Migros magazin 42 2013 d vs

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flüchtlingsschicksal

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Nr. 42, 14. OktOber 2013 | migros-magazin |

Links: Karoj (l.) hilft Ahmad bei den Deutsch-Hausaufgaben. Rechts: Ahmad hat alle Türen im Durchgangszentrum abgeschliffen und wird sie streichen.

und mit eiskaltem Wasser übergossen. Nur mit Unterwäsche bekleidet harrte er mit 300 anderen Inhaftierten in einem 70-Quadratmeter-Raum aus. Danach kam er in Einzelhaft, wo er gefesselt am Boden schlief. Während der Zeit in Haft dachte Ahmad nur an seinen Vater. Er hatte Angst, dass dieser aus Sorge um ihn krank werden könnte. Einem Freund, der aus der Haft entlassen wurde, gab er einen Stofffetzen mit, auf den er mit seinem Blut die Telefonnummer seiner Eltern aufgeschrieben hatte. Nach fast drei Wochen Haft kam die Erlösung: Der Hausbesitzer, dessen Haus sie vor der Verhaftung gestrichen hatten, kaufte ihn, seinen Chef und die anderen Mitarbeiter frei. Als Ahmad nach Hause kam, weinte die ganze Familie. «Ich habe auch geweint», erzählt er und senkt den Blick. Von da an wollte Ahmad das Haus nicht mehr verlassen. Zu gross war seine Angst, in die Armee einberufen zu werden. Er wollte niemanden töten und nicht für diese Regierung kämpfen. In ganz Damaskus wurden Strassensperren errichtet, wo junge Männer abgefangen und in die Armee berufen wurden. Denise Graf von Amnesty sagt: «Soldaten der syrischen Armee werden dazu angehalten, im eigenen Gebiet Menschenrechtsverletzungen zu begehen.» Für Ahmad war klar: Er musste weg aus Syrien. Ahmads Vater beauftragte

Während der Zeit in Haft dachte Ahmad nur an seinen Vater.

einen Schmuggler damit, seinen Sohn aus dem Land zu bringen. Mit einem Beerdigungsbus kam er in den Osten des Landes. Beerdigungsbusse, in denen eine Familie für die Beisetzung eines Verwandten in einen anderen Teil des Landes fährt, sind beliebte Fluchtfahrzeuge: Sie werden nicht kontrolliert. Mehrere Monate blieb Ahmad in Qamischli an der türkischen Grenze im Osten Syriens. Von dort aus brachte ihn der Schmuggler in einem Bus weiter nach Istanbul, wo er weitere Monate lebte. Von Istanbul aus fuhr er per Lastwagen in die Schweiz. Mit einem anderen Flüchtling musste er acht Stunden in einer unter dem Lastwagen angebrachten Kiste verharren, bis die Gefahr gebannt war. Für die nächsten drei Tage Fahrt durften sie dann auf die Ladefläche.

im asylzentrum verteilt ahmad die Post und streicht türen Das andere Datum, an das Ahmad sich genau erinnert, ist der 13. Mai 2013: An diesem Tag beantragte er Asyl in der Schweiz. Die letzten Meter zum Auffangzentrum für Asylsuchende bei Basel ging er zu Fuss, es regnete, er war erschöpft von der langen Fahrt. Sie wollten ihn erst weiter nach Dänemark bringen, doch Ahmad wusste: Hier in der Schweiz wollte er neu anfangen. Nach ein paar Tagen kam er ins Durchgangszentrum Hegnau in Volketswil. Dort lernte er Karoj kennen. Karoj, aufgewachsen im Nordosten Syriens, lebt mit seiner Familie seit fünf Jahren in

der Asylunterkunft Hegnau. Den kurdischen Namen Karoj darf er erst benutzen, seit er in der Schweiz ist: In Syrien hiess er offiziell Malarasol, denn nur arabische Namen wurden von der Regierung geduldet. Karoj besucht das zehnte Schuljahr und fängt nächstes Jahr eine Lehre als Automechaniker an. Karoj büffelt mit Ahmad Deutsch und hat ihm das Inlineskaten beigebracht. Im Sommer waren sie zusammen an der Streetparade in Zürich. Weil Ahmad in der Asylunterkunft die Post verteilt, bekommt er pro Monat zehn Zugbillette geschenkt. So liegt auch mal ein Ausflug an Gratisanlässe wie die Streetparade oder das Zürifäscht drin. Die beiden jungen Kurden sprechen oft über die Ereignisse in Syrien, so wie heute. «Ahmad tut es gut, über all das zu sprechen. Er erzählt mir viel über das Land, das ich nur noch aus der Kindheit kenne», sagt Karoj. Die Schweiz sehen beide als ihr neues Heimatland. «Es geht uns gut hier, die Schweiz ist wunderschön. Die Leute sind sehr freundlich», sagt Ahmad und zeigt aus dem Fenster auf eine Wohnsiedlung. Hier in der Gegend würde er gerne wieder als Maler arbeiten. «Es wäre ein gutes Gefühl, gebraucht zu werden», sagt er. Gebraucht wird er mittlerweile im Durchgangszentrum. Er hat die Aufenthaltsräume mit Wandmalereien verziert. Sein neustes Projekt: Alle Türen der Asylunterkunft abschleifen und neu lackieren. Dafür bekommt er ein bisschen Extrataschengeld. In zwei Wochen


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