leibniz # 3/2017: Himmel

Page 51

Raketenabwehr

Obwohl sie in der Praxis wenig verlässlich sind, investieren Staaten Unsummen in Raketenabwehrsysteme. Der Politik­ wissenschaftler Marco Fey erklärt, warum. Der Auftakt zu einem Wettrüsten.

LEIBNIZ

Für Vladimir Putin gefährden die

Es hat sich immer weiter hochgeschaukelt. Irgendwann über-

Raketen­ abwehrpläne der NATO die Weltsicherheit,

legten amerikanische Nuklearstrategen, ob sich so etwas

China erwägt wirtschaftliche Sanktionen gegen

wie ein »Gleichgewicht des Schreckens« einpendeln ließe.

Südkorea, weil die USA dort Teile ihres

Ihre Idee: So lange wir uns gegenseitig zerstören können,

Abfangschirms installieren. Warum fühlen sich

herrschen Stabilität und Frieden. 1972 verpflichteten sich

Staaten von Raketenabwehrsystemen bedroht,

die Großmächte aus diesem Grund, keine landesweiten Rake-

geht es nicht um Verteidigung?

tenabwehrschirme aufzubauen. Erst Ronald Reagan rüttelte am sogenannten ABM-Vertrag, den George W. Bush 2002

M ARCO FEY

Eigentlich sind das rein defensive Systeme, inso-

fern mag die Aufregung überraschen. Aber wenn man sich

schließlich kündigte. Seitdem tüfteln die USA kräftig an ihrer Abwehr.

die größere Gleichung der strategischen Stabilität anschaut, wird schon klarer, warum sie durchaus als bedrohlich wahr-

Die Spannungen zwischen Ost und West haben

genommen werden können. Die Raketenabwehr kommt darin

zuletzt wieder zugenommen. Russland drohte

gleich doppelt ins Spiel: Zum einen kann sie die eigenen

mehrfach, mit Aufrüstung auf die Abwehrpläne

Vergeltungswaffen schützen, zum anderen die wenigen Waf-

der USA reagieren zu wollen.

49

fen abfangen, die dem Gegner nach einem nuklearen Erstschlag bleiben.

Die Russen betrachten den Aufbau der amerikanischen Raketenabwehr als Gefahr, auch wenn die gegenwärtige Tech-

Im Kalten Krieg spielte das Ausbalancieren

nologie keine Bedrohung für ihre Nuklearwaffen darstellt. Sie

solcher Gleichgewichte eine zentrale Rolle. Ist

argumentieren wohl nicht völlig zu Unrecht, dass man nie

die Raketenabwehr ein Kind dieser Zeit?

wissen könne, welche technologischen Durchbrüche es geben wird und wie sich die politischen Verhältnisse in Washington

Sie ist im Grunde so alt wie das Zeitalter der ballistischen

entwickeln werden. Raketenabwehr ist ein Hauptgrund dafür,

Raketen selbst. Die Entwicklung begann nach dem Zweiten

dass es in den Beziehungen der USA und Russlands seit Jah-

Weltkrieg, akut wurde es in den 1950er Jahren mit dem

ren bergab geht.

»Sputnik-Schock«. Die Sowjets schossen einen Satelliten ins All, den Amerikanern war klar, dass sie mit dieser Technolo-

Gibt es denn auch von russischer Seite

gie auch eine ballistische Rakete über den Atlantik feuern

Ambitionen, sich zu schützen?

konnten. Sie investierten in den Aufbau eines Abwehrschirms    — und die Sowjets taten es ihnen gleich.

Die Russen haben ein Raketenabwehrsystem aus Zeiten des Kalten Krieges. Der ABM-Vertrag erlaubte es ihnen, einen Ort im Land zu schützen — die Hauptstadt oder einen Raketensilo. Das System ist nach wie vor um Moskau stationiert und wir wissen, dass Russland nicht nur seine Raketen- und Nuklearwaffenarsenale modernisiert, sondern auch seine Abwehr. Auch die Chinesen basteln an einem System. Beide nennen die Aktivitäten der USA als Hauptgrund ihrer Investitionen.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.