curt N/F/E #235 Juni 2019

Page 20

16 im gespräch ... julian radlmaier

immer so eine Art Wettbewerb aller Geschwister festgestellt, wer hat die beste Geschichte, den besten Gag drauf. Für Außenstehende oder Neumitglieder waren das in der Tat anstrengende Erlebnisse. Man sieht: Wir Brillenträger haben viel zu bereden. Fangen wir mit dem Neueren an. Im Februar hast du die „Goldene Lola“ für das beste, nicht veröffentlichte Drehbuch auf der Berlinale erhalten. Hatte das Wirkung? Sprich: Will jemand das Projekt umsetzen? Das Lustige ist, dass mir nach der Preisverleihung von verschiedenen Seiten zugeraunt wurde: Vorsicht, der Ruf des Preises ist durchaus zwiespältig, denn diese ausgezeichneten Drehbücher wurden im Anschluss selten verfilmt. Weil die Jury einen extremen Geschmack hat? Sie sah mir nicht so aus, als ob sie aus Prinzip das abseitigste Buch auszeichnen würde. Mittlerweile hat sich dieser Ruf auch ein bisschen geändert. Mir hat die „Lola“ geholfen. Dieses Gütesiegel macht es Menschen, die Fördergelder zu vergeben haben, einfach leichter, eine Entscheidung zu treffen Aber es hat sich kein berühmter Regisseur bei dir gemeldet? Das wäre gar nicht in meinem Sinne. Ich habe das Buch schon aus der Perspektive geschrieben, dass ich das selber umsetzen will. „Blutsauger“ heißt dieser Film, den du jetzt drehen willst. Das ist inhaltlich gesehen eine konsequente Fortsetzung deiner bisherigen Filme, oder? Schon. Alle bisherigen Filme haben gemeinsam, dass politische Themen darin auftauchen. Das ist eine bestimmte Art von Beschäftigung mit Marxismus, auf eine sehr schräge und hoffentlich humorvolle Art. Das schlägt sich auch in den Titeln nieder. Im „Kapital“ von Marx wimmelt es ja von Gespenstern und Vampiren. Wenn man also einen orthodoxen Marxisten-Film machen möchte, kann das dann eigentlich nur ein Vampir-Film sein. Aber ich bin überhaupt kein Fan von Horrorfilmen, von Gothic, Unheimlichem. Deshalb wird „Blut-

sauger“ am Strand spielen, bei 30 Grad und vollem Sonnenschein an der Ostseeküste, und von der Atmosphäre her eher in Richtung Eric Rohmer gehen. Und wo ist der Bezug zum Marxismus? Zum einen auf einer sehr platten Ebene. Der Film spielt in einem Mikrokosmos in den 20er Jahren an der Ostseeküste. Da gibt es eine Fabrikbesitzerin, eine junge, attraktive Frau, die gleichzeitig ein Vampir ist, aber auch die lokale Kapitalistin, die die Leute in ihrer Pharma-Firma ausbeutet. Das Klassenverhältnis wird, um es marxistisch auszudrücken, mit dieser Vampir-Metapher verhandelt. Das ist das Trampolin, auf dem sich die Geschichte entwickelt. Eigentlich dreht sich der Plot um einen sowjetischen Flüchtling, der auf einen Ozeandampfer nach Amerika wartet, aber an dieser Ostsee-Stadt festsitzt und sich mit dieser Vampir-Dame anfreundet. Und auch irgendwann gebissen wird. Könnte dein anhaltendes Interesse an Utopien und Marxismus eine selbsterfüllende Prophezeiung sein? Schließlich wurde auf dem Nürnberger Standesamt fälschlicherweise als zweiter Vorname nicht „Marc“ sondern „Marx“ eingetragen. Mit 12 wurde ich dann ja doch wieder in „Marc“ umbenannt. Seitdem kämpfe ich künstlerisch wieder für meinen Geburtsnamen (lacht). Möglicherweise verweist der „Blutsauger“ ja auch auf diese Tatsache. Angeblich wurden meine Eltern ja bei Grenzkontrollen immer schräg angeguckt, weil bei mir Marx im Pass stand. Der Film geht also auch los mit einer Passkontrolle. Der besagte gestrandete Russe spielte in sowjetischen Propagandafilmen der 20er Jahre dummerweise die Rolle des Trotzki. Als der bei Stalin in Ungnade fällt, bekommt der Schauspieler keine Jobs mehr, daher möchte er sein Glück in Hollywood versuchen. Hast Du revolutionäre Gedanken? Also träumst du davon, dass das Kapital entmachtet wird? Träumen schon, nur ich selbst bin dazu vermutlich nicht geeignet.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.