Geschichte
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07-08/2015 Links!
Vor 75 Jahren: Ermordung Trotzkis Am 20. August 1940 zertrümmerte ein Eispickel den Schädel Leo Trotzkis und damit einen der brillantesten marxistischen Köpfe des 20. Jahrhunderts. Geschwungen hat diesen ein vom sowjetischen Geheimdienst angeheuerter Mörder. So endete ein Leben, in dem sich wie in wenigen anderen die ganze Tragik des „Jahrhunderts der Katastrophen“ spiegelte. Aus einer jüdischen Familie stammend, hatte er sich früh der marxistischen Untergrundbewegung im Zarenreich angeschlossen. Verhaftung, Verbannung nach Sibirien, Flucht und Exil prägten seine Jugend und sollten auch sein ganzes Leben prägen. Die meiste Zeit dieses Lebens führte Trotzki eine randständige Existenz, sowohl innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft als auch in der Arbeiterbewegung, an deren revolutionärem Rand er – oft ziemlich isoliert – stand. Es bedurfte großer, die ganze Gesellschaft erfassender revolutionärer Erhebungen, um jemanden wie ihn zeitweilig sogar in die Zentren der Macht zu katapultieren. Zum ersten Mal wiederfuhr dies dem brillanten Redner in der russischen Revolution 1905, als der gerade 28-Jährige zum Vorsitzenden des Arbeiterrates von St. Petersburg gewählt wurde. Nach der Niederschlagung der Revolution folgten wieder Verhaftung, Verbannung, Flucht und Exil. Trotzki blieb eine wichtige Figur der revolutionären
Linken, auch wenn er sich weder den Menschewiki noch Lenins Bolschewiki anschließen mochte. Erst die Politik der Bolschewiki nach der Februarrevolution mit ihrer konsequenten Orientierung auf eine Machtübernahme mit sozialistischer Zielstellung ließ ihn 1917 in die Partei Lenins eintreten. Und wieder wählten die Delegierten des nun Petrograder Arbeiterund Soldatenrates den eben nach Russland Zurückgekehrten zu ihrem Vorsitzenden. Als solcher spielte er eine Schlüsselrolle bei der politischen und militärischen Vorbereitung des Oktoberumsturzes und dann beim Aufbau des Sowjetstaates. Ohne selbst über eine militärische Ausbildung zu verfügen, übernahm er die Leitung der Roten Armee und organisierte die erfolgreiche Verteidigung Sowjetrusslands gegen die Konterrevolution und imperialistische Interventionsheere. In der Frühzeit der internationalen kommunistischen Bewegung wurde sein Name oft in einem Atemzug mit dem Lenins genannt. Beider Portraits hingen weltweit auf Kongressen nebeneinander. Doch mit Lenins Tod begann sein Abstieg. In den Kämpfen um die Nachfolge hatte Stalin mit seinem Zugriff auf den Parteiapparat von Anfang an die Oberhand. Trotzki stand Stalin nicht nur als Person, sondern auch politisch im Wege. Trotzkis Internationalismus war mit Stalins Projekt eines „So-
zialismus in einem Lande“ unvereinbar, ebenso wie es sein Anti-Bürokratismus und sein Beharren auf der Wiederbelebung der Demokratie in Partei und Räten es mit dem Aufbau eines totalitären Staates wa-
massenhafte Anhängerschaft, um den Weg Deutschlands in den Abgrund wirklich beeinflussen zu können. Diese sollte ihm auch die IV. Internationale nicht mehr verschaffen, die er 1938 ins Leben rief. Währenddessen hatte Stalin mit der systema-
tischen Ermordung der Angehörigen und hunderttausender Anhänger Trotzkis in Russland, aber auch weltweit, begonnen. Von Stalin über den Erdball bis nach Mexiko getrieben, wurde 1940 schließlich die Stimme des scharfsinnigsten marxistischen Kritikers Stalins zum Schweigen gebracht. Seine Analysen des Stalinismus blieben allerdings unabgeschlossen und widersprüchlich, was zu unterschiedlichen Interpretationen und anschließenden Spaltungen seiner Anhänger beitrug. Jahrzehntelang wurde sein Erbe vor allem in trotzkistischen Kleinparteien, Zirkeln und Sekten bewahrt und häufig in dogmatisch-abschreckender Form präsentiert. Dabei kann eine Linke des 21. Jahrhunderts viel von der Auseinandersetzung mit Trotzki lernen: Sei es über Transformationsstrategien für einen Übergang zum Sozialismus in unterentwickelten Ländern (Permanente Revolution), sei es über Strategien einer revolutionäre Realpolitik, um auch in nicht-revolutionären Zeiten Mehrheiten für kommunistische Politik zu Gewinnen (Einheitsfront). Sein Internationalismus und seine rätedemokratische Perspektive haben nichts an Aktualität eingebüßt. Die Fruchtbarmachung des Erbes Trotzkis für eine Linke des 21. Jahrhunderts sollte man nicht den Trotzkisten überlassen. Sie sollte Aufgabe der gesamten Linken sein. Dr. Florian Wilde, Mitglied im Sprecherrat der Historischen Kommission der LINKEN.
Dies verwehrten ihnen die Organisatoren allerdings – eine symbolische Handlung, aber eine Handlung. Und ein Fauxpas, der den Kreisvorsitzenden der Erzgebirgs-LINKEN, Klaus Tischendorf, zu öffentlicher Kritik veranlasste: „Wir sind offenbar, wenn überhaupt, nur als Staffage erwünscht. Dabei waren es in den vergangenen Jahren vor allem Sympathisierende und Mitglieder der LINKEN, die an Gedenktagen wie dem Volkstrauertag, dem Tag der Befreiung oder zum Weltfriedenstag vor Ort waren und der beigesetzten Opfer gedachten. Dabei blieben sie in der Regel allein. Enttäuschend ist die symbolhafte Entscheidung, uns kein Grußwort zuzubilligen, vor allem für diejenigen Genossinnen und Genossen, denen der Erhalt und die Wiederherstellung des Mahnmals eine Herzensangelegenheit ist und die oft an Gedenktagen dort gesprochen haben“. Die Genossinnen und Genossen blieben der Eröffnungsfeier deshalb fern. Gedenkworte sprachen schließlich der Pockauer Bür-
germeister, Heiko Friedemann, der Botschafter der Russischen Föderation, Ratnikov, der Referatsleiter im Sozialministerium, Bey, der Pfarrer der Kirchgemeinde Pockau, Schäfer, und – der CDU-Landtagsabgeordnete und frischgebackene Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Prof. Dr. Günther Schneider. Letzterer war am Ort des Geschehens noch niemals vorher gesichtet worden. Die Erzgebirgs-LINKE hat derweil für den Weltfriedenstag am 1. September eine eigene Gedenkveranstaltung am Mahnmal in Nennigmühle angemeldet. Es gilt, den Blick nach vorn zu richten: Auf unser aller Verantwortung, die Erinnerung an die Menschheitsverbrechen wachzuhalten, auch bei der örtlichen Bevölkerung. Der Blick auf das Mahnmal wird hoffentlich vielen dabei helfen, wenn ihre Fahrt sie aus dem kühlen Talwäldchen heraus- und am gesundeten Zeugen der finsteren Vergangenheit vorbeiführt. Kevin Reißig
ohnmächtig den Aufstieg Hitlers zu beobachten. Seine Faschismus-Analysen gehören bis heute den klarsten, die die marxistische Faschismus-Forschung aufzuweisen hat. Doch fehlte ihm eine organisierte
Ankunft Trotzkis in Petrograd, 4. Mai 1917. ren. Bald wurde Trotzki erneut verbannt und schließlich in die Türkei ausgewiesen. Die Parteien der sich stalinisierenden Kommunistischen Internationale wurden von seinen Anhängern „gesäubert“. Trotzki war dazu verurteilt, weitgehend
Ende einer Posse, die mehr ist als das Wer in den letzten Jahren die kleine, idyllisch gelegene Kreisstraße 8112 zwischen den beiden Erzgebirgsörtchen Sorgau und Nennigmühle befuhr, bekam einen schlimmen Anblick geboten: ein am Hang entlang der Straße gelegenes sowjetisches Ehrenmal, bis in die Substanz zerstört. Es ist dies nicht irgendeine Gedenkstätte. Unter dem rotbesternten Obelisken, der eine imposante Freitreppe krönt, haben 96 Rotarmisten ihre letzte Ruhe gefunden. Als Kriegsgefangene waren sie im Lazarett in der Nennigmühle ihren Qualen erlegen, die ersten schon 1942. Gesichert ist, dass die Sowjetsoldaten in einem nahegelegenen Sägewerk sowie in der Papierfabrik Günther & Richter zur Zwangsarbeit gezwungen worden waren. Ein Lazarett für Zwangsarbeiter, im faschistischen Deutschland, dem ein Menschenleben nichts galt? Zweck der Einrichtung war, wie Heimatforscher Ludwig Börner belegt, kein humanitärer, sondern ein verbrecherischer. Im etwa 50 km entfernten Niederschlema fanden auf Be-
fehl des Oberkommandos der Wehrmacht Radon-Versuche an Kriegsgefangenen statt. Diese wurden gezwungen, radioaktive Flüssigkeit zu trinken, deren Auswirkungen man – auch in Nennigmühle – untersuchte; freilich zum bloßen Zwecke der Dokumentation von Krankheitsverläufen. Die Leichen wurden am Berghang verscharrt. Am 8. Mai 2009, nach der Gedenkfeier am Vormittag und 62 Jahre nach seiner Errichtung, wurde das Ehrenmal zerstört und die Grabstätte geschändet – mutmaßlich (was auch sonst?) mit politischer Motivation. Es schloss sich ein jahrelanges Ringen um ihre grundhafte Sanierung an. Aktive der örtlichen LINKEN traten in den Austausch mit Behörden, der russischen Botschaft, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Im Landtag suchte der Abgeordnete Klaus Tischendorf Bewegung in die Angelegenheit zu bringen. Jahre später stand die sechsstellige Summe, die für die Restaurierung notwendig war, bereit, die Arbeiten begannen. Sie mündeten vor kurzem in die
Fertigstellung des in seiner Monumentalität abgeschwächten, aber ansprechend gestalteten Ehrenmals. Verstimmung hatte es im Vorfeld allerdings gegeben, als die Bagger während ihrer Arbeit – naturgemäß – auf Gebeine stießen. Darüber, ob würdevoll mit denselben umgegangen worden war, entspannen sich lebhafte Diskussionen. Sicher ist: Die Funde verzögerten den Bauablauf. Zum 70. Jahrestag der Befreiung Europas von der faschistischen Herrschaft ließ sich die Eröffnung des Mahnmals folglich noch nicht realisieren – wohl aber zum 20. Juni dieses Jahres. Überschattet wurde das an sich freudige Ereignis von einer Posse, die zum Erhalt des oft zu Unrecht geäußerten Vorurteils, Provinzpolitik sei kleingeistig und engstirnig, beizutragen droht. Örtliche Vertreter der LINKEN, die eine treibende Kraft hinter den Sanierungsbemühungen gewesen waren, baten sich aus, zum langen Portfolio von Rednerinnen und Rednern ein eigenes Grußwort beisteuern zu dürfen.