Dialog im Parlament - Band 8

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Enquete von Dr. Hannes Jarolim kriminierung. Die erhobenen Nachzahlungs- und Schadenersatzansprüche seien unterschiedlich und nicht strikt identisch, was allerdings für die Zertifizierung der Klage als class action notwendig sei. Ähnlich wurde in der Entscheidung AmChem vs Windsor argumentiert. Die in der Gesundheitsschädigung durch Asbest liegende Gemeinsamkeit genüge für sich genommen nicht zur Rechtfertigung einer class action, weil zu viele individuelle Streitpunkte offen blieben (zB unterschiedliche Einwirkungsformen, -intensitäten und -zeiten, unterschiedliche Asbestprodukte, unterschiedliche Form und Schwere gegenwärtiger bzw möglicher künftiger Verletzungen). Kollektivverfahren sind innerhalb der Europäischen Union von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich geregelt, eine tatsächlich überzeugende Lösung eines beschleunigten Prozesses, der die berechtigten Interessen aller Beteiligten ausreichend und ausgewogen berücksichtigt, ist allerdings bislang nicht gefunden worden. Auf Verbraucherseite wird allzu gerne auf das niederländische Modell einer kollektiven Schadenersatzklage, deren Besonderheit die Anwendung des Opt-out Prinzips ist (WCAM-Verfahren), verwiesen. Näheres ist noch im Folgenden auszuführen, anzumerken ist an dieser Stelle allerdings, dass es sich bei diesem Verfahren nicht um einen streitigen Gerichtsprozess handelt, sondern um ein gerichtliches Verfahren zur Bestätigung eines außergerichtlich erzielten Vergleichs.117 Auch die in den Niederlanden geplante kollektive Schadenersatzklage wird den Anforderungen eines ausgewogenen Systems nicht gerecht, insoweit in der Literatur zu dieser euphemistisch ausgeführt wird, dass diese aus der Erkenntnis folge, dass ein „Stock hinter der Tür“ notwendig sei, um Vergleichsverhandlungen zu fördern.118 Kernaufgabe des Schadenersatzrechts Weil wir soeben beim Knüppel waren: Dass der Strafgedanke im modernen Zivilprozessrecht nichts verloren hat, muss leider im Hinblick auf Strafschadenersatz nach USMuster betont werden, sollte jedoch auf fachlicher Ebene weitgehend außer Streit stehen (was allerdings zur Diskussion führen kann, was eine Strafe ist und was nicht). Geht es daher im primär interessierenden Bereich um die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, so ist die Kernaufgabe des Schadenersatzrechts in Erinnerung zu rufen, nämlich bei Vorliegen der Voraussetzungen den Schädiger zum Ersatz des Schadens gegenüber dem Geschädigten zu verpflichten. Geht es in der heutigen Diskussion um die Beschleunigung von Verfahren, so darf doch ein Grundgedanke verdeutlicht werden: Es handelt sich um eine Diskussion um Prozessrecht, was im Kern dazu führen muss, dass zumindest aufgrund der gesetzlichen

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Stadler weist darauf hin, dass die Regelung nur vor dem Hintergrund der besonderen niederländischen Rechts- und Streitkultur verständlich ist und – jedenfalls derzeit (Anm.: 2008) – nur schwer übertragbar scheint (Stadler, Rechtspolitischer Ausblick zum kollektiven Rechtsschutz, in Meller-Hannich [Hrsg.], Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, 93 [102]) Stadler, Reformen des kollektiven Rechtsschutzes: Schlichten vor Richten, VbR 2015, 145.

Jarolim, Beschleunigung von Verfahren als Gebot der Stunde, LexisNexis

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