Im Inneren der Grenze

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Das wurde alles von der damaligen CDU-Regierung weggerissen, um zu vergessen. Und wegreißen, um zu vergessen, ist nichts. Man macht das nicht ungeschehen, weil man es wegreißt. Man hätte lieber mehr erhalten sollen von der Mauer, innerstädtisch. Da unten ist ja noch ein Stück. ((Zeigt die Straße runter)) Ja, da war ich gerade eben. Da gab es hier auch eine Menge Türme, das sieht man alles nicht mehr, es stehen in Berlin glaube ich noch drei Türme, ja. Und mehr sieht man nicht mehr. Und für nachwachsenden Generationen ist das gar nicht mehr nachvollziehbar. Denen kann man das gar nicht mehr zeigen. Die können das gar nicht mehr kapieren: „Wie, war mal geteilt? Und wie sah das denn aus?“ Und noch weniger sieht man es, wenn man aus Berlin rausgeht. Oder um Berlin herumgeht, nicht nur in eine Richtung, überall. Da ist dann ein Schild; Hier Mauerweg, Mauerwanderweg und du denkst: „Na, wo war denn hier nun die Mauer?“ Und das ist find ich eben schade, weil das alles weggerissen wurde. Zum Beispiel, ist vielleicht eine ganz andere Geschichte, aber Konzentrationslager sind auch Mahnmale, die ganz wichtig sind. Hätte man Auschwitz abgerissen, gäbe es jetzt nur noch irgendwelche Geschichten. Also es wäre nie mehr möglich, man könnte jetzt nicht mehr die kleinen Leute, die Zwölf-, Dreizehnjährigen daran erinnern, was mal war. Und das kann man hier auch nicht mehr. Und dieser Tourismus, dieser Hype, find ich, nervt mich nicht. Naja gut, ich verleih’ auch Fahrräder, von daher, mmh. Aber auch, wenn ich es nicht machen würde, es gehört einfach dazu. Und ich find es nicht nervig, sondern eher schön und bestätigend, dass ich in der richtigen Stadt gelandet bin, die interessant ist. Denkst du, dass die Beseitigung der Mauerreste, dass man es nicht mehr sieht und spürt, auch so mit der DDR-Glorifizierung zusammenhängt, dieses „Ah, früher war alles besser“, weil man es eben gar nicht mehr merkt und weiß? Alles besser… Nee, glaub ich nicht, egal ob man es auch sehen würde. Alles, was in der Vergangenheit liegt, dazu sagt man: „Ach, damals war doch alles schön“. Also als Ostler und Westler oder als Italiener irgendwie hat man immer irgendwelche Sachen aus der Zeit rausgenommen, glorifiziert die und vergisst dann gewisse andere Sachen. Weil man ja in seinem Gedächtnis auch irgendwelche Sachen ausblendet. Kindheit war toll, aber du hast auch viel geweint als Kind. An die Szenen kannst du dich auch nicht mehr erinnern, so nee. Ich glaub auch nicht, dass das daran liegt, dass das glorifiziert wird. Ich denke nur, dass das zusammenhängt mit der sozialen Sicherheit der Leute. In der DDR, da war man einfach aufgehoben. Hat da seinen Weg vorbestimmt bekommen, und dann musste man einfach nur funktionieren. Und dann war das eben leichter. Aber man konnte nicht seinem Individualismus frönen, wie man das heute kann. Und wenn man die Leute heute fragt, die das Alte glorifizieren, die sind auch zufrieden mit den Dingen, die sie jetzt durch die Wende haben. Das ist nur, man will immer heulen, glaub ich, so ist halt der Mensch, einfach. Ja vermutlich. Siehst du dich mehr als Wessi, Ossi oder als Deutscher? Als ganz starker Wessi. Und das sage ich, obwohl ich ganz viele Ossis kenne und das gar nicht sage, um mich abzugrenzen gegen Ossis, sondern ich bin ganz stark geprägt als ein Wessi. Ich hab auch teilweise im Ausland gelebt. Als Kind bin ich in Italien im Kindergarten gewesen, und hab nie Verwandte gehabt aus dem Osten. Ich habe das nur in der Schule durchgenommen. Für mich war das nur Theorie. Wie wenn man in der Schule etwas über Griechenland lernt, unerreichbar. Darum hat mich das Ganze nie betroffen, also betroffen gemacht, noch wirklich interessiert. Weil das in der Schule dran genommen wurde, kommt ja drauf an, welcher Lehrer das drannimmt. Ob einen das mitreißt, interessierter macht. Aber wir hatten auch mal einen Flüchtling, einen Ostflüchtling, in der Klasse und selbst der wurde super aufgenommen. Er hat auch davon erzählt, aber irgendwie war das in unseren ganzen Köpfen, gab es das nicht wirklich. Das war so surreal. Und ich merke es ja immer wieder. Also ich mag sehr die Mentalität der Ostdeutschen, die für mich vergleichbar ist mit der Mentalität von Italienern, so dieses kumpelige. Ich hab eine Exfreundin aus Thüringen, das ist das beste Beispiel. Meine Eltern haben sich von meinen Freunden immer Siezen lassen. Herr und Frau, eben so. Und das war auch normal, da hat sich auch keiner Gedanken drüber gemacht. Erst, wenn man sich ganz lange kannte oder wenn vielleicht die Väter miteinander zu tun hatten, dann hat man sich auch geduzt. Aber das war nie eine Hürde, das war ganz normal. Im Osten, ich kam da hin, zu den Eltern meiner damaligen Freundin, und die haben mich gleich geduzt. Das war gleich eine ganz andere Ebene und das geht uns Wessis einfach ab. Ich bin auf jeden Fall total wessimässig geprägt, finde aber, diese Gesellschaftsstrukturen, oder diese Mentalität, die sich durch die DDR gebildet haben, finde ich gut. Darum möchte ich auch nicht so sein: „Nein, ich bin Wessi. Ich habe mit dem Osten nichts zu tun“, das möchte ich nicht. Wir können eine Menge von einander lernen, ja. Und das ist eben oftmals nicht passiert wegen dieser Feindschaften, Feindlichkeiten, nee. Aber… ich bin halt ein Wessi, das merke ich immer wieder durch Freunde. Da kommt nachher noch einer oder der. ((zeigt auf einen jüngeren Kollegen/Freund)) Er ist ja die jüngere Generation Ossis, die das gar nicht mehr mitgekriegt haben, nur so als kleines Kind. Naja, weiß nicht, ob man das so sagen kann, Ossis sind ehrlicher, bodenständiger und das begrüße ich. Und da fühle ich mich manchmal in meinem Wessitum gar nicht so gut. Danke schön. Claas bin ich zufällig in die Arme gelaufen, als ich entlang des Mauerparks unterwegs war, kurz nachdem ich die Gedenkstätte Mauerbau besucht hatte. Er ist Besitzer von Aloha Berlin. Mit seiner Statement zum Verschwinden der Mauer in Berlin und der Grenze in Deutschland hat er mir voll aus der Seele gesprochen und ich bin froh, dass gerade nur 600 Meter von Claas’ Geschäft entfernt der Mauerpark gerade erweitert wird und ein Stück Grenzstreifen wieder hergerichtet wird, zusammen mit einer Erweiterung der Gedenkstätte.


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