Leseprobe ASoK | Linde Verlag

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25. Jahrgang / Jänner 2021 / Nr. 1

SV-Werte für 2021 zum Herausnehmen!

TOPTHEMA R echtsfragen zur Quarantäne Ingomar Stupar Was gilt bei „Quarantäne“ ohne Bescheid?

Thomas Rauch Quarantäne und Betriebsschließungen nach vereinbartem Urlaub

Wolfgang Höfle / Alexandra Platzer Abgabenpflicht der Entgeltzahlung bei Quarantäne

Andreas Gerhartl Videoüberwachung im Arbeitsrecht

Johannes Winkler Sozialplan und Kündigungsanfechtung

Katharina Daxkobler / Alfred Shubshizky Freiwillige Abfertigungen/Sozialplanzahlungen als Betriebsausgaben

Praxisinformationen Neues aus der Gesetzgebung News aus Lohnsteuer-, Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht Judikatur der Arbeits- und Sozialgerichte


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2.3.–10.11.2021

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15:00 –17:00


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ARBEITS- UND SOZIALRECHTSKARTEI Redaktion: Univ.-Prof. Dr. Franz Marhold, Dr. Roman Krammer 1210 Wien, Scheydgasse 24, Telefon: 01/24 630, Fax: 01/24 630/51, E-Mail Redaktion: redaktion@lindeverlag.at

INHALTSVERZEICHNIS INGOMAR STUPAR ................................................................................................... Topthema: „Quarantäne“ ohne Bescheid – arbeitsrechtliche Konsequenzen

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THOMAS RAUCH ....................................................................................................... Topthema: Quarantäne und Betriebsschließungen nach bereits vereinbartem Urlaub

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WOLFGANG HÖFLE / ALEXANDRA PLATZER ....................................................... Topthema: Abgabenpflicht der Entgeltzahlung nach dem Epidemiegesetz bei Quarantäne des Arbeitnehmers

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ANDREAS GERHARTL .............................................................................................. Videoüberwachung im Arbeitsrecht

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JOHANNES WINKLER ............................................................................................... Sozialplan und Kündigungsanfechtung

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KATHARINA DAXKOBLER / ALFRED SHUBSHIZKY .............................................. Freiwillige Abfertigungen und Sozialplanzahlungen als Betriebsausgaben

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GERDA ERCHER-LEDERER ..................................................................................... Neues aus der Gesetzgebung  MSchG-Novelle  Änderung des AusbildungspflichtG

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ALFRED SHUBSHIZKY .............................................................................................. Praxis-News aus Sozialversicherungs-, Lohnsteuer- und Arbeitsrecht in Kurzform

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EDITH MARHOLD-WEINMEIER ............................................................................... Aus der aktuellen Rechtsprechung  OGH: Kein Mindestlohntarif iZm Lycée  OGH: Korridorpension und

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Français

Unionsrecht

Sozialversicherungswerte für 2021 ......................................................................... I - VIII Impressum .................................................................................................................

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„Quarantäne“ ohne Bescheid – arbeitsrechtliche Konsequenzen

„Quarantäne“ ohne Bescheid – arbeitsrechtliche Konsequenzen Fragen aus der betrieblichen Praxis „Quarantäne“ ohne Bescheid – arbeitsrechtliche Konsequenzen

INGOMAR STUPAR*) In der Praxis häufen sich Fälle, in denen Arbeitnehmern nach einem Gespräch mit der Gesundheitsberatung 1450 (Hotline) oder der Gesundheitsbehörde dem Arbeitgeber mitteilen, dass sie zu Hause bleiben müssten. Fraglich ist, welche Rechtsnatur diese „Anordnungen“ aufweisen und welche arbeitsrechtlichen Folgen sich daraus ergeben. Dabei geht es um folgende Fragen: Liegt ein gerechtfertigter Dienstverhinderungsgrund vor? Ist das Entgelt vom Arbeitgeber fortzuzahlen? Besteht für den Arbeitgeber bei fortgezahltem Entgelt ein Erstattungsanspruch? Im vorliegenden Beitrag werden folgende Fallkonstellationen untersucht: 1.) Die Gesundheitsberatung 1450 (Hotline) rät einem Mitarbeiter, zu Hause zu bleiben. 2.) Die Gesundheitsbehörde verhängt über einen Mitarbeiter telefonisch eine Quarantäne. 3.) Der Quarantänebescheid erstreckt sich nicht auf die gesamte Zeit des Zu-Hause-Bleibens 1. Die Gesundheitsberatung 1450 (Hotline) rät einem Mitarbeiter, zu Hause zu bleiben 1.1. Allgemeines Die Gesundheitsberatung 1450 (im Folgenden: Hotline 1450) ist keine Gesundheitsbehörde und kann daher keine Quarantäne (Absonderung) verhängen.1) Der Rat, zu Hause zu bleiben, ist daher (lediglich) eine Empfehlung, der der Mitarbeiter nicht nachkommen muss. Wie der Betroffene mit dieser Empfehlung der Hotline 1450 umgeht, hat er, wenn es sich um sein Verhalten im Privatbereich handelt, selbst zu entscheiden. Wenn es allerdings um sein Verhalten im Rahmen des Arbeitsverhältnisses geht, bleibt das Weisungsrecht des Arbeitgebers weiterhin bestehen. Der Arbeitnehmer hat daher grundsätzlich allen arbeitsrechtlich gedeckten Anweisungen seines Arbeitgebers zu folgen. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Handlungsempfehlung der Hotline 1450 dem Arbeitgeber mitzuteilen, damit dieser weiß, warum der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit kommen möchte:

• Liegen Krankheitssymptome vor (zB Fieber), kann der Arbeitnehmer – nach Rücksprache mit seinem Arzt – einen Krankenstand melden. Diesfalls greift die Entgeltfortzahlung im Krankenstand gemäß § 8 Abs 1 AngG bzw § 1154b Abs 1 ABGB. • Erfolgt während des Krankenstands die Quarantäne, wird der Krankenstand unterbrochen, da die Regelungen des § 32 Abs 3 Epidemiegesetz (EpiG) jenen des § 8 Abs 1 AngG bzw § 1154b Abs 1 ABGB vorgehen.2) Ist der Arbeitnehmer nach dem *)

Mag. Dr. Ingomar Stupar ist Referent in der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit der Wirtschaftskammer Österreich, Autor zahlreicher Fachpublikationen und fachkundiger Laienrichter am OGH. ) Die telefonische Gesundheitsberatung 1450 wurde im November 2019 ins Leben gerufen. Sie berät rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche. Sie soll einen idealen Wegweiser durch das große Angebot an Gesundheitsdienstleistern darstellen und ist erste Anlaufstelle bei neu aufgetretenen oder akut gewordenen Beschwerden, die keinen medizinischen Notfall darstellen. Sie ersetzt nach eigenen Angaben keine ärztliche Behandlung und stellt keine Diagnose; siehe https://www.1450.at/1450-diegesundheitsnummer. 2 ) Die Bestimmungen des EpiG sind leges speciales; siehe https://www.gesundheitskasse.at/cdscontent/ load?contentid=10008.734649&version=1592814519; Höfle/Platzer , Vergütungsanspruch des Arbeitgebers nach dem Epidemiegesetz bei Quarantäne des Arbeitnehmers, ASoK 2020, 402 (403); Ghahramani-Hofer , Dienstnehmer unter Corona-Verdacht: Was hat der Dienstgeber zu beachten und zu tun? PVP 2020, 302 (304); anderer Ansicht Drs in Resch , Das Corona-Handbuch1.02 (2020) Kap 5 Rz 87. 1

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„Quarantäne“ ohne Bescheid – arbeitsrechtliche Konsequenzen Ende der Quarantäne weiterhin krank, läuft der Krankenstand weiter. Die Quarantäne unterbricht daher den Krankenstand.

• Ist er Arbeitnehmer nicht erkrankt, liegt kein gerechtfertigter Dienstverhinderungsgrund vor, da Empfehlungen der Hotline 1450 weder einen Absonderungsbescheid noch eine ärztliche Krankmeldung darstellen. In diesem Fall hat sich der Arbeitnehmer arbeitsbereit zu erklären. Tut er das nicht, so ist der Arbeitgeber auch nicht verpflichtet, das Entgelt fortzuzahlen. Neben der Einstellung der Entgeltzahlung hat der Arbeitgeber grundsätzlich auch die Möglichkeit, weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen (zB Verwarnung, Kündigung, Entlassung). Der Arbeitgeber muss daher entscheiden, ob der Arbeitnehmer trotz Empfehlung der Hotline 1450 die Arbeit am Arbeitsplatz antreten muss. Besteht der Arbeitgeber darauf, dass der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz erscheint, dann hat der Arbeitgeber auch zu prüfen, ob er den Arbeitsplatz oder die Arbeitsabläufe so gestalten kann, dass eine Infektion mit COVID-19 am Arbeitsplatz hintangehalten werden kann. Auch Alternativen wie Homeoffice, der Konsum von Zeitausgleich oder Urlaub können im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer vereinbart werden. 1.2. Persönlicher Dienstverhinderungsgrund? Ein persönlicher Dienstverhinderungsgrund (§ 8 Abs 3 AngG; § 1154b Abs 5 ABGB) liegt vor, wenn der Arbeitnehmer nicht durch Krankheit, Arbeitsunfall oder Aufenthalt in einer Anstalt (insbesondere Kur- und Rehabilitationsanstalten) an der Dienstleistung ohne sein Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit verhindert ist.3) Rechtsprechung und Literatur subsumieren darunter Gründe der Sitte und des Herkommens, öffentlich-rechtliche Pflichten oder tatsächliche Gründe. Zu Letzteren werden insbesondere Verkehrsstörungen oder Verkehrsstreiks gezählt. Ist der Arbeitnehmer nicht krank und möchte er auf Empfehlung der Hotline 1450 ohne Vorliegen einer Krankenstandsbestätigung oder eines Absonderungsbescheids zu Hause blieben, kann er keinen persönlichen Dienstverhinderungsgrund geltend machen, dies aus folgenden Gründen:

• Die bloße Befürchtung, krank zu sein, stellt faktisch keinen Dienstverhinderungsgrund dar (weder aus Gründen der Sitte, des Herkommens, einer öffentlich-rechtlichen Pflicht oder einer tatsächlichen Unmöglichkeit, den Arbeitsplatz zu erreichen).

• Der persönliche Dienstverhinderungsgrund gemäß § 8 Abs 3 AngG bzw § 1154b Abs 5 ABGB ist klar von anderen gesetzlich geregelten Dienstverhinderungsgründen abgegrenzt. Ist ein Arbeitnehmer wegen Krankheit oder Unfall verhindert, liegt Arbeitsunfähigkeit, ein Krankenstand vor (§ 8 Abs 1 bis 2a AngG; § 1154b Abs 1 bis 3 ABGB). E contrario: Ist der Arbeitnehmer nicht krank, ist er arbeitsfähig und es liegt kein Dienstverhinderungsgrund vor. Ein persönlicher Dienstverhinderungsgrund gemäß § 8 Abs 3 AngG bzw § 1154b Abs 5 ABGB kann meines Erachtens nicht als Auffangtatbestand dienen, wenn die Voraussetzungen einer Dienstverhinderung wegen Krankheit, Unfall oder Anstaltsaufenthalt nicht erfüllt sind.4)

• Die Dienstverhinderung muss ohne Verschulden des Arbeitnehmers eingetreten sein. Der Arbeitnehmer muss demnach alles unternehmen, um zur Arbeit zu erscheinen. Bereits leichte Fahrlässigkeit schließt den Entgeltfortzahlungsanspruch aus.5) 3)

Zu öffentlich-rechtlichen Pflichten zählen etwa Staatbürgerpflichten (zB Folgeleisten von gerichtlichen Ladungen) und zu sittlichen Pflichten insbesondere familienrechtliche Pflichten (zB Pflege schwer erkrankter naher Angehöriger, wenn keine andere Betreuungsperson verfügbar ist; Hochzeiten und Begräbnisse naher Angehöriger); vgl Drs in Neumayr/Reissner , Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht3 (2018) § 8 AngG Rz 123; K. Mayr , Arbeitsrecht, § 8 AngG E 30 ff. 4 ) In diesem Sinn auch Ghahramani-Hofer , PVP 2020, 303. 5) Drs in ZellKomm3, § 8 AngG Rz 147.

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„Quarantäne“ ohne Bescheid – arbeitsrechtliche Konsequenzen Sie liegt meines Erachtens dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Arbeitsaufnahme auffordert (zB Rückkehr an den Arbeitsplatz oder Wiederaufnahme von Teleworking), der Arbeitnehmer der Aufforderung nicht nachkommt und weder einen Absonderungsbescheid noch eine Krankenstandsbestätigung vorlegen kann. Schuldhaftes Verhalten kann darüber hinaus auch dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer ein risikoerhöhendes Verhalten gesetzt hat (Einreise und Rückkehr in ein Land mit Reisewarnung, Teilnahme an Corona-Partys, Missachtung dringend empfohlener Schutzmaßnahmen).6) 1.3. Tipp Teilt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit, dass er zu Hause bleiben möchte, weil ihm dies von der Hotline 1450 empfohlen wurde, er sich also nicht für arbeitsbereit erklärt, hat der Arbeitgeber folgende Möglichkeiten, sofern Homeoffice, Urlaub oder Zeitausgleich nicht möglich sind:

• Er zahlt das Entgelt ohne weitere Bedingungen fort. • Er stellt die Zahlung des Entgelts ein, bis der Quarantänebescheid oder eine Krankenstandsbestätigung (sofern sie vom Arbeitgeber verlangt wurde) vorliegen.

• Er zahlt das Entgelt mit dem Vorbehalt der Rückforderung für den Fall weiter aus, dass kein Quarantänebescheid und keine Krankmeldung vorgelegt werden. Diese Vorgehensweise ist nicht nur äußerst praktisch, sondern sie berücksichtigt auch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen gleichermaßen. 2. Die Gesundheitsbehörde verhängt über einen Mitarbeiter telefonisch eine Quarantäne 2.1. Allgemeines Im Gegensatz zur Hotline 1450 kann die Gesundheitsbehörde (Bezirksverwaltungsbehörde) Bescheide über die Verhängung einer Quarantäne (Absonderung) mündlich am Telefon erlassen. Der Inhalt und die Verkündung eines telefonischen Bescheids sind von der Gesundheitsbehörde zu beurkunden und dem Betroffenen zuzustellen (§ 46 Abs 2 EpiG). Die Quarantäne endet automatisch, wenn die Gesundheitsbehörde nicht innerhalb von 48 Stunden einen (schriftlichen) Bescheid über die Verhängung der Quarantäne (Absonderung) „erlässt“ (§ 46 Abs 2 EpiG). Unklar ist, ob auch die Zustellung binnen 48 Stunden erfolgen muss oder ob es auf die Ausfertigung des Bescheids ankommt, die Zustellung also auch nach 48 Stunden die Quarantäne nicht aufhebt. Für letzte Interpretation spricht, dass in § 46 Abs 3 EpiG ausdrücklich die Rede davon ist, dass der Inhalt des telefonisch verkündete Bescheids zu beurkunden und der Partei „zuzustellen“ ist. Der Gesetzgeber differenziert offenbar bewusst zwischen „zustellen“ und „erlassen“. Stellt man auf das Erlassen des Bescheids binnen 48 Stunden ab, so muss der schriftliche Bescheid innerhalb dieser Frist meines Erachtens den Herrschaftsbereich der Behörde verlassen haben. Als Zustellmöglichkeiten kommen in der Praxis das Zusenden eines Bescheids per E-Mail oder die Postzustellung infrage. Per E-Mail wäre eine Zustellung binnen 48 Stunden zeitgerecht jedenfalls möglich. Bei der Zustellung per Post müsste meines Erachtens jedenfalls die Abfertigung des Bescheids, also die Postaufgabe, binnen 48 Stunden erfolgen. Die Beweislast, dass die Postaufgabe binnen 48 Stunden erfolgte, trägt die Behörde. 6)

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Ghahramani-Hofer , PVP 2020, 304.

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„Quarantäne“ ohne Bescheid – arbeitsrechtliche Konsequenzen Dass ein Bescheid nicht binnen 48 Stunden erlassen wird, kann daran liegen, dass sich zwischenzeitlich herausgestellt hat, dass doch kein positives Ergebnis vorliegt7) oder weil die Behörde überlastet ist (dies wird in der Praxis wohl eher der Grund dafür sein).8) Der Mitarbeiter hat in diesem Fall die Zustellung des schriftlichen Bescheids bei der Behörde einzufordern bzw zu urgieren. Das ist deswegen wichtig, da nur bei bestätigter Quarantäne ein rechtmäßiger Grund vorliegt, nicht zur Arbeit zu erscheinen. Für den Arbeitgeber ist der Quarantänebescheid auch deshalb wichtig, um seinen Anspruch auf Erstattung der Entgeltfortzahlung gemäß § 32 Abs 3 EpiG gegenüber der Bezirksverwaltungsbehörde geltend machen zu können.9) Ist die Quarantäne (durch Bescheid oder nach Ablauf der 48-Stunden-Frist ohne Bescheid) beendet und liegen keine Krankheitssymptome vor, hat der Mitarbeiter zur Arbeit zu erscheinen, wenn der Arbeitgeber dies wünscht. Es können selbstverständlich auch Homeoffice, Urlaubskonsum oder der Abbau von Zeitguthaben vereinbart werden. Ist die Quarantäne beendet und liegen Krankheitssymptome vor (zB Fieber), kann der Arbeitnehmer nach Rücksprache mit seinem Arzt einen Krankenstand melden. 2.2. Tipp Teilt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit, dass er zu Hause bleiben muss, weil er von der Gesundheitsbehörde telefonisch unter Quarantäne gestellt wurde, er sich also nicht für arbeitsbereit erklärt, dann hat der Arbeitgeber folgende Möglichkeiten, sofern Homeoffice nicht möglich ist:

• Er zahlt das Entgelt ohne weitere Bedingungen fort. • Er stellt die Zahlung des Entgelts ein, bis der Quarantänebescheid oder eine Krankenstandsbestätigung (sofern sie vom Arbeitgeber verlangt wurde) vorliegen.

• Er zahlt das Entgelt mit dem Vorbehalt der Rückforderung für den Fall weiter aus, dass kein Quarantänebescheid und keine Krankmeldung vorgelegt werden. Diese Vorgehensweise ist nicht nur äußerst praktisch, sondern sie berücksichtigt auch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen gleichermaßen. 3. Der Quarantänebescheid erstreckt sich nicht auf die gesamte Zeit des Zu-Hause-Bleibens 3.1. Allgemeines Wenn sich der Quarantänebescheid nicht auf die gesamte Zeit des Zu-Hause-Bleibens erstreckt, kann das insbesondere folgende Gründe haben: 7

) Antigen-Schnelltestes liefern mitunter falsche positive Ergebnisse und müssen daher durch einen PCR-Test bestätigt werden; siehe https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/ Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen/FAQ--Testungen-und-Quarantaene.html. 8 ) Siehe etwa https://www.diepresse.com/5868111/ist-wiens-corona-management-uberlastet; https:// www.derstandard.at/story/2000121346117/weil-das-contact-tracing-gescheitert-ist-muss-oesterreichzusperren. 9 ) Dem Arbeitgeber sind der für die Zeit der Erwerbsbehinderung vom Arbeitgeber zu entrichtende Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung und der Zuschlag gemäß § 21 BUAG vom Bund zu ersetzen. Zur gesetzlichen Sozialversicherung zählen Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung. Die Bezirksverwaltungsbehörden zählen Letztere jedoch nicht zur gesetzlichen Sozialversicherung und zahlen daher auch keine Arbeitslosenversicherungsbeiträge aus. Dies zu Unrecht, denn die Arbeitslosenversicherung könnte ohne gesetzliche Verankerung nicht Teil der Pflichtversicherung sein; so auch Dirschmied , Arbeitslosenversicherungsrecht, § 1 AlVG, 29; R. Müller in Pfeil , Der AlVG-Kommentar, § 1 Rn 29; Schrank , Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, Kap 19.B.1 Rz 6; kritisch dazu auch Höfle/Platzer , ASoK 2020, 405 (mit Ausführungen zur Auszahlungspraxis der Bezirksverwaltungsbehörden); Leissler , EpidemieG und COVID-19-MaßnahmenG: Maßnahmen und Entschädigungen, ecolex 2020, 286. Für eine Einbeziehung der Beiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung in die Vergütungsbestimmung des § 32 Abs 3 EpiG spricht auch, dass dessen Bestimmungen nach den Gesetzesmaterialien großzügig auszulegen sind; vgl Hummelbrunner , Berechnung des Verdienstentganges nach dem EpidemieG, ecolex 2020, 478.

