Migros Magazin 35 2010 d BL

Page 15

MENSCHEN UNBELIEBTE BERUFE

| 15

Ab und zu braucht Daniela Haeflin Haene bei ihrer Pfändungstour Polizeischutz.

Daniela Haeflin Haene (49), Betreibungsbeamtin

Prügelknaben der Konsumgesellschaft

E

inst war das Betreibungsamt in der Altstadt von Wil SG eine offene Amtsstube wie viele andere: Die Kunden – in diesem Fall Schuldner – kamen, beglichen eine Rate ihrer Verbindlichkeiten und wünschten zum Abschied einen schönen Tag. Doch dann polterte einmal einer so unflätig und packte gar eine Mitarbeiterin so bedrohlich an der Schulter, dass sich die Stadt gezwungen sah, dicke Glasscheiben einzubauen – zum Schutz vor weiteren Übergriffen. Der Umbau zum unterteilten Schalterraum bietet mehr Sicherheit, geblieben sind aber gelegentliche Beschimpfungen oder gar vereinzelte Drohungen. Er komme vorbei und räume auf wie damals jener im Rathaus Zug, kündigte ein besonders rabiater Zeitgenosse einmal an. «Man muss robust sein», sagt Daniela Haeflin Haene (49), die Leiterin des Betreibungs-

Zuschläge für Miete, Krankenkassenprämien und Kosten für den Arbeitsweg. Eine Pfändung ist meist ein einschneidendes Ereignis für die Betroffenen. Manchmal gehen die Emotionen hoch. Es kommt vor, dass die Chefin des Betreibungsamts für diesen Gang Polizeibegleitung anfordern muss, weil ein Schuldner Drohungen ausgestossen hat. Die Betreibungsbeamten sind die Prügelknaben der Konsumgesellschaft. Wie wird sie mit ihrer Rolle fertig, stets Hiobsbotschaften zu überbringen? «Es braucht Strenge, Durchsetzungsvermögen und zugleich die Fähigkeit, auch das Positive zu sehen», entgegnet Haeflin. Immerhin könne man den Gläubigern positive Nachrichten überbringen, wenn das Geld eingetrieben sei. Schön sei es zudem zu sehen, dass es langjährigen «Klienten» manchmal gelinge, sich irgendwann aus der Schuldenfalle zu befreien.

Die schönste Ausrede? «Ich habe nichts, oder wollen Sie meine Kinder mitnehmen?»

Sind Sie pingelig? amts, denn auch: «Die emotionale Belastung ist bisweilen hoch.» Knapp 18 000 Einwohner zählt Wil, pro Jahr stellt ihr Team auf Begehren der Gläubiger durchschnittlich rund 5500 Zahlungsbefehle aus und treibt mit 2800 Pfändungen die Guthaben der Gläubiger ein. Bei einer Pfändung klingelt Daniela Haeflin am angekündigten Termin an der Wohnungstür. Bei einem Gang durch Wohnung und Garage eruiert sie, welche Wertsachen vorhanden sind, die übers Betreibungsamt verwertet werden können. Das kann ein Auto sein, eine Home-Cinema-Anlage, Schmuck, eine teure Uhr oder ein exklusives Bild. In neun von zehn Fällen werden aber nicht Gegenstände gepfändet, sondern Löhne. Einem Alleinstehenden bleiben für den Lebensunterhalt dann pro Monat noch 1230 Franken plus

«Bei Zahlen und Geld bin ich exakt. Und ich mag es nicht, angelogen zu werden – leider passiert das aber immer wieder. Doch mit einer gewissen detektivischen Ader lassen sich verheimlichte Arbeitseinkommen oder Sportwagen zuweilen aufspüren.»

Wie lassen Sie Dampf ab? «Ich tobe mich beim Sqash aus oder tröste mich mit einem Einkauf – aber das sind nur kleine Sachen, schliesslich will ich mich ja nicht verschulden.»

Text Thomas Müller Bilder Renate Wernli

www.migrosmagazin.ch Wurden Sie bei einer Kontrolle auch schon mal ausfällig? Der Persönlichkeitstest.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.