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ARCHITEKTUR

ARCHITEKTUR — Das Schauspielhaus von Gehard Graubner in Bochum: Hinter der Glasfassade leuchten die Bochumer Tulpenlampen.

Architektur mit Schwung

Goldene Fünfziger Die fünfziger Jahre waren mega-out, kaum dass sie vorbei waren: Nachkriegsmuff. Spießiger Plüsch und kitschige Plastikmoderne. Heimatfilme. Toast Hawaii. Salzstangenhalter. Mopeds und kleine, knatternde Autos. Peinlich, das alles. Erst neuerdings entdecken wir Qualität aus jenen Jahren neu; in Mode, Design – und in der Architektur. Auch bei uns. Es gibt sie noch, die guten Dinge aus den swinging Fifties. Aber nicht mehr allzu viele.

— Welch ein Empfang! Vor der Aufführung, wie modern auch immer, taucht der Besucher

Die Häuser der Nachkriegszeit hatten es schon deshalb schwer beim Publikum, weil sie oft beliebte alte Bauten ersetzten, die vom Krieg zerstört oder – schlimmer – erst beim „Wiederaufbau“ rücksichtslos abgerissen worden waren. Beim Wohnungsbau merkte man außerdem schon bald, dass Geschwindigkeit zuweilen auf Kosten der Qualität gegangen war. Obendrein wandelten sich gerade beim Wohnen unsere Komfortansprüche so schnell, dass die engen und ofenbeheizten Stuben der

Fünfziger rasch unbeliebt wurden. Außerdem litten die neuen Häuser zunehmend unter Problemen der begeistert verwandten neuen Materialien. Stahlbeton bröselte, Fensterscheiben wurden blind, Asbest erschreckte uns. Dazu astronomische Heizund Klimatisierungskosten! Mindestens ebenso sehr aber wurden Häuser der Fünfziger unbeliebt, weil sie so schnell aus einer kurzlebigen Mode gefallen schienen. Deshalb sind viele von ihnen heute bis zur Unkenntlichkeit ent-

stellt. Zum Beispiel das Verlagshaus der WAZ in Essen. 1955 hatte sich die aufstrebende Zeitung ein Haus von Peter Friederich Schneider bauen lassen, der neben vielen anderen Bauten auch das Essener Hauptbad entwarf. Nur ein Vierteljahrhundert später wurde das WAZ-Haus innen und außen vollständig verändert. Außen, aus heutiger Sicht, eher banal. Innen mit Stilelementen der Siebziger, die ihrerseits längst wieder museal wirken. Man muss heute schon suchen, um den wahren Schwung der Fünfziger aufzuspüren.

| Basis Skelettbau Ein Hauptmerkmal der Nachkriegsarchitektur war der Skelettbau, aus dem sich besonders bei Verwaltungsbauten leicht eine modern-zweckmäßige Rasterästhetik ergab. Obwohl gerade sie den Häusern, im Vergleich zu schnörkeligen Vorkriegsbauten, gern als einfallslos angekreidet wurde, hat sie als strukturelle Vorgabe meist alle Umbauten überlebt. Was oft verlorenging, sind die Bemühungen der

des Schauspielhauses in die Fünfziger.

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ARCHITEKTUR — Das Schauspielhaus von Gehard Graubner in Bochum: Hinter der Glasfassade leuchten die Bochumer Tulpenlampen.

Architektur mit Schwung

Goldene Fünfziger Die fünfziger Jahre waren mega-out, kaum dass sie vorbei waren: Nachkriegsmuff. Spießiger Plüsch und kitschige Plastikmoderne. Heimatfilme. Toast Hawaii. Salzstangenhalter. Mopeds und kleine, knatternde Autos. Peinlich, das alles. Erst neuerdings entdecken wir Qualität aus jenen Jahren neu; in Mode, Design – und in der Architektur. Auch bei uns. Es gibt sie noch, die guten Dinge aus den swinging Fifties. Aber nicht mehr allzu viele.

— Welch ein Empfang! Vor der Aufführung, wie modern auch immer, taucht der Besucher

Die Häuser der Nachkriegszeit hatten es schon deshalb schwer beim Publikum, weil sie oft beliebte alte Bauten ersetzten, die vom Krieg zerstört oder – schlimmer – erst beim „Wiederaufbau“ rücksichtslos abgerissen worden waren. Beim Wohnungsbau merkte man außerdem schon bald, dass Geschwindigkeit zuweilen auf Kosten der Qualität gegangen war. Obendrein wandelten sich gerade beim Wohnen unsere Komfortansprüche so schnell, dass die engen und ofenbeheizten Stuben der

Fünfziger rasch unbeliebt wurden. Außerdem litten die neuen Häuser zunehmend unter Problemen der begeistert verwandten neuen Materialien. Stahlbeton bröselte, Fensterscheiben wurden blind, Asbest erschreckte uns. Dazu astronomische Heizund Klimatisierungskosten! Mindestens ebenso sehr aber wurden Häuser der Fünfziger unbeliebt, weil sie so schnell aus einer kurzlebigen Mode gefallen schienen. Deshalb sind viele von ihnen heute bis zur Unkenntlichkeit ent-

stellt. Zum Beispiel das Verlagshaus der WAZ in Essen. 1955 hatte sich die aufstrebende Zeitung ein Haus von Peter Friederich Schneider bauen lassen, der neben vielen anderen Bauten auch das Essener Hauptbad entwarf. Nur ein Vierteljahrhundert später wurde das WAZ-Haus innen und außen vollständig verändert. Außen, aus heutiger Sicht, eher banal. Innen mit Stilelementen der Siebziger, die ihrerseits längst wieder museal wirken. Man muss heute schon suchen, um den wahren Schwung der Fünfziger aufzuspüren.

| Basis Skelettbau Ein Hauptmerkmal der Nachkriegsarchitektur war der Skelettbau, aus dem sich besonders bei Verwaltungsbauten leicht eine modern-zweckmäßige Rasterästhetik ergab. Obwohl gerade sie den Häusern, im Vergleich zu schnörkeligen Vorkriegsbauten, gern als einfallslos angekreidet wurde, hat sie als strukturelle Vorgabe meist alle Umbauten überlebt. Was oft verlorenging, sind die Bemühungen der

des Schauspielhauses in die Fünfziger.

