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Kamingespräch mit Assoz.-Prof. Marie-Luisa Frick

Kamingespräch mit Assoz. Prof. PD Dr. Marie-Luisa Frick Menschenrechte im Jahr 2020

2020 – das Jahr der Corona-Pandemie, Flächenbrände, von Black Lives Matter, der US-Wahlen nach vier Jahren Trump, der Terroranschläge. Ein Jahr des Unerwarteten und der Herausforderungen – sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene. Und im Zentrum vieler dieser Themenkomplexe stehen: die Menschenrechte. Um Fragen dazu zu umreißen und auch grundlegende Züge der Menschenrechtstheorie zu besprechen, durften wir Assoz.-Prof. Dr. Marie-Luisa Frick vom Institut für Historische Philosophie der Universität Innsbruck – und eine Club Alpbach Tirol Alumna – bei uns als Gast begrüßen. So war nicht nur die Thematik dieses Kamingesprächs etwas ganz Besonderes, sondern auch die Tatsache, dass wir es live und in Farbe durchführen konnten.

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Wer ist unsere Speakerin?

Prof. Frick ist ihres Zeichens Philosophin und hat sich in ihrer Arbeit mitunter auf Menschenrechte, Politik- und Rechtsphilosophie sowie Ethik spezialisiert. Unter anderem hatte sie Visiting Fellowships an der University of Harvard, war Teil von österreichischen Delegationen zum internationalen Religionsdialog etwa mit Indonesien oder dem Iran und hat mehrere Auszeichnungen inne, wie den Preis der Stadt Innsbruck für wissenschaftliche Forschung. Ich hatte das Vergnügen, sie während meines Bachelor- und Masterstudiums der Philosophie als Dozentin zu erleben und wusste stets ihre rhetorische Gewandtheit und ihr mäeutisches Vorgehen zu schätzen. Ein Vorgehen, das das Publikum zu kritischer Reflexion durch aktive Rückfragen anregt. Dieses Talent für den Balanceakt zwischen Vortrag und Diskussion hat auch im Zuge unseres Kamingesprächs dafür gesorgt, dass rasch ein lebendiger, facettenreicher Dialog zum Thema der Menschenrechte entstand, der den Bogen von grundlegenden Fragen bis hin zu spezifischen Fragestellungen spannte.

Menschenrechte sind nicht automatisch rechtlich bindend.

Am Anfang stand die terminologische sowie begriffliche Differenzierung zwischen Menschenrechte, Grundrechten und Bürgerrechten; Termini, die oft vertauscht und begrifflich verwischt angewandt werden, obwohl sie rechtlich sowie politisch sehr unterschiedliche Dimensionen aufweisen. Bezeichnend für Menschenrechte etwa ist, dass sie zwar ein wichtiges Fundament der Gesellschaft und Politik darstellen können, aber erst dann rechtlich bindend sind, wenn ein Staat sie in seinen Gesetzen verankert. Ausnahme bilden der Zivil- und Sozialpakt, in denen gewisse Rechte in Form von bindender, internationaler Abkommen verankert wurden. Ansonsten aber sind Menschenrechte Forderungen oder Versprechen ohne bindenden Charakter, was ihre Umsetzung und Aufrechterhaltung gerade im internationalen Kontext so schwierig macht.

Wusstest du, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO in 400 Sprachen übersetzt wurde und somit das meistübersetzte Dokument der Welt ist?

Denn was tun, wenn ein Staat Menschenrechte als Lippenbekenntnis zwar anerkennt, sie aber nicht zum Gesetz macht und gegen sie verstößt? Wer kann als Richter über einen Staat agieren und mit welchen Mitteln? Die Vereinten Nationen etwa können verurteilen, zu Sanktionen anregen oder Truppen entsenden. Wobei der Sicherheitsrat der Nationen durch seine Struktur mehr oder weniger zahnlos geworden ist: Ein Veto von einem der fünf permanenten Mitglieder des Rats (zu denen beispielsweise kein afrikanisches Land gehört) und die Wahl ist hinfällig. Und überhaupt – was, wenn der Ansatz von carrots and sticks nicht zieht? Wenn Wörter, Drohungen und gewaltfreie Strategien nichts bringen? Um Menschenrechte kämpfen? Eher paradox, wohl kaum eine gangbare Lösung. Oder?