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„Quarantäne“ ohne Bescheid – arbeitsrechtliche Konsequenzen Der Arbeitnehmer ist auf Empfehlung der Hotline 1450

• eigenmächtig oder • mit ausdrücklicher Zustimmung seines Arbeitgebers oder • wegen Erkrankung zu Hause geblieben. Erst (Tage) später verhängt die Gesundheitsbehörde (telefonisch oder schriftlich) den Bescheid. Denkbar ist es auch, dass nach einem positiven Test der Quarantänebescheid (schriftlich oder telefonisch) nicht am selben Tag zugestellt wird und der nachfolgende Bescheid nicht entsprechend rückdatiert wird. Für den Zeitraum des Zu-Hause-Bleibens, der nicht vom Quarantänebescheid umfasst ist, besteht kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung gemäß § 32 Abs 3 EpiG. Besteht für diesen Zeitraum wegen Erkrankung aber eine Krankschreibung, dann besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 8 Abs 1 AngG bzw § 2 Abs 1 EFZG. War der Arbeitnehmer gesund und ist er mit ausdrücklicher Zustimmung seines Arbeitgebers in diesem Zeitraum zu Hause geblieben, hat er ebenfalls einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. War der Mitarbeiter in diesem Zeitraum hingegen gesund und ist er trotz Aufforderung des Arbeitgebers, am Arbeitsplatz zu erscheinen, eigenmächtig zu Hause geblieben, dann hat er keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. 3.2. Tipp Teilt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit, dass er zu Hause bleiben möchte, weil ihm dies von der Hotline 1450 empfohlen wurde, er sich also nicht für arbeitsbereit erklärt, hat der Arbeitgeber folgende Möglichkeiten, sofern Homeoffice, Urlaub oder Zeitausgleich nicht möglich ist:

• Er zahlt das Entgelt ohne weitere Bedingungen fort. • Er stellt die Zahlung des Entgelts ein, bis der Quarantänebescheid oder eine Krankenstandsbestätigung (sofern sie vom Arbeitgeber verlangt wurde) vorliegen.

• Er zahlt das Entgelt mit dem Vorbehalt der Rückforderung für den Fall weiter aus, dass kein Quarantänebescheid und keine Krankmeldung vorgelegt werden. Diese Vorgehensweise ist nicht nur äußerst praktisch, sondern sie berücksichtigt auch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen gleichermaßen.

Auf den Punkt gebracht Wird dem Arbeitnehmer geraten, zu Hause zu bleiben, so tun er und sein Arbeitgeber gut daran, sich so schnell als möglich Klarheit über die Situation zu verschaffen. Zu klären ist, ob die Empfehlung von der Gesundheitsbehörde oder von jemand anderem erfolgte (zB Hotline 1450, Arzt, Arbeitskollegen). Eine verbindliche Quarantäne (Absonderung) kann ausschließlich die Gesundheitsbehörde mittels (telefonischen) Bescheids verhängen. Nur in diesem Fall muss der Arbeitgeber das Entgelt weiterzahlen. Ein allenfalls bis dahin bestehender Krankenstand wird unterbrochen. Dem Arbeitgeber kommt nur dann ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Bund zu, wenn er bei der Antragstellung den Absonderungsbescheid der Bezirksverwaltungsbehörde vorlegen kann. Vom Erstattungsanspruch sind unter anderem auch Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung umfasst. Darunter zählen auch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Liegt keine mit Bescheid verhängte Quarantäne vor, muss der Arbeitnehmer – sofern der Arbeitgeber dies wünscht – grundsätzlich zur Arbeit erscheinen, außer es liegt eine Krankschreibung vor.

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Quarantäne/Betriebsschließungen nach bereits vereinbartem Urlaub

Quarantäne und Betriebsschließungen nach bereits vereinbartem Urlaub Ist ein Rücktritt bzw Teilrücktritt von der Urlaubsvereinbarung möglich? Quarantäne/Betriebsschließungen nach bereits vereinbartem Urlaub

THOMAS RAUCH*) Da die Absonderung den Erholungszweck des Urlaubs vereitelt, wird ein Rücktritt bzw Teilrücktritt des Arbeitnehmers von der Urlaubsvereinbarung möglich sein. Für Zeiträume, für die ein Arbeitnehmer im Krankenstand ist, einen Anspruch auf eine Pflegefreistellung oder während denen er sonst einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Entfall der Arbeitsleistung hat, darf der Urlaubsantritt nicht vereinbart werden, wenn diese Umstände bereits bei Abschluss der Urlaubsvereinbarung bekannt waren. Wird gegen diese gesetzliche Vorgabe verstoßen, so gilt der Zeitraum der entgeltpflichtigen Arbeitsverhinderung nicht als Urlaub (§ 4 Abs 2 UrlG). Für den Fall, dass erst nach Abschluss der Urlaubsvereinbarung ein Verhinderungsgrund in der Sphäre des Arbeitnehmers eintritt, liegt keine gesetzliche Regelung vor. § 5 UrlG bezieht sich auf Erkrankungen (Unfälle) des Arbeitnehmers nach dem Antritt des Urlaubs. Im Folgenden soll insb die Rechtslage bei Überschneidungen des Urlaubs mit einer Quarantäne näher erörtert werden. 1. Quarantäne (behördliche Absonderung) und § 4 Abs 2 UrlG Ansteckungsverdächtige Personen können angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt sowie in der Wohnung abgesondert werden (§§ 7 Abs 1a und 17 EpiG). Aufgrund solcher Maßnahmen kann die Situation eintreten, dass arbeitsfähige Arbeitnehmer keine Arbeitsleistungen erbringen können. Es liegt somit grundsätzlich ein Dienstverhinderungsgrund nach § 8 Abs 3 AngG (für Arbeiter und Lehrlinge § 1154b Abs 5 ABGB) vor und der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer das Entgelt weiterhin zu bezahlen.1) Nach der Spezialbestimmung des § 32 Abs 3 EpiG ist das Arbeitsentgelt vom Arbeitgeber für die Dauer der Dienstverhinderung durch die Quarantäne zu bezahlen. Dem Arbeitgeber ist eine Vergütung für die nach dem EpiG geleistete weitere Bezahlung des Arbeitsentgelts zuzüglich Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung (und BUAK-Zuschlag) vom Bund zu bezahlen.2) Daraus ergibt sich, dass die in der Sphäre des Arbeitnehmers liegende Dienstverhinderung durch einen Absonderungsbescheid von § 4 Abs 2 UrlG erfasst ist und daher eine Vereinbarung eines Urlaubs für die Zeit der Quarantäne trotz Kenntnis dieses Umstands bewirkt, dass der Zeitraum der Dienstverhinderung nicht als Urlaub gilt. 2. Quarantäne und Rücktritt oder Teilrücktritt von der Urlaubsvereinbarung Das UrlG regelt aber nicht den Fall, dass ein Urlaub in Unkenntnis einer künftigen behördlich angeordneten Quarantäne, die sich zeitlich mit dem Urlaub überschneidet, vereinbart wird. Grundsätzlich bindet die Urlaubsvereinbarung beide Parteien. Wie bei allen Dauerrechtsverhältnissen ist jedoch eine Auflösung der Vereinbarung aus wichtigem Grund *)

Dr. Thomas Rauch ist Mitarbeiter der Sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Wien im Ruhestand, Fachbuchautor, Seminartrainer und Parteienvertreter in arbeitsgerichtlichen Verfahren. ) Die weitere Bezahlung erfolgt nach dem Ausfallsprinzip. Demnach ist der Arbeitnehmer entgeltmäßig so zu stellen, als hätte er gearbeitet. 2) Dies ist binnen sechs Wochen zu beantragen und gilt ausschließlich für die behördlich angeordnete Quarantäne. 1

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Quarantäne/Betriebsschließungen nach bereits vereinbartem Urlaub möglich.3) Ein solcher Rücktritt bzw Teilrücktritt von der Urlaubsvereinbarung ist jedenfalls dann möglich, wenn einer der Fälle iSd § 4 Abs 2 UrlG nach Abschluss der Urlaubsvereinbarung eintritt, weil solche Umstände den Urlaubskonsum unzumutbar machen bzw der Erholungszweck des Urlaubs nicht mehr erreicht werden kann.4) Da (wie bereits in Pkt 1. ausgeführt) die behördliche Absonderung eine Dienstverhinderung in der Person des Arbeitnehmers ist und daher von § 4 Abs 2 UrlG erfasst wird, ermöglicht diese den Rücktritt bzw Teilrücktritt von der Urlaubsvereinbarung. Fallen also zB sieben Kalendertage der restlichen Quarantäne in den Zeitraum des beginnenden Urlaubs, der zwei Wochen dauert, so kann der Arbeitnehmer für die erste Urlaubswoche einen Teilrücktritt erklären. Die Rücktrittserklärung ist an keine Form gebunden und kann daher auch schlüssig erfolgen (§ 863 ABGB). Es reicht demnach, wenn die Anordnung der Absonderung dem Arbeitgeber mitgeteilt und eine Kopie des Bescheids der Gesundheitsbehörde übermittelt wird. Beginnt also die Quarantäne vor dem Urlaubsantritt, so ist diese unverzüglich zu melden und anschließend eine Kopie des Absonderungsbescheids vorzulegen. In seinem Urteil vom 12. 6. 1996, 9 ObA 2082/96h, ging der OGH davon aus, dass die Vorlage der Bestätigung der Dienstverhinderung binnen einer Woche als ausreichend anzusehen ist, wobei aber offenbar der Arbeitgeber die Vorlage einer Bestätigung nicht verlangt hat. 3. Quarantäne nach Antritt des Urlaubs § 5 UrlG bezieht sich nach seinem Wortlaut auf Erkrankungen bzw Unfälle während eines Urlaubs. Die Arbeitsunfähigkeit während eines Urlaubs (die nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde und nicht auf einer dem Erholungszweck widersprechenden Erwerbstätigkeit beruht) unterbricht den Urlaub, wenn die Erkrankung länger als drei Kalendertage dauert. Der Arbeitnehmer hat nach dreitägiger Dauer der Arbeitsunfähigkeit dies unverzüglich dem Arbeitgeber mitzuteilen (oder unverzüglich nach Wegfall eines allfälligen Hinderungsgrundes). Bei Wiederantritt der Arbeit ist eine ärztliche Bestätigung vorzulegen.5) Dienstverhinderungen, die nicht auf einer Erkrankung bzw auf einem Unfall beruhen, werden von § 5 UrlG nicht erfasst. Der OGH hat hierzu festgehalten, dass die analoge Anwendung von § 5 UrlG jedenfalls dann gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer zur Gänze zurücktreten könnte, von diesem Rücktrittsrecht aber nicht Gebrauch machen möchte.6) Zu berücksichtigen ist auch der immanente Zweck des § 4 Abs 2 UrlG (auch wenn er die Dienstverhinderung nach Antritt des Urlaubs nicht regelt), dass der Arbeitnehmer nicht durch Doppelanrechnungen um Urlaubsansprüche gebracht werden soll.7) In erster Linie sei bei der Auslegung des UrlG der Erholungszweck des Urlaubs zu berücksichtigen. Durch den vorübergehenden Entfall der arbeitsrechtlichen Pflichtbindungen soll ein Freiraum zur Selbstbestimmung geschaffen werden. Da im Fall der Absonderung in der Wohnung die Freizeitgestaltung erheblich eingeschränkt ist, wird von einer Unterbrechung des Urlaubs in Analogie zu § 5 UrlG auszugehen sein. Daher ist die Mitteilungs- und Nachweispflicht iSd § 5 Abs 3 UrlG vom Arbeitnehmer einzuhalten. Dauert die zeitliche Überschneidung der Absonderung während des Urlaubs drei Ka3) 4

)

5) 6

)

7)

8

Strasser , Der Verbrauch des Urlaubs, ÖJZ 1958, 398 (405); OGH 12. 6. 1996, 9 ObA 2082/96h; 16. 10. 2002, 9 ObA 90/02d. Cerny , Urlaubsrecht9 (2005) § 4 Erl 12. Zu den Bestimmungen zu ausländischen ärztlichen Bestätigungen siehe § 5 Abs 3 UrlG. OGH 22. 11. 1989, 9 ObA 306/89, betrifft den Tod des Vaters der Arbeitnehmerin während ihres Urlaubs. So auch OGH 21. 10. 1986, 14 Ob 159/86.

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Quarantäne/Betriebsschließungen nach bereits vereinbartem Urlaub lendertage oder kürzer, kommt meines Erachtens auch kein Rücktritt vom Urlaub nach den vertragsrechtlichen Grundsätzen in Frage, weil es damit zu einer Umgehung des § 5 UrlG kommen würde, der ausdrücklich regelt, dass der Arbeitnehmer eine relativ kurze Dauer der Beeinträchtigung des Erholungszwecks hinnehmen muss,8) indem es nur dann zu einer Unterbrechung des Urlaubs kommt, wenn die Erkrankung mehr als drei Kalendertage dauert. 3.1. Quarantäne eines Kindes Nicht jede Beeinträchtigung des Erholungszwecks kann zu einer Unterbrechung des Urlaubs oder einem Rücktritt bzw Teilrücktritt von der Urlaubsvereinbarung führen. Vielmehr muss es sich um Störungen der Erholung handeln, die den Erholungszweck gleich einer eigenen Erkrankung einschränkt. Das Vorliegen der Gründe für eine Betreuungsfreistellung (iSd § 16 Abs 1 Z 2 UrlG) eines Kindes (Wahl- oder Pflegekindes) wegen der Verhinderung der Person, die das Kind ständig betreut hat, aus den Gründen nach § 15d Abs 2 Z 1 bis 4 MSchG9) kann zB nicht mit der Pflege eines erkrankten nahen Angehörigen gleichgesetzt werden. Würde man die Betreuung eines Kleinkindes als eine den Erholungszweck beseitigende Pflicht ansehen, so könnte bei Urlaub mit zu betreuenden Kleinkindern der Erholungszweck nie erreicht werden.10) Überträgt man diese Grundsätze auf den Fall der Notwendigkeit der Betreuung eines Kindes, das behördlich abgesondert wurde, so ist zu beachten, dass der Arbeitnehmer mit dem zu betreuenden Kind die Wohnung nicht verlassen kann. Daher ist im Einzelfall zu prüfen, ob für die Betreuung des Kindes auch andere Personen zur Verfügung stehen oder die Bewegungsfreiheit des Arbeitnehmers so weitgehend eingeschränkt ist, dass der Erholungszweck wie bei einer Arbeitsunfähigkeit (durch Krankheit oder Unfall) als vereitelt angesehen werden muss. 3.2. Rücktritt wegen Störung des Urlaubsprogramms durch den Entfall einer Fernreise oder von Veranstaltungen Hat der Arbeitnehmer für den bereits vereinbarten Urlaub eine Fernreise oder den Besuch von bestimmten Veranstaltungen geplant und kann letztlich dieses Urlaubsprogramm nicht verwirklicht werden, weil die Fernreise (oder auch eine Reise in die nähere Umgebung) bzw die Veranstaltungen wegen Corona abgesagt wurden, so kann dies keinen Rücktritt oder Teilrücktritt von einer Urlaubsvereinbarung begründen,11) weil solche Störungen des Urlaubsprogramms den Erholungszweck des Urlaubs nicht so gravierend wie eine Erkrankung beeinträchtigen (siehe Pkt 3.1.). Eine Urlaubsvereinbarung mit einem dem Arbeitnehmer ausdrücklich gewährten Rücktrittsrecht, wenn die Reise wegen einer Absage, Reisewarnung oder sonstigen Umständen unmöglich wird, ist zulässig, weil dadurch dem Arbeitnehmer eine Besserstellung eingeräumt wird. Der Arbeitgeber muss dabei aber bedenken, dass im Sinne der Gleichbehandlung allen Arbeitnehmern solche Rücktrittsrechte einzuräumen sind (wobei allerdings die bloße Bevorzugung einzelner Arbeitnehmer bzw einer Minderheit 8)

In OGH 16. 10. 2002, 9 ObA 90/02d, wird diese Frage angesprochen, aber nicht beantwortet, weil in diesem Fall die Pflege des Ehegatten während des Urlaubs acht Kalendertage beanspruchte und die Klägerin eine Unterbrechung ihres Urlaubs in Analogie zu § 5 UrlG begehrte bzw der Rücktritt nicht angesprochen wurde. 9 ) Tod, Aufenthalt in einer Heil- und Pflegeanstalt, Freiheitsstrafe bzw behördliche Anhaltung, schwere Erkrankung, Wegfall des gemeinsamen Haushalts des anderen Elternteils mit dem Kind oder der Betreuung des Kindes. 10 ) OGH 15. 12. 2009, 9 ObA 28/09x. 11 ) So auch Vogt-Majarek/Springer , Die Urlaubsvereinbarung während der Corona-Krise, ARD 6703/4/ 2020, 4.

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Quarantäne/Betriebsschließungen nach bereits vereinbartem Urlaub rechtlich nicht bekämpfbar ist).12) Abgesehen davon kann die Absage einer Fernreise kurz vor dem Urlaubsantritt erfolgen und damit organisatorische Dispositionen erschweren, weil der Rücktritt von einem schon lange bewilligten Urlaub erst kurz vor seinem geplanten Beginn erfolgt. Falls nicht regelmäßig in solchen Bewilligungen des Rücktritts betont wird, dass diese nur für die Dauer der Corona-Pandemie erfolgen können, haben die Arbeitnehmer die Möglichkeit, auch nach der Corona-Pandemie auf eine betriebliche Übung zu verweisen. Weiters wird es schwer argumentierbar sein, dass solche Besserstellungen nur für Fernreisen und nicht für Inlandsreisen oder Reisen ins nahegelegene Ausland eingeräumt werden (wobei auch eine unstrittige Definition des Begriffs „Fernreise“ fehlt). 4. Betriebsschließung für die Dauer einer zuvor abgeschlossenen Urlaubsvereinbarung Nach § 1155 Abs 3 ABGB13) gelten Maßnahmen auf Grundlage des COVID-19-Maßnahmengesetzes (BGBl I 2020/12), die zum Verbot oder zur Einschränkung des Betretens von Betrieben führen, als Dienstverhinderungen in der Sphäre des Arbeitgebers (§ 1155 Abs 1 ABGB). Der Arbeitgeber hat gemäß § 1155 Abs 1 ABGB während des Entfalls der Arbeitsleistungen den zur Arbeitsleistung bereiten Arbeitnehmern das Entgelt (nach dem Ausfallsprinzip) weiter zu bezahlen, wobei sich der Arbeitnehmer anrechnen lassen muss, was er sich aufgrund des Unterbleibens der Arbeitsleistungen erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat. Hat der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber für einen bestimmten Zeitraum einen Urlaub vereinbart und es kommt für diesen Zeitraum zu einer Betriebsschließung, so hat aus Sicht des Arbeitnehmers die Urlaubsvereinbarung den Sinn der Freistellung von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung des Entgelts verloren, weil bereits aus einem anderen Grund ein entgeltpflichtiger Entfall der Arbeitspflicht eingetreten ist. Meines Erachtens ermöglicht dies keinen Rücktritt von der Urlaubsvereinbarung, weil der Erholungszweck des Urlaubs nicht beeinträchtigt wird. Außerdem muss bei einer Dienstverhinderung nach § 1155 ABGB der Arbeitnehmer arbeitsbereit sein und kann auch (teilweise) für Arbeiten, die dem arbeitsvertraglich vereinbarten Aufgabenbereich entsprechen, herangezogen werden, die trotz Betriebsschließung (etwa in für den Publikumsverkehr geschlossenen Betriebsräumlichkeiten) zulässig sind (Reparaturen, Versand von Waren, Ausgabe von Speisen etc). Für die Dauer des Urlaubs besteht aber keine Möglichkeit, dass der Arbeitgeber (auch nur teilweise) den Arbeitnehmer für arbeitsvertragliche Tätigkeiten einsetzt. Während also im Urlaub eine Ortsabwesenheit und eine fehlende Erreichbarkeit etwa zwecks Durchführung einer Reise jederzeit zulässig sind, wäre dies bei einer bloßen (an Arbeitsbereitschaft bzw mögliche Arbeitseinsätze gebundenen) Freistellung nach § 1155 ABGB nicht zulässig. Abgesehen davon ist meistens nicht absehbar, wann die Dienstverhinderung endet, während der Urlaub für einen bestimmten Zeitraum vertraglich festgelegt ist. Die Betriebsschließung kann im Kleinbetrieb auch auf einer Quarantäne des Arbeitgebers beruhen (zB bei einer Ordination wegen Quarantäne des Arztes). Meines Erachtens gelten hier die gleichen Grundsätze wie bei einer behördlichen Betriebsschließung. 12)

OGH 11. 5. 2006, 8 ObA 26/06s. ) Nach § 1503 Abs 14 ABGB tritt diese Bestimmung mit 31. 12. 2020 außer Kraft. Eine Verlängerung ist denkbar. Zu Details siehe auch Rauch , Die Dienstverhinderung durch eine Pandemie, ASoK 2020, 301.

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Quarantäne/Betriebsschließungen nach bereits vereinbartem Urlaub 5. Rücktritt des Arbeitgebers von der Urlaubsvereinbarung wegen etlicher Arbeitnehmer in Quarantäne Der Rücktritt des Arbeitgebers von einer Urlaubsvereinbarung erfordert besonders schwerwiegende betriebliche Gründe,14) die zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile für das Unternehmen eine dienstliche Inanspruchnahme gerade jenes Arbeitnehmers, der den Urlaub antreten will, nach den Umständen des Falls unumgänglich notwendig macht und somit die Einhaltung der Urlaubszusage für den Arbeitgeber unzumutbar wird.15) Wenn etwa in einer wirtschaftlich sehr angespannten Situation mehrere Arbeitnehmer wegen Quarantäne ausfallen und ein dringender Großauftrag nur mehr durch Arbeitsleistungen jenes Arbeitnehmers, der den bewilligten Urlaub antreten will, rechtzeitig erfüllt werden kann, ist ein Rücktritt des Arbeitgebers von der Urlaubsvereinbarung (zu einem längeren Urlaub) denkbar. Einen allfälligen Schaden (zB Stornogebühr für einen bereits gebuchten Aufenthalt in einem Hotel) wird der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ersetzen müssen.16)

Auf den Punkt gebracht Wird ein Urlaub in Unkenntnis einer späteren Quarantäne des Arbeitnehmers, die sich mit dem Urlaub zeitlich überschneidet, vereinbart, kann der Arbeitnehmer einen Rücktritt bzw Teilrücktritt vom Urlaub erklären. Hat der Arbeitnehmer den Urlaub bereits angetreten und muss er während seines Urlaubs für mehr als drei Kalendertage in Quarantäne, wird der Urlaub unterbrochen, wenn die übrigen Voraussetzungen des in Analogie anzuwendenden § 5 UrlG gegeben sind. Falls ein vom Arbeitnehmer zu betreuendes Kind während des Urlaubs des Arbeitnehmers in Quarantäne muss, ist zu prüfen, ob dadurch die Bewegungsfreiheit des Arbeitnehmers so weitgehend eingeschränkt wird, dass der Erholungszweck des Urlaubs nicht mehr erreichbar ist. Kommt es während des Urlaubs des Arbeitnehmers zu einer Betriebsschließung, die bei Abschluss der Urlaubsvereinbarung nicht vorhersehbar war, hat dies keine Auswirkungen auf die Bindung an die Urlaubsvereinbarung und die Reduktion des Urlaubsguthabens, ua deswegen, weil dadurch der Erholungszweck nicht beeinträchtigt ist.

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) OGH 17. 3. 1993, 9 ObA 15/93. ) OGH 11. 5. 1988, 9 ObA 81/88; 2 .4. 2003, 9 ObA 244/02a. ) Cerny , Urlaubsrecht9, § 4 Erl 12.

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Abgabenpflicht der Entgeltzahlung nach dem Epidemiegesetz

Abgabenpflicht der Entgeltzahlung nach dem Epidemiegesetz bei Quarantäne des Arbeitnehmers Interpretation als Entschädigung des Bundes und nicht als Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers Abgabenpflicht der Entgeltzahlung nach dem Epidemiegesetz

WOLFGANG HÖFLE / ALEXANDRA PLATZER*) Laut einem erst kürzlich wieder in die Aufmerksamkeit gelangten VwGHErkenntnis vom 29. 3. 1984, 84/08/0043, ist die Vergütung für den Verdienstentgang des Arbeitnehmers nach dem Epidemiegesetz (EpiG) nicht mit Fällen, in denen das Arbeitsrecht zum Schutz des Arbeitnehmers – trotz Unterbleibens der Arbeitsleistung – einen Entgeltanspruch normiert, vergleichbar. Der Arbeitgeber fungiert vielmehr nur als auszahlende Stelle für eine Verpflichtung des Bundes gegenüber dem Arbeitnehmer nach dem EpiG. Diese Interpretation hat nicht nur weitreichende Auswirkungen auf die abgabenrechtliche Einordnung der Entgeltzahlung bei Quarantäne, sie eröffnet auch einen anderen Blickwinkel auf die bislang sehr restriktive Haltung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) betreffend den Vergütungsanspruch des Arbeitgebers für die Auszahlung dieser Verpflichtung des Bundes. 1. Einordnung durch den VwGH Der VwGH hat sich bereits in einem erst kürzlich wieder in die Aufmerksamkeit gelangten Erkenntnis aus dem Jahr 19841) mit dem Vergütungsanspruch des Arbeitgebers für die Entgeltzahlung an den Arbeitnehmer nach dem EpiG auseinandergesetzt. Im Besonderen ging es um die Frage, ob der Dienstgeberbeitrag zum FLAG zu vergüten ist, obwohl er in § 32 Abs 3 EpiG nicht genannt ist:

• Der VwGH spricht sich im genannten Erkenntnis gegen einen analogen Vergütungsanspruch für den Dienstgeberbeitrag zum FLAG aus und interpretiert die in § 32 Abs 3 EpiG aufgezählten Rückersatzfälle als erschöpfende Aufzählung: „(…) nichts deutet auf die Zulässigkeit einer Erweiterung im Auslegungswege hin“. • „Beim Verwaltungsgerichtshof sind aber auch keine Bedenken ob der Sachlichkeit der Regelung entstanden, ergibt sich doch aus dem Regelungszusammenhang, daß es sich bei dem dem Arbeitnehmer ausgezahlten Vergütungsbetrag begrifflich nicht um Entgelt (Arbeitslohn im Sinne des § 41 Abs. 3 FLAG 1967), sondern um eine auf einem öffentlich-rechtlichen Titel beruhende Entschädigung (Vergütung) des Bundes handelt, für die der Arbeitgeber in Vorlage tritt. Die Prämisse, daß die beschwerdeführende Partei in Form von Dienstgeberbeiträgen nach § 39 Abs. 4 in Verbindung mit § 41 Abs.3 bis 5 FLAG 1967 Leistungen hätte erbringen müssen – für die dann kein Ersatz vom Bund vorgesehen wäre – trifft somit nicht zu.“ Der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers nach dem EpiG unterscheidet sich also grundlegend von Fällen, in denen das Arbeitsrecht zum Schutz des Arbeitnehmers trotz Unterbleibens der Arbeitsleistung einen Entgeltanspruch normiert, wie zB Zeiten einer Dienstverhinderung wegen Krankheit oder Unglücksfall.2) *)

Dr. Wolfgang Höfle ist Steuerberater in Wien, Leiter der Arbeitsgruppe Lohnsteuer des Fachsenats für Steuerrecht der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und fachkundiger Laienrichter beim OGH. Mag. Alexandra Platzer ist Expertin für Sozialversicherung, Lohnsteuer und Lohnabgaben in einer international tätigen Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Wien und Mitglied des Fachsenats für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. 1 ) VwGH 29. 3. 1984, 84/08/0043. 2 ) § 8 Abs 1 und 2 AngG, § 3 EFZG.

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Abgabenpflicht der Entgeltzahlung nach dem Epidemiegesetz Der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers nach dem EpiG ist kein Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis. Der Arbeitgeber erfüllt vielmehr eine Schuld des Bundes gegenüber dem Arbeitnehmer, der aufgrund der Absonderungsmaßnahme einen Verdienstentgang erlitten hat. Der Arbeitgeber übernimmt kraft Gesetzes die Rolle der auszahlenden Stelle für eine Entschädigung des Bundes. Der Vergütungsanspruch des Arbeitgebers gegenüber dem Bund ist daher auch kein Regressanspruch des Arbeitgebers für das vom Bund verschuldete Unterbleiben der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, sondern ein Ersatzanspruch für das Begleichen einer unmittelbaren Verpflichtung des Bundes, für die der Arbeitgeber in Vorlage tritt. Unseres Erachtens ist die vom VwGH getroffene Einordnung nach der Rechtssystematik und dem Wortlaut des § 32 EpiG schlüssig:

• Aus § 32 Abs 1 und 2 EpiG geht hervor, dass primär anspruchsberechtigt jene Person ist, bei der der Verdienstentgang eingetreten ist.

• Für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ordnet das Gesetz an, dass die Arbeitgeber den ihnen gebührenden Vergütungsbetrag „an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen“ haben. Der Arbeitgeber tritt daher hinsichtlich des Vergütungsbetrages des Arbeitnehmers in Vorleistung. • Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung gegenüber dem Bund geht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung im Wege der Legalzession auf den Arbeitgeber über. Der Gesetzgeber hat keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung normiert, sondern eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die Abwicklung für den Bund zu übernehmen. Der Arbeitgeber wird lediglich als auszahlende Stelle in Anspruch genommen. Daraus folgt rechtssystematisch unseres Erachtens aber, dass der Vergütungsanspruch des Arbeitgebers gegenüber dem Bund auch alle in diesem Zusammenhang anfallenden Lohnnebenkosten umfassen muss. Der VwGH hatte iZm dem Dienstgeberbeitrag zum FLAG deshalb keine Bedenken hinsichtlich der Sachlichkeit der Regelung, weil er zu dem Ergebnis gelangte, dass diese Abgabe vom Arbeitgeber nicht zu entrichten und vom Bund nicht zu vergüten ist. Er hat sich jedoch nicht dahingehend geäußert, dass es grundsätzlich unbedenklich wäre, wenn der Arbeitgeber kraft Gesetzes eine unmittelbare Verpflichtung des Bundes übernehmen muss und dafür keinen vollständigen Ersatz erhält. 2. Beitragspflicht in der Sozialversicherung Nach § 11 Abs 1 ASVG endet die Pflichtversicherung mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses bzw des Entgeltanspruchs. Für bestimmte Arbeitsunterbrechungen ohne Entgeltzahlung sieht § 11 Abs 3 ASVG jedoch ein Fortbestehen der Pflichtversicherung vor, sofern das Beschäftigungsverhältnis nicht früher beendet wird. So ist auch für Arbeitsunterbrechungen aufgrund von Maßnahmen nach dem EpiG, für die der Arbeitgeber die Vergütung für den Verdienstentgang an den Arbeitnehmer auszahlt, ein Fortbestehen der Pflichtversicherung in § 11 Abs 3 lit d ASVG normiert. Auch die Beitragsgrundlage ist gesondert geregelt: Als Beitragsgrundlage gilt nach § 47 lit b ASVG die nach dem EpiG gebührende Vergütung für den Verdienstentgang, mindestens jedoch die Beitragsgrundlage des letzten Beitragszeitraums vor der Arbeitsunterbrechung. Dass es notwendig war, das Fortbestehen der Pflichtversicherung in einem Sondertatbestand zu normieren, legt die Interpretation nahe, dass die Entschädigung des Bundes, für die der Arbeitgeber in Vorlage tritt, nicht als Entgelt von dritter Seite zu werten ist: Nach § 49 Abs 1 ASVG zählen zwar auch Geld- und Sachbezüge zum beitragspflichtigen Entgelt, die der pflichtversicherte Dienstnehmer aufgrund des Dienstverhältnisses von einem Dritten erhält. Laut VwGH3) ist der Ausdruck „auf Grund des DienstverhältnisASoK 2021

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Abgabenpflicht der Entgeltzahlung nach dem Epidemiegesetz ses“ jedoch nicht so zu verstehen, dass unter dem beitragspflichtigen Entgelt aus dem Dienstverhältnis „sämtliche Bezüge zu subsumieren seien, die ursächlich irgendwie mit diesem Beschäftigungsverhältnis in Zusammenhang gebracht werden können“. Vielmehr müssen sie „den pflichtversicherten Dienstnehmern als Gegenleistung für die in dem unselbstständigen Beschäftigungsverhältnis erbrachten Arbeitsleistungen“ zukommen. „Entscheidend ist daher, ob ein solcher kausaler Zusammenhang zwischen den in Rede stehenden Zahlungen und ‚im (Rahmen des) unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisses‘ erbrachten Leistungen der Dienstnehmer besteht, dass die Leistungen mit den Bezügen ‚entgolten‘ werden sollten. (…) Bezüge, die dem Dienstnehmer von einem Dritten für Leistungen zufließen, die lediglich ‚aus Gelegenheit‘ des Dienstverhältnisses erbracht wurden, ohne dass ein (wiederum: betriebsbezogenes) Interesse des Dienstgebers an den Leistungen bestünde, sind hingegen nicht Bestandteil des Entgelts.“ Die Vergütung nach dem EpiG wird unseres Erachtens nicht als Gegenleistung für die erbrachten Arbeitsleistungen gewährt, sondern als Entschädigung, weil der Arbeitnehmer vom Bund angeordnet keine Leistungen erbringt und daher keinen Entgeltanspruch hat. Es handelt sich um keinen Entgeltfortzahlungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis, wie in jenen Fällen, in denen das Arbeitsrecht zum Schutz des Arbeitnehmers trotz Unterbleibens der Arbeitsleistung einen Entgeltanspruch normiert. Es ist daher schlüssig, dass der Gesetzgeber das Fortbestehen der Pflichtversicherung und die Beitragsgrundlage in einem Sondertatbestand normiert hat, weil die Entschädigung keine Gegenleistung für die erbrachten Arbeitsleistungen und daher kein Entgelt von dritter Seite darstellt. Die Vergütung nach dem EpiG wird daher nicht von § 49 ASVG erfasst. Die Arbeitslosenversicherungspflicht4) sowie die Verpflichtung, den IESG-Beitrag5) und den Wohnbauförderungsbeitrag6) zu entrichten, knüpfen an das Fortbestehen der Pflichtversicherung an. 3. Strittige Beitragspflicht im BMSVG Die Beitragspflicht nach dem BMSVG endet spätestens mit dem Entgeltanspruch. Ohne beitragspflichtiges Entgelt besteht grundsätzlich auch keine Beitragspflicht. Die Vorschriften über Beginn und Ende der Pflichtversicherung nach §§ 10 bis 12 ASVG kommen im BMSVG nicht zur Anwendung. Welche Leistungen als Entgelt iSd § 6 Abs 1 bis 4 BMSVG anzusehen sind, bestimmt sich nach § 49 ASVG. Wenn die Entschädigung des Bundes nicht als Entgelt von dritter Seite nach § 49 ASVG zählt, ist sie auch kein Entgelt nach § 6 BMSVG. Für Fälle, in denen den Arbeitgeber im aufrechten Arbeitsverhältnis keine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung trifft und der Arbeitnehmer seine Leistung nicht erbringen kann (zB Präsenzdienst), sind in § 7 BMSVG Sondertatbestände normiert, jedoch keiner für die Vergütung nach dem EpiG. Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) geht laut einer Auskunft gegenüber der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer vom 27. 11. 2020 letztlich dennoch von einer Beitragspflicht nach dem BMSVG aus. Die ÖGK sieht die Sondertatbestände im ASVG offenbar nur als klarstellend an und interpretiert die Entschädigung nach dem EpiG als Entgelt von dritter Seite nach § 49 ASVG und daher auch als beitragspflichtig nach § 6 BMSVG. Aufgrund der aktuell breiten Anwendbarkeit des § 32 EpiG wäre der Gesetzgeber gefordert, Rechtsicherheit zu schaffen, indem in § 7 BMSVG eine besondere Beitrags3

) Siehe ua VwGH 20. 9. 2000, 95/08/0052. Nach § 1 Abs 6 AlVG gelten für Beginn und Ende der Arbeitslosenversicherungspflicht §§ 10 f ASVG. ) Der IESG-Beitrag ist nach § 12 Abs 1 Z 4 IESG ein Zuschlag zum Arbeitslosenversicherungsbeitrag. 6 ) Nach § 3 Abs 1 lit a Wohnbauförderungsbeitragsgesetz entsteht aufgrund der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung auch die Verpflichtung, den Wohnbauförderungsbeitrag weiter zu entrichten. 4) 5

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Abgabenpflicht der Entgeltzahlung nach dem Epidemiegesetz grundlage für die Entschädigung nach dem EpiG normiert und gleichlaufend ein Vergütungsanspruch des Arbeitgebers für die Beiträge nach dem BMSVG in § 32 Abs 3 EpiG festgelegt wird. 4. Strittige Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug Nach § 32 Abs 1 Z 1 lit a EStG zählen zu den Einkünften iSd § 2 Abs 3 EStG auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene, steuerpflichtige Einnahmen gewährt werden.7) Die steuerrechtliche Einordnung der Entschädigung folgt jener Einkunftsart, in der der Verdienstentgang eingetreten ist. Als Entschädigung gemäß § 32 Abs 1 Z 1 EStG kommen rechtssystematisch nur Bezüge in Betracht, die nicht ohnehin schon, zB als Entgelt von dritter Seite, als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 25 EStG erfasst werden. So zählt zB das Krankengeld bei unselbständig Erwerbstätigen bereits nach § 25 Abs 1 EStG zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, wenn es aufgrund eines bestehenden oder früheren Dienstverhältnisses zufließt. Das Krankengeld ist in diesen Fällen daher nicht als Entschädigung nach § 32 Abs 1 Z 1 EStG einzuordnen.8) Für Vergütungen nach dem EpiG ist kein Sondertatbestand in § 25 EStG vorgesehen; sie werden daher erst iVm § 32 Abs 1 Z 1 lit a EStG als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erfasst. Nach § 47 EStG betrifft der Lohnsteuerabzug entsprechend der Gliederung des EStG den Steuerabzug vom Arbeitslohn und nach dem Wortlaut des § 47 EStG Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 25 EStG. Gemäß § 78 Abs 1 EStG hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten. Als Lohnzahlung gelten dabei auch von einem Dritten geleistete Vergütungen, wenn der Arbeitgeber weiß oder wissen muss, dass derartige Vergütungen geleistet werden. Da die Vergütung nach dem EpiG erst über den Umweg des § 32 Abs 1 Z 1 lit a EStG als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Einkommensteuer unterliegt, aber nicht bereits als Arbeitslohn bzw Lohnzahlung den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zuzurechnen ist, stellt sich die Frage, inwieweit überhaupt ein Lohnsteuerabzug vorzunehmen ist. Als Arbeitslohn iSd § 25 Abs 1 Z 1 lit a EStG sind alle Bezüge und Vorteile zu verstehen, die ihre Wurzel im Dienstverhältnis haben und sich im weitesten Sinn als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft erweisen.9) Soweit Entgelt von dritter Seite zumindest im weitesten Sinn als Gegenleistung für die Arbeitsleistung verstanden werden kann, zählt es demnach zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach § 25 Abs 1 Z 1 lit a und b EStG. Entgelt von dritter Seite ist erst seit dem 1. 1. 201510) kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung auch dann vom Lohnsteuerabzug erfasst, wenn die Zahlungen Dritter nicht auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet werden. Das VwGH-Erkenntnis vom 29. 3. 1984 zur Vergütung nach dem EpiG bezog sich noch auf die Rechtslage vor dem 2. AbgÄG 2014. Der VwGH hat jedoch nicht mit der fehlenden Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Lohnsteuerabzug für Entgelt von dritter Seite vorzunehmen, argumentiert, obwohl dieses Argument allenfalls über den Verweis auf den Lohnsteuerabzug in § 43 Abs 2 FLAG auch für die Verpflichtung zur Beitragsentrichtung nach dem FLAG bedeutsam hätte sein können. Der VwGH hat vielmehr ausschließlich damit argumentiert, dass kein Arbeitslohn iSd § 41 Abs 3 FLAG vorliegt, also keine Bezüge nach § 25 Abs 1 Z 1 lit a und b EStG. Vielmehr ordnet er die Zahlung als eine auf einem öffentlichrechtlichen Titel beruhende Entschädigung des Bundes ein, ohne dabei aber ausdrücklich auf die Definition in § 32 EStG zu verweisen. 7)

VwGH 27. 6. 2000, 99/14/0330. ) Vgl Jakom/Kanduth-Kristen , EStG13 (2020) § 32 II. Entschädigungen Rz 11. ) VwGH 26. 1. 2006, 2002/15/0188; 23. 2. 2017, Ro 2014/15/0050; 22. 11. 2018, Ro 2017/15/0042. 10) 2. AbgÄG 2014, BGBl I 2014/105. 8 9

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Abgabenpflicht der Entgeltzahlung nach dem Epidemiegesetz Der Argumentation des VwGH zufolge handelt es sich bei der Entschädigung nach dem EpiG daher nicht um Entgelt von dritter Seite, das den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach § 25 Abs 1 Z 1 lit a und b EStG zuzurechnen wäre. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Lohnsteuerabzug vom Arbeitslohn vorzunehmen, erfasst daher nach dem Wortlaut des § 47 EStG die Entschädigung nach dem EpiG grundsätzlich nicht. Auch mit einem Größenschluss, dass wenn bereits für Entgelt von dritter Seite unter bestimmten Voraussetzungen eine Verpflichtung des Arbeitgebers zum Lohnsteuerabzug besteht, eine derartige Verpflichtung noch viel mehr gegeben sein müsste, wenn der Arbeitgeber selbst als auszahlende Stelle für Vergütungen des Bundes fungiert, lässt sich unseres Erachtens nicht ausreichend fundiert argumentieren. Der Umstand der Auszahlung durch den Arbeitgeber alleine, begründet eben noch keine Lohnsteuerabzugspflicht. Die Einkommensteuer durch Veranlagung zu erheben, ist selbstredend kein wünschenswertes Ergebnis, zumal der Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug in der Personalverrechnung vergleichsweise einfach vornehmen könnte (zumindest, wenn man die im Folgenden beschriebenen weiteren lohnsteuerlichen Besonderheiten ausblendet), während die Besteuerung über die Veranlagung bei den einzelnen Arbeitnehmern schwer zu administrieren wäre. Es ergeben sich jedoch noch weitere lohnsteuerliche Konsequenzen daraus, dass nicht einfach nur vom Arbeitgeber fortgezahlter Arbeitslohn vorliegt: Nach § 67 Abs 1 EStG erhöhen laufende Bezüge, die der Arbeitnehmer vom selben Arbeitgeber erhält, das Jahressechstel.11) Entgelt von dritter Seite erhöht hingegen das Jahressechstel grundsätzlich nicht.12) Entschädigungszahlungen erhöhen das Jahressechstel nach dem Gesetzeswortlaut wohl ebenfalls nicht, weil es sich nicht um laufenden Arbeitslohn von demselben Arbeitgeber handelt. Das würde bedeuten, dass Arbeitnehmer aufgrund der Absonderungsmaßnahmen nach dem EpiG einen Nachteil bei der begünstigten Besteuerung von sonstigen Bezügen erleiden würden. Es ist auch unklar, ob im Entgelt bei Quarantäne aufgrund von COVID-19 enthaltene Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen, (Überstunden-)Zuschläge für Sonntags, Feiertags- und Nachtarbeit sowie Überstundenzuschläge steuerfrei abgerechnet werden können. Sie werden nicht, wie in § 124b Z 349 EStG gefordert, im laufenden Arbeitslohn weitergezahlt, sondern sind Teil einer Entschädigung des Bundes. Die Materialien zum 3. COVID-19-Gesetz13) führen den Fall einer Quarantäne hingegen ausdrücklich an. 5. Keine Abgabenpflicht bei DB, DZ, KommSt Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom 29. 3. 1984 ausgesprochen, dass es sich beim Vergütungsbetrag nach § 32 EpiG nicht um Arbeitslohn iSd § 41 Abs 3 FLAG handelt. Entsprechend ist für diese Vergütung kein Dienstgeberbeitrag zum FLAG und in weiterer Folge auch kein Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag abzuführen. Da § 5 Abs 1 KommStG im Wesentlichen wortgleich zu § 41 Abs 3 FLAG ist, fällt auch keine Kommunalsteuer an. Es stellt sich die Frage, ob sich durch die Änderung bezüglich des Lohnsteuerabzugs für Entgelt von dritter Seite durch das 2. AbgÄG 2014 eine geänderte Interpretation ergeben könnte, zumal vereinzelt die (unseres Erachtens nicht zutreffende) Ansicht vertreten wird, dass der Vergütungsanspruch gegenüber dem Bund rein aufgrund der Wurzel der Zahlung im Dienstverhältnis als Entgelt von dritter Seite zu werten wäre. In § 43 Abs 2 FLAG ist ein Gleichklang mit der Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug normiert: „Die Bestimmungen über den Steuerabzug vom Arbeitslohn finden sinngemäß Anwendung.“ 14) 11)

VwGH 22. 2. 2017, Ra 2016/13/0010. ) Vgl Rz 1194a der LStR 2002. ) BGBl I 2020/23. 14) Vergleiche auch VwGH 28. 5. 1998, 96/15/0215; 29. 4. 2010, 2007/15/0293. 12 13

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Abgabenpflicht der Entgeltzahlung nach dem Epidemiegesetz Der VwGH hat jedoch, wie erwähnt, nicht auf Basis von § 43 Abs 2 FLAG argumentiert, dass die Bestimmungen über den Lohnsteuerabzug auf die Beitragsentrichtung nach dem FLAG sinngemäß Anwendung finden und der Arbeitgeber den DB daher nicht von Zahlungen Dritter zu leisten hat, sofern diese nicht auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet werden. Der VwGH hat vielmehr damit argumentiert, dass kein Arbeitslohn iSd § 41 Abs 3 FLAG vorliegt (also keine Bezüge nach § 25 Abs 1 Z 1 lit a und b EStG), sondern eine auf einem öffentlich-rechtlichen Titel beruhende Entschädigung des Bundes. Die Änderungen bei der Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug durch das 2. AbgÄG 2014 haben unseres Erachtens daher keine Auswirkung auf die abgabenrechtliche Einordnung der Entschädigung nach dem EpiG im Hinblick auf den Dienstgeberbeitrag zum FLAG. Eine entsprechende Anknüpfung an den Lohnsteuerabzug findet sich im KommStG nicht. Der VwGH hat trotz Fehlens einer dem § 43 Abs 2 FLAG vergleichbaren Anknüpfung an den Lohnsteuerabzug entschieden, dass Entgelt von dritter Seite, soweit es nicht auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet wird, nicht der Kommunalsteuerpflicht unterliegt.15) Diese Auslegung ist laut Rz 58 der BMF-Info zum KommStG16) auch für die Rechtslage nach dem 2. AbgÄG 2014 anwendbar. Eine Kommunalsteuerpflicht würde nach der Ansicht des BMF daher selbst dann nicht vorliegen, wenn die Entschädigung als Entgelt von dritter Seite einzuordnen wäre. Die steuerliche Erfassung als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ergibt sich erst über den Umweg des § 32 Abs 1 Z 1 EStG. Für die Entschädigung nach dem EpiG ist daher unverändert weder der Dienstgeberbeitrag zum FLAG noch der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag noch die Kommunalsteuer zu entrichten, weil keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit iSd § 25 EStG vorliegen. 6. Ansicht des BMSGPK zum Vergütungsanspruch des Arbeitgebers Das BMSGPK hält laut einer Auskunft gegenüber der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer vom 26. 11. 2020 weiterhin an der Interpretation fest, dass die Dienstgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung, der IESG-Beitrag und der Wohnbauförderungsbeitrag dem Arbeitgeber nicht zu vergüten sind. Es wird auch im Hinblick auf das VwGH-Erkenntnis vom 29. 3. 1984 keine Notwendigkeit gesehen, den Erlass des BMSGPK vom 20. 7. 202017) abzuändern und den in § 32 Abs 3 EpiG normierten Anspruch des Arbeitgebers auf Vergütung des Dienstgeberanteils in der gesetzlichen Sozialversicherung im Sinne eines auch die Dienstgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung und die Nebenbeiträge umfassenden Anspruchs weit zu interpretieren.

Auf den Punkt gebracht Nach der Interpretation des VwGH stellt die Entgeltzahlung an den Arbeitnehmer bei Quarantäne eine Entschädigung des Bundes dar, für die der Arbeitgeber in Vorlage tritt. Aufgrund dieser Einordnung ergibt sich eine ganz andere abgabenrechtliche Beurteilung als im Fall eines Entgeltfortzahlungsanspruchs gegen den Arbeitgeber. Positiv kann erwähnt werden, dass die Vergütungsbeträge DB-, DZ- und kommunalsteuerfrei sind. 15

) VwGH 1. 9. 2015, Ro 2014/15/0029: „Der Verwaltungsgerichtshof vertritt daher auch – für die Rechtslage vor BGBl. I Nr. 105/2014 – hinsichtlich der Kommunalsteuer die Auffassung, dass sie der Arbeitgeber nicht von Zahlungen Dritter zu leisten hat, sofern diese nicht auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet werden.“ 16) Info des BMF 29. 1. 2018, BMF-010222/0114-IV/7/2017, Rz 58: „Bei Entgelt von dritter Seite ohne Arbeitslohncharakter (somit nicht auf Veranlassung des Arbeitgebers) besteht unabhängig von einer Lohnsteuerabzugsverpflichtung gemäß § 78 Abs. 1 EStG 1988 keine Kommunalsteuerpflicht.“ 17) Erlass des BMSGPK vom 20. 7. 2020, GZ 2020-0.406.069.

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Videoüberwachung im Arbeitsrecht Um Beitragslücken im BMSVG zu vermeiden und Rechtssicherheit zu schaffen, sollte in § 7 BMSVG eine besondere Beitragsgrundlage für die Entschädigung nach dem EpiG normiert werden, korrespondierend mit einer Erweiterung des Vergütungsanspruchs des Arbeitgebers um die Beiträge nach dem BMSVG in § 32 Abs 3 EpiG. Lohnsteuerlich sollte der Gesetzgeber unseres Erachtens die Entschädigung nach dem EpiG dem Arbeitslohn, den der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber erhält, gleichstellen, weil eine Versteuerung in der Veranlagung durch den Arbeitnehmer nicht praktikabel ist und es bei den Arbeitnehmern durch die Quarantäne nicht zu nachteiligen Konsequenzen bei der Besteuerung von sonstigen Bezügen kommen sollte. Unseres Erachtens bringt das oben genannte VwGH-Erkenntnis jedoch vor allem klar zum Ausdruck, dass es sich bei der Vergütung für den Verdienstentgang des Arbeitnehmers nach dem EpiG und den sich daraus ergebenden abgabenrechtlichen Konsequenzen um eine Verpflichtung des Bundes handelt, für die der Arbeitgeber nur als auszahlende Stelle in Anspruch genommen wird. Vor diesem Hintergrund ist die äußerst restriktive Interpretation des Vergütungsanspruchs des Arbeitgebers nach dem EpiG durch das BMSGPK noch unverständlicher. Das betrifft sowohl die Berücksichtigung von Sonderzahlungen18) als auch die Berücksichtigung des Dienstgeberbeitrags zur Arbeitslosenversicherung, der Nebenbeiträge nach dem IESG, des Wohnbauförderungsbeitrags sowie allenfalls der Beiträge nach dem BMSVG.

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) Vgl Höfle/Platzer , Vergütungsanspruch des Arbeitgebers nach dem Epidemiegesetz bei Quarantäne des Arbeitnehmers, ASoK 2020, 402.

Videoüberwachung im Arbeitsrecht Aktuelle Entwicklungen Videoüberwachung im Arbeitsrecht

ANDREAS GERHARTL*) Die Zulässigkeit einer Videoüberwachung wurde mittlerweile sowohl vom OGH als auch vom BVwG unter dem Fokus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)1) bzw des Datenschutz-Anpassungsgesetzes 2018, BGBl I 2017/120, geprüft. Die Frage, welche Schlussfolgerungen daraus für arbeitsrechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Videoüberwachungen gezogen werden können, ist daher lohnenswert. 1. Einleitung Videoüberwachung spielt im Arbeitsrecht unter verschiedenen Aspekten eine Rolle.2) Zum einen kann im Falle einer unzulässigen Videoüberwachung Beschwerde an die Datenschutzbehörde erhoben werden. Zivilrechtlich sind insbesondere Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung möglich.3) Dazu kommt die betriebsverfassungsrechtliche Komponente. In datenschutzrechtlicher Hinsicht wird dieser Themenkomplex durch die Frage, ob eine Datenschutz-Folgenabschätzung vorzuneh*) Dr. Andreas Gerhartl ist Mitarbeiter des AMS Niederösterreich. 1) Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 4. 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl L 119 vom 4. 5. 2016, S 1. 2) Vgl zur Information der Arbeitnehmer über eine verdeckte Videoüberwachung EGMR 17. 10. 2019, Bsw 1874/13 und 8567/13, López Ribalda ua gegen Spanien. 3 ) Denkbar ist aber auch immaterieller Schadenersatz im Sinne des Art 82 Abs 1 DSGVO.

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Videoüberwachung im Arbeitsrecht men ist, flankiert. Vorab gilt es daher zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine Videoüberwachung vom Anwendungsbereich der DSGVO bzw des DSG erfasst ist. Herkömmliche Videoüberwachungsanlagen bestehen dabei aus mindestens einer Überwachungskamera und einem Anzeigemonitor. Optional erlauben die Systeme eine Aufzeichnung der Bilder (beispielsweise auf Videoband). Die Übertragung erfolgt analog, kabelgebunden oder kabellos. In modernen Anlagen werden in der Regel digitale Kameras, die über ein TCP/IP-Netzwerk an einen Computer angeschlossen werden (IP-Kameras), verwendet. Über spezielle Videoüberwachungssoftware können zusätzliche Funktionen (wie beispielsweise Bewegungserkennung, Gesichtserkennung und die Speicherung der Daten) vorgenommen werden. Es geht somit um alle denkbaren Formen von Videoüberwachung (zB digitale Türspione, Bodycams, Dashcams).4) Ob eine Aufzeichnung analog oder digital erfolgt und wodurch die Aufzeichnung ausgelöst wird (zB Bewegungsmelder), ist dabei nicht von Bedeutung. Auch Echtzeitüberwachungen (ohne Aufzeichnungen) fallen nach herrschender Auffassung darunter.5) Eine bloße Attrappe fällt dagegen nicht unter den Begriff der Videoüberwachung.6) 2. Verarbeitung personenbezogener Daten 2.1. Personenbezogene Daten Gemäß Art 2 Abs 1 DSGVO ist diese auf die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder werden sollen, anwendbar.7) Dabei werden alle Arten von personenbezogenen Daten geschützt. Erfasst ist davon also etwa auch die Ordnerstruktur eines privaten Ordners auf einem Firmen-Laptop.8) Personenbezogene Daten sind gemäß Art 4 Z 1 DSGVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Auch der Begriff der Information ist dabei weit zu verstehen und umfasst neben äußeren Merkmalen (wie etwa Geschlecht, Größe oder Gewicht) auch Identifikationsmerkmale (beispielsweise Name oder Geburtsdatum), sachliche Informationen (etwa Vermögens- und Eigentumsverhältnisse), innere Zustände (zB Überzeugungen oder Werturteile) und sonstige Beziehungen der betroffenen Person zu Dritten und ihrer Umwelt.9) Die Begriffsdefinition der personenbezogenen Daten enthält somit drei Komponenten:

• eine Verarbeitungskomponente, • eine Inhaltskomponente und • eine Identitätskomponente. Die Verarbeitungskomponente bezieht sich dabei auf den Umstand, dass personenbezogene Daten verarbeitet werden. Die Inhaltskomponente meint, welche (Art von) Informationen verarbeitet werden, und die Identitätskomponente die Zuordnung der verarbeiteten Informationen zu einer bestimmten Person. 4

) Vgl zB Schrems , Private Videoüberwachung (2011) 27; Kunnert in Bresich/Dopplinger/Dörnhofer/ Kunnert/Riedl , DSG (2018) 134. ) Vgl zB ErlRV 472 BlgNR 24. GP, 19; anderer Ansicht allerdings etwa Grünanger in Grünanger/Goricnik , Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle2 (2018) 213. 6) Ungeachtet dessen kann aber auch durch eine (echt wirkende) Attrappe in die Persönlichkeitsrechte eingegriffen werden. 7 ) Siehe zu Frage, ob Bilddaten in eine besondere Datenkategorie fallen, Knyrim , Bilddaten: immer sensibel? jusIT 2016, 235. 8 ) OGH 23. 5. 2019, 6 ObA 1/18t, ZIIR 2019, 285 (Thiele ) = jusIT 2019/76 (Thiele ) = WBl 2019/183 (Goricnik ). 9) Hödl in Knyrim , Der DatKomm, Art 4 DSGVO Rz 9. 5

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Videoüberwachung im Arbeitsrecht 2.2. Äußeres Erscheinungsbild Beim äußeren Erscheinungsbild handelt es sich dann ein personenbezogenes Datum, wenn diese Information in eine verarbeitete Darstellung gebracht wird.10) Im Falle von Bilddaten muss die abgebildete Person daher zumindest erkennbar sein. Dafür reicht es aber auch aus, wenn der Betroffene im Nachhinein bestimmbar ist.11) Erwägungsgrund 26 der DSGVO sieht ebenfalls vor, dass bei der Frage, ob es sich um eine identifizierbare Person handelt, alle Mittel berücksichtigt werden sollten, die vom Verantwortlichen nach allgemeinem Ermessen wahrscheinlich genutzt werden, um die natürliche Person direkt oder indirekt zu identifizieren. Abzustellen ist bei dieser Prognose auf den Zeitpunkt der Verarbeitung (und nicht der Erhebung).12) Eine Videoaufzeichnung ist daher dann identifizierend, wenn sie aufgrund eines Merkmals oder mehrerer Merkmale letztlich einer bestimmten Person zugeordnet werden kann.13) 2.3. Verarbeitung Eine Verarbeitung bezeichnet jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren durchgeführten Vorgang im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten oder jede derartige Vorgangsweise. Dazu zählen unter anderem das Erheben und das Erfassen von Daten. Durch diese beiden Vorgänge geraten Daten durch Setzen aktiver Handlungen in den Verfügungsbereich des Verantwortlichen. Eine inhaltliche Kenntnisnahme der Aufzeichnungen ist dabei nicht erforderlich, wohl aber die Möglichkeit, inhaltlich Kenntnis zu nehmen. Eine automatisierte Verarbeitung liegt vor, wenn sämtliche Verarbeitungsschritte ohne menschlich-manuelle Interaktion (etwa Tastatureingaben) programmgesteuert bzw elektronisch vorgenommen werden.14) Eine teilweise automatisierte Verarbeitung ist dadurch gekennzeichnet, dass zumindest einzelne Schritte der Verarbeitung maschinell oder programmgesteuert erfolgen. Eine Verarbeitung erfolgt daher automatisiert, wenn Datenverarbeitungsanlagen zum Einsatz kommen. Dabei ist es unerheblich, ob die Dateien in irgendeiner Weise strukturiert abgespeichert sind. Eine automatisierte Datenverarbeitung liegt also vor, soweit der Einsatz er Datenverarbeitungsanlage zur Auswertung des Datenbestands beiträgt.15) Damit führt jede Benutzung von Computer, Internet oder E-Mail zur Anwendbarkeit der DSGVO, sobald personenbezogene Daten involviert sind. Der weite Anwendungsbereich des Art 2 Abs 1 DSGVO erfasst sämtliche heute gebräuchlichen rechnergestützten Verarbeitungen personenbezogener Daten.16) Im Falle einer nicht automatisierten Datenverarbeitung ist die DSGVO anwendbar, wenn die Daten in einem Dateisystem gespeichert werden (sollen). Ein Dateisystem ist gemäß Art 4 Z 6 DSGVO jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die 10)

Bergauer , Personenbezogene Daten, in Knyrim , Datenschutz-Grundverordnung (2016) 43 (47). ) Die Identifikation einer Person ist außerdem auch möglich, wenn dafür zwar eine bestimmte Information für sich genommen nicht ausreicht, um sie einer konkreten Person zuzuordnen, dies jedoch möglich ist, sobald man diese Information mit anderen Informationen verknüpft. 12 ) Feiler/Forgó , EU-DSGVO (2017) Art 4 Rz 3. 13 ) ZB OGH 20. 1. 2012, 8 Ob 125/11g, immolex 2012/24 (Prader ) = jusIT 2012/23 (Thiele ); 27. 2. 2013, 6 Ob 256/12h, EvBl 2013/104 (Rohrer und Karner ) = ecolex 2013/222 (Hofmarcher ) = ZIR 2013, 205 (Höhne ). 14 ) Heißl in Knyrim , DatKomm, Art 2 DSGVO Rz 49. 15) Eine rein manuelle Auswertung automatisch aufgezeichneter Daten erfüllt diese Voraussetzung somit allerdings nicht. 16 ) Vgl OGH 20. 12. 2018, 6 Ob 131/18k, ecolex 2019/151 (Zemann ) = iFamZ 2019/78 (Deixler-Hübner ) = RZ 2019/11 (Spenling ) = jusIT 2019/29 (Thiele ). 11

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Videoüberwachung im Arbeitsrecht nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird. Im Falle einer Videoüberwachung spielt diese Frage keine Rolle, da durch Einsatz von Überwachungsmonitoren zumindest eine teilweise automatische Verarbeitung vorliegt. 3. Bildverarbeitung 3.1. Erlaubnistatbestände Das DSG enthält – im Unterschied zur DSGVO – explizite Bestimmungen zur Bildverarbeitung. Der Begriff der Bildaufnahme im Sinne des § 12 DSG ist dabei sehr weit gefasst und umfasst neben Videoanwendungen (wie Actioncams und Wildkameras) fast jede Bildaufnahme zur Feststellung von Ereignissen zu privaten Zwecken mit technischen Einrichtungen.17) Die Regelung zielt daher darauf ab, grundsätzlich alle Bildaufnahmen durch Verantwortliche des privaten Bereichs zu erfassen, sofern diese nicht aufgrund von Art 2 Abs 2 lit c DSGVO (Haushaltsausnahme) vom Anwendungsbereich ausgenommen sind.18) Die Zulässigkeit einer Bildaufnahme setzt gemäß § 12 Abs 2 DSG voraus, dass

• • • •

sie im lebenswichtigen Interesse einer Person erfolgt, die betroffene Person eingewilligt hat, sie durch besondere gesetzliche Bestimmungen angeordnet oder erlaubt ist oder überwiegende berechtigte Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten vorliegen und die Verhältnismäßigkeit gegeben ist.

Überwiegende berechtigte Interessen liegen etwa vor, wenn eine Bildaufnahme dem vorbeugenden Schutz von Personen oder Sachen an öffentlich zugänglichen Orten, die dem Hausrecht des Verantwortlichen unterliegen, aufgrund bereits erfolgter Rechtsverletzungen (zB Diebstähle oder Sachbeschädigungen) oder eines in der Natur des Ortes liegenden besonderen Gefährdungspotenzials erforderlich ist. Die Erlangung von Beweismitteln in einem Zivilrechtsstreit zählt dagegen (mangels einer materiengesetzlichen Sonderregelung) nicht zu den Gründen, die eine private Videoaufzeichnung rechtfertigen.19) Dass ein Beweismittel unrechtmäßig erlangt wurde, besagt aber noch nicht, dass es nicht verwertet werden darf.20) Auch im Falle der Videoüberwachung bedarf es einer Verhältnismäßigkeitsprüfung für den konkreten Einzelfall.21) Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Recht auf Achtung der Geheimsphäre als Persönlichkeitsrecht im Sinne des § 16 ABGB angesehen wird.22) Das Recht auf Wahrung der Geheimsphäre schützt dabei sowohl gegen das Eindringen in die Privatsphäre der Person als auch gegen die Verbreitung rechtmäßig 17

) Pollirer/Weiss/Knyrim/Haidinger , DSG4 (2019) § 12 Anm 1a; Kastelitz/Hötzendorfer/Tschohl in Knyrim , DatKomm, Art 6 DSGVO Rz 83. 18) ErlRV 1664 BlgNR 25. GP, 14. 19 ) OGH 24. 5. 2018, 6 Ob 16/18y, jusIT 2018/60 (Thiele ) = ecolex 2018/472 (Melcher ) = immolex 2019/5 (Maier-Hülle ); Knoll/Breuss , Die Aufbewahrung personenbezogener Daten für den Zweck der Rechtsverfolgung, jusIT 2019, 26. 20 ) Vgl Goricnik , Bringt die DS-GVO neue Möglichkeiten hinsichtlich Beweismittel- und -verwertungsverboten im Beschäftigungsverhältnis? DRdA-infas 2018, 125; Zwettler , Rechtliche Konsequenzen der Verwendung rechtswidrig erlangter Beweismittel? ecolex 2019, 8; Klicka , Beweis(verwertungs)verbote im Arbeitsrecht? ZAS 2020, 20. 21 ) ZB OGH 11. 2. 2019, 7 Ob 8/19f; Schmidthuber , Die Kollision der Drohne mit dem Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs, ÖJZ 2017, 211; Strubreiter , Drohnen: Zivilrechtliche Abwehransprüche, ZVR 2020, 42. 22 ) ZB OGH 27. 2. 2019, 6 Ob 181/18p, MR 2019, 67 (Korn) = jusIT 2019/68 (Staudegger); Zeilinger/Wünscher , Datenschutzrechtliche Schranken von Videoaufnahmen, AnwBl 2019, 538.

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Videoüberwachung im Arbeitsrecht erlangter Informationen über die Geheimsphäre.23) Systematische, verdeckte, identifizierende Videoüberwachung stellt demzufolge immer einen Eingriff in das Recht auf Achtung der Geheimsphäre dar.24) 3.2. Verhältnis zur DSGVO Das BVwG hat in zwei aktuellen Entscheidungen die Gültigkeit der §§ 12 und 13 DSG im Lichte der DSGVO in Zweifel gezogen und ausgesprochen, dass die DSGVO keine dementsprechenden Öffnungsklauseln enthält und diese Bestimmungen daher nicht anzuwenden sind.25) Die Datenschutzbehörde hat in der Folge angekündigt, §§ 12 und 13 DSG künftig nicht mehr anzuwenden, sofern im Einzelfall nicht besondere Gründe dafürsprechen.26) Diese Auffassung hätte daher zur Folge, dass Bildverarbeitungen auf Basis der Art 5 und 6 DSGVO überprüft werden müssen.27) Demzufolge entspricht eine Bildverarbeitung (nur) dann der DSGVO, wenn sie zumindest auf einen Tatbestand gemäß Art 6 Abs 1 DSGVO (in der Regel wird dabei nur lit f, also das Überwiegen der berechtigten Interessen, in Betracht kommen) gestützt werden kann und alle Vorgaben gemäß Art 5 Abs 1 DSGVO erfüllt sind. 4. Zivilrechtliche Ansprüche 4.1. Grundsätzliches Einer Person darf (generell) nicht das Gefühl gegeben werden, dass sie jederzeit überwacht werden kann. Geheime Bildaufnahmen im Privatbereich, fortdauernde unerwünschte Überwachungen und Verfolgungen stellen daher eine Verletzung der Geheimsphäre dar.28) Es bedarf daher einer Abwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen auf Geheimhaltung und den Interessen des Handelnden. Dabei ist auf den Überwachungsdruck abzustellen, den der Überwachte empfindet, sodass es nicht darauf ankommt, wie die Kamera konkret eingestellt ist und wie scharf die Aufnahme tatsächlich ist.29) Entscheidend ist vielmehr, ob nach den Umständen des Falles die konkrete Befürchtung besteht, dass die Kamera jederzeit in Betrieb gesetzt werden könnte. Die Eingriffsgefahr ist somit zu bejahen, wenn die konkrete Befürchtung besteht, die Beobachtung mit der Kamera könnte einsetzen.30) Abzustellen ist dabei auf den Eindruck, der sich für einen unbefangenen, objektiven Betrachter bei Betrachtung der Kamera ergibt.31) Dabei wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht nur dann verletzt, wenn Abbildungen einer Person in deren privatem Bereich angefertigt werden, um diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vielmehr kann auch die Herstellung 23

) ZB OGH 22. 12. 2016, 6 Ob 209/16b, jusIT 2017/29 (Thiele ) = ecolex 2017/198 (Hofmarcher ) = ÖBl 2017/42 (Plasser ); Pierer , Schadenersatz beim postmortalen Persönlichkeitsschutz, JBl 2017, 617. OGH 27. 6. 2019, 6 Ob 6/19d, jusIT 2019/83 (Thiele ) = MR 2019, 317 (Wittmann ). 25 ) BVwG 20. 11. 2019, W256 2214855-1; 25. 11. 2019, W211 2210458-1. 26 ) Vgl M. Schmidl , Bildverarbeitung und Dashcams, DSB Newsletter 1/2020, 1, online abrufbar unter https://www.dsb.gv.at/documents/22758/115212/Newsletter_DSB_1_2020.pdf/a640bbb8-9297-423 0-86e4-163bc9ccb844. 27 ) Vgl EuGH 11. 12. 2019, Rs C-708/18, Asociaţia de Proprietari bloc M5A-ScaraA. 28) ZB OGH 17. 12. 2013, 5 Ob 69/13b, jusIT 2014/36 (Thiele ) = wobl 2014/36 (Illedits ) = immolex 2014/44 (Cerha ); 26. 6. 2014, 8 Ob 47/14s, jusIT 2014/91 (Thiele ) = immolex 2014/82 (Hagen ) = ecolex 2015/137 (Wilhelm ). 29) OGH 28. 3. 2007, 6 Ob 6/06k, ÖGZ 2008, 59 (Kind ). 30 ) OGH 21. 3. 2018, 3 Ob 195/17y, jusIT 2018/45 (Thiele ) = ecolex 2018/276 (Anderl/Schelling ) = immolex 2018/88 (Maier-Hülle/Frick ). 31) OGH 29. 3. 2017, 6 Ob 231/16p, jusIT 2017/54 (Thiele ) = ecolex 2017/294 (Melcher ). 24)

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Videoüberwachung im Arbeitsrecht von Bildnissen einer Person in der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen und ohne Verbreitungsabsicht einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darstellen.32) 4.2. Anwendung im Arbeitsrecht Soweit es die Geltendmachung von Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen aufgrund einer Videoüberwachung betrifft, wenden die Zivilgerichte die aus dem Grundrecht auf Datenschutz erfließenden Grundsätze bei der Beurteilung, ob die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen verletzt werden, an.33) Dies gilt auch im Individualarbeitsrecht. Daher muss (auch) bei der Beurteilung arbeitsrechtlicher Ansprüche eine Güterabwägung im Einzelfall nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorgenommen werden. Die betreffende Maßnahme muss dabei geeignet, erforderlich und angemessen (verhältnismäßig) sein.34) Eine Videoüberwachung zum Zweck der Kontrolle der (Arbeitsleistungen der) Arbeitnehmer wäre daher (auch) zivilrechtlich unzulässig. Der potenzielle Einsatzbereich von Videoüberwachungen im Arbeitsrecht beschränkt sich daher auf Szenarien, bei denen eine Videoüberwachung (im Betrieb) aus Sicherheitsaspekten durchgeführt wird und die Aufzeichnungen auch Arbeitnehmer erfassen (können).35) Anwendungsfälle wären beispielsweise die Bewachung wertvoller Gegenstände, die Durchführung von Geldtransporten oder die Sicherung von Gebäuden oder Personen.36) Ob dabei die allgemeinen Grundsätze, insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, gewahrt sind, muss daher in jedem Einzelfall konkret geprüft werden. Beispielsweise ist eine Überwachung bloß des Eingangsbereichs eines Gebäudes schonender als die Überwachung eines größeren Rayons, in dem sich mehr Menschen aufhalten. Dem gelindesten (zielführenden) Mittel ist daher der Vorzug zu geben. 5. Datenschutz-Folgenabschätzung 5.1. Überwachung durch Bildverarbeitung Gemäß Art 35 Abs 1 DSGVO ist bei Datenverarbeitungen, die ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge haben, insbesondere bei Verwendung neuer Technologien, eine Datenschutz-Folgenabschätzung vorzunehmen.37) Nach Art 35 Abs 4 und 5 DSGVO hat die nationale Aufsichtsbehörde eine Liste der Verarbeitungsvorgänge aufzustellen, bei denen jedenfalls eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchzuführen ist (black list), und sie kann auch eine Liste jener Verarbeitungsvorgänge erstellen, bei denen keine Datenschutz-Folgenabschätzung erforderlich ist (white list). Derartige Listen sind von der Datenschutzbehörde gemäß § 21 Abs 2 DSG als Verordnung im Bundesgesetzblatt kundzumachen. Die entsprechenden Verordnungen wurden mit BGBl II 2018/108 bzw BGBl II 2018/278 kundgemacht. Während die Verordnung der Datenschutzbehörde über die Ausnahmen von der Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA-AV), BGBl II 2018/108, die Ausnahmen von der Datenschutz-Folgenabschätzung normiert, legt die Verordnung der Da32) 33

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ZB OGH 22. 1. 2014, 3 Ob 197/13m, jusIT 2014/64 (Thiele ); Paul Fischer , Soziale Medien und private Homepages – Über das Einstellen von Bildern fremder Personen, AnwBl 2013, 476. Vgl zuletzt ausführlich OGH 27. 11. 2019, 6 Ob 150/19f. ZB OLG Wien 12. 1. 2007, 7 Ra 3/07y. Vgl zB Löschnigg , Videoüberwachung iSd Entwurfs der DSG-Novelle 2010 aus arbeitsrechtlicher Sicht, in Bergauer/Staudegger , Recht und IT (2009) 57 (63). Als Schutzobjekt kommen dabei – bei Bestehen einer besonderen Gefährdungslage (etwa in Haftanstalten) – prinzipiell auch die Arbeitnehmer in Betracht. Vgl zur Aufnahme einer Bildverarbeitung im Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten zB Hartung in Kühling/Buchner , DS-GVO und BDSG2 (2018) Art 30 DSGVO Rz 14 f.

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Videoüberwachung im Arbeitsrecht tenschutzbehörde über Verarbeitungsvorgänge, für die eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchzuführen ist (DSFA-V), BGBl II 2018/278, Verarbeitungsvorgänge fest, für die eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchzuführen ist. Darunter fallen gemäß § 2 Abs 2 Z 3 lit f DSFA-V auch Verarbeitungsvorgänge, welche die Beobachtung, Überwachung oder Kontrolle von betroffenen Personen insbesondere mittels Bild- und damit verbundenen Akustikverarbeitungen zum Ziel haben und Bildverarbeitungen unter Einsatz von mobilen Kameras zum Zweck der Vorbeugung oder Abwehr gefährlicher Abgriffe oder krimineller Verbindungen im öffentlichen und nicht öffentlichen Raum umfassen. Im Zusammenhang mit Beschäftigungsverhältnissen gilt dies allerdings nicht, wenn eine Betriebsvereinbarung oder die Zustimmung der Personalvertretung vorliegt. Dieser Umstand entbindet den Arbeitgeber also von der Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung. 5.2. Kriteriengeleitetes System § 2 Abs 3 DSFA-V enthält weiters eine Liste von fünf Kriterien. Sind zumindest zwei davon erfüllt, ist eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchzuführen. Eines dieser Kriterien besteht gemäß Z 4 leg cit in der Verarbeitung von Daten schutzwürdiger betroffener Personen, wozu nach dieser Bestimmung auch Arbeitnehmer zählen. Diese Bestimmung enthält aber den Zusatz, dass § 2 Abs 2 letzter Satz DSFA-V sinngemäß anzuwenden ist. Da die Norm, auf die verwiesen wird, definiert, wann eine systematische Überwachung anzunehmen ist, geht dieser Verweis im konkreten Zusammenhang allerdings ins Leere. Auszugehen ist daher wohl davon, dass ein Verweis auf § 2 Abs 2 vorletzter Satz DSFA-V beabsichtigt war und somit ein Redaktionsversehen vorliegt. Demzufolge wäre bei Bestehen einer Betriebsvereinbarung bzw der Zustimmung der Personalvertretung das Kriterium gemäß § 2 Abs 3 Z 4 DSFA-V nicht erfüllt. 6. Betriebsvereinbarung 6.1. Datenschutzrechtliche Zulässigkeit In Bezug auf die Verpflichtung zur Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung spielt der Umstand, ob eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde oder nicht, somit eine Rolle. Dies liegt daran, dass diese Verknüpfung durch die DSFA-V hergestellt wird, ändert aber nichts daran, dass die datenschutzrechtliche und die betriebsverfassungsrechtliche Komponente grundsätzlich getrennt voneinander zu betrachten sind. Dieser Umstand war vor Inkrafttreten der DSGVO unbestritten in der österreichischen Rechtsordnung verankert. Die Befugnisse des Betriebsrats nach dem ArbVG werden daher durch datenschutzrechtliche Bestimmungen nicht berührt.38) Vice versa wird ein datenschutzrechtlich unzulässiger Verarbeitungsvorgang nicht dadurch gerechtfertigt, dass ihm der Betriebsrat zustimmt oder dass darüber eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird. 6.2. Regelung durch Kollektivvereinbarung Die DSGVO hat diesen Grundsatz insofern gelockert, als auch Kollektivvereinbarungen als Rechtfertigungskriterium für eine Datenverarbeitungen in Betracht kommen können.39) Der Begriff der Kollektivvereinbarung inkludiert dabei nach Erwägungsgrund 155 der DSGVO auch Betriebsvereinbarungen. Die DSGVO verweist in diesem Zusam38

) ZB OGH 17. 9. 2014, 6 ObA 1/14m, jusIT 2014/112 (Thiele ) = DRdA 2015/33 (Goricnik ). Vgl vor allem Art 9 Abs 2 lit b und Art 88 Abs 1 DSGVO.

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Videoüberwachung im Arbeitsrecht menhang aber stets auf das Recht der Mitgliedstaaten, setzt also voraus, dass eine Regelung datenschutzrechtlicher Angelegenheiten durch Betriebsvereinbarung nach nationalem Recht möglich ist. Nach österreichischem Recht macht das Vorliegen einer Betriebsvereinbarung einen Vorgang, der nach anderen Bestimmungen unzulässig ist, aber nicht rechtmäßig. So stellt eine Videoüberwachung, von der (auch) die Arbeitnehmer betroffen sind, eine die Menschenwürde berührende Kontrollmaßnahme dar. Gemäß § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG ist dafür daher eine Betriebsvereinbarung notwendig.40) Das bedeutet aber nicht, dass eine Videoüberwachung bei Bestehen einer Betriebsvereinbarung jedenfalls gerechtfertigt ist. Ist beispielsweise der Überwachungsdruck so hoch, dass die Menschenwürde durch die Videoüberwachung nicht nur berührt, sondern sogar verletzt wird (zB permanente Überwachung oder Überwachung höchstpersönlicher Lebensbereiche am Arbeitsplatz),41) ändert auch die Zustimmung des Betriebsrats (in Form einer Betriebsvereinbarung) nichts an der Unzulässigkeit der Überwachung. Die individualrechtliche Zulässigkeit einer Videoüberwachung hängt daher nicht davon ab, ob diese betriebsverfassungsrechtlich legitim ist. Zwar wird das Zustandekommen einer Betriebsvereinbarung in der Regel den Schluss nahelegen, dass es sich um faire und ausgewogene Regelung handelt (da ihr der Betriebsrat ansonsten nicht zugestimmt hätte), zwingend ist das aber nicht.42) Dies gilt auch, wenn die Videoüberwachung die Menschenwürde (noch) nicht verletzt, da auch in diesem Fall nicht notwendigerweise gewährleistet ist, dass die in der Betriebsvereinbarung getroffene Regelung die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers in angemessener Weise wahrt und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht.

Auf den Punkt gebracht Der potenzielle Einsatzbereich von Videoüberwachungen im Arbeitsrecht beschränkt sich auf Szenarien, bei denen eine Videoüberwachung (im Betrieb) aus Sicherheitsaspekten durchgeführt wird und die Aufzeichnungen auch Arbeitnehmer erfassen (können). Dabei muss aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Die individualrechtliche Zulässigkeit einer Videoüberwachung hängt auch nicht davon ab, ob diese betriebsverfassungsrechtlich legitim ist. Für Verarbeitungsvorgänge, welche die Beobachtung, Überwachung oder Kontrolle von betroffenen Personen insbesondere mittels Bild- und damit verbundenen Akustikverarbeitungen zum Ziel haben und Bildverarbeitungen unter Einsatz von mobilen Kameras zum Zweck der Vorbeugung oder Abwehr gefährlicher Abgriffe oder krimineller Verbindungen im öffentlichen und nicht öffentlichen Raum umfassen, muss eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchgeführt werden. Im Zusammenhang mit Beschäftigungsverhältnissen entfällt diese Verpflichtung allerdings, wenn eine Betriebsvereinbarung oder die Zustimmung der Personalvertretung vorliegt.

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) Vgl zB Reissner in Neumayr/Reissner , Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht3 (2018) § 96 ArbVG Rz 25. ZB Toiletten, Umkleideräume oder -kabinen. 42 ) Insbesondere ist es nicht undenkbar, dass sich der Betriebsinhaber in einer überlegenen Verhandlungsposition befindet und dem Betriebsrat die Zustimmung zu für die Arbeitnehmer nachteiligen Maßnahmen abringt. 41)

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Sozialplan und Kündigungsanfechtung

Sozialplan und Kündigungsanfechtung Zu unzulässigen Anspruchsverlustklauseln in Sozialplänen Sozialplan und Kündigungsanfechtung

JOHANNES WINKLER*) Bei Sozialplänen handelt es sich um Betriebsvereinbarungen, die aus Anlass einer Betriebsänderung abgeschlossen werden, um Nachteile für die Belegschaft abzufedern. Voraussetzung für den Abschluss ist gemäß § 109 Abs 3 ArbVG, dass eine Betriebsänderung wesentliche Nachteile für erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit sich bringt. Weitere Voraussetzung für den Abschluss eines Sozialplans ist, dass im Betrieb dauernd mindesten 20 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Im Falle der Nichteinigung ist ein Sozialplan (bei der Schlichtungsstelle) erzwingbar. Häufig enthalten Sozialpläne Klauseln, wonach Leistungen (zB im Sozialplan definierte „freiwillige“ Abfertigungen) nur bei einvernehmlicher Auflösung des Dienstverhältnisses fällig werden sollen bzw es im Falle der Kündigung durch den Dienstgeber Leistungsvoraussetzung ist, dass es zu keiner Kündigungsanfechtung kommt. In Anlehnung an die unten dargestellte Judikatur des OGH laufen in letzter Zeit Sozialpläne oft darauf hinaus, dass eine Kündigungsanfechtung durch den Betriebsrat nicht als anspruchsvernichtend gilt, eine solche durch den Arbeitnehmer selbst dagegen schon. Sowohl das Erfordernis der einvernehmlichen Auflösung als Anspruchsvoraussetzung als auch ein Anspruchsverlust infolge Kündigungsanfechtung bewirkten im Ergebnis, dass der Arbeitgeber vor Kündigungsanfechtungen abgeschirmt wird. 1. Judikatur Der Entscheidung des OGH vom 30. 10. 2003, 8 ObA 79/03f, lag folgende in einem Sozialplan enthaltene Klausel zugrunde: „Gleichzeitig verpflichtet sich der Betriebsrat, dass er in seinem zuständigen Betriebsratsorgan den Beschluss fasst, dass bei Annahme des Sozialplans eine Anfechtung gemäß § 105 ArbVG durch den Betriebsrat nicht erfolgt.“ Dazu zitiert der OGH Lehrmeinungen, wonach der Betriebsrat nicht Kündigungen „global zustimmen“ dürfe, um Leistungen aus dem Sozialplan zu ermöglichen. Im Falle einer Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung hat der gekündigte Arbeitnehmer gemäß § 105 Abs 6 ArbVG kein subsidiäres eigenes Anfechtungsrecht, somit kann eine Kündigung in diesem Fall von niemandem wegen Sozialwidrigkeit1) angefochten werden. Im Anlassfall der höchstgerichtlichen Entscheidung verhielt es sich aber so, dass es nicht um die ausdrückliche Zustimmung des Betriebsrats zu beabsichtigten Kündigungen ging, sondern darum, dass der Betriebsrat (unabhängig von seiner Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung) keine einzige Kündigung gerichtlich anfechten sollte. Die (subsidiären) Anfechtungsrechte der Arbeitnehmer gemäß § 105 ArbVG sollten nicht berührt wurden, lediglich Kündigungsanfechtungen durch den Betriebsrat selbst wurden ausgeschlossen. Der OGH kam zu folgendem Ergebnis: Es sei mit dem Zweck des Betriebsverfassungsrechts unvereinbar, dem Betriebsrat zu ermöglichen, im Vorhinein auf seine betriebliche Mitbestimmung dem Betriebsinhaber gegenüber rechtswirksam zu verzichten. Würde eine generelle Verpflichtung begründet, dass der Betriebsrat beschließen müsse, von Kündigungsanfechtungen abzusehen, so könne der Betriebsrat der arbeitsverfassungsrechtlich vorgesehenen Pflicht, jede einzelne Kündigung inhaltlich zu prüfen, nicht nachkommen, was unzulässig sei. In der Entscheidung vom 29. 3. 2004, 8 ObA 77/03m, hatte der OGH einen der seltenen Fälle zu beurteilen, in welchem ein Sozialplan für Beamte galt, und zwar entsprechend *) Mag. Dr. Johannes Winkler ist Rechtsanwalt in Linz. 1 ) Der in der Praxis häufigste Anfechtungsgrund.

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Sozialplan und Kündigungsanfechtung den Bestimmungen des PBVG in Verbindung mit den Bestimmungen des ArbVG. Der Sozialplan sah vor, dass Beamte eine freiwillige Abfertigung erhalten, wenn sie nach Anbot des Dienstgebers freiwillig aus dem Beamtendienstverhältnis austreten (§ 21 BDG). Die freiwillige Abfertigung wurde dem Kläger vom OGH verwehrt, weil er ohne ein entsprechendes Angebot des Dienstgebers gemäß § 21 BDG ausgetreten ist. In der Entscheidung vom 26. 11. 2012, 9 ObA 129/12d, hielt es das Höchstgericht für zulässig, dass in Hinblick auf Anspruchsvoraussetzungen aus einem Sozialplan Fälle der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses danach differenziert wurden, ob die Initiative zur Beendigung des Dienstverhältnisses vom Dienstgeber oder vom Dienstnehmer ausgegangen ist. Es sei sachlich, nur jenen Arbeitnehmern eine Leistung zuzugestehen, deren Dienstverhältnisse der Arbeitgeber aufgrund der geplanten sukzessiven Betriebsschließung beenden möchte. Im Anlassfall der Entscheidung waren auch Arbeitnehmer, die vom Dienstgeber gekündigt wurden, anspruchsberechtigt, ohne dass danach differenziert wurde, ob die Kündigung angefochten wurde oder nicht. Am 4. 11. 2020 hat schließlich das OLG Linz zu 12 Ra 55/20z2) nach eingehender Analyse von Lehre und Judikatur wie folgt entschieden: Eine Leistung aus einem Sozialplan könne von einer einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses abhängig gemacht werden. Wenn aber ein Sozialplan dem Arbeitnehmer für den Fall einer Kündigung durch den Arbeitgeber Leistungen zugesteht, dann dürfen diese Leistungen nicht verloren gehen, wenn entweder der Betriebsrat oder der Arbeitnehmer von einem gesetzlichen Recht auf Kündigungsanfechtung Gebrauch machen. Im Rahmen von § 105 ArbVG setze das Klagerecht des Arbeitnehmers zumindest indirekt einen Verzicht des Betriebsrats auf Anfechtung voraus, was in Hinblick auf die zweiseitig zwingende Bestimmung des § 105 ArbVG unzulässig sei. Ein Entfall einer Leistung aus dem Sozialplan entgegen dieser Gesetzesbestimmung sei nichtig. Die Leistung gebühre trotz Kündigungsanfechtung. 2. Lehrmeinungen Diverse Lehrmeinungen3) befassen sich in erster Linie mit einem (faktischen) Anfechtungsverzicht des Betriebsrats und den Auswirkungen eines solchen Verzichts auf Leistungen aus Sozialplänen, weniger mit einem (faktischen) Anfechtungsverzicht des Arbeitnehmers (der in Betrieben mit Betriebsrat ein subsidiäres Anfechtungsrecht gemäß § 105 Abs 4 ArbVG hat). Der Schwerpunkt dieses Aufsatzes liegt bei den (nicht ausjudizierten und im Schrifttum stiefmütterlich behandelten) Wechselwirkungen zwischen Leistungen aus einem Sozialplan einerseits und einer Kündigungsanfechtung durch den Arbeitnehmer andererseits. Insbesondere dazu die nachstehenden Lehrmeinungen: Rauch führt Folgendes aus: Eine im Sozialplan getroffene Vereinbarung, dass der Betriebsrat sein Recht auf Kündigungsanfechtung nicht ausüben werde, sei rechtsunwirksam. Der Betriebsrat könne also nicht als Gegenleistungen für Zahlungen des Arbeitgebers aufgrund eines Sozialplans auf Mitbestimmungsrechte rechtswirksam verzichten. Ebenso könne auch nicht das Recht des einzelnen Arbeitnehmers auf Kündigungsanfechtung eingeschränkt werden. Allerdings könne eine Leistung aus einem Sozialplan vom Erfordernis der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses abhängig gemacht werden.4) Entsprechend Binder, der sich an der oben zitierten Judikatur des OGH orientiert, sei ein im Vorhinein abgegebener Anfechtungsverzicht des Betriebsrats mit dem Zweck des Betriebsverfassungsrechts nicht vereinbar, wenn noch nicht feststeht, wer gekündigt 2)

Der Autor war am Verfahren beteiligt. ) Zum Meinungsstand ausführlich OLG Linz 4. 11. 2020, 12 Ra 55/20z. Es werden nachstehend einige besonders wichtige Lehrmeinungen dargestellt. 4) Rauch , Die absolut zwingende Wirkung betriebsverfassungsrechtlicher Normen, ASoK 2017, 338 (342 f). 3

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Sozialplan und Kündigungsanfechtung wird. Mit einem Anfechtungsverzicht des Arbeitnehmers setzt sich der Autor nicht auseinander.5) Anzenberger empfiehlt eine von ihm formulierte Musterklausel, die nur eingeschränkt zwingende Rechte des Arbeitnehmers (gesetzliches Recht auf Kündigungsanfechtung) berührt. Der von Anzenberger formulierte Tatbestand zum Anspruchsverlust beinhaltet zum einen nicht den Fall, dass der Betriebsrat als Anfechtungskläger auftritt. Zum anderen beinhaltet die von Anzenberger formulierte Musterklausel (Bezug nehmend auf eine Kündigungsanfechtung durch den Arbeitnehmer) folgenden Passus: „Ist die gerichtliche Geltendmachung bereits erfolgt, ist die Klage nachweislich zurückzuziehen, um in den Genuss der Sozialplanleistung zu gelangen.“ Eine derartige Bestimmung fehlt in scharf formulierten Ausschlussklauseln in Sozialplänen, wonach eine Leistung durch Einbringung einer Anfechtungsklage des Arbeitnehmers endgültig verloren gehen soll. Entsprechend dem Wortlaut gängiger Klauseln in Sozialplänen könnte dem Kläger unter Umständen auch eine Zurückziehung einer Anfechtungsklage zu keiner Leistung aus dem Sozialplan verhelfen, sodass Anzenberger diesbezüglich eine arbeitnehmerfreundlichere Regelung befürwortet.6) Resch hält die Anknüpfung eines Sozialplans an eine einvernehmliche Auflösung (als einzigen anspruchsbegründenden Beendigungstatbestand) für zulässig, auch wenn der Arbeitgeber dadurch vor Kündigungsanfechtungen abgeschirmt wird (durch einvernehmliche Auflösung erübrigt sich eine anfechtbare Kündigung durch den Dienstgeber). Er betont allerdings die gesetzlichen Diskriminierungsverbote in Zusammenhang mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber die einvernehmliche Auflösung anzubieten hat.7) Ph. J. Maier führt Folgendes aus: Anspruchsvernichtend könne nur die Anfechtung einer Auflösungsvereinbarung oder Kündigung sein, die in einem Zusammenhang mit der Betriebsänderung steht, die zum Abschluss des Sozialplans geführt hat.8) 3. Eigener Standpunkt 3.1. Kündigung durch den Dienstgeber Anknüpfend an den soeben dargelegten Standpunkt Ph. J. Maiers wäre im Umkehrschluss eine Kündigung wegen Verfehlungen, die einem Arbeitnehmer anzulasten sind, unter Umständen9) nicht anspruchsvernichtend. Das liefe jedoch auf eine Diskriminierung von Arbeitnehmern, die sich nichts zuschulden kommen ließen, hinaus. Letztendlich scheint eine Differenzierung nach Beendigungsmotiven des Dienstgebers, die oft ineinandergreifen, problematisch. Entscheidend ist der zeitliche, räumliche und persönliche Geltungsbereich des Sozialplans und ob ein Arbeitnehmer von einem relevanten Personalabbau betroffen ist. Eine weitere zentrale Frage ist die Kausalität eines Personalabbaus für die Beendigung des Dienstverhältnisses im Einzelfall. Diese Kausalität ist zu bejahen, wenn ohne den generellen Personalabbau das konkrete Dienstverhältnis nicht aufgelöst worden wäre. Die Kausalität ist zu verneinen, wenn die Stelle nachbesetzt wird. Arbeitnehmer, deren Dienstverhältnis aus Eigenverschulden durch den Dienstgeber gekündigt wird, können von der Anspruchsberechtigung meines Erachtens nur ausgenommen werden, wenn der Personalabbau für die Auflösung nicht kausal war oder wenn das Verschulden für eine fristlose Entlassung ausreicht. 5

) Binder in Tomandl , ArbVG, § 97 Rz 85. ) Anzenberger in Reissner/Neumayr , Zeller Handbuch Betriebsvereinbarungen (2014) Rz 12.55. Resch , Arbeitsrechtliche Fragen der Arbeitsförderung (insb der Arbeitsstiftung), DRdA 2005, 393. 8 ) Ph. J. Maier , Restrukturierungen und Arbeitsrecht2 (2019) Rz 6.91. 9 ) Wenn der Sozialplan zB allen Arbeitnehmern einer Abteilung, die in einem bestimmten Zeitraum gekündigt werden, die die Kündigung nicht anfechten, eine Leistung zugesteht. 6

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Sozialplan und Kündigungsanfechtung Klauseln in einer Betriebsvereinbarung, die auf einen generellen Anfechtungsverzicht des Betriebsrats als Voraussetzung für Leistungen aus einem Sozialplan hinauslaufen, hält der OGH richtigerweise für unwirksam. Es stellt sich nun die Frage der möglichen Rechtswirkungen eines (faktischen) Verzichts des Betriebsrats, eine bestimmte Kündigung wegen Sozialwidrigkeit anzufechten, nachdem der Betriebsrat von der beabsichtigten Kündigung eines bestimmten Arbeitnehmers verständigt wurde. Die Weichenstellung zu einem derartigen (faktischen) Anfechtungsverzicht schafft der Betriebsrat insbesondere dadurch, dass er beschließt, zur beabsichtigten Kündigung keine Stellungnahme abzugeben.10) Dadurch geht das Anfechtungsrecht vom Betriebsrat auf dem gekündigten Arbeitnehmer über. Klauseln in Sozialplänen sind deshalb oft so formuliert, dass im Falle der Kündigungsanfechtung Ansprüche verloren gehen, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer oder der Betriebsrat Anfechtungskläger ist. Ein Betriebsrat wird meist nicht riskieren, eine Kündigung anzufechten und gegenüber dem gekündigten Arbeitnehmer letztlich zu haften, weil er durch eine Kündigungsanfechtung (ausgehend von der Rechtswirksamkeit der auf Kündigungsanfechtungen Bezug nehmenden Klausel im Sozialplan) Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Sozialplan zunichtemachen könnte. Dadurch wird ein gekündigter Arbeitnehmer in die Lage versetzt, die Kündigung selbst anzufechten, was sich in Hinblick auf den Sozialplan (abhängig von der konkreten Formulierung) ebenfalls als nachteilig erweisen kann. Eine Klausel, die darauf ausgerichtet ist, den Betriebsrat oder den Arbeitnehmer von der Geltendmachung eines gesetzlichen Rechts auf Kündigungsanfechtung abzuhalten, weil mit der Geltendmachung eines solchen Rechts gravierende finanzielle Nachteile verbunden sind, stellt eine Umgehung zwingender gesetzlicher Anfechtungstatbestände11) dar und ist somit wegen Verbotswidrigkeit im Sinne von § 879 Abs 1 ABGB unwirksam. Insofern ist dem OLG Linz12) zu folgen. Es kommt meines Erachtens keine geltungserhaltende Reduktion einer im Sozialplan enthaltenen Klausel, die eine Leistung bei einer Kündigungsanfechtung ausschließt, infrage, wonach zwar nicht ein (faktischer) Anfechtungsverzicht des Betriebsrats, aber ein solcher des Arbeitnehmers Voraussetzung für die Leistung sein könne: Eine Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit durch den Arbeitnehmer in einem Betrieb mit Betriebsrat ist immer Folge eines (faktischen) Anfechtungsverzichts des Betriebsrates, weil dem Arbeitnehmer ein bloß subsidiäres Anfechtungsrecht zukommt. Dieses subsidiäre Anfechtungsrecht ist als Teil des gesetzlichen Betriebsverfassungsrechts zweiseitig zwingend und darf nicht ausgehöhlt werden. Aufgrund der kurzen gesetzlichen Anfechtungsfristen muss ein Arbeitnehmer rasch entscheiden, ob er eine Anfechtungsklage einbringt oder nicht. Im Zweifelsfall ist die Anfechtungsfrist durch rechtzeitige Einbringung der Klage zu wahren. Es gibt ja keine gesetzliche Pflicht des Dienstgebers, eine Kündigung zu begründen, und erst im Zuge des Anfechtungsprozesses können die vom Dienstgeber geltend gemachten Kündigungsgründe geprüft und bewertet werden und somit auch die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage. Würde man die dargestellten Ausschlussklauseln in Betriebsvereinbarungen für gültig erachten, so käme man zu dem Ergebnis, dass diejenigen in den Genuss von Sozialplanleistungen gelangen, die eindeutig keine berücksichtigungswürdigen sozialen Gründe für eine Kündigungsanfechtung aufweisen, hingegen diejenigen, bei denen soziale Gründe vorliegen, nichts erhalten würden, weil sie die Kündigung angefochten haben. 10

) Ausdrückliche Zustimmungen des Betriebsrats zu beabsichtigten Kündigungen sind selten, weil sie dem Arbeitnehmer das subsidiäre Anfechtungsrecht wegen Sozialwidrigkeit abschneiden. Zustimmungserklärungen wurden in manchen Fällen für sittenwidrig erachtet. 11 ) Insbesondere § 105 ArbVG (nach herrschender Ansicht zweiseitig zwingend); § 12 Abs 7 und § 26 Abs 7 GlBG; § 15n Abs 2 MSchG; § 8f Abs 2 VKG (einseitig zwingend). 12) OLG Linz 4. 11. 2020, 12 Ra 55/20z.

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Sozialplan und Kündigungsanfechtung Es stellt sich nun die Frage, ob es zu einer Mehrfachversorgung eines Anfechtungsklägers kommen kann, wenn diesem eine Leistung aus einem Sozialplan zugestanden wurde und dann auch noch die Kündigung für unwirksam erklärt wird. Eine solche Mehrfachversorgung eines Anfechtungsklägers ist kaum möglich: Im Falle einer erfolgreichen Anfechtungsklage ist das Dienstverhältnis als durchgehend aufrecht zu betrachten (wie wenn es nie beendet worden wäre). Eine Leistung aus dem Sozialplan ist dann entweder zurückzuzahlen oder mit fälligen Entgeltansprüchen des Arbeitnehmers13) zu verrechnen. Allerdings könnte eine Rückzahlung an einer Zahlungsunfähigkeit des Arbeitnehmers scheitern. Aus diesem Grund scheinen Klauseln zulässig, die eine Leistung aus dem Sozialplan (zB Abfindung) für den Fall der Kündigungsanfechtung an eine aufschiebende Bedingung knüpfen, wonach eine Leistung erst nach Abschluss des Anfechtungsverfahrens fällig wird, sofern nicht die Aufhebung der Kündigung gerichtlich entschieden oder vereinbart wurde. Wurde die Aufhebung der Kündigung entschieden oder vereinbart, so hat der Arbeitnehmer mit dem aufrechten Dienstverhältnis und dem für die Vergangenheit nachverrechneten Entgelt14) das Auslangen zu finden. Eine ungerechtfertigte Bereicherung des Arbeitnehmers wird durch die aufschiebend bedingte Leistung aus dem Sozialplan verhindert. Derartige aufschiebende Bedingungen haben zu beinhalten, dass im Falle der Zurückziehung der Anfechtungsklage oder im Falle des (rechtskräftigen) Prozessverlustes des Arbeitnehmers die ursprünglich nicht gewährten Leistungen (nachträglich) fällig werden. Unwirksam sind demnach Anspruchsverlustklauseln in Sozialplänen, wonach es im Falle einer Kündigungsanfechtung auf die Weiterführung und das Ergebnis des Anfechtungsverfahrens überhaupt nicht ankommen soll. Zu berücksichtigen ist auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, wonach eine Minderheit (Anfechtungskläger) ohne sachliche Gründe gegenüber der Mehrheit der Arbeitnehmer, die eine Kündigung nicht anfechten, nicht benachteiligt werden darf. Nicht nur Kündigungsanfechtungen wegen Sozialwidrigkeit würden entsprechend gängigen Ausschlussklauseln zum Wegfall der Leistung aus dem Sozialplan führen, sondern auch Kündigungsanfechtungen wegen eines verpönten Kündigungsmotivs gemäß § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG. Derartige Klauseln tragen dazu bei, gesetzliche Sanktionen gegen verpönte Kündigungsmotive zu unterlaufen. Feststellungsklagen führen entsprechend gängigen Klauseln, die nur auf „Kündigungsanfechtungen“ abstellen, oft nicht zu einem Anspruchsverlust aus dem Sozialplan. Es sollte keinen Unterschied machen, ob eine Anfechtungsklage (Rechtsgestaltungsklage) oder eine Klage auf Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses eingebracht wird. Nicht einzusehen ist, warum Anfechtungskläger, die von einem zweiseitig zwingendem gesetzlichen Recht Gebrauch machen (§ 105 ArbVG), die Leistung aus dem Sozialplan verlieren sollen, während Arbeitnehmer, denen vom Arbeitgeber freiwillig ein besonderer vertraglicher Kündigungsschutz zugestanden wurde, im Falle der Kündigung durch den Dienstgeber die Leistung aus dem Sozialplan beanspruchen und gleichzeitig auf Feststellung des Fortbestands des Dienstverhältnisses klagen könnten. Ansprüche auf Leistungen aus einem Sozialplan können meines Erachtens auch auf Altersdiskriminierung gemäß § 17 Abs 1 iVm § 26 Abs 2 und 3 GlBG gestützt werden: Der Ausschluss von Anfechtungsklägern gemäß § 105 ArbVG (oder von Anfechtungsklägern, die entsprechend § 26 Abs 7 GlBG wegen Altersdiskriminierung gegen eine Kündigung klagen) von einer Sozialleistung ist meines Erachtens als (mittelbare) Diskriminierung älterer Arbeitnehmer zu sehen. Wegen § 105 Abs 3b ArbVG und wegen der besonderen Schwierigkeiten älterer Arbeitnehmer bei der Arbeitssuche (und der dazu ergangenen Judikatur betreffend die Interessenabwägung) handelt es sich bei Anfechtungsklägern gemäß § 105 ArbVG überproportional um ältere Arbeitnehmer. 13

) Gemäß § 1155 ABGB ist das Entgelt für die Zeit, in der nicht gearbeitet wurde, weil die Kündigung in Schwebe war, unter Anrechnung eines anderen Erwerbseinkommens nachzuverrechnen. ) Siehe Fußnote 13.

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Sozialplan und Kündigungsanfechtung Ein Wahlrecht zwischen Fortbestand des Dienstverhältnisses einerseits und Ansprüchen aus der Beendigung des Dienstzeugnisses andererseits15) wird von der Judikatur insbesondere bei besonderem Kündigungsschutz anerkannt, nicht jedoch im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes gemäß § 105 ArbVG. Eine Kündigungsanfechtung gemäß § 105 ArbVG ändert nichts daran, dass Beendigungsansprüche (zB Abfertigung alt) fällig werden. Erst im Falle eines rechtsgestaltenden Urteils zugunsten des Anfechtungsklägers sind Beendigungsansprüche rückzuverrechnen oder zurückzuzahlen. Dass dies ausgerechnet für Beendigungsansprüche laut Sozialplan nicht gelten solle, scheint systemwidrig und mit zwingendem Arbeitsrecht nicht vereinbar. Arbeitgeber und Betriebsrat haben meines Erachtens die Möglichkeit, eine Leistung für den Fall einer Kündigungsanfechtung unter einer aufschiebenden Bedingung zu zusagen, nicht jedoch, sie im Falle einer Kündigungsanfechtung endgültig entfallen zu lassen. Eine (zulässige) aufschiebende Bedingung muss ausdrücklicher Inhalt des Sozialplans sein und kann nicht als Ergebnis einer Umdeutung einer undifferenzierten Anspruchsverlustklausel abgeleitet werden. 3.2. Einvernehmliche Auflösung Problematisch sind auch Klauseln, die Leistungen ausschließlich für den Fall der einvernehmlichen Auflösung eines Dienstverhältnisses zugestehen, insbesondere weil auch durch diese ausschließliche Anknüpfung an eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses gesetzliche Rechte auf Kündigungsanfechtung umgangen werden. Fraglich ist, ob es sich dabei um eine verpönte Umgehung im Sinne von § 879 Abs 1 ABGB handelt. Ein Sozialplan, der Leistungen bei Beendigung des Dienstverhältnisses ausschließlich im Falle der einvernehmlichen Auflösung zugesteht, scheint meines Erachtens zu unbestimmt, wenn nicht gleichzeitig eine (Mindest-)Anzahl von einvernehmlichen Auflösungen (in Hinblick auf das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Kündigungen und einvernehmlichen Auflösungen) festgelegt wird. Ansonsten würde eine Regelung, die zB eine freiwillige Abfertigung bei einvernehmlicher Auflösung beinhaltet, ins Leere gehen, wenn keine einzige einvernehmliche Auflösung zustande kommt, weil sich der Dienstgeber für die kostengünstigere Alternative (Kündigungen) entscheidet. Ein Sozialplan, der das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Kündigungen und einvernehmlichen Auflösungen bestimmt, könnte natürlich auch regeln, nach welchen Kriterien zu differenzieren ist, wenn es darum geht, wer ein Auflösungsangebot erhält und wer nicht. Trotz einer in diesem Sinn detaillierten Regelung bleibt die einvernehmliche Auflösung als Leistungsvoraussetzung problematisch: Es ist der gesetzlichen Arbeitsrechtsordnung fremd, einen Arbeitnehmer im Falle der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses kraft genereller Norm16) besserzustellen als er im Falle der Kündigung durch den Dienstgeber stünde. Das gesetzliche Arbeitsrecht erachtet einen Arbeitnehmer, der gekündigt wird, für schutzwürdiger als einen Arbeitnehmer, der einvernehmlich aufgelöst, weil Letzterer zB durch keine zwingenden Beendigungsfristen geschützt wird, keinen gesetzlichen Entfall einer Konkurrenzklausel (§ 37 AngG) und einer Rückzahlungspflicht von Ausbildungskosten (§ 2d Abs 4 AVRAG) geltend machen kann. Außerdem ist nicht immer klar, von wem die Initiative zur einvernehmlichen Auflösung ausgeht, sodass dieser Beendigungsart typischerweise eine Mittelstellung zwischen einer Kündigung des Dienstgebers und einer solchen des Dienstnehmers (Letztere ist in Zusammenhang mit einem Sozialplan grundsätzlich nicht schutzwürdig) zukommt. Das spricht dafür, dass ein Sozialplan eine einvernehmliche Auflösung nicht gegenüber einer Kündigung durch den Dienstgeber privilegieren darf. 15

) Anzenberger in ZellHB BV, Rz 12.55. ) Kraft Normwirkung des Sozialplans, also nicht durch den Inhalt der individualarbeitsrechtlichen einvernehmlichen Auflösung, für die Vertragsfreiheit unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gilt.

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Sozialplan und Kündigungsanfechtung Ein gegenteiliges Ergebnis zur einvernehmlichen Auflösung (als Anspruchsvoraussetzung für eine Leistung aus dem Sozialplan) scheint der OGH insbesondere in der Entscheidung 8 ObA 77/03m zu vertreten. Im Rahmen dieser Entscheidung war allerdings die Frage der Umgehung des zweiseitig zwingenden § 105 ArbVG kein Thema, weil es um Beamtendienstrecht ging. Beendigungstatbestände des privatrechtlichen Dienstrechts (wie Kündigung und einvernehmliche Auflösung) sowie die Wertungen des Gesetzgebers zu diesen Beendigungstatbeständen lassen sich kaum auf Beamtendienstrecht übertragen. Gegen eine Privilegierung des Beendigungstatbestands der einvernehmlichen Auflösung (im Vergleich zum Beendigungstatbestand der Kündigung durch den Dienstgeber) spricht insbesondere auch Folgendes: In der Praxis werden einvernehmliche Auflösungen häufig mit einem Generalvergleich kombiniert, wonach mit der Erfüllung der Vereinbarung sämtliche wechselseitigen Ansprüche bereinigt sein sollen. Im Rahmen einer einvernehmlichen Auflösung wird die Beendigung des Dienstverhältnisses oft nicht an den fiktiven Kündigungstermin geknüpft, sondern vorverlegt. Weiters wird vom Dienstnehmer häufig verlangt, seinen gesamten Resturlaub (unabhängig von den konkreten Erholungsmöglichkeiten) bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses zu verbrauchen. Eine Rolle spielt in diesem Zusammenhang meines Erachtens auch das für Betriebsvereinbarungen geltende Bestimmtheitsgebot: Der Inhalt einer Vereinbarung zur einvernehmlichen Auflösung wird oft durch Betriebsvereinbarung nicht genau geregelt, sodass unklar bleibt, ob nicht der Vorteil einer freiwilligen Abfertigung durch Nachteile (wie zB Entfall einer entgeltpflichtigen Kündigungsfrist) (teilweise) kompensiert wird. Wenn die einvernehmliche Auflösung der einzige Weg ist, eine Leistung aus dem Sozialplan (wie eine freiwillige Abfertigung) zu erhalten, dann wird der Dienstnehmer geneigt sein, auf einen Teil der (fiktiven) Kündigungsfrist zu verzichten, seinen gesamten Resturlaub in einem ihm eigentlich nicht gelegenen Zeitraum zu konsumieren und allfällige strittige Forderungen durch die Leistung aus dem Sozialplan als bereinigt zu akzeptieren. Eine Alternative, sich kündigen zu lassen und trotzdem dieselbe Leistung aus dem Sozialplan zu erhalten, stärkt die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers im Rahmen der einvernehmlichen Auflösung dahin gehend, dass ihm all das zugestanden wird, was er auch im Falle der Kündigung durch den Dienstgeber erhalten würde. Es sollte nicht durch Betriebsvereinbarung zB eine Umgehung zwingender Kündigungsfristen und urlaubsrechtlicher Bestimmungen (Bedachtnahme auf den Erholungszweck) gefördert werden, auch wenn derartige Vereinbarungen individualarbeitsrechtlich zulässig sein mögen. Im Rahmen einer Betriebsvereinbarung scheint es unsachlich und unzulässig, einvernehmliche Auflösungen gegenüber Kündigungen durch den Dienstgeber zu privilegieren. Selbst wenn ein Sozialplan festlegt, dass eine einvernehmliche Auflösung, die Anspruchsvoraussetzung für eine Leistung ist, zum fiktiven Kündigungstermin angeboten werden muss und keine (dem Arbeitnehmer potenziell nachteilige) Nebenvereinbarungen enthalten darf, verbleibt dennoch eine Umgehung zwingender gesetzlicher Rechte auf Kündigungsanfechtung, wenn der Arbeitnehmer im Falle der Kündigung durch den Dienstgeber keine Chance hat, dieselbe Leistung zu bekommen.

Auf den Punkt gebracht In Sozialplänen enthaltene Klauseln, wonach im Falle einer Kündigungsanfechtung eine Leistung endgültig verloren gehen soll, sind wegen Umgehung zwingender gesetzlicher Bestimmungen zur Kündigungsanfechtung unzulässig. Unzulässig sind auch Klauseln in Sozialplänen, die Leistungen ausschließlich im Falle der einvernehmlichen Auflösung eines Dienstverhältnisses zugestehen, weil auch dadurch zwingende gesetzliche Rechte auf Kündigungsanfechtung umgangen werden.

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asok_2021_h01.fm Seite 33 Mittwoch, 23. Dezember 2020 7:30 07

Freiwillige Abfertigungen und Sozialplanzahlungen als Betriebsausgaben

Freiwillige Abfertigungen und Sozialplanzahlungen als Betriebsausgaben VwGH verlangt Gleichbehandlung von freiwilligen Abfertigungen Freiwillige Abfertigungen und Sozialplanzahlungen als Betriebsausgaben

KATHARINA DAXKOBLER / ALFRED SHUBSHIZKY*) Der VwGH hat entschieden, dass das spezielle Betriebsausgabenabzugsverbot für „Golden Handshakes“ für alle freiwillige Abfertigungen, somit auch für solche, die im Rahmen von Sozialplänen ausgezahlt werden, gilt. Freiwillige Abfertigungen an Arbeitnehmer, die dem neuen Abfertigungsrecht unterliegen, sind demnach aber nicht zur Gänze von diesem Abzugsverbot erfasst, sondern nur insoweit, als sie die in § 67 Abs 6 EStG festgelegten Betragsgrenzen für die begünstigte Lohnbesteuerung von freiwilligen Abfertigungen übersteigen. Die verwiesene Regelung ist diesbezüglich daher nur für Zwecke des Betriebsausgabenabzugs (nicht aber für Zwecke der begünstigten Lohnbesteuerung mit 6 %) beachtlich (VwGH 7. 12. 2020, 2020/13/0013). 1. Gesetzliche Grundlage Neben dem Abzugsverbot für sogenannte „Managerbezüge“, soweit sie 500.000 Euro übersteigen, besteht seit dem AbgÄG 2014 auch ein besonderes Abzugsverbot für „Entgelte, die beim Empfänger sonstige Bezüge nach § 67 Abs 6 darstellen, soweit sie bei diesem nicht mit dem Steuersatz von 6 % zu versteuern sind“ (§ 20 Abs 1 Z 8 EStG). Dies betrifft „sonstige Bezüge, die bei oder nach Beendigung des Dienstverhältnisses anfallen (wie zB freiwillige Abfertigungen und Abfindungen […])“. Derartige Bezüge unterliegen gemäß § 67 Abs 6 EStG beim Empfänger innerhalb gewisser Grenzen (Viertelbegünstigung und die nach der nachgewiesenen Dienstzeit gestaffelte Zwölftelregelung) dem begünstigten Steuersatz von 6 %; darüber hinaus sind sie nach dem laufenden Tarif zu versteuern. Die begünstige Besteuerung von 6 % gilt gemäß § 67 Abs 6 Z 7 EStG aber „nur für jene Zeiträume, für die keine Anwartschaften gegenüber einer BV-Kasse bestehen“. Bei Beendigung von Dienstverhältnissen, die dem System der Abfertigung neu unterliegen, gewährte freiwillige Abfertigungen unterliegen daher beim Empfänger zur Gänze der tariflichen Besteuerung. Für „Bezüge, die bei oder nach Beendigung des Dienstverhältnisses im Rahmen von [...] Sozialplänen anfallen“, besteht gemäß § 67 Abs 8 lit f EStG eine eigene Begünstigungsvorschrift, wonach auf diese bis zu einem Betrag von 22.000 Euro der sogenannte Hälftesteuersatz zur Anwendung kommt, „soweit sie nicht nach Abs. 6 mit dem Steuersatz von 6 % zu versteuern sind“. Da das Abzugsverbot nach § 20 Abs 1 Z 8 EStG alle freiwilligen Abfertigungen betrifft, soweit sie beim Empfänger nicht mit dem Steuersatz von 6 % zu versteuern sind, ergab sich in Hinblick auf die Abzugsfähigkeit freiwilliger Abfertigungen nach – nicht unumstrittener1) – Verwaltungsmeinung2) und Teilen der Literatur3) folgendes differenziertes Bild: *)

Dr. Katharina Daxkobler ist Steuerberaterin und Tax Senior Manager bei KPMG in Wien sowie Lehrbeauftragte am Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der WU Wien. Mag. Alfred Shubshizky ist Steuerberater und Tax Director bei KPMG in Linz. 1 ) Vgl kritisch zB Heffermann/Jann , Abzugsverbot für „Golden Handshakes“ – stillschweigende Erweiterung durch das BMF auf sämtliche Dienstverhältnisse? ÖStZ 2016, 141; Platzer/Jann , BFG zum Abzugsverbot für freiwillige Abfertigungen in Sozialplänen, SWK 2020, 1225. 2 ) Vgl LStR, Rz 1087h; EStR, Rz 4852m. 3) Vgl zB Lachmayer , Verfassungsrechtliche Aspekte des Abzugsverbots für Managementvergütungen und freiwillige Abfertigungen, in Kirchmayr/Mayr/Hirschler (Hrsg), Abzugsverbote im Konzern (2015) 77 (97).

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Freiwillige Abfertigungen und Sozialplanzahlungen als Betriebsausgaben

• Freiwillige Abfertigungen, die bei Beendigungen von dem System der Abfertigung alt unterliegenden Dienstverhältnissen gewährt wurden, waren soweit abzugsfähig, als sie beim Empfänger mit 6 % versteuert wurden.

• Freiwillige Abfertigungen, die bei Beendigungen von dem System Abfertigung neu unterliegenden Dienstverhältnissen gewährt wurden, waren gar nicht abzugsfähig.

• Sozialplanzahlungen, die beim Empfänger nach § 67 Abs 8 lit f EStG begünstigt besteuert wurden, waren mangels 6%iger Besteuerung trotz spezifischer Lohnsteuerbegünstigung ebenfalls zur Gänze nicht abzugsfähig. Diese Rechtsansicht wurde vom BFG in diesem Jahr bereits in zwei Entscheidungen bestätigt.4) Der VwGH5) hat dieser Auslegung nun in einem wesentlichen Aspekt widersprochen. 2. Die wesentlichen Aussagen des VwGH-Erkenntnisses Konkret hat der VwGH folgende Aussagen getroffen:

• Das besondere Betriebsausgabenabzugsverbot für „Golden Handshakes“ gilt auch für Sozialplanzahlungen in Form von freiwilligen Abfertigungen. Die besondere Lohnsteuerbegünstigung des § 67 Abs 8 lit f EStG für Sozialplanzahlungen („soweit sie nicht nach Abs 6 mit dem festen Steuersatz von 6 % zu versteuern sind, sind sie bis zu einem Betrag von 22.000 Euro mit der Hälfte des Steuersatzes, […], zu versteuern“) bezieht sich dem Grunde nach auf solche freiwilligen Abfertigungen.

• Obwohl freiwillige Abfertigungen an Arbeitnehmer, die bereits dem BMSVG unterliegen, nicht mehr begünstigt lohnbesteuert werden können, stellen sie Bezüge iSd § 67 Abs 6 EStG dar und sind somit dem Grunde nach vom Abzugsverbot betroffen.

• Da der Gesetzgeber nur Abfertigungen in bestimmter Höhe mit dem Abzugsverbot sanktionieren wollte, wäre eine gänzliche Versagung des Abzugsverbots aber unsachlich. Freiwillige Abfertigungen an Arbeitnehmer, die dem BMSVG unterliegen, sind daher nur insoweit nicht abzugsfähig, als sie die in § 67 Abs 6 Z 1 bis 6 EStG angeführten Beträge übersteigen. Die in den verwiesenen Bestimmungen enthaltenen Begrenzungen (Viertelbegünstigung und die nach der nachgewiesenen Dienstzeit gestaffelte Zwölftelregelung) sind somit für Zwecke des möglichen Betriebsausgabenabzugs beachtlich, auch wenn eine begünstigte Lohnbesteuerung mit 6 % nicht mehr möglich ist. Im Ergebnis sind für die Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs für freiwillige Abfertigungen daher grundsätzlich unabhängig davon, ob diese in oder außerhalb von Sozialplänen bzw an Arbeitnehmer, die dem alten Abfertigungsrecht oder bereits dem BMSVG unterliegen, gezahlt werden, die gleichen Regelungen anzuwenden. 3. Ausmaß des abzugsfähigen Betrags für Fälle der Abfertigung neu § 20 Abs 1 Z 8 EStG knüpft die Abzugsfähigkeit an die nach § 67 Abs 6 EStG beim Empfänger (im neuen Abfertigungsrecht fiktiv) mit 6 % begünstigt besteuerten Bezüge.

• Gemäß § 67 Abs 6 Z 1 EStG steht der begünstigte Steuersatz für einen Betrag in Höhe eines Viertels der laufenden Bezüge der letzten zwölf Monate, höchstens aber 4

) Vgl BFG 8. 4. 2020, RV/7100845/2020; 27. 7. 2020, RV/5100833/2020. VwGH 7. 12. 2020, Ro 2020/13/0013.

5)

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Freiwillige Abfertigungen und Sozialplanzahlungen als Betriebsausgaben der neunfachen monatlichen ASVG-Höchstbeitragsgrundlage (2020: 48.330 Euro; 2021: 49.950 Euro) zu.

• Gemäß § 67 Abs 6 Z 2 EStG ist der Steuersatz von 6 % zudem auf eine von der nachgewiesenen Dienstzeit abhängige Anzahl zwischen zwei und zwölf Zwölfteln der laufenden Bezüge der letzten zwölf Monate anzuwenden. Auch hier besteht eine Deckelung mit dem Betrag, der sich bei Multiplikation der dreifachen monatlichen Höchstbeitragsgrundlage (2020: 16.110 Euro; 2021: 16.650 Euro) mit der Anzahl der der Berechnung zugrunde gelegten Zwölftel ergibt. Maximal sind bei nachgewiesener Dienstzeit von 25 Jahren somit 193.320 Euro (2020) bzw 199.800 Euro (2021) abzugsfähig. Insgesamt (§ 67 Abs 6 Z 1 und Z 2 EStG) kann daher maximal ein Betrag in Höhe von 241.650 Euro (2020) bzw 249.750 Euro (2021) beim Empfänger begünstigt besteuert und somit als Betriebsausgabe abgezogen werden.

• Gemäß § 67 Abs 6 Z 3 EStG kürzen allerdings „Abfertigungen im Sinne des Abs. 3“, die während der – der Anzahl der Zwölftel zugrunde gelegten – nachgewiesenen Dienstzeit erhalten wurden oder auf die ein Anspruch entsteht, sowie während dieser Dienstzeit erhaltene freiwillige Abfertigungen gem Abs 6 das steuerlich begünstigte Ausmaß. Die verwiesene Regelung des § 67 Abs 3 EStG legt eine begünstigte Lohnbesteuerung (Vervielfachermethode bzw Besteuerung mit 6 %) für Abfertigungen, deren Höhe sich nach einem von der Dienstzeit abhängigen Mehrfachen bestimmt, fest und definiert die Abfertigung in diesem Zusammenhang als einmalige Entschädigung, die der Arbeitgeber bei Auflösung des Dienstverhältnisses aufgrund gesetzlicher Vorschriften bzw bestimmter anderer lohngestaltenden Vorschriften (insbesondere Kollektivverträge) an den Arbeitnehmer zu leisten hat. In der Folge wird festgelegt, dass die Lohnsteuer von Abfertigungen aus BV-Kassen 6 % beträgt. Ungeachtet dessen, dass der VwGH in seiner Entscheidung die angeführte Anrechnungsvorschrift nicht erwähnt, muss diese bei der Berechnung der Betriebsausgabendeckelung für freiwillige Abfertigungen – und zwar gleichermaßen für Fälle der Abfertigung alt wie auch für solche der Abfertigung neu – zum Tragen kommen. Eine andere Beurteilung wäre mit dem Gesetzestext des § 20 Abs 1 Z 8 EStG, der auf die Besteuerung mit 6 % und damit auf den gesamten Regelungszusammenhang des § 67 Abs 6 Z 1 bis 6 EStG abstellt, nicht vereinbar. Nach dem Gesetzwortlaut liegt es nahe, auf den nach § 67 Abs 6 Z 2 EStG begünstigten Betrag Ansprüche gegenüber der BV-Kasse für die nachgewiesene Dienstzeit anzurechnen. Sachgerechter ist es uE aber, die Beitragszahlungen, die der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer in die BV-Kasse leistet, zur Anrechnung zu bringen. Dies ergibt sich einerseits daraus, dass der Unterschied zwischen Beitragszahlungen und Abfertigungsanspruch der Verzinsung entspricht, auf die der Arbeitgeber aber keinerlei Einfluss hat. Insoweit liefe daher auch der durch das Abzugsverbot angestrebte Lenkungseffekt im Sinne einer Abstandnahme von der Gewährung hoher Entgelte ins Leere. Darüber hinaus ist es auch in praktischer Hinsicht schwierig, die Höhe des Arbeitnehmeranspruchs gegen die BV-Kasse zu eruieren. Diese Lösung stünde schließlich auch im Einklang mit den Vorgaben der LStR für den Fall einer teilweisen Übertragung der Altabfertigungsanwartschaft an eine BV-Kasse, wonach auf den nach § 67 Abs 6 Z 2 EStG begünstigten Betrag jener Betrag zur Anrechnung zu bringen ist, der zur Übertragung von Altabfertigungsansprüchen in die BV-Kasse geleistet wurde.6) 6)

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Vgl LStR, Rz 1087 f.

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Freiwillige Abfertigungen und Sozialplanzahlungen als Betriebsausgaben 4. Schlussbemerkungen In der Literatur7) wurde zuletzt die Verfassungswidrigkeit des Betriebsausgabenabzugsverbots in Hinblick auf Sozialplanzahlungen argumentiert. Dies wird damit begründet, dass es für die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips im konkreten Fall keine ausreichende sachliche Rechtfertigung gibt. Die Vermeidung derartiger Sozialplanzahlungen liegt weder im öffentlichen Interesse, noch ist das Abzugsverbot im gegebenen Zusammenhang geeignet, Einkommensgefälle zu reduzieren oder ältere Arbeitnehmer länger in Beschäftigung zu halten. Derzeit ist auch eine Beschwerde bei VfGH anhängig.8) Man darf gespannt sein, wie der VfGH auf das nunmehrige VwGH-Erkenntnis, das am Abzugsverbot für begünstigt besteuerte Sozialplanzahlungen festhält und gleichzeitig versucht, eine unsachliche Schlechterstellung für Abfertigungszahlungen an Arbeitnehmer, die dem BMSVG unterliegen, durch eine „mutige“ verfassungskonforme Gesetzesinterpretation zu vermeiden, reagiert. Nicht sämtliche aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken wurden durch die Entscheidung des VwGH ausgeräumt. Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass Sozialplanzahlungen nicht zwangsläufig als freiwillige Abfertigungen iSd § 67 Abs 6 EStG anzusehen sind und insoweit dem besonderen Abzugsverbot für „Golden Handshakes“ unterliegen. Als Sozialplanleistungen kommen Abgangsentschädigungen („Zahlungen für den Verzicht auf Arbeitsleistungen für künftige Lohnzahlungszeiträume“) in Betracht. Während freiwillige Abfertigungen anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses aus Treue- und Versorgungsgründen geleistet werden, werden Letztere geleistet, um ein Dienstverhältnis vorzeitig zu beenden. Die Abgrenzung zwischen freiwilliger Abfertigung und Abgangsentschädigung ist im Einzelfall äußerst diffizil und wird auch von der Rechtsprechung widersprüchlich interpretiert. Die unterschiedliche Behandlung der beiden Tatbestände (Lohnsteuerbegünstigung und Lohnnebenkostenbefreiung, aber besonderes Betriebsausgabenabzugsverbot für freiwillige Abfertigungen; Tarifbesteuerung und Lohnnebenkosten, aber normales Betriebsausgabenabzugsverbot für Abgangsentschädigungen) führt wohl unstrittig auch zu unsachlichen Ergebnissen.9) Oftmals werden im Rahmen von Sozialplänen auch die Kosten von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen übernommen, die nach § 26 Z 3 EStG nicht steuerbar sein können. Letztlich sind auch laufende Zuwendungen, wie etwa Übergangsgelder, für Sozialpläne typisch. Diese stellen aufgrund des Auszahlungsmodus von vornherein keine sonstigen Bezüge dar, sodass auch hier das besondere Abzugsverbot für „Golden Handshakes“ nicht anwendbar ist.

Auf den Punkt gebracht Nach Ansicht des VwGH gilt das Abzugsverbot für freiwillige Abfertigungen in gleicher Weise für Dienstnehmer im alten und neuen Abfertigungsrecht, in- und außerhalb eines Sozialplans. Bei freiwilligen Abfertigungen an Personen, die dem BMSVG unterliegen, muss die Bestimmung gemäß § 67 Abs 6 EStG daher für Zwecke des Abzugsverbots fiktiv zur Anwendung gebracht werden. Ebenso wie gesetzliche Abfertigungen sind daher uE Beiträge des Arbeitgebers an die BV-Kasse auf den (fiktiv) begünstigten Betrag gemäß § 67 Abs 6 Z 2 EStG anzurechnen. Der Ausgang des beim VfGH anhängigen Verfahrens ist auch nach der VwGH-Entscheidung mit Spannung abzuwarten.

7

) Vgl zB Bräumann/Kofler/Tumpel , Zur Verfassungswidrigkeit des Abzugsverbots für Sozialplanzahlungen, SWK 2020, 1354; Höfle , Sozialplan-Abfertigungen steuerlich nicht abzugsfähig? SWK 2020, 1362. 8 ) E 2999/2020. 9) Vgl Shubshizky , SWK 2014, 450 (452).

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Gesetzgebung

Neues aus der Gesetzgebung Gesetzgebung

BETREUT VON GERDA ERCHER-LEDERER UND JULIA DUJMOVITS*)

I. Freistellung von schwangeren Beschäftigten in Berufen mit Körperkontakt ab der 14. Schwangerschaftswoche Mit Beschluss des Nationalrats vom 11. 12. 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Mutterschutzgesetz 1979 geändert wird (182/BNR 27. GP),1) soll eine Sonderfreistellung für werdende Mütter ab Beginn der 14. Schwangerschaftswoche vorgesehen werden (§ 3a MSchG). So sollen werdende Mütter, die Arbeiten, bei denen ein physischer Kontakt mit anderen Personen erforderlich ist, einen Anspruch auf Sonderfreistellung unter Fortzahlung des bisherigen Entgelts haben. Ein solcher soll aber nur dann bestehen, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen oder die Beschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz aus objektiven Gründen nicht möglich ist. Arbeitgeber haben Anspruch auf Ersatz des Entgelts durch den Krankenversicherungsträger. Ein Antrag auf Entgeltersatz soll spätestens sechs Wochen nach dem Ende der Freistellung beim Krankenversicherungsträger einzubringen sein. Keinen Ersatz soll es für politische Parteien und sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts geben. Der Bund soll dem Krankenversicherungsträger die Aufwendungen aus dem COVID-19 Krisenbewältigungsfonds zu ersetzen haben. Diese Regelung soll mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft und mit Ablauf des 31. 3. 2021 wieder außer Kraft treten. Gerda Ercher-Lederer

II. Verminderung des bürokratischen Aufwands im Ausbildungspflichtgesetz Im Mittelpunkt des Beschlusses des Nationalrats vom 11. 12. 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausbildungsgesetz geändert wird (183/BNR 27. GP),2) sollen Anpassungen stehen, die den bürokratischen Aufwand eindämmen. Durch eine Änderung der §§ 8 Abs 3 und 11 Abs 6 Z 2 APflG soll die Liste der Berufsund Ausbildungsmaßnahmen, die halbjährlich auf erforderliche Änderungen zu überprüfen ist, nicht nur vom BMAFJ genehmigt, sondern im Bundesgesetzblatt kundzumachen sein. Parallel dazu soll diese auf der Internetseite des Sozialministeriumservice (SMS) zur Verfügung stehen. Im Sinne eines verbesserten Datenschutzes und einer geplanten Änderung des Bildungsdokumentationsgesetzes soll es ermöglicht werden, dass die Schulen Daten der Schüler mittels bereichsspezifischer Personenkennzeichen melden (§ 13 Abs 2 APflG). Auch sollen Schulen durch die Verringerung der Berichtstermine von vier auf drei entlastet werden (§ 13 Abs 4 APflG). Die Änderungen sollen mit 1. 1. 2021 in Kraft treten. Gerda Ercher-Lederer Maga. Gerda Ercher-Lederer ist Leiterin der Abteilung für kollektives Arbeitsrecht im BMAFJ. Maga. Julia Dujmovits ist Leiterin der Abteilung für Legistik der Kranken- und Unfallversicherung im BMSGPK. 1 ) Der Gesetzesbeschluss ist online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ BNR/BNR_00182/index.shtml. Mit 16. 12. 2020 hat der Bundesrat beschlossen, keinen Einspruch zu erheben. 2 ) Der Gesetzesbeschluss ist online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ BNR/BNR_00183/index.shtml. Mit 16. 12. 2020 hat der Bundesrat beschlossen, keinen Einspruch zu erheben. *)

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Praxis-News

Praxis-News aus Sozialversicherungs-, Lohnsteuer- und Arbeitsrecht in Kurzform Praxis-News

ALFRED SHUBSHIZKY*) Steuer- und beitragsfreie Gutscheine statt Weihnachtsfeier noch bis Ende Jänner 2021 möglich Art 1 Z 23 des COVID-19-Steuermaßnahmengesetzes (COVID-19-StMG), 174/BNR 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/BNR/ BNR_00174/index.shtml; Art 1 Z 13 des 2. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2020 (2. SVÄG 2020), 198/BNR 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/ PAKT/VHG/XXVII/BNR/BNR_00198/index.shtml; siehe auch https://www.bmf.gv.at/ public/top-themen/faq-weihnachtsgutscheine.html; H. Holzinger, , Gutscheine statt Weihnachtsfeiern, Dienstgeber-Newsletter Nr 8/Dezember 2020, online abrufbar unter https://www.gesundheitskasse.at/cdscontent/?contentid=10007.863239&portal=oegkdgportal. Die Steuer- und Beitragsbefreiung für geldwerte Vorteile aus der Teilnahme an Betriebsveranstaltungen ist zweigeteilt: Für alle unmittelbar konsumierten Vorteile (zB Verköstigung) steht ein Freibetrag von 365 Euro pro Mitarbeiter und Kalenderjahr zur Verfügung. Darüber hinaus sind Sachleistungen, die nicht unmittelbar konsumiert, sondern mitgegeben werden (zB Gutscheine), im Wert von bis zu 186 Euro befreit. Die letztgenannte Befreiung steht nach der Verwaltungspraxis auch dann zu, wenn die Übergabe der Sachzuwendungen nicht im Rahmen einer förmlichen Veranstaltung stattfindet. Da Betriebsveranstaltungen (insbesondere die Weihnachtsfeier) im Jahr 2020 wegen der COVID-19-Pandemie nicht wie üblich stattfinden konnten, hat man kurz vor Weihnachten des letzten Jahres beschlossen, dass Arbeitgeber, die den erstgenannten Freibetrag nicht oder nicht zur Gänze ausgeschöpft haben, im Zeitraum vom 1. 11. 2020 bis zum 31. 1. 2021 steuerfreie Gutscheine im Wert von bis zu 365 Euro an ihre Arbeitnehmer ausgeben können. Die Verwaltungspraxis interpretiert diese Regelung so, dass es auch bei teilweisem Aufbrauchen des Freibetrags möglich ist, bis zu 365 Euro an steuerfreien Gutscheinen zu gewähren. Eine Gegenrechnung ist demnach nicht notwendig. Derartige abgaben- und beitragsfreie Gutscheine sind auch nicht auf den Freibetrag von 186 Euro für mitgegebene Sachzuwendungen anzurechnen. Insoweit ist daher eine kumulierte Nutzung der beiden Befreiungen möglich. Lohnsteuerabfuhr trotz fehlender Inlandsbetriebsstätte Art 1 Z 5 lit b und Z 10 des COVID-19-StMG. In den Praxis-News vom Oktober 2019 (ASoK 2019, 397) wurde darüber berichtet, dass Arbeitgeber aufgrund des Abgabenänderungsgesetzes 2020 (AbgÄG 2020), BGBl I 2019/91, auch bei Fehlen einer inländischen Lohnsteuerbetriebsstätte zur Lohnsteuerabfuhr verpflichtet sind, wenn sie unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer beschäftigen. Diese an sich seit 2020 geltende Regelung wird nunmehr im Rahmen des COVID-19StMG rückwirkend wieder beseitigt. *)

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Mag. Alfred Shubshizky ist Steuerberater in Linz.

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Rechtsprechung Damit bleibt es dabei, dass Arbeitgeber ohne inländische Lohnsteuerbetriebsstätte einen freiwilligen Lohnsteuerabzug vornehmen können. Wenn sie dies tun, müssen sie auch die mit der Lohnsteuerabfuhr verbundenen Arbeitgeberpflichten (Führung eines Lohnkontos, Ausstellung und Übermittlung eines Lohnzettels, Einsichtsgewährung in die Lohnunterlagen für die Finanzbehörden) wahrnehmen. Eine Haftung des Arbeitgebers für zu niedrig abgeführte Lohnsteuer besteht aber nicht. Soweit solche Arbeitgeber für unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer, die ihren Mittelpunkt der Tätigkeit für mehr als sechs Monate im Kalenderjahr in Österreich haben, keinen freiwilligen Lohnsteuerabzug vornehmen, müssen sie nunmehr dem Finanzamt eine Lohnbescheinigung übermitteln. Diese ist grundsätzlich bis Ende Jänner, bei elektronischer Übermittlung bis Ende Februar zu erstatten und muss neben dem Namen, dem Wohnsitz, dem Geburtsdatum und der Sozialversicherungsnummer die Bruttobezüge des Arbeitnehmers ausweisen. Da die Neuregelung zur Ausstellung von Lohnbescheinigungen bereits für das Kalenderjahr 2020 gilt, kann die Übermittlung für dieses Jahr ausnahmsweise bis 31. 3. 2021 erfolgen. Im Ergebnis wird in den meisten Fällen, in denen ausländische Arbeitgeber ohne inländische Lohnsteuerbetriebsstätte hier steuerpflichtige Arbeitnehmer beschäftigen, ein freiwilliger Lohnsteuerabzug anzuraten sein. Einerseits ist eine solcher notwendig, um in den Fällen einer Inbound-Überlassung die Abzugsteuer zu vermeiden. Andererseits führt der freiwillige Lohnsteuerabzug in Fällen, in denen ausländische Arbeitgeber ohne feste Inlandsanknüpfung lokale Arbeitnehmer beschäftigen, zum Wegfall der Verpflichtung zur Ausstellung einer Lohnsteuerbescheinigung.

Aus der aktuellen Rechtsprechung EDITH MARHOLD-WEINMEIER*) Rechtsprechung

Volltexte der Entscheidungen schnell und bequem unter Eingabe der Geschäftszahl in der Suchmaske in Lindeonline, http://www.lindeonline.at; Übermittlung gegen Kostenersatz, telefonische Anforderung bei der ASoK-Redaktion, Tel.-Nr. 01/24 630/26 oder Fax-Nr. 01/24 630/53.

Keine Anwendung des Mindestlohntarifs für in privaten Bildungseinrichtungen beschäftigte Arbeitnehmer auf Arbeitsverhältnisses zum Lycée Français de Vienne 1. Das Lycée Français ist keine natürliche Person, sondern ein Gebilde, dem aufgrund des Kulturübereinkommens zwischen der Republik Österreich und der Französischen Republik iVm dem staatsvertraglichen Übereinkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Französischen Republik betreffend die Verfassung des Lycée Français in Wien volle Rechtspersönlichkeit mit allen ihren rechtlichen Folgen zuerkannt wurde. 2. Das Lycée Français trägt als Schule zur Verwirklichung von Aufgaben, die im öffentlichen Interesse gelegen sind (zur Schulbildung) bei und dient somit auch deren Erfüllung. 3. Nach der Judikatur des VfGH und des VwGH ist für den Anstaltsbegriff ein Bestand an Mitteln persönlicher und sachlicher Art wesentlich, der für Dauer bestimmt ist, dem durch den Einsatz der Mittel verfolgten Zweck der öffentlichen Verwaltung zu dienen. Die Anstalt ist nach der sachlichen Seite hin ein zweckgebundenes Verwaltungsvermögen, das durch das Vorherrschen *)

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Dr. Edith Marhold-Weinmeier ist Richterin am ASG Wien.

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Rechtsprechung nach außen hin sichtbarer technischer Einrichtungen (zB Krankenhaus mit medizinischen Einrichtungen) charakterisiert wird und das als solches aus sich heraus die Eignung besitzen muss, bestimmte Aufgaben der öffentlichen Verwaltung zu erfüllen. Diese Sachwerte müssen außerdem die Eignung besitzen, der Benützung durch individuell noch nicht erfassbare Personen (Destinatare) zu dienen. 4. Das Lycée Français in Wien ist somit eine Ausbildungsstätte der Französischen Republik im Ausland, die im nationalen öffentlichen Interesse gelegen ist und die volle Rechtspersönlichkeit besitzt. Als selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts ist das Lycée Français in Wien damit eine juristische Person, die die den Vorschriften des 1. Hauptstücks des I. Teils des ArbVG unterliegt und für die bei ihr bestehenden Arbeitsverhältnisse selbst kollektivvertragsfähig ist (§ 7 ArbVG). Damit ist der Mindestlohntarif für in privaten Bildungseinrichtungen beschäftigte Arbeitnehmer/-innen auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht anzuwenden. – (§§ 7, 22 Abs 3 Z 1 ArbVG) (OGH 29. 9. 2020, 9 Ob A 28/20p)

Niedrigere Höhe der Korridorpension eines Mannes als der Alterspension einer Frau bei jeweiliger Inanspruchnahme im Alter von 63 Jahren nicht unionsrechtswidrig 1. Der österreichische Gesetzgeber hat als Maßnahme zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Alterssicherungssystems eine Kombination von Abschlägen und Zuschlägen in Abhängigkeit vom tatsächlichen Pensionsantritt im Vergleich zum noch unterschiedlichen Pensionsalter gewählt. Zentraler Anknüpfungspunkt dafür, ob Zu- oder Abschläge gebühren, stellt das Regelpensionsalter dar. Für einen Pensionsantritt vor diesem Zeitpunkt gelten Abschläge (§ 5 Abs 2 APG), für einen Pensionsantritt nach diesem Zeitpunkt gebühren Zuschläge (§ 5 Abs 4 APG). Die bei der Korridorpension hinzunehmenden Abschläge betragen 5,1 % pro Jahr. Weiblichen Versicherten, die die Alterspension erst mit 63 Jahren antreten, gebühren Zuschläge von 4,2 % pro Jahr (§ 5 Abs 4 APG), somit insgesamt bis zu 12,6 % (4,2 % pro Jahr). 2. Das vom Gesetzgeber des APG gewählte System von Abschlägen und Zuschlägen ist mit den Bestimmungen des BVG über das unterschiedliche Pensionsalter von Frauen und Männern eng verbunden, stellt eine notwendig an die Festsetzung des unterschiedlichen Rentenalters geknüpfte Konsequenz dar und ist daher von der Ausnahme in Art 7 Abs 1 lit a Richtlinie 79/7/EWG erfasst. 3. Die Abschläge von 5,1 % bzw die bei späterer Inanspruchnahme der Alterspension für Frauen vorgesehenen Zuschläge sind im Sinn der Rechtsprechung des EuGH (C-172/02, Bourgard; C139/95, Balestra) auch der Höhe nach von der Ausnahmemöglichkeit des Art 7 Abs 1 lit a Richtlinie 79/7/EWG als gedeckt anzusehen. 4. Es widerspricht daher nicht dem Unionsrecht, dass – ausgehend von einer fiktiv gleichen Bemessungsgrundlage – die Höhe der von einem männlichen Versicherten im Alter von 63 in Anspruch genommenen Korridorpension aufgrund von Abschlägen von insgesamt 10,2 % (im Vergleich zum Pensionsantritt im Alter von 65) niedriger ist als die Höhe der fiktiven Alterspension einer Frau, die im Alter von 63 die Pension antritt und Zuschläge von insgesamt 12,6 % (im Vergleich zum Pensionsantritt im Alter von 60) erhalten würde. (§ 5 Abs 4 APG; Art 7 Abs 1 lit a Richtlinie 79/7/EWG) (OGH 13. 10. 2020, 10 ObS 26/20a)

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