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ARCHITEKTUR — Das Schauspielhaus von Gehard Graubner in Bochum: Hinter der Glasfassade leuchten die Bochumer Tulpenlampen.

Architektur mit Schwung

Goldene Fünfziger Die fünfziger Jahre waren mega-out, kaum dass sie vorbei waren: Nachkriegsmuff. Spießiger Plüsch und kitschige Plastikmoderne. Heimatfilme. Toast Hawaii. Salzstangenhalter. Mopeds und kleine, knatternde Autos. Peinlich, das alles. Erst neuerdings entdecken wir Qualität aus jenen Jahren neu; in Mode, Design – und in der Architektur. Auch bei uns. Es gibt sie noch, die guten Dinge aus den swinging Fifties. Aber nicht mehr allzu viele.

— Welch ein Empfang! Vor der Aufführung, wie modern auch immer, taucht der Besucher

Die Häuser der Nachkriegszeit hatten es schon deshalb schwer beim Publikum, weil sie oft beliebte alte Bauten ersetzten, die vom Krieg zerstört oder – schlimmer – erst beim „Wiederaufbau“ rücksichtslos abgerissen worden waren. Beim Wohnungsbau merkte man außerdem schon bald, dass Geschwindigkeit zuweilen auf Kosten der Qualität gegangen war. Obendrein wandelten sich gerade beim Wohnen unsere Komfortansprüche so schnell, dass die engen und ofenbeheizten Stuben der

Fünfziger rasch unbeliebt wurden. Außerdem litten die neuen Häuser zunehmend unter Problemen der begeistert verwandten neuen Materialien. Stahlbeton bröselte, Fensterscheiben wurden blind, Asbest erschreckte uns. Dazu astronomische Heizund Klimatisierungskosten! Mindestens ebenso sehr aber wurden Häuser der Fünfziger unbeliebt, weil sie so schnell aus einer kurzlebigen Mode gefallen schienen. Deshalb sind viele von ihnen heute bis zur Unkenntlichkeit ent-

stellt. Zum Beispiel das Verlagshaus der WAZ in Essen. 1955 hatte sich die aufstrebende Zeitung ein Haus von Peter Friederich Schneider bauen lassen, der neben vielen anderen Bauten auch das Essener Hauptbad entwarf. Nur ein Vierteljahrhundert später wurde das WAZ-Haus innen und außen vollständig verändert. Außen, aus heutiger Sicht, eher banal. Innen mit Stilelementen der Siebziger, die ihrerseits längst wieder museal wirken. Man muss heute schon suchen, um den wahren Schwung der Fünfziger aufzuspüren.

| Basis Skelettbau Ein Hauptmerkmal der Nachkriegsarchitektur war der Skelettbau, aus dem sich besonders bei Verwaltungsbauten leicht eine modern-zweckmäßige Rasterästhetik ergab. Obwohl gerade sie den Häusern, im Vergleich zu schnörkeligen Vorkriegsbauten, gern als einfallslos angekreidet wurde, hat sie als strukturelle Vorgabe meist alle Umbauten überlebt. Was oft verlorenging, sind die Bemühungen der

des Schauspielhauses in die Fünfziger.

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— Tulpenlampen an der Wand kennt man – Tulpenkronleuchter solcher Pracht findet man selten. Auch der Türgriff mit Patina hat Charme.

— Konvex: Fünfziger-Architektur vom Feinsten in Mülheim, original und unverfälscht. So etwas findet man heute selten.

entstand viel spießiger Kitsch, so dass das Wort „Nierentisch-Ära“ zum Schimpfwort wurde und jeder die entsprechenden Accessoires zu entsorgen suchte, der einigermaßen auf sich hielt und nicht gestrig wirken wollte. Das galt vor allem für repräsentative Firmengebäude.

Nachkriegsarchitekten, dem strengen Raster mit Hilfe modernen Materials Leichtigkeit, Transparenz, geschwungene und asymmetrische Formen entgegenzusetzen. Dazu gehörte zum Beispiel ein üppig verglastes, aufgesetztes Dachgeschoss mit weit auskragendem, gern keck geschwungenen Flachdach darüber. Spielerische Fassadenzierde, oft in kleinteiligem Mosaik, sehr gern in Blau und Gelbbeige. Weit ausschwingende Vordächer über Haupteingängen. Lichte Eingangsbereiche mit

