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Zeitschrift für aktuelle Fragen
Nr. 123 2015 Euro 3,50 www.kulturelemente.org info@kulturelemente.org redaktion@kulturelemente.org
Herausgegeben von der D i s t e l - Ve r e i n i g u n g
Felix Fiedler
Monument und Doppelmoral
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Eine Ideologiekritik des Gedenkens nimmt der Psychologe und Kunsthistoriker Felix Fiedler vor.
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Zur postsowjetischen Neuerfindung der Nation anhand von Denkmälern äußert sich Kunsthistorikerin Anna Fech.
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Der Triestiner Philosoph Giovanni Leghissa analysiert die Notwendigkeit und Unmöglichkeit eines Monuments für Europa
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Filmhistoriker Paolo Caneppele erörtert entlang der Avantgarde-Filme Kubelkas die Möglichkeit des Films als Monument.
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Kulturjournalistin Edith Moroder blickt zurück in das Bozen der 1970er Jahre und die damaligen Debatten um das Siegesdenkmal.
Zur Ideologiekritik des Gedenkens im 21. Jahrhundert.
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chen sie allgemeine und dauerhafte Geltung, motivieren also politischen Widerspruch und ästhetische Kompromissbildungen, mit denen es sich eine Weile leben lässt.
Die Galerie präsentiert in einem historischen Rückblick Ergebnisse des Ideenwettbewerbs zum Siegesdenkmal von 1979.
Die historische Denkmalsflut breