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MIGROS-MAGAZIN | NR. 23, 4. JUNI 2012 |

verhalten. Die Folgen sind extrem unberechenbar», sagt der Psychologe und Paartherapeut Klaus Heer. Denn die wenigsten Menschen seien «gewiefte Lügner. Sie sind beim Auswärtsgrasen ungeschickt, kopflos und ausgerüstet mit einem sensiblen Gewissen». Die Warnungen werden offenbar in den Wind geschlagen. Die Schweizer Beziehungsexpertin Julia Onken befragte für ihr Buch «Die Kirschen in Nachbars Garten» 1000 Testpersonen zum Thema Untreue. Mehr als die Hälfte der Frauen und zwei Drittel der Männer gaben zu, oft beziehungsweise sehr oft davon zu träumen, auch mit anderen Personen sexuell zu verkehren. Dem Wunsch folgt verblüffend oft die Tat. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass jeder dritte Mann und jede fünfte Frau schon mindestens einmal fremdgegangen ist. Andere Studien besagen, dass fast jede zweite Ehe mindestens einmal von Untreue betroffen ist. Julia Onkens Umfrageergebnis ist noch pessimistischer: Mehr als die Hälfte, 64 Prozent aller Befragten, lebten nicht monogam. Vor allem die Frauen holen auf: Laut neueren Studien landen sie sogar häufiger in fremden Betten als Männer.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Oft verraten den Fremdgänger Kleinigkeiten wie eine Hotelquittung, die dieser in seiner Hosentasche vergessen hat.

Bilder: Plainpicture, iStockphoto

Man gönnt sich den Fehltritt wie ein opulentes Dessert Nie war Fremdgehen so leicht wie heute. Vor allem das Internet eröffnet Fremdgängern ungeahnte Möglichkeiten. Sogenannte Seitensprungportale wie Ashley Madison wachsen rasant. Der Slogan «Leisten Sie sich eine Affäre» suggeriert, ein erotischer Fehltritt sei etwas, das man sich gönnt wie ein opulentes Dessert. Anonym, leicht zugänglich, preiswert: das Basispaket mit 20 Kontakten, erhältlich für 99 Franken. Ashley Madison hat über 14 Millionen Mitglieder in 22 Ländern. «Unser Umsatz ist um 50 Prozent gestiegen. Die Schweiz einer unserer weltweit stärksten Märkte», sagt Christoph Kraemer, der zuständige Direktor für die Schweiz. Derzeit fahnden 160 298 Schweizer zwischen 18 und 72 Jahren nach Gleichgesinnten, zu 88 Prozent verheiratete Männer aus allen Bevölkerungsschichten. «Je schlechter die Wirtschaftslage, desto grösser der Zulauf», behauptet Kraemer. «Eine Scheidung können sich viele nicht mehr leisten.» Auch der Wunsch, etwas «Verbotenes» zu probieren, sei ein Faktor. Kein Fremdgänger möchte seinem Partner etwas Böses antun, betont Klaus Heer: «Sie können schlicht der Versu-

Privatdetektive haben Hochkonjunktur Wo fremdgegangen wird, blüht das Misstrauen. Dem Partner einen Privatdetektiv auf den Hals zu schicken, ist längst nicht mehr exotisch. «Wir haben von Jahr zu Jahr mehr Kunden», sagt Viola Fix von der Zuerich-detektei.ch. Bei der Rund-um-die-Uhr-Observierung verdächtigter Fremdgänger greifen ihre Mitarbeiter auch schon mal zu James-Bond-Methoden und heften einem Opfer heimlich einen Chip an den Mantel. Ein weiteres häufig verlangtes Angebot der Detektei ist der «Treuetest», bei dem eine schöne Frau beziehungsweise ein attraktiver Mann die betreffende Person in Versuchung führt. «Ins Bett gehen unsere Leute mit niemandem», sagt Viola Fix. In den Jahren ihrer Berufstätigkeit hat sie allerdings jegliche Illusionen verloren: «Vielleicht fünf Prozent bleiben standhaft, und das sind meistens religiöse Menschen.»

chung des prallen Lebens nicht widerstehen». Doch was nützt das, wenn die Gesundheit bedroht ist? «Irgendwann muss man sich überlegen, ob man seine Beziehung nicht überdenken und mit dem Partner reden soll», sagt selbst Christoph Kraemer. Doch der Prozess der Traumaheilung ist langwierig und funktioniert nur mit klarem Kopf. «Wutanfälle, Besäufnisse oder depressive Rückzüge bringen gar nichts», betont Paartherapeut Klaus Heer. Der einzige Ausweg sei, sich Hilfe zu holen,

von vertrauten Freunden, den Eltern oder Geschwistern, eventuell von einem Psychiater oder Psychotherapeuten. Womöglich kommt das Paar dann zum Schluss, dass der kurze Kick eines Seitensprungs die langen Leiden nicht wert ist. Text: Christiane Binder

Was sind mögliche Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung?

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