kunsthallekleinbasel 2

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kunsthallekleinbasel

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kunsthallekleinbasel 2 Jasmin Glaab (Hg.)

Erschienen 2015 Amsel Verlag Z端rich ISBN 978-3-906325-06-4


Inhaltsverzeichnis 4

Zum Projekt

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Lukas Jakob David Leu

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8 x Frauen

10 dusud 12

Daniel Marti

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Lena Lapschina

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Fabio Nicotera

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Carola R체mper

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Luca Piazzalonga

22 Ausw채rtsspiele 23 Impressum


Zum Projekt Das Ausstellungsprojekt kunsthallekleinbasel wurde im Juni 2014 von der Künstlerkuratorin Jasmin Glaab ins Leben ge­ rufen. Glaab betreibt den Ausstellungsraum, betreut die Homepage des Projektes und ist verantwortlich für das Ausstellungsprogramm. Das Projekt funktioniert selbsttragend und unabhängig vom institutionalisierten Kunstbetrieb. Im Zentrum steht die Kooperation zwischen freischaffenden KünstlerInnen und Publizierenden. Ziel ist es, kunsthallekleinbasel als autarke Diskursbühne zu etablieren. Im Rahmen des Ausstellungsprogramms findet jeweils sonntags ein zehnstündiges Ausstellungsereignis statt. Die KünstlerInnen sind während der gesamten Dauer ­ihrer Ausstellung anwesend und dazu aufgefordert, die Ausstellungsereignisse in Kooperation mit weiteren Kunstschaffenden und Publizierenden zu gestalten. Im Rahmen der Ausstellungen finden Konzerte, Performances, Interventionen, Künstlergespräche und Diskus­ sionsrunden statt. So variiert die Atmosphäre bei jedem Ausstellungsereignis nach Bedarf zwischen Galerieatmosphäre, Bühne, Stammtisch oder Klub. Zentrales Anliegen und Beweggrund zur Lancierung des Projektes ist das Bedürfnis nach einem off-space für bildende Kunst, Performance und zeitbasierte Medien in Basel, welcher selbstragend funktioniert und nicht von öffentlichen Geldern und Kulturförderbeiträgen abhän-

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gig ist. Dies folgt nicht zuletzt dem Bedürfnis, die Rahmenbedingung in denen aktuelle künstlerische Tendenzen debattiert werden, autonom zu generieren. Text: Jasmin Glaab Basel, 2014 Jasmin Glaab (*1988, Frankfurt am Main) hat an der Fachhochschule in Basel das Studium der bildenden Kunst absolviert. 2014 erlangte sie den Master Art Education (ausstellen & vermitteln) an der Zürcher Hochschule der Künste. Glaab lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin und Kuratorin in Basel.


AUSSTELLUNGSDATEN 1.3.2015 8.3.2015 5.4.2015 3.5.2015 7.6.2015 21.6.2015 21.6.2015 5.7.2015

Lukas Jakob David Leu (CH) 8 x Frauen dusud (CH) Daniel Marti (CH) Lena Lapschina (A) Fabio Nicotera (IT) Carola Rümper (D) Luca Piazzalonga (CH)

ÖFFNUNGSZEITEN zehn Stunden jeweils sonntags von 14:00 – 24:00 Uhr

ADRESSE kunshallekleinbasel c/o Jasmin Glaab Sperrstrasse 7 CH - 4057 Basel www.kunsthallekleinbasel.com

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Lukas Jakob David Leu (CH)

AUSSCHNITTWEISE BUCHSTABEN

Lukas Jakob David Leu AUSSCHNITTWEISE BUCHSTABEN 1.3.15 | 14 – 24 Uhr

In diesem Projekt arbeitet der Maler mit den Materialien, denen wir im öffentlichen Raum täglich begegnen: Bitumen und Signalisationsfarbe. Leu thematisiert in seinen Arbeiten insbesondere zwei Dinge: Farbe und Zeichen. Der Maler zeigt Bilder, eine Textarbeit und ausschnittweise Buchstaben als «akustischen Zoo».