Menschenrechte sind relativ.

Es ging auch um die Frage der Universalität der Menschenrechte. Denn der Irrglaube, dass es nur eine Auslegung der Menschenrechte und eine Erklärung der Menschenrechte gibt, ist weit verbreitet. Konsequent zu Ende gedacht wäre es fast eine Art Neokolonialismus, davon auszugehen, dass eine eurozentrisch, christlich geprägte Menschenrechtserklärung für die ganze Welt und alle Kulturen geltend gemacht werden könnte. Tatsächlich gab es schon immer und gibt es nach wie vor mehrere Menschenrechtserklärungen. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution (1789) und die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen sind lediglich die bekanntesten Erklärungen; nicht aber die einzigen. So gibt es etwa auch die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker der Organisation für Afrikanische Einheit oder auch spezifisch islamisch geprägte Auslegungen wie die Kairoer Erklärung oder die Arabische Charta. Summa summarum: Menschenrechte wie das Recht auf Leben oder körperliche Unversehrtheit sollten zwar im Idealfall allgemein gültig sein, sind aber schwer universal definierbar.

Allgemeine Menschenrechte sind nicht genug.

Zudem gibt es – um wieder auf die UNO zurückzukommen – Konventionen zum Schutz dezidierter Gruppen, wie etwa die Kinderrechtskonvention, die Frauenrechtskonvention oder die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Übrigens gibt es auch eine Erklärung – (noch) keine Konvention – über die Rechte indigener Völker, die mit ihrem besonderen Verhältnis zu Natur und Welt und ihren spezifischen Weltbildern sicherlich nicht in westlich, europäisch geprägte Schablonen passen. In diesem Kontext kam bei der Diskussion auch die interessante Frage auf, warum diese Rechte quasi nicht einfach auch Menschenrechte sind, wenn sie derart gesondert hervorgehoben werden. Warum man nicht die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte adaptieren könnte. Das liegt darin begründet, dass Frauen oder auch Kinder besondere Schutzbedürfnisse und auch Rechte benötigen (z.B. Vertretung durch einen Erwachsenen, Schutz vor Kinderarbeit und -ehe, Female Genital Mutilation...), die es hervorzuheben und mit anderen Instrumenten hochzuhalten gilt.

Im Kontext der Corona-Pandemie kamen wir auch auf die Frage nach der Hierarchie zwischen Menschenrechten zu sprechen, gerade beim Thema Triage, Recht auf Leben und Gesundheit. Dieser Punkt ist gerade in der Hinsicht interessant, da ein Grundpfeiler unseres gesellschaftlichen Vertrags unter Beschuss steht, wenn Menschen sich durch die Corona-Maßnahmen und Lockdowns ihrer Freiheits- und Grundrechte beraubt sehen. Denn schließlich geht es um den Schutz der Gesellschaft als Ganzes, insbesondere der vulnerablen Mitglieder. Wenn jedoch ein Teil der Gesellschaft seine Rechte realisieren will und dadurch die Rechte anderer – wie das Recht auf Leben – gefährdet oder verletzt, wird das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens brüchig. Alles in allem also ein Thema, das eng verwoben ist mit der gerechten Ressourcenverteilung im Gesundheitssystem, was Jakob und Prof. Voorhoeve in ihrem Event “Health Equity” genauer besprachen.

Menschenrechte sind fundamental.

Das Kamingespräch mit Prof. Frick war sehr vielseitig und unglaublich spannend. Menschenrechte sind in aller Munde und wichtig, wenn auch nicht fehlerfrei oder problemlos umsetzbar. Sie kritisch zu reflektieren und so deren Reichweite auszuweiten sowie ihre Implementierung zu verbessern, ist heute wichtiger denn je. Denn, um das Generalthema des EFA 2020 aufzugreifen: Menschenrechte sind fundamental und müssen als solches wie das Fundament eines Hauses gestärkt und gestützt werden.

Jennifer Zeller

Lektüre zum Thema und darüber hinaus beim Büchertisch der Wagner’schen