B 812 Rosengarten Berheide Wallenfang
Unter den Ahrtaler Weinbergen, rund 25 Kilometer von Bonn entfernt, befinden sich noch heute die Reste des wohl größten deutschen Regierungsgeheimnisses aus Zeiten des Kalten Krieges. Mit rund 17 Kilometern Gesamtlänge bohren sich in über einhundert Metern Tiefe die verzweigten Gänge eines streng geheimen Bunkers durch die Unterwelt, der im Falle eines dritten Weltkrieges Zentrum und Zufluchtsort für die Bundesregierung und die wichtigsten Funktionsträger Deutschlands geworden wäre. Die politischen Ereignisse der Nachkriegszeit und die zunehmende Bedrohung durch den Osten ließen im Westen die Angst vor einem weiteren Weltkrieg wachsen. Nach dem Beitritt Deutschlands in die NATO im Jahr 1955 unterlag der Staat nun strengen Schutzauflagen, zu denen auch ein unterirdischer Schutzraum für die Regierung zählte. Nach langen Planungen und Untersuchungen wurde unter Konrad Adenauer der Standort Marienthal gewählt, der durch die massiven Weinberge und bereits vorhandene, stillstehende Eisenbahntunnel einen idealen Raum boten. Ein Jahr nach Mauerbau, im Jahr 1962 bis 1972, entstand unter dem Decknamen Rosengarten (B 812) ein vier Milliarden DM schweres Bauprojekt, dessen Ausmaße noch heute beeindrucken. Im Verteidigungsfall, das heißt bei drohender Gefahr eines Atomangriffes aus dem Osten, hätten dort etwa 3 000 Menschen in einer unterirdischen Stadt für 30 Tage überleben und die Reste eines schwer geschädigten Staates regieren müssen. Bundespräsident, Bundeskanzler, Präsident des Verfassungsgerichtes, der Bundesbank und der Bundeswehr, Minister und andere wichtige Staatsämter hätten die Verteidigung des Staates und den Schutz der betroffenen Bevölkerung sichergestellt. Für die einzelnen Landesregierungen wurden eigens Bunker im jeweiligen Bundesland errichtet, wie der der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in Kall-Urft. Von 1966 bis 1989 wurde der Ernstfall (Spannungs- und Eskalationsphase im Verteidigungsfall und Vollzug finaler Aufgaben) alle zwei Jahre mit Vertretern der Regierung unter hermetischem Betrieb in bis zu 30 Tagen geprobt. Mit Bundeskanzler- und Präsidentendouble wurde so unter anderem der Vorgang der Gesetzgebung in einem Notparlament wie nach Drehbuch geübt. Diese ebenfalls streng geheimen Übungen trugen Namen wie Fallex, Wintex oder Cimex. Vom Regierungsbunker aus bestand Funkverbindung zu den deutschen Botschaften im Ausland sowie allen NATO-Kommandostellen. Im Falle eines ABC-Angriffes auf Deutschland hätte der Bundespräsident von einem eigens eingebauten WDR-Fernsehstudio aus seine letzte Rede an die deutsche Bevölkerung gerichtet. Wer diese Ansprache noch hätte sehen können, und wie es mit der Bunkerbesatzung nach Ablauf der 30 Tage weitergegangen wäre, verschweigen die Drehbücher allerdings. Bekannt ist nur, dass ein benachbarter Autobahnabschnitt im Notfall zu einer Flugzeuglandebahn umfunktioniert werden konnte. Nicht nur der Bau, sondern auch die Unterhaltung des Bunkers verschlangen Unsummen an Steuergeldern. Es waren ständig 180 Mann im Dreischichtdienst mit der Bereithaltung und Wartung der Tunnelräume beschäftigt, hinzu kamen Strom, Wasser und Material. Auch die Geheimhaltung wies ihre Schwachstellen auf, denn die Anwohner trauten den als THWÜbungsort getarnten Baumaßnahmen nicht mehr, und ein DDR-Spion war unbemerkt seit Baubeginn als Handwerker in den geheimen Bau eingeweiht. Als dann mit dem Mauerfall auch der Eiserne Vorhang fiel, überwogen die Kosten den Nutzen einer solchen Einrichtung. Unter Helmut Kohl wurde der noch immer einsatzbereite Bunker 1997 endgültig aufgegeben. Er wurde in einer Zeitung zum Verkauf angeboten: »Vorstellbar ist die Nutzung für Wissenschaft, Forschung, Technologie, Freizeit.« Da sich jedoch kein Käufer fand, wurden die Tunnel bis auf die ersten 202 Meter in den Rohzustand versetzt und versiegelt. Dieser Bereich ist noch heute erhalten und voll ausgestattet und wurde kürzlich zum europäischen Kulturerbe erhoben. Die Dokumentation des Bunkers in sachlich nüchternen Fotografien wirft einen analytischen Blick auf den Bau und dessen Einrichtung, in denen sich Macht und Angst eines Staates als Szenario einer möglichen Realität widerspiegeln.
5
B 812 Rosengarten
Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes im Krisen- und Verteidigungsfall zur Wahrung von deren Funktionstüchtigkeit (AdVB)
Tunnellänge
188 000 m²
Gesamtfläche
370 000 m³
Gesamtraum
110 m
tiefster Punkt der Bunkeranlage unter der Erde
5
Bunkerbereiche jeder bei Bedarf vollkommen autark und abkoppelbar
38
Verbindungen zur Außenwelt
5
Haupteingänge, geschützt durch automatische MAN-Drucktore
25 000
Türen
897
Büroräume, insgesamt 12 600 m²
936
Schlafräume, insgesamt 13 600 m²
5
Großkantinen
2
Tiefbrunnen
5
interne Wasserwerke
15
Dieselaggregate
3 200 000 Liter
Dieselvorrat in Tanks
20 000
Zahl der Arbeiter für Bau und Betrieb
2
Tote während Bau und Betrieb
3 000
Besatzung im Ernstfall
180
Zahl der ständigen Arbeiter pro Schicht im normalen Bunkerbetrieb (3-Schichtbetrieb)
25 000 kg
wiegt jedes der fünf Haupttore, die den Bunker vor Druckwellen schützen sollten
20 Kilotonnen
Stärke der Hiroshima-Bombe, der der Bunker theoretisch standhielt
10 000 °C
Lufttemperatur, die bei einer Hiroshima-Bombe einwirkt
5 000 Kilotonnen
Stärke der schon damals laut Gutachten zu erwartenden Waffen
4 000 000 000 DM
Kosten des Regierungsbunkers
20 000 000 DM
Betriebskosten pro Jahr
16 000 000 EUR
Kosten für Räumung und Versiegelung
7
B 812 Der Bunker in Zahlen
17 336 m
B 812 Hydraulisches Drucktor
9
B 812 Umgehungsschläuse 10
B 812 Atomschutzanzug
11
B 812 12
B 812 ABC-Entgiftungsanlage
13
B 812 14
B 812 ABC-Entgiftungsanlage
15
B 812 16
B 812 ABC-Entgiftungsanlage
17
B 812 Kommandozentrale
19
B 812
21
B 812 22
B 812 Schaltkreiselement
25
B 812 Gasmaskenprüfgerät 26
B 812 Labor
27
B 812 Dokumentenkoffer 28
B 812 Büroraum
29
B 812 Telekommunikationsraum
31
B 812 Küche 32
B 812 Mannschaftsgedeck
33
B 812 Vorrat 34
B 812 Schlaftrakt 36
B 812 Standardschlafraum
37
B 812
39
B 812 Schlafraum des Bundeskanzlers
41
B 812 42
B 812 Zimmer des Bundespräsidenten
43
B 812 Frisörstuhl 44
B 812 Behandlungsraum Zahnarzt
47
B 812 Zahnarztstuhl 48
B 812 Instrumentenschrank
49
B 812 Krankenstation 50
B 812 Arzneischrank
51
B 812 Hydraulisches Drucktor
53
B 812 54
B 812 Verbindungsgang
55
B 812 Tunnelrohbau
57
B 812 Tunnelrohbau
59
275 524
263
265
252N
532 249
266
521
236N
240
236
225
281 526 527
RWE
301
283
275
281
263 225
236N 532
266 521
240
524
236
265
301
527
526
252N
249N
283
West / West
West / Mitte
West / Ost
3
197
156
131 135
171
144
142 140 130
185
304
Längsschnitt
302
Grundriss - Erdgeschoss
304
302
197
130
131
140 142 144
156
171 185
135
Ost / West
Ost / Ost
Übersichtsplan der Anlage THW 2
B 812
63
B 812 64
B 812 Außenbauwerk eines Luftschachtes B 812
65
B 812 66
B 812
67
B 812 68
B 812 70
B 812
71
B 812 Lüftungsschlitz B 812 72
B 812
73
B 812 Eingangsbauwerk Ost /BWest 812
75
B 812 Eingangsbauwerk WestB /Ost 812 76
B 812 Tanklager und Zentralwerkstatt Bunker B 812
77
B 812 Zugangstor Tanklager B 812 78
B 812
79
B 812 80
B 812
81
B 812 82
B 812
83
B 812 Eingangsbauwerk West/Ost B 812
85
B 812 86
B 812 88
B 812
89
B 812 90
B 812
91
B 812 92
B 812
95
Fotografie, Konzeption und Text Daniela Berheide, www.danielaberheide.de Mario Wallenfang, www.mariowallenfang.de Layout und Illustration Christine Siek
Schrift Trade Gothic Papier Color Copy, 160 g/m² Druck Scanlitho, Bielefeld Bindung Handbuchbinderei Ulrike Bonin, Bielefeld
Dieses Buch ist entstanden im Rahmen einer Semesterarbeit an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Gestaltung, betreut durch Prof. Axel Grünewald. Bielefeld, 2012