Ausstellungsbesprechung: Alice Wilke Fotografie: Tjefa Wegener

AUSSCHNITTWEISE BUCHSTABEN Text: Alice Wilke Basel, 2015 Von dem Maler Lukas Jakob David Leu ist im Vorfeld zu lesen seine Themen seien Farbe und Zeichen. Betritt man den Raum seiner Ausstellung in der kunsthallekleinbasel wird man zunächst recht überrascht und vielleicht auch ein wenig ratlos umherschauen. Linker und rechter Hand des Eingangs hängen zwei mit schwarzem Bitumen gestrichene, ungerahmte Leinwände aus grobem Jutestoff einzeln und lose an den Wänden. Also vielleicht doch eher Materialität als Farbe? Auf dem einen Bild sieht man ein mit weisser Signalisationsfarbe gemaltes, isoliertes «P». In Grösse und Typografie wie das «P» von STOP auf dem Asphalt herkömmlicher Verkehrsstrassen – Ausschnittweise Buchstaben – so nennt Leu seine Ausstellung, kommt einem sogleich wieder in den Sinn. Der Titel des Gemäldes lässt einen dann tatsächlich innerlich kurz anhalten: P wie PHILOSOPHY. Auf der Wand vis-a-vis ist in signalgelber Farbe auf ebenfalls pechschwarzem Grund zu lesen: SEX. Allerdings spiegelverkehrt gemalt, als käme es ansonsten gar zu direkt und einfältig daher. Der mentalen Disziplin des Philosophierens wird im Raum die physische Aktivität des Kopulierens als Pendant gegenübergehängt, beides ist nicht ohne Einsatz zu geniessen. L. J. D. Leu spielt offenbar gerne mit sprachlichen Symbolen und deren Bedeutung, mit dem arbiträren Verhältnis von Signifikat und Signifikant, das mich als Leser unwillkürlich den Sinn hinter den Zeichen suchen lässt. Aber sein künstlerischer Umgang mit Sprache lässt sich nicht auf derart minimalistische Ausdrucksweisen und Formate beschränken. Leu, in Schwarz mit Hut, ist persönlich anwesend und liest rauchend eine Auswahl seiner Gedichte. Ein Bestimmtes mit dem Titel ROCKING hängt zudem als A4 Plakat an der Wand gleich neben der Tür. Es handelt vom Schreiben, 6

von der mitunter gefährdeten Freiheit der Gedanken, vom langwierigen Reifeprozess eines Werks, der Reise des Autors durch Raum und Zeit (real und im Geiste), von der Odyssee einer Suche, die auch ein Leben dauern kann. Es beginnt wie folgt: «like on a boat rocking gently across the uni verse of thought just like tense short before dust» L. J. D. Leu liest die Verse mit seiner von Tabak dunkel eingefärbten Stimme. Die Atmosphäre im Raum wandelt sich. Später, beim näheren Blick auf das Plakat, beim erneuten stillen Lesen von ROCKING entdecke ich erst die Fussnote mit rätselhaften Zeilen, Bezeichnungen von Farbtönen, mitsamt Angaben zu den jeweiligen RGB- und CMYKCodes. Zuhause folge ich dem weblink auf das soziale Netzwerk «colourlovers.com» und entdecke eine völlig neue Dimension von Leu’s Werk. Unter dem Decknamen avilluk konzipiert er einzigartige Farbpaletten. Leu dichtet mit Farben und malt mit Worten. Sein Stück ROCKING besteht demnach nicht nur aus auf Papier gedruckten Worten und den Lauten der gesprochenen Verse. Es umfasst auf dritter Ebene genauso die Komposition einer Palette aus selbst kreierten Farbtönen, die den Namen einzelner Gedichtbausteine wie like on a boat, rocking oder gently tragen. Das Gedicht ist ein Farbakkord aus kühlen Nuancen von dunklem tiefen Blau über intensives, fast grelles Pink bis hin zu sanft nebligen Graustufen. Ein Universum kurz vor Dämmerung. Und dort, irgendwo jenseits der Buchstaben, hinter den Worten kommt sie auf einmal zum Vorschein im Werk und in der Ausstellung von Leu, die Farbe.


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8 x Frauen

8 X FRAUEN

Kuratiert von Joanna Kamm 8 X FRAUEN 8.3.15 | 14 – 24 Uhr

8 x Frauen ist eine partizipativ angelegte Ausstellung mit Audioinstallation. Aus drei Radios ertönen Interviews, welche von Joanna Kamm mit über zwanzig Frauen und Männern geführt wurden. Eine der Interviewfragen lautet etwa: «Wenn Sie ein feministisches Manifest schreiben dürften, welche drei Punkte würden darin erwähnt werden?». Die Audioinstallation bietet den Rahmen für eine Reihe von Live-Auftritten, welche BesucherInnen zu jeder vollen Stunde zwischen 13 Uhr und 22 Uhr erwarten. Die Darbietungen reichen von Theater und Clowneskem über Lesungen und Vorträge bis zu Konzerten und verhandeln inhaltlich eine ebenso grosse Spannweite an Aspekten rund um die Thematik des 8. März.

Mit Live-Auftritten von Dora Borer, Felby Charuc, Julia Degelo, Colleen Dunkel, Afghani El Saghir, ­ ­Philipp Freise, Jasmin Glaab, Christine Mafli, ­Khadija Merzougue, Stephanie Németh-Parker, Julius ­ ­Nikolaus Friedrich Schröder, Inga Siebel, Emilia und Julia Taubic Ausstellungsbesprechung: Joanna Kamm Fotografie: Hans Kamm DER 8. MÄRZ IN DER KUNSTHALLEKLEINBASEL Text: Joanna Kamm Basel, 2015 Radiosequenzen, Fragen, Gespräche im Ohr über Feminismus, Humanismus, Idealismus. Ismen, die Menschen in Ihrem Alltag vielleicht begleiten. Heute soll Frauentag sein, was bedeutet das für dich? Stell dir vor dir wird anlässlich dieses Tages eine halbe Stunde Raum gegeben, ein Raum, den du wahrscheinlich noch nie gesehen hast. Der Raum eher klein, die Wohnung beschaulich, enger Gang, heimelige Küchenbar, Umziehschlafzimmer, draussen im Garten zwei Feuerstellen. Hier also sollst du frei werken. Freiräume sind selten, Kunsthallen sind meist gross, Ausstellungen im grossen Rahmen sind unbezahlbar. Hier schafft sich jedoch eine Kunstvermittlerin eine Nische, sie wandelt Ihr Wohnzimmer in eine Kunsthalle um. Zehn Stunden stehen auf dem Plan, ein Riesenprogramm. Langsam kommen die ersten KünstlerInnen. Der Raum, nicht sehr voll, die Zuschauer gespannt. Julia liest eigene Texte. Eine Stunde später ihr Namensvetter Julius, er hat Tagebücher von seiner verstorbenen Mutter gebracht und trägt diese vor. Dora, Afghani, Christine und Felby stellen aktive Frauen oder Projekte vor, die ihnen persönlich am Herzen liegen. Langsam füllt sich der Raum, die Sonntagsgemüter trauen sich aus dem Haus. Die Ausstellung so verschieden wie das Publikum. Ob Kunstschaffende, Dozentinnen oder Stammbesucher, es finden sich Gemüter und Gesichter aller Art. Colleen ist an der Reihe und ihre Inszenierung, die von Stephanie gespielt wird, löst Diskussionen aus. Jung und Alt beteiligen sich am brisanten Thema Pornografie. Nach dieser englischen Einlage kommt der Einklang in die Abendstunden leicht, verspielt und packend. Der Raum ist nun randvoll und das Publikum lacht im Bann der Ereignisse. Inga ist es mit ihrem schauspielerischen Können gelungen, die Leichtigkeit des Seins in der kunsthallekleinbasel herbeizuführen. Nun können die Musiker kommen. Die 8

Schwestern Taubic singen das Publikum zweistimmig in einer Mischung aus Jazz und Pop ein. Es folgt Adapter das Musikerduo welches – provokant in Küchenschürzen gekleidet – mit experimenteller Musik die Zuschauer begeistert.


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dusud (CH)

LA VIE (r)EST BELLE

dusud LA VIE (r)EST BELLE 5.4.15 | 14 – 24 Uhr

Mit der Ausstellung LA VIE (r)EST BELLE erzählt dusud eine Geschichte der Erfahrungen und Bedürfnisse als Teil einer konsumorientierten Gesellschaft. Gefangen in den tristen Gemäuern einer verkauften Stadt wollen die eigenen Bewegungsmuster im Austausch mit der Umwelt angepasst, aufgelöst und neu definiert werden. Mitbestimmen, aufmucken, rebellisch sein? Wir können, wissen aber nicht wie. Die andauernde Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen und die Möglichkeit diese aufzubrechen und neu zu gestalten verspricht: «LA VIE (r)EST BELLE», oder «Alles ist möglich, nichts ist unantastbar».

Ausstellungsbesprechung: Ana Vujic Fotografie: Tjefa Wegener

RESPECT EXISTANCE OR EXPECT RESISTANCE Text: Ana Vujic Basel, 2015 Ein Stein fliegt durch die Fensterscheibe, Glassplitter liegen auf dem Boden. Die sich darunter befindenden Papierfetzen lassen den Grund für diese Wut erahnen: Es ist der Vertrag zwischen der Shift Mode und den Immobilien-Baselstadt, welcher berechnend im Versteckten die Besetzung an der Uferstrasse verhindern sollte. Das Abkommen war ein Zeichen gegen die gleich daneben hausenden Wagenplatzleute; ein grundsätzlicher Streit um die letzten freien Flächen dieser Stadt wurde entfacht. MAN MERKT DIE FESSELN ERST, WENN MAN SICH BEWEGT steht auf einem der Bilder von DUSUD geschrieben. Und wer hat das in dieser bürokratisierten, stets nach Profit strebenden Stadt nicht längst schon gemerkt. Hier in der kunsthallekleinbasel liegt ein solches Abkommen demonstrativ zerrissen auf dem Boden. Die schwarze Flagge wird jetzt erst recht gehisst, das mit rotem Faden gewobene Anarchiezeichen zieht hier seine Fäden. Zu diesen installativen Arbeiten zeigt DUSUD seine malerischen Werke, die stets Rebellion verbildlichen. GEMEINSAM GEGEN DIE GRAUSAMKEIT erinnert an die tristen Fassaden der postmodernen Stadt. Vielleicht ist mit dem Grau der Novartis Campus, die Kloschüssel auf dem Messeplatz oder der höchste Turm der Schweiz gemeint. Noch ermahnender kommt der Schriftzug REFUGEES WELCOME daher, nachdem gestern 700 Menschen im Meer ertrunken sind. Europa schaut gerne weg, wenn Flüchtlinge an seiner Grenze ertrinken. Das Heimatgefühl verschliesst sehr gerne die Augen. Plakativ und geladen sind die Werke von dem Basler Kulturaktivisten DUSUD. Sie sind so wie sie kaum im 10

Kunstrahmen zu finden sind, weil die linkspolitischen Parolen wie ein Hammer in den Schädel hauen. Die Spraydose ist das Werkzeug, die Wände sind die passenden Malflächen. Denn wir brauchen nicht nur im Kunstrahmen, sondern auch da draussen noch mehr bellende Hunde in dieser Stadt.


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Daniel Marti (CH)

MEMBRANE MEME

Daniel Marti MEMBRANE MEME 3.5.15 | 14 – 24 Uhr

In der Ausstellung MEMBRANE MEME thematisiert Daniel Marti die Medialisierung im digitalen Zeitalter in Bezug auf Fragen nach Körper, Raum und Zeit. Er legt uns einen analogen Blog vor, der das Weltgeschehen im persönlichen Kontext reflektiert und über 10 Jahre zurückreicht. Gleich daneben der digitale Blog: www.wegorythm.net. An der Wand gegenüber drei analoge Fotografien, belichtet auf Barytpapier, die eine Performance des japanischen Butoh-Tänzers Gyohei Zaitsou zeigen. Mit einer Audioinstallation greift Marti einen Handlungsfaden der Bilder auf, um eine weitere akustische Parabel zu bilden. Genre- und Themenübergreifend bespielt der Künstler die Ausstellung zwischen 19 und 21 Uhr per Livestream aus Révellion, Frankreich.

Ausstellungsbesprechung: Lubomira Fotografie: Tjefa Wegener

MEMBRANE MEME Text: Lubomira Zürich, 2015 Durch Computer mit anderen Räumen verbunden werden anderen Ländern anderen Dimensionen flowing in space till the dawn falls down undefinierbare Geräusche kratzende Stimmen kommunizierend durch das Netz beeing connected und die Besucher kommen eins zwei drei plus eins zwei drei neugierig lauschend in der Küche verschwindend um an der Projektion teilzunehmen wenn der Butho Tanz digitalisiert wird bewegliche Formen verduften in einem Code null eins null null eins im Universum fliessend unsichtbar auf dem Jabber Chat wo keine Spuren zurückverfolgt werden können mit geheimnisvollen Codes arbeiten kann uns das grosse Auge nicht sehen? jeder wird überwacht jeder wird von den Algorithmen verfolgt sich online verstecken virtuell bis zum Morgengrauen Schluss und alles wird gelöscht! 12


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Lena Lapschina (A)

RUNTIME

Lena Lapschina RUNTIME 7.6.15 | 14 – 24 Uhr

In ihrer für die kunsthallekleinbasel entwickelten Installation «RUNTIME» widmet sich Lena Lapschina dem Phänomen Zeitdruck. Effizienzgetriebene, smarte Leben würden ohne dieses Bedrängtsein gar nicht funk­ tionieren, sagt die Künstlerin, die Zeitdruck als Ergebnis bestimmter An- und Nebeneinanderreihungen von Zeitspannen betrachtet, vergleichbar der Wirkungsweise der Spuren in einem Videoschnittprogramm: Mit großen Zukunftsplänen beschäftigt, wenn nicht gerade in kleinliche Vergangenheitserinnerungen vertieft, gerät Menschen schließlich das Jetzt aus dem Sichtfeld. Ausgerechnet dieses so wesentliche Jetzt, das einmal nur abläuft – nur und gerade jetzt.

Ausstellungsbesprechung: Patrizia Mazzei Fotografie: Léa Girardin

RUNTIME Text: Patrizia Mazzei Zürich, 2015 Beim Betreten des Raums erkennt man ihn sogleich, den rosaroten Duracellhasen aus der Werbung. Schon zu Beginn der 1970er-Jahren wurde er in der Werbung als eingängliches Sinnbild für schier unendliche Ausdauer und Stärke eingesetzt, der als einziger noch mit einem Lächeln läuft, während alle andern erschöpft stehen geblieben sind. Im Gegensatz zu den zurückgebliebenen, umgekippten Verlierern wird vordergründig (beinahe) ewige Ausdauer mit Stärke gleichgesetzt. Durch die Perspektive und Kameraführung der Künstlerin kippt diese Gleichung: das Häschen scheint gestresst, ja fast gehetzt. Was erst harmlos und lustig wirkt, wird durch die Inszenierung zur Parodie. Die körperliche Leistung erscheint lächerlich und wechselt von einem erstrebenswerten Zustand zu einem körperlichen Zustand, der aus Stress und Hektik zu bestehen scheint. Ebenso wie sich die Sonne zum Schatten verhält, so verstärkt das Bewusstsein einer Zeitlichkeit auch dasjenige der Gegenwart und Vergangenheit. Wir sind beschäftigt mit sich überlappenden Zeitsträngen und schweifen in Gedanken zwischen dem was noch zu tun ist, Erinnerungen an das was passiert ist und dem Bewältigen der momentanen Begebenheiten. Oft geht in der omnipräsenten Frage nach der Zeit vergessen, dass nicht sie uns davon eilt, sondern wir selbst entscheiden, wie wir sie einteilen und nutzen. Auch wenn unser voller Terminplan fremdbestimmt erscheinen mag, ist dies meist eine Konsequenz der zuvor getroffenen Entscheidungen. Nicht das Leben an sich hetzt uns, wir bestimmen unser Handeln selbst und entscheiden in welchem Masse Freizeit, Arbeit oder Studium zum Zuge kommen. Lena L ­ apschina zeigt – ganz in dem Sinne wie Christo und 14

J­ eanne-Claude verhüllen um zu enthüllen – den andauernden Kampf mit der Zeit auf, um sich auf ein Hier und Jetzt zu besinnen. Die Niedlichkeit des Hasen, seine ikonografische Qualität und die kollektiven Erinnerung an ein Phänomen der Populärkultur − in Verbindung mit der Geräuschkulisse − lässt auf Parallelen zum alltäglichen eigenen Leben schliessen. Darüber nachzudenken, was eigentlich erstrebenswert, also lebenswert ist, bleibt den Betrachtern überlassen: Folgt das Handeln einer unausgesprochenen Erwartung der Gesellschaft? Oder der eigenen Persönlichkeitsstruktur? Lena Lapschina lässt es in RUNTIME offen und regt so zur Suche nach einer «persönlichen Zeit» an. Neologismen, die sich in den alltäglichen Sprachgebrauch eingeschlichen haben, wiederspiegeln immer auch die Veränderung von sozialen Strukturen und die Entwicklung der Werte einer Gesellschaft. So gehören Zeitmanagement, Work-Live-Balance und Quality Time heute zum alltäglichen deutschen Sprachgebrauch und zeigen wie omnipräsent die Ökonomisierung der Zeit ist und wie man täglich damit konfrontiert wird. Wir sind umgeben von vielen kleinen Hinweisen wie sich die Zeit und unsere Beziehung dazu verändert hat. Lena Lapschina führt dem Betrachter durch Witz und Ironie dieses Verhältnis vor Augen und bringt ihn durch subtile Lenkung mittels Bild- und Tonsprache sich darüber Gedanken zu machen. Wie wir persönlich damit umgehen ist aber uns überlassen. Nennt man es Zeit, Stress, Herausforderung, ist es zeitraubend, lebt man in der Vergangenheit, der Zukunft? Viele Fragen die uns tagtäglich begegnen, mit denen man sich aber nicht immer auseinandersetzten mag, erscheint es auf den ersten Blick doch einfacher sich über Stress zu beklagen und mitzulaufen, als das ganze System zu hinterfragen. Lauf Häschen lauf sonst holt die Zeit, das Jetzt, das schon vorbei ist, dich ein.


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Fabio Nicotera (IT)

PRECARIETÀ

Fabio Nicotera PRECARIETÀ 21.6.2015 | 14 – 24 Uhr

Die Werke in der Ausstellung PRECARITÀ (Präkarität) erzählen von der aktuellen Lebensrealität in der Region Süditalien, in der die irrationalen Auswüchse eines durch und durch korrupten Systems täglich zu Tage treten. Als Basis für die Arbeit «Illuminazione» («Erleuchtung», 2015) dient eine klassische Leinwand, grundiert mit schwarzer Acrylfarbe. Darauf ein rundlicher See aus Weissleim, in dessen Mitte eine goldene, leicht konvexe Zinkschale prangt, wie sie von katholischen Priestern verwendet wird um Hostien zu verteilen. Fabio Nicoteras Arbeiten erzählen vom geheuchelten Prunk in einer prekären Realität.

Ausstellungsbesprechung: Patrizia Mazzei Fotografie: Jasmin Glaab

PRECARIETÀ Text: Patrizia Mazzei Zürich, 2015 Mit dem Ausstellungstitel La precarietà (Prekariat) benennt Fabio Nicotera ein in Italien herrschender sozialer Zustand, in dem ein grosser Teil der Bevölkerung von Arbeitslosigkeit und befristeten Arbeitsverträgen betroffen ist. Besonders die junge Generation muss Kompromisse eingehen, Opfer bringen und auf Vieles verzichten; wenig erstaunlich, dass eine grosse Unzufriedenheit herrscht. Der in Kalabrien geborene Künstler Fabio Nicotera ergibt sich dieser Situation und dessen negativen Konsequenzen aber nicht, sondern versucht die Energie positiv umzuwandeln, indem er diese analysiert und in eine künstlerische Sprache umsetzt. Sein künstlerisches Schaffen ist eine Auseinandersetzung mit dem kargen Alltag und eine Suche nach der ihm dennoch innewohnenden Schönheit. In seinen Bildern greift Nicotera das Thema der precarietà in einer optisch subtilen Form auf und stellt dem harten Alltag der italienischen Gesellschaft eine ästhetische und poetische künstlerische Sprache entgegen. Im Gemälde Illuminazione (2015, Erleuchtung, Belichtung) befindet sich auf einer schwarz bemalten Leinwand eine kreisförmige Lache aus verhärteten Weissleim, auf der eine goldene Patene ruht − eine vasa sacra, die bei der Eucharistiefeier verwendet wird. Das Thema der Absorption steht im Zentrum dieser Werke, verbindet die einzelnen Elemente und nimmt das Thema der finanziell prekären Lebenslage auf. Die schwarze Farbe der Leinwand absorbiert das Licht vollständig während der verhärtete Leim – eine semireflektierende Oberfläche, die einen Teil des Spiegelbildes absorbiert − nur die verschwommene Silhouette einer Figur wiedergibt. Die Patene unterläuft 16

den Blick und die Logik der Betrachtenden, da sie als goldener Spiegel erscheint und durch ihre konkave Form das Abbild des Betrachters kopfüber reflektiert. Sie beraubt ihn seiner Erscheinung, seiner Erwartungen und lässt stattdessen eine neue, unerwartete Realität entstehen. Nicotera stellt so eine Verbindung zur Situation Italiens - die auch seine eigene ist - her: ähnlich dem Vorgang in seinem Gemälde werden die Menschen von der finanziellen und beruflichen Realität des Prekariats absorbiert und je aufgelöst, geschwächt reflektiert oder vollständig auf den Kopf gestellt. Auf einer ästhetischen Ebene verstärken die Werke die Idee der Kraft und Positivität, die in ursprünglich unscheinbaren Materialien und Konstellationen entstehen können. In Nicoteras Arbeiten lassen sich sowohl philosophische wie auch instinktive Herangehensweisen erkennen, in welchen er seine Gedanken und Reflektionen übersetzt. Er bearbeitet sie auf intuitive Weise und lässt im Schaffensprozess den Zufall, die Freiheit mitspielen, wenn beispielsweise der Leim jenseits fester Formgebung fliesst. Nicotera thematisiert seinen Alltag und den eines ganzen Landes und ist dennoch auf der Suche nach einer positiven Wende und Energiequellen. In der Verbindung der desillusionierenden und unmenschlichen Thematik mit Ausdruckskraft und subtiler Sprache liegt die Stärke von Fabio Nicoteras Werken.


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Carola Rümper (D)

SOIL SAMPLES

Carola Rümper SOIL SAMPLES 21.6.15 | 14 – 24 Uhr

SOIL SAMPLES - RÜMPERIENS in Basel: Eine Feldforschung. Während der Zeit der Art Basel wird die Künstlerin Carola Rümper in der Innenstadt von Basel Bodenproben sammeln. Anhand der Bodenproben hofft sie Spuren von Exkrementen der RÜMPERIENS zu entdecken. Die RÜMPERIENS sind eine unbekannte Erscheinungsform, die seit Jahren von der Künstlerin Carola Rümper erforscht wird. In den bisher bekannten Verbreitungsgebieten Deutschland, Russland, Ägypten, Alaska und der Schweiz wurden insgesamt bereits 162.341 Exemplare gezählt. Am Sonntag 21. Juni ist in der kunsthallekleinbasel eine Dokumentation der aktuellen Forschungsergebnisse zu sehen.

Ausstellungsbesprechung: Jasmin Glaab Fotografie: Jasmin Glaab

LEBENSRÄUME Text: Jasmin Glaab Basel, 2015 Im öffentlichen Raum begibt sich Carola Rümper auf die Suche nach der von ihr entdeckten und nach ihr benannten Spezies «RÜMPERIENS». Am Morgen des 19. Juni 2015 bricht sie auf, mit Rucksack und Stadtplan bepackt, zu ihrer Expedition im Kleinbasel. Um nach möglichen Lebensräumen der «RÜMPERIENS» zu forschen hat sie zuvor umfangreich recherchiert und geht ihren Vermutungen nun im Dialog mit PassantInnen nach. «Entschuldigen Sie bitte, ich suche hier nach den RÜMPERIENS, einer Lebensform die sieht ungefähr so aus. Ich vermute hier in dieser Gegend RÜMPERIENS, haben Sie vielleicht welche gesehen?» spricht Rümper eine Passantin an und streckt ihr die Abbildung eines RÜMPERIENS unter die Nase – schon beginnt das Gespräch. Die scheuen RÜMPERIENS finden sich selten in Einkaufsstrassen oder an Bushaltestellen, sondern oftmals an Orten im öffentlichen Raum die nicht klar determiniert sind, vielleicht brach liegen oder als «Unorte» wahrgenommen werden. Rümper nimmt dort Bodenproben. Diese finden sich später in der Ausstellung in kleinen Plastikbehältern, fein säuberlich aufgereiht und beschriftet: «B1 - Fundort: Sperrstrasse 11». Die entsprechenden Fundorte im öffentlichen Raum markiert die Künstlerin mit Schildern. Mit der Behauptung, es handle sich bei diesen Orten um den Lebensraum der unbekannten Spezies, eröffnet Rümper den PassantInnen im öffentlichen Raum und später den AusstellungsbesucherInnen einen neuen Blick auf ihre direkte Umgebung und erfährt auch deren Geschichten und Bezüge. Es findet ein Wissensaustausch statt und die Bedeutung dieser Lebensräume wird neu verhandelt. Nebst den Bodenproben sind in der Ausstellung «SOIL 18

SAMPLES» auch die sorgfältig ausgesuchten Forschungsutensilien zu sehen, welche Rümper für ihre Expeditionen verwendet. Die verschiedenen Gegenstände, wie Lupe, Klappstuhl, Digitalkamera, Pinsel, Schaber oder Feldstecher, sind als Auslegeordnung arrangiert. Eine Diashow mit Fotografien zeigt Rümpers Expeditionen und stellt den Bezug zu den Interventionen ausserhalb des Ausstellungsraumes her. Auch detailgetreue Nachbildungen der RÜMPERIENS, kleine schwarze Figuren aus Plastiform, fehlen nicht. Und wer sich in den alten verlebten Keller der Sperrstrasse 7 wagt, hat die Möglichkeit lebende Rümperiens zu besichtigen, denn auch hier wurden sie gesichtet. Seit 2007 arbeitet Rümper an dem Projekt, war schon in Sumpf- und Wüstenlandschafen oder im Grossstadt­ dschungel von Berlin und Kairo unterwegs. Je nach Umgebung agiert sie anders, wobei die verschiedenen Medien Performance, Skulptur oder Fotografie unterschiedlich zum Einsatz kommen. Das vielschichtige Projekt hat immer einen kontext- und ortsspezifischen Aspekt und ist auf Partizipation ausgelegt. Rümper konstruiert mit einfachen Mitteln eine Auseinandersetzung mit Menschen, die ausserhalb einer konsumorientierten Logik funktioniert und die Wahrnehmung des eigenen Lebensraumes ins Zentrum rückt. Eine Arbeit die davon lebt, dass sie aus dem Ausstellungsraum ausbricht und in die Gesellschaft hineinwirkt.


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Luca Piazzalonga (CH)

IATTOT

Luca Piazzalonga IATTOT 5.7.15 | 14 – 24 Uhr

In der Ausstellung «I A T T O T» ist die mehrteilige Installation «LETZTES GEFECHT DES ZIVILISATIONSNEUROTIKERS» (Basel, 2015), eine Leihgabe der Kiwi Property Group, zu sehen. Erstmalig ausgestellt im Rahmen des Projekts «ATOPIE», wurde die Installation des Künstlers nach nur einem Tag unter Verschluss genommen. Dank zahlreicher Bemühungen konnte erwirkt werden, dass die Installation in der kunsthallekleinbasel noch einmal gezeigt werden kann, bevor sie in die Sammlung der Kiwi Property Group an die Kannenfeldstrasse 59 zurückgebracht wird.

Ausstellungsbesprechung: Jasmin Glaab Fotografie: Ioana Mitrea

LEGAL ILLEGAL SCHEISSEGAL Text: Jasmin Glaab Basel, 2015 Luca Piazzalonga macht. Er lädt eine halbe Tonne Essiggurken auf einen Laster und fährt damit zwei Stunden durch die Stadt Basel. «Befreit die Elefanten! Befreit die Elefanten! Wir sind die Militante Elefanten Befreiungsfront» schreien er und seine MitperformerInnen, während sie Schachtelweise Essiggurken auf dem Boden verteilen. Nach einer Weile kommen einige Polizeibeamte dazu: «Was tun sie hier? Ist das ein Kunstprojekt?», fragt einer der Beamten. «Nein, wir befreien Elefanten. Wir sind die Militante Elefanten Befreiungsfront. Wir kämpfen gegen die Unterdrückung der Elefanten». Nach einem kurzen Gespräch zieht sich die Polizei zurück und der Konvoi mit Lastfahrzeug und PerformerInnen, dem sich inzwischen auch ein Team der Stadtreinigung angeschlossen hatte, um die befreiten Elefanten wieder einzusammeln, setzt sich wieder in Bewegung. Ist das Kunst? Ist das eine Performance, welche das Publikum – PassantInnen, Polizeibeamte, Reinigungsfachkräfte – einbezieht und ihnen die Möglichkeit bietet unter Eigenregie zu zentralen AkteurInnen dieser künstlerischen Arbeit zu werden? Oder ist das einfach Pöbelei und grober Unfug? Wer die Arbeiten der Georgischen Künstlergruppe «WOINA» kennt, der weiss, dass radikaler Aktivismus schon längst als Teil des Kanons künstlerischer Arbeitsweisen gesehen werden kann. Wie die AktivistInnen der Gruppe «WOINA» sucht Piazzalonga einen Lebensentwurf ausserhalb der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Seine Arbeiten gehen auf‘s Ganze: «legal, illegal, scheissegal!» und wären nicht durchzuführen ohne demonstrativ auf den eigenen Gesellschaftlichen Status, auf die eigene weisse Weste zu scheissen. 20

In der kunsthallekleinbasel stellt Piazzalonga die Arbeit «LETZTES GEFECHT DES ZILISATIONSNEUROTIKERS» aus. Die raumfüllende Installation besteht aus einem Luftbefeuchter und einem Luftentfeuchter. Zwei Maschinen deren Zweck durch die gleichzeitige Präsenz beider ad absurdum geführt wird. Ein Phänomen welches in unserer Gesellschaft vielerorts zu beobachten ist. Die Produktionsabläufe im globalen Kontext sind bekanntermassen zu grossen Teilen absurd organisiert, weil energietechnisch absolut ineffizient. Und diesem ganzen Unfug stülpen wird dann das Prädikat «Zivilisiert» über und leben eine Ordnung in der absurde Besitzverhältnisse «zivilisierterweise» mehr Wert sind als du und ich. Weiter zeigt Piazzalonga die aktuelle Fotoserie «PTOJEKT» (Basel, 2015). Sämtliche Fotografien sind mit dem iPhone 4 entstanden und wurden keiner weiteren Bearbeitung unterzogen. Die Banalität des Fotografierten verschwimmt zum abstrakten Bild und wo die Bildqualität zurückbleibt, muss das Auge arbeiten.


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Auswärtsspiele

BOZZETTO EXTRAVAGANZA

Cabaret Voltaire in Zürich BOZZETTO EXTRAVAGANZA Donnerstag 16. April 2015 | ab 19:30 Uhr

Performative Präsentation zum Projekt und der ersten Publikation. In Zusammenarbeit mit dem Amsel Verlag Zürich und Studierenden der ZHdK. Performance: Jasmin Glaab, Corina Heinrich, Mattia ­Innocenti, Milenko Lazic Dokumentation: Sonja Berta

Showroom Galleria Editioni Periferia in Luzern DISKURSIVE_3 Freitag 29. Mai 2015 | ab 14:30 Uhr

DISKURSIVE_3 Referat und Publikumsgespräch mit Jasmin Glaab

Jasmin Glaab und Milenko Lazic Cabaret Voltaire Video: Sonja Berta (Videostill) Zürich, 2015 22


Impressum Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellungsreihe kunsthallekleinbasel 2 vom 1. März bis 5. Juli 2015. Publikation Herausgeberin: Jasmin Glaab Text: Jasmin Glaab Joanna Kamm Lubomira Patrizia Mazzei Alice Wilke Ana Vujic Fotografie: Léa Girardin Jasmin Glaab Hans Kamm Ioana Mitrea Tjefa Wegener Grafik: Lukas Meier Layout: Silvio Grimm Korrektorat: L. N. Druck: Newpress, Smederevo (SRB) Auflage: 200 Dank Christoff Galvào Marco Kleiner Florian Ochsé Pavlina Rutarova Jela L. Erschienen bei Amsel Verlag Zürich Limmatstrasse 197 8005 Zürich www.amselverlag.ch © 2015 die AutorInnen, die KünstlerInnen, die FotografInnen ISBN 978-3-906325-06-4 23


(JU)