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viel Glas und schlanken Säulen, dazu offene Treppen, anmutig und in asymmetrischen Kurven wie frei schwebend, mit Stahlgeländern in Wellenformen, weiß lackiert mit schwarzen und auch goldfarbenen Akzenten. Gerade dieses Spiel mit organischen Formen und Gold, mit rotem Plüsch, mit Tütenlampen und Nierentischen, gelang nicht immer mit sicherem Geschmack. Vor allem bei der Übertragung solcher Stilelemente auf die millionenfache Möblierung privater Wohnungen

| Traumhafte Treppen Vergleichsweise häufig haben Treppen überlebt. Vermutlich, weil sie nur mit großem Aufwand und komplettem Umbau des ganzen Hauses und seiner Strukturen hätten entfernt werden können. Da sie nicht immer schon vom Eingang her zu sehen sind, muss man schon mal danach suchen. Es lohnt sich. Zum Beispiel im Essener „Heroldhaus“. Gebaut 1955, als einer von vielen modernen Neubauten, die den damals ebenfalls völlig neuen Kurienplatz/Kennedyplatz umrahmten. Von außen folgt der ehemalige Verwaltungsbau einer Versicherung weitgehend dem sach-

lichen Raster-Stil. Nur das Erdgeschoss mit Ladenfenstern, schräg gestellten Pfeilern und vorkragendem Dach zeigt spielerische Elemente. Vor kurzem wurde das äußerlich wenig veränderte Haus zum Hotel

umgebaut und erheblich modernisiert. Zum Glück ist seither das Treppenhaus – obwohl sicher wenig genutzt – so schön wie neu gebaut. Sie sehen es, von oben, auf Seite 28. Wer sich draußen erst mal

fragt, warum das Heroldhaus unter Denkmalschutz steht, wird wohl spätestens beim Blick auf den Schwung dieser Treppen „Aaaah“ sagen und „Ach so!“ Wirklich schwelgen im Schwung der Fünfziger kann man beim Besuch des Bochumer Schauspielhauses von 1953. Architekt Gerhard Graubner aus Hannover hat das Gebäude entworfen, einschließlich der Innengestaltung. Außen kombinierte er Rasterstruktur mit Transparenz und geschwungenen Formen. Im Innern nahm das Geschwungene wahrhaft organische Dimensionen an. Da bekamen nicht nur Tische „Nierenform“, sondern ganze Räume. Tüten- oder tulpenförmige Lampen fanden sich nicht nur an den Wänden, sondern als durchgehendes Element sogar

— Konkav: Eingang der Mülheimer Stadthalle, 1957. Wie das Schauspielhaus Bochum von G. Graubner.

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— Tulpenlampen an der Wand kennt man – Tulpenkronleuchter solcher Pracht findet man selten. Auch der Türgriff mit Patina hat Charme.

— Konvex: Fünfziger-Architektur vom Feinsten in Mülheim, original und unverfälscht. So etwas findet man heute selten.

entstand viel spießiger Kitsch, so dass das Wort „Nierentisch-Ära“ zum Schimpfwort wurde und jeder die entsprechenden Accessoires zu entsorgen suchte, der einigermaßen auf sich hielt und nicht gestrig wirken wollte. Das galt vor allem für repräsentative Firmengebäude.

Nachkriegsarchitekten, dem strengen Raster mit Hilfe modernen Materials Leichtigkeit, Transparenz, geschwungene und asymmetrische Formen entgegenzusetzen. Dazu gehörte zum Beispiel ein üppig verglastes, aufgesetztes Dachgeschoss mit weit auskragendem, gern keck geschwungenen Flachdach darüber. Spielerische Fassadenzierde, oft in kleinteiligem Mosaik, sehr gern in Blau und Gelbbeige. Weit ausschwingende Vordächer über Haupteingängen. Lichte Eingangsbereiche mit

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viel Glas und schlanken Säulen, dazu offene Treppen, anmutig und in asymmetrischen Kurven wie frei schwebend, mit Stahlgeländern in Wellenformen, weiß lackiert mit schwarzen und auch goldfarbenen Akzenten. Gerade dieses Spiel mit organischen Formen und Gold, mit rotem Plüsch, mit Tütenlampen und Nierentischen, gelang nicht immer mit sicherem Geschmack. Vor allem bei der Übertragung solcher Stilelemente auf die millionenfache Möblierung privater Wohnungen

| Traumhafte Treppen Vergleichsweise häufig haben Treppen überlebt. Vermutlich, weil sie nur mit großem Aufwand und komplettem Umbau des ganzen Hauses und seiner Strukturen hätten entfernt werden können. Da sie nicht immer schon vom Eingang her zu sehen sind, muss man schon mal danach suchen. Es lohnt sich. Zum Beispiel im Essener „Heroldhaus“. Gebaut 1955, als einer von vielen modernen Neubauten, die den damals ebenfalls völlig neuen Kurienplatz/Kennedyplatz umrahmten. Von außen folgt der ehemalige Verwaltungsbau einer Versicherung weitgehend dem sach-

lichen Raster-Stil. Nur das Erdgeschoss mit Ladenfenstern, schräg gestellten Pfeilern und vorkragendem Dach zeigt spielerische Elemente. Vor kurzem wurde das äußerlich wenig veränderte Haus zum Hotel

umgebaut und erheblich modernisiert. Zum Glück ist seither das Treppenhaus – obwohl sicher wenig genutzt – so schön wie neu gebaut. Sie sehen es, von oben, auf Seite 28. Wer sich draußen erst mal

fragt, warum das Heroldhaus unter Denkmalschutz steht, wird wohl spätestens beim Blick auf den Schwung dieser Treppen „Aaaah“ sagen und „Ach so!“ Wirklich schwelgen im Schwung der Fünfziger kann man beim Besuch des Bochumer Schauspielhauses von 1953. Architekt Gerhard Graubner aus Hannover hat das Gebäude entworfen, einschließlich der Innengestaltung. Außen kombinierte er Rasterstruktur mit Transparenz und geschwungenen Formen. Im Innern nahm das Geschwungene wahrhaft organische Dimensionen an. Da bekamen nicht nur Tische „Nierenform“, sondern ganze Räume. Tüten- oder tulpenförmige Lampen fanden sich nicht nur an den Wänden, sondern als durchgehendes Element sogar

— Konkav: Eingang der Mülheimer Stadthalle, 1957. Wie das Schauspielhaus Bochum von G. Graubner.

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in den riesigen Kronleuchtern. Man liest oft, wenn auch ohne rechte Beweise, dass diese Tüten-Tulpenlampen von Bochum aus ihren kurzzeitigen Siegeszug durch das Wirtschaftswunder-Deutschland angetreten hätten.

| Geschütztes Tulpen-Biotop Nur 16 Jahre später schrieb ein Architekturkritiker: „Man fragt sich heute, wie dieses biedere Gebäude jemals Gefallen finden konnte". Man darf heute vermuten, dass es gerade die verspielte Innengestaltung war, die an der Schwelle zu den betonbrutalen Siebzigern solche Verachtung hervorrief. Sicher gehören die Elemente dieses Interieurs heute nicht zu den zeitlos gewordenen Designklassikern. Aber es ist doch ein großes Glück, dass die Bochumer solchen Schmähungen nicht nachgegeben haben, dass das Schauspielhaus Modernität nicht durch das Ausreißen von Tulpenlampen beweisen musste. Und siehe da: Heute gehen die Dinger ohne weiteres als „Kult“ durch. — Ein Geschäftshaus in der Mülheimer Innenstadt. Und was ist das Besondere daran? Na, die Rundungen, der Schwung im Flachdach: unverkennbar fünfziger Jahre. Genau wie der Bochumer Bahnhof (unten).

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— Das „Haus am Kettwiger Tor“ bildet seit 1957 den Eingang zur Essener Innenstadt. Architekt: Wilhelm Eggeling. Unten die wohlbedachte Currywurst-Tankstelle an der Bochumer Straße in Dorsten.


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KUNST

WEGE Die Sammlung Grugapark — Restaurantleiter Friedrich Magenau ist seit 40 Jahren im Essener Traditionscafé Overbeck.

Auch das Hauptbad litt zweifellos an der verbreiteten Geringschätzung für die Nachkriegsarchitektur, obwohl es später gebauten Hallenbädern qualitativ weit überlegen ist. Die Stadt Essen hat sich in der Sache wieder mal nicht mit Ruhm bekleckert: Hinweise auf die Denkmal-Qualität des Gebäudes gab es schon vor vielen Jahren; trotzdem ließ man den Bau so konsequent vergammeln, dass jetzt eine Restaurierung angeblich teurer würde als der Neubau an anderer Stelle. Denkmalpfleger wiederum verweigern dem Bau Denkmalstatus, weil die Stadt vor der großen Gammelphase zu viel Geld in entstellende Umbauten des Eingangsbereichs gesteckt hatte. Auch wenn die Fünfziger

KUNST

WEGE Di e Sammlu

bei manchen Leuten seit einiger Zeit geradezu „cool“ sind – eine breite Lobby haben Häuser aus dieser Zeit noch immer nicht. Von der durchaus ruhrgebietstypischen Ignoranz gegenüber alter Bausubstanz nicht zu reden.

ng

Grugapark

| Ein Buch voller Beispiele Anlass für unseren kleinen Rundblick ist ein Buch, das Architekt Peter Brdenk zusammen mit Berger Bergmann herausgegeben hat, dem Geschäftsführer der Essener „Theater und Philharmonie GmbH“. Beide fanden, das Bewusstsein der Essener für Beispiele guter Architektur jenseits von „Zollverein“ könnte ein wenig Nachhilfe gebrauchen. Von 120 Einzelgebäuden, die

— Die gute alte Zeit im Café – das muss offensichtlich nicht über hundert Jahre her sein.

Der neue

Katalog. 112 Seiten, alle Abbildungen in Farbe, pb. mit Plan, 8 € Erhältlich im Grugapark und in der Mayerschen Buchhandlung

— Willkommen in den Fünfzigern! Das Café Overbeck sieht noch fast so aus wie nach dem Wiederaufbau.

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Ruhr Revue

Telefon: 0201-88 83 106 www.grugapark.de


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ARCHITEKTUR

— Die prächtigen Treppen im Essener Heroldhaus, vor kurzer Zeit in ein Hotel verwandelt

— Still ruht das Wasser: So sieht das Schwimmbad am besten aus. Leider wird die Ruhe bald total sein – und dann folgt das Getöse der Abbruchgeräte.

Schönen äußerlichen 50er-Schwung haben wir auf kleinem Raum im Mülheimer Zentrum gefunden. Unser Favorit ist ein nie verschandeltes Bürohaus am südwestlichen Rand der Innenstadt, nahe der Ruhr. Es hat die typische Rasterstruktur der Fünfziger, aber mit großen, hohen Fenstern. An den Fenstern verspielte Metallgitter. Oben ein loggia-artiges Dachgeschoss mit auskragendem Dach, über dem Eingang ein sanft aufwärts geschwungenes Vordach. Dazu ist die ganze Fassade leicht nach außen, konvex, gebogen. Konkav ist dagegen der Schwung im bekannteren Eingangsgebäude der Stadthalle, besonders betont durch ein weit vorstehendes, durch dünne Säulen gestütztes Dach. Etwas unscheinbarer ist ein Geschäftshaus mitten in der Innenstadt. Sogar im OnlineStadtplan „OpenStreet“ ist zu erkennen, dass die vier Hausecken gerundet sind, und diese Rundungen werden durch das geschwungene Kragdach noch einmal betont. „Swinging Fifties“.

| Currywurst im Pavillon Besonders ausgeprägt war die typische Architektur der Nachkriegszeit bei kleinen, pavillonartigen Gebäuden: Zeitungskioske an wichtigen Plätzen, Busbahnhöfe, kleine Cafés, Tankstellen. Angesichts der geringen Lasten war es wohl technisch einfacher und billig, gewagtere Kombinationen aus Glas und Spannbeton zu verwirklichen; die geringe Größe der Häuschen ließ sie eher „niedlich“ erscheinen und machte es unwahrscheinlicher, dass sie wegen ihrer Exzentrik auf öffentliche Kritik stießen. Manche dieser Pavillons waren gewiss nicht für eine lange Lebensdauer gedacht, und die meisten sind inzwischen verschwunden. Ein besonders hübsches Exemplar hat an der Bochumer Straße in Dorsten überlebt: ein Glasbau auf ovalem Grundriss, sich nach oben verbreiternd und von einem fast grotesk großen, ebenfalls ovalen Flachdach gedeckt. Das Häuschen war Teil einer größeren Tankstellenanlage, die schon lange nicht mehr in Betrieb ist. Nach vielen Jahren Leerstand hat sich vor einiger Zeit eine sehr ruhrgebietstypische Nutzung gefunden – 28 |

Ruhr Revue

als Currywurststation. Das Besondere, von der Architektur abgesehen: Dorstens Sternekoch Björn Freitag hat die Saucen entwickelt. Ein RUHR REVUE-Test hat trotz extrem unangenehmer Winterkälte auf Anhieb überzeugt. Ein Besuch bei wärmerem Wetter ist dennoch vorzuziehen; in

den Pavillon nämlich passen nur ImbissKüche und Koch. Gäste essen draußen, im Auto oder in einem ehemaligen Werkstattraum. Ähnliche Pavillons finden sich übrigens am Dortmunder Großmarkt, als Pförtnerhäuschen, und in Witten hinterm Rathaus, als Zeitungskiosk.

| Kann wech: Essen reißt ab Ein großes, leider todgeweihtes Beispiel für den Schwung der Fünfziger ist das Essener „Hauptbad“ an der Steeler Straße, nah bei Innenstadt und Alter Synagoge. Von der Straßenseite her wirkt das Gebäude fast unscheinbar. Auffällig ist nur die Verkleidung mit blauen Ziegeln. Die Rückseite aber besteht aus einer konkav geschwungenen, hohen Glasfront. Heute ist sie praktisch nicht mehr zu bewundern, weil sie völlig von großen Bäumen verdeckt ist. Ein bekanntes Phänomen, sagt Peter Brdenk, Architekt und Mitglied der Essener Jury „Kunst im öffentlichen Raum“: Auf Architekturzeichnungen hätten Bäume eben ein wunderschön passendes Format; dass sie später wachsen und Vieles verdecken können, werde leicht vergessen. Die Bäume am Hauptbad jetzt noch zu stutzen, dürfte zu spät kommen. Das Gebäude ist jahrzehntelang vernachlässigt worden und angeblich so marode, dass nur noch der Abriss in Frage kommt, wenn die Stadt ihr geplantes neues (und langweiliges) Hallenbad eröffnet haben wird. Der Verlust wäre schmerzhaft: Hinter der großen Fensterfront erstreckt sich eine Schwimmlandschaft mit drei Becken auf zwei Ebenen, überragt von einer frei schwebenden, schon lange nicht mehr genutzten Caféterrasse.

— Man sieht (am Dach) Spuren der Vernachlässigung. Dennoch: Ein so schönes Schwimmbad wird Essen nie wieder haben. Der Stadt ist es wieder mal wurscht.

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— Die prächtigen Treppen im Essener Heroldhaus, vor kurzer Zeit in ein Hotel verwandelt

— Still ruht das Wasser: So sieht das Schwimmbad am besten aus. Leider wird die Ruhe bald total sein – und dann folgt das Getöse der Abbruchgeräte.

Schönen äußerlichen 50er-Schwung haben wir auf kleinem Raum im Mülheimer Zentrum gefunden. Unser Favorit ist ein nie verschandeltes Bürohaus am südwestlichen Rand der Innenstadt, nahe der Ruhr. Es hat die typische Rasterstruktur der Fünfziger, aber mit großen, hohen Fenstern. An den Fenstern verspielte Metallgitter. Oben ein loggia-artiges Dachgeschoss mit auskragendem Dach, über dem Eingang ein sanft aufwärts geschwungenes Vordach. Dazu ist die ganze Fassade leicht nach außen, konvex, gebogen. Konkav ist dagegen der Schwung im bekannteren Eingangsgebäude der Stadthalle, besonders betont durch ein weit vorstehendes, durch dünne Säulen gestütztes Dach. Etwas unscheinbarer ist ein Geschäftshaus mitten in der Innenstadt. Sogar im OnlineStadtplan „OpenStreet“ ist zu erkennen, dass die vier Hausecken gerundet sind, und diese Rundungen werden durch das geschwungene Kragdach noch einmal betont. „Swinging Fifties“.

| Currywurst im Pavillon Besonders ausgeprägt war die typische Architektur der Nachkriegszeit bei kleinen, pavillonartigen Gebäuden: Zeitungskioske an wichtigen Plätzen, Busbahnhöfe, kleine Cafés, Tankstellen. Angesichts der geringen Lasten war es wohl technisch einfacher und billig, gewagtere Kombinationen aus Glas und Spannbeton zu verwirklichen; die geringe Größe der Häuschen ließ sie eher „niedlich“ erscheinen und machte es unwahrscheinlicher, dass sie wegen ihrer Exzentrik auf öffentliche Kritik stießen. Manche dieser Pavillons waren gewiss nicht für eine lange Lebensdauer gedacht, und die meisten sind inzwischen verschwunden. Ein besonders hübsches Exemplar hat an der Bochumer Straße in Dorsten überlebt: ein Glasbau auf ovalem Grundriss, sich nach oben verbreiternd und von einem fast grotesk großen, ebenfalls ovalen Flachdach gedeckt. Das Häuschen war Teil einer größeren Tankstellenanlage, die schon lange nicht mehr in Betrieb ist. Nach vielen Jahren Leerstand hat sich vor einiger Zeit eine sehr ruhrgebietstypische Nutzung gefunden – 28 |

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als Currywurststation. Das Besondere, von der Architektur abgesehen: Dorstens Sternekoch Björn Freitag hat die Saucen entwickelt. Ein RUHR REVUE-Test hat trotz extrem unangenehmer Winterkälte auf Anhieb überzeugt. Ein Besuch bei wärmerem Wetter ist dennoch vorzuziehen; in

den Pavillon nämlich passen nur ImbissKüche und Koch. Gäste essen draußen, im Auto oder in einem ehemaligen Werkstattraum. Ähnliche Pavillons finden sich übrigens am Dortmunder Großmarkt, als Pförtnerhäuschen, und in Witten hinterm Rathaus, als Zeitungskiosk.

| Kann wech: Essen reißt ab Ein großes, leider todgeweihtes Beispiel für den Schwung der Fünfziger ist das Essener „Hauptbad“ an der Steeler Straße, nah bei Innenstadt und Alter Synagoge. Von der Straßenseite her wirkt das Gebäude fast unscheinbar. Auffällig ist nur die Verkleidung mit blauen Ziegeln. Die Rückseite aber besteht aus einer konkav geschwungenen, hohen Glasfront. Heute ist sie praktisch nicht mehr zu bewundern, weil sie völlig von großen Bäumen verdeckt ist. Ein bekanntes Phänomen, sagt Peter Brdenk, Architekt und Mitglied der Essener Jury „Kunst im öffentlichen Raum“: Auf Architekturzeichnungen hätten Bäume eben ein wunderschön passendes Format; dass sie später wachsen und Vieles verdecken können, werde leicht vergessen. Die Bäume am Hauptbad jetzt noch zu stutzen, dürfte zu spät kommen. Das Gebäude ist jahrzehntelang vernachlässigt worden und angeblich so marode, dass nur noch der Abriss in Frage kommt, wenn die Stadt ihr geplantes neues (und langweiliges) Hallenbad eröffnet haben wird. Der Verlust wäre schmerzhaft: Hinter der großen Fensterfront erstreckt sich eine Schwimmlandschaft mit drei Becken auf zwei Ebenen, überragt von einer frei schwebenden, schon lange nicht mehr genutzten Caféterrasse.

— Man sieht (am Dach) Spuren der Vernachlässigung. Dennoch: Ein so schönes Schwimmbad wird Essen nie wieder haben. Der Stadt ist es wieder mal wurscht.

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WEGE Die Sammlung Grugapark — Restaurantleiter Friedrich Magenau ist seit 40 Jahren im Essener Traditionscafé Overbeck.

Auch das Hauptbad litt zweifellos an der verbreiteten Geringschätzung für die Nachkriegsarchitektur, obwohl es später gebauten Hallenbädern qualitativ weit überlegen ist. Die Stadt Essen hat sich in der Sache wieder mal nicht mit Ruhm bekleckert: Hinweise auf die Denkmal-Qualität des Gebäudes gab es schon vor vielen Jahren; trotzdem ließ man den Bau so konsequent vergammeln, dass jetzt eine Restaurierung angeblich teurer würde als der Neubau an anderer Stelle. Denkmalpfleger wiederum verweigern dem Bau Denkmalstatus, weil die Stadt vor der großen Gammelphase zu viel Geld in entstellende Umbauten des Eingangsbereichs gesteckt hatte. Auch wenn die Fünfziger

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WEGE Di e Sammlu

bei manchen Leuten seit einiger Zeit geradezu „cool“ sind – eine breite Lobby haben Häuser aus dieser Zeit noch immer nicht. Von der durchaus ruhrgebietstypischen Ignoranz gegenüber alter Bausubstanz nicht zu reden.

ng

Grugapark

| Ein Buch voller Beispiele Anlass für unseren kleinen Rundblick ist ein Buch, das Architekt Peter Brdenk zusammen mit Berger Bergmann herausgegeben hat, dem Geschäftsführer der Essener „Theater und Philharmonie GmbH“. Beide fanden, das Bewusstsein der Essener für Beispiele guter Architektur jenseits von „Zollverein“ könnte ein wenig Nachhilfe gebrauchen. Von 120 Einzelgebäuden, die

— Die gute alte Zeit im Café – das muss offensichtlich nicht über hundert Jahre her sein.

Der neue

Katalog. 112 Seiten, alle Abbildungen in Farbe, pb. mit Plan, 8 € Erhältlich im Grugapark und in der Mayerschen Buchhandlung

— Willkommen in den Fünfzigern! Das Café Overbeck sieht noch fast so aus wie nach dem Wiederaufbau.

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in den riesigen Kronleuchtern. Man liest oft, wenn auch ohne rechte Beweise, dass diese Tüten-Tulpenlampen von Bochum aus ihren kurzzeitigen Siegeszug durch das Wirtschaftswunder-Deutschland angetreten hätten.

| Geschütztes Tulpen-Biotop Nur 16 Jahre später schrieb ein Architekturkritiker: „Man fragt sich heute, wie dieses biedere Gebäude jemals Gefallen finden konnte". Man darf heute vermuten, dass es gerade die verspielte Innengestaltung war, die an der Schwelle zu den betonbrutalen Siebzigern solche Verachtung hervorrief. Sicher gehören die Elemente dieses Interieurs heute nicht zu den zeitlos gewordenen Designklassikern. Aber es ist doch ein großes Glück, dass die Bochumer solchen Schmähungen nicht nachgegeben haben, dass das Schauspielhaus Modernität nicht durch das Ausreißen von Tulpenlampen beweisen musste. Und siehe da: Heute gehen die Dinger ohne weiteres als „Kult“ durch. — Ein Geschäftshaus in der Mülheimer Innenstadt. Und was ist das Besondere daran? Na, die Rundungen, der Schwung im Flachdach: unverkennbar fünfziger Jahre. Genau wie der Bochumer Bahnhof (unten).

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— Das „Haus am Kettwiger Tor“ bildet seit 1957 den Eingang zur Essener Innenstadt. Architekt: Wilhelm Eggeling. Unten die wohlbedachte Currywurst-Tankstelle an der Bochumer Straße in Dorsten.


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— Die neue Essener Synagoge erinnert an ein Vorbild in Cleveland, von Erich Mendelssohn, der hier in Essen das zerstörte Kinderheim entworfen hatte.

„Architektur in Essen 1900 – 1960“ vorstellt, sind über 30 aus den fünfziger Jahren. Jedes dieser Gebäude ist mit zwei Fotos vertreten: einst und jetzt. Allzu häufig sieht man, dass spätere Veränderungen selten Verbesserungen waren – und sei es, dass die Farbe nicht mehr stimmte. So war die berühmte schmetterlingsförmige Grugahalle ursprünglich von Hellblau und Gelb dominiert, was nicht nur eine zeittypische Kombination war, sondern auch an die Stadtfarben erinnerte. Das war wohl irgendwann nicht mehr cool. Noch ärger beim Gebäude der Maschinenbauschule von Horst Loy, dem Architekten des Folkwang-Museums: Die einst hellblaue Fassade wurde irgendwann braun eloxiert, die großen Fenster des Hörsaals hat man auf die Hälfte reduziert. Schade. Architekturführer fürs Ruhrgebiet gibt es neuerdings eine ganze Menge. Doch zwischen mittelalterlichen Kirchen, Schlössern, Zechen und schicken Gebäuden der Strukturwandelzeit spielen Häuser der Nachkriegsjahre nur eine bescheidene Nebenrolle. Wer sich auf die Suche nach dem Schwung der Fünfziger machen möchte, könnte in Bibliotheken zu alten Bildbänden

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greifen, wie sie besonders anfangs der sechziger Jahre in vielen Städten erschienen. Da war ein Gutteil des Wiederaufbaus geschafft, es gab etwas vorzuzeigen – und noch war man stolz auf das bis dahin Gebaute. Eine Haltung, die sich schon um 1970 in ihr Gegenteil verkehrte. Manche wichtigen Gebäude wird man leicht und weitgehend unversehrt wiederfinden: Lehmbruckmuseum und Schwanentorbrücke in Duisburg zum Beispiel. Den Hauptbahnhof in Bochum. Oft aber wird man zweimal hingucken müssen, weil so viel Verwahrlosung oder Verschlimmbesserung den Eindruck verfälscht. Zuweilen immerhin kann man dann manches mediokre Verwaltungs- oder Geschäftsgebäude, mache heruntergekommene Schule mit anderen Augen sehen – weil man in den alten Bildbänden sieht, wie es mal gedacht war von den Architekten.

— Selbst bei einem Provisorium wie dem Bochumer Katholikenbahnhof gab’s ein Rotundenhäubchen.

| Café und Glockenspiel Zu den Biotopen, in denen zuweilen Gestaltungsdetails der Fünfziger überleben konnten, zählen neben Kinosälen die Cafés. Ein erstaunliches Beispiel ist das Essener Traditionscafé „Overbeck“ an der Kettwiger Straße. Manches ist sichtlich später dazugekommen, wie die Kugel-

— Ausblick in die Sechziger: Bei diesem Gebäude ließ Stararchitekt Egon Eiermann schon 1959 das Verspielte des ablaufenden Jahrzehnts hinter sich.

leuchten über der Kuchentheke. Aber insgesamt bieten Treppe, Wandschwünge, Leuchten und Tische wie die Außenfassade doch einen wenig verfälschten Eindruck aus der Wirtschaftswunderzeit. Wer, wenn es endlich mal wieder wärmer wird, draußen seinen Kaffee trinkt, blickt übrigens auch gegenüber auf eine typische

„Fünfziger“-Fassade, geziert vom bekannten Glockenspiel der einstigen Juwelierfirma Deiter. Der vorspringende Gebäudeteil mit Uhr und Glocken wurde nach Entwürfen von Folkwang-Professoren gestaltet, mit Mosaiksteinchen in jenem hellen Blau, das so eng mit dem Lebensgefühl der Fünfziger verbunden zu sein

scheint – vielleicht ein Ausdruck der damaligen Italien- und Mittelmeersehnsucht? Zuhause war es ja damals in vieler Hinsicht noch kohlestaubzappenduster: „Glück auf, der Steiger kommt“, spielen die DeiterGlocken. Am Schicksal des Essener Hauptbades wird nichts mehr zu ändern sein. Vielleicht aber ist zu lernen daraus: dass es vermessen ist, wenn Planer, Gestalter und Publikum grundsätzlich glauben, Entwürfe von vorvorgestern seien schön historisch, die von gestern aber gehörten dringend verbessert oder gleich ganz getilgt. Es gibt sie doch, die guten Dinge aus den Fünfzigern, den Sechzigern. Und wenn man genau hinguckt, wahrscheinlich auch aus den Siebzigern und Achtzigern. Auch wenn das erst gestern war. l -na

— Auch dieses Gebäude an der Wittener Straße in Bochum zeigt innen wie außen reinen Nachkriegsstil.

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ARCHITEKTUR

ARCHITEKTUR

— Die neue Essener Synagoge erinnert an ein Vorbild in Cleveland, von Erich Mendelssohn, der hier in Essen das zerstörte Kinderheim entworfen hatte.

„Architektur in Essen 1900 – 1960“ vorstellt, sind über 30 aus den fünfziger Jahren. Jedes dieser Gebäude ist mit zwei Fotos vertreten: einst und jetzt. Allzu häufig sieht man, dass spätere Veränderungen selten Verbesserungen waren – und sei es, dass die Farbe nicht mehr stimmte. So war die berühmte schmetterlingsförmige Grugahalle ursprünglich von Hellblau und Gelb dominiert, was nicht nur eine zeittypische Kombination war, sondern auch an die Stadtfarben erinnerte. Das war wohl irgendwann nicht mehr cool. Noch ärger beim Gebäude der Maschinenbauschule von Horst Loy, dem Architekten des Folkwang-Museums: Die einst hellblaue Fassade wurde irgendwann braun eloxiert, die großen Fenster des Hörsaals hat man auf die Hälfte reduziert. Schade. Architekturführer fürs Ruhrgebiet gibt es neuerdings eine ganze Menge. Doch zwischen mittelalterlichen Kirchen, Schlössern, Zechen und schicken Gebäuden der Strukturwandelzeit spielen Häuser der Nachkriegsjahre nur eine bescheidene Nebenrolle. Wer sich auf die Suche nach dem Schwung der Fünfziger machen möchte, könnte in Bibliotheken zu alten Bildbänden

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greifen, wie sie besonders anfangs der sechziger Jahre in vielen Städten erschienen. Da war ein Gutteil des Wiederaufbaus geschafft, es gab etwas vorzuzeigen – und noch war man stolz auf das bis dahin Gebaute. Eine Haltung, die sich schon um 1970 in ihr Gegenteil verkehrte. Manche wichtigen Gebäude wird man leicht und weitgehend unversehrt wiederfinden: Lehmbruckmuseum und Schwanentorbrücke in Duisburg zum Beispiel. Den Hauptbahnhof in Bochum. Oft aber wird man zweimal hingucken müssen, weil so viel Verwahrlosung oder Verschlimmbesserung den Eindruck verfälscht. Zuweilen immerhin kann man dann manches mediokre Verwaltungs- oder Geschäftsgebäude, mache heruntergekommene Schule mit anderen Augen sehen – weil man in den alten Bildbänden sieht, wie es mal gedacht war von den Architekten.

— Selbst bei einem Provisorium wie dem Bochumer Katholikenbahnhof gab’s ein Rotundenhäubchen.

| Café und Glockenspiel Zu den Biotopen, in denen zuweilen Gestaltungsdetails der Fünfziger überleben konnten, zählen neben Kinosälen die Cafés. Ein erstaunliches Beispiel ist das Essener Traditionscafé „Overbeck“ an der Kettwiger Straße. Manches ist sichtlich später dazugekommen, wie die Kugel-

— Ausblick in die Sechziger: Bei diesem Gebäude ließ Stararchitekt Egon Eiermann schon 1959 das Verspielte des ablaufenden Jahrzehnts hinter sich.

leuchten über der Kuchentheke. Aber insgesamt bieten Treppe, Wandschwünge, Leuchten und Tische wie die Außenfassade doch einen wenig verfälschten Eindruck aus der Wirtschaftswunderzeit. Wer, wenn es endlich mal wieder wärmer wird, draußen seinen Kaffee trinkt, blickt übrigens auch gegenüber auf eine typische

„Fünfziger“-Fassade, geziert vom bekannten Glockenspiel der einstigen Juwelierfirma Deiter. Der vorspringende Gebäudeteil mit Uhr und Glocken wurde nach Entwürfen von Folkwang-Professoren gestaltet, mit Mosaiksteinchen in jenem hellen Blau, das so eng mit dem Lebensgefühl der Fünfziger verbunden zu sein

scheint – vielleicht ein Ausdruck der damaligen Italien- und Mittelmeersehnsucht? Zuhause war es ja damals in vieler Hinsicht noch kohlestaubzappenduster: „Glück auf, der Steiger kommt“, spielen die DeiterGlocken. Am Schicksal des Essener Hauptbades wird nichts mehr zu ändern sein. Vielleicht aber ist zu lernen daraus: dass es vermessen ist, wenn Planer, Gestalter und Publikum grundsätzlich glauben, Entwürfe von vorvorgestern seien schön historisch, die von gestern aber gehörten dringend verbessert oder gleich ganz getilgt. Es gibt sie doch, die guten Dinge aus den Fünfzigern, den Sechzigern. Und wenn man genau hinguckt, wahrscheinlich auch aus den Siebzigern und Achtzigern. Auch wenn das erst gestern war. l -na

— Auch dieses Gebäude an der Wittener Straße in Bochum zeigt innen wie außen reinen Nachkriegsstil.

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