzt…“ führt uns Künstlerin Kerstin Feirer an einige mögliche Fundamente unseres Handelns heran. Wir sind gerade auf dem Weg zum 2016er Kunstsymposion. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Handfertigkeit und Poesie“ fragen wir nach dem Zusammenspiel leiblicher und geistiger Instanzen, wenn es darum geht, etwas zu erschaffen. Feirer sucht nach dem Punkt, von dem aus Handeln möglich wird, von dem aus das Erschaffen beginnen kann. Sie stellt eine enorme Flüchtigkeit solcher Punkte fest. Genau darin liegt einer der besten Gründe, warum stets neu begonnen werden muß, egal, was andere schon zuwege gebracht haben. Martin Krusche Alle weiteren Details und laufend Berichte im Internet www.van.at/howl/kon/4/set01/hand.htm

Impressum kultur.at: verein für medienkultur Florianiplatz 8, 8200 Gleisdorf Koexistenz in Konvergenz 2016 2016, Redaktion: Martin Krusche

In Kooperation mit Fokus Freiberg

Das KulturGeviert


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