Raketenabwehr
Obwohl sie in der Praxis wenig verlässlich sind, investieren Staaten Unsummen in Raketenabwehrsysteme. Der Politik wissenschaftler Marco Fey erklärt, warum. Der Auftakt zu einem Wettrüsten.
LEIBNIZ
Für Vladimir Putin gefährden die
Es hat sich immer weiter hochgeschaukelt. Irgendwann über-
Raketen abwehrpläne der NATO die Weltsicherheit,
legten amerikanische Nuklearstrategen, ob sich so etwas
China erwägt wirtschaftliche Sanktionen gegen
wie ein »Gleichgewicht des Schreckens« einpendeln ließe.
Südkorea, weil die USA dort Teile ihres
Ihre Idee: So lange wir uns gegenseitig zerstören können,
Abfangschirms installieren. Warum fühlen sich
herrschen Stabilität und Frieden. 1972 verpflichteten sich
Staaten von Raketenabwehrsystemen bedroht,
die Großmächte aus diesem Grund, keine landesweiten Rake-
geht es nicht um Verteidigung?
tenabwehrschirme aufzubauen. Erst Ronald Reagan rüttelte am sogenannten ABM-Vertrag, den George W. Bush 2002
M ARCO FEY
Eigentlich sind das rein defensive Systeme, inso-
fern mag die Aufregung überraschen. Aber wenn man sich
schließlich kündigte. Seitdem tüfteln die USA kräftig an ihrer Abwehr.
die größere Gleichung der strategischen Stabilität anschaut, wird schon klarer, warum sie durchaus als bedrohlich wahr-
Die Spannungen zwischen Ost und West haben
genommen werden können. Die Raketenabwehr kommt darin
zuletzt wieder zugenommen. Russland drohte
gleich doppelt ins Spiel: Zum einen kann sie die eigenen
mehrfach, mit Aufrüstung auf die Abwehrpläne
Vergeltungswaffen schützen, zum anderen die wenigen Waf-
der USA reagieren zu wollen.
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fen abfangen, die dem Gegner nach einem nuklearen Erstschlag bleiben.
Die Russen betrachten den Aufbau der amerikanischen Raketenabwehr als Gefahr, auch wenn die gegenwärtige Tech-
Im Kalten Krieg spielte das Ausbalancieren
nologie keine Bedrohung für ihre Nuklearwaffen darstellt. Sie
solcher Gleichgewichte eine zentrale Rolle. Ist
argumentieren wohl nicht völlig zu Unrecht, dass man nie
die Raketenabwehr ein Kind dieser Zeit?
wissen könne, welche technologischen Durchbrüche es geben wird und wie sich die politischen Verhältnisse in Washington
Sie ist im Grunde so alt wie das Zeitalter der ballistischen
entwickeln werden. Raketenabwehr ist ein Hauptgrund dafür,
Raketen selbst. Die Entwicklung begann nach dem Zweiten
dass es in den Beziehungen der USA und Russlands seit Jah-
Weltkrieg, akut wurde es in den 1950er Jahren mit dem
ren bergab geht.
»Sputnik-Schock«. Die Sowjets schossen einen Satelliten ins All, den Amerikanern war klar, dass sie mit dieser Technolo-
Gibt es denn auch von russischer Seite
gie auch eine ballistische Rakete über den Atlantik feuern
Ambitionen, sich zu schützen?
konnten. Sie investierten in den Aufbau eines Abwehrschirms — und die Sowjets taten es ihnen gleich.
Die Russen haben ein Raketenabwehrsystem aus Zeiten des Kalten Krieges. Der ABM-Vertrag erlaubte es ihnen, einen Ort im Land zu schützen — die Hauptstadt oder einen Raketensilo. Das System ist nach wie vor um Moskau stationiert und wir wissen, dass Russland nicht nur seine Raketen- und Nuklearwaffenarsenale modernisiert, sondern auch seine Abwehr. Auch die Chinesen basteln an einem System. Beide nennen die Aktivitäten der USA als Hauptgrund ihrer Investitionen.