Migros Magazin 24 2010 d ZH

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100 | Migros-Magazin 24, 14. Juni 2010

Kinder brauchen vor allem Liebe

Wer ist in der Erziehung wichtiger, Mutter oder Vater? Egal, sagen Betroffene. Hauptsache, es gibt nicht zu viele Bezugspersonen.

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s ist noch nicht lange her, da wurden Väter gelobt, wenn sie mit ihren sonntäglich herausgeputzten Kindern im Park spazierten. Heute ist es selbstverständlich, dass Väter die Kleinen mit dem Velo in die Krippe bringen, frei nehmen, wenn die Masern daheim ausgebrochen sind, und dem Sandkastengspänli die Spielregeln erklären, wenn dieses dem Töchterchen das Sandkesseli über den Kopf ausleert. Aber auch die Aufgaben von Mama beschränken sich längst nicht mehr auf die klassische Mutterrolle. Heute machen alle alles. Oder fast. Die Eltern entwickeln nach der Wickelphase immer neue Kernkompetenzen im Umgang mit ihren Kindern. Und kaum ist die Ausbildung abgeschlossen, müssen sie umlernen: Loslassen ist gefragt, die Kinder ziehen aus.

Täglich mit neuen Aufgaben konfrontiert

«Wenn meine Kinder Schmerzen haben, dann wollen sie die Mama bei sich haben. Es besteht einfach eine ganz natürliche, enge Bindung zwischen Mutter und Kind. Die beginnt in den ersten Wochen der Entwicklung und hört mit der Geburt nicht auf», sagt Bruno Brechbühl (40). Sonst aber ist der Papa gefragt. Der Hausmann kümmert sich seit der Geburt seiner zwei Töchter täglich um die beiden. Nicht nur seine Bastelquali-

täten sind beliebt, auch seine Schinkengipfeli werden von der ganzen Familie gelobt. Besonders von seiner Frau, die zu 100 Prozent als Lehrerin arbeitet. «Mutterliebe ist kein natürlicher, hormonell bedingter oder angeborener Instinkt, sie ist vielmehr eine kulturelle Erscheinung», schreibt die französische Philosophin Elisabeth Badinter in ihrem Buch «Die Mutterliebe». Darin widerlegt sie die verbreitete Meinung, dass Mütter seit Jahrtausenden die perfekte Einstellung zu ihren Kindern haben. Warum haben dann immer noch viele Frauen Gewissensbisse, wenn sie ihre Kinder fremdbetreuen lassen, während sie ihrem Beruf nachgehen? «Das kommt vom Muttermythos. Heute können Frauen weitgehend selbst entscheiden, ob, wann und wie viele Kinder sie wollen. Das hat die Anforderungen an eine gute Mutter erhöht», sagt Margrit Stamm, Professorin für Erziehungswissenschaften an der Uni Freiburg (siehe Interview auf Seite 103). Das Familienleben in der Schweiz hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Sieben Familien berichten aus ihrem ganz persönlichen Alltag. Texte Elisabeth Schwab-Salzmann Bilder Rolf Siegenthaler

Lesen Sie weiter auf Seite 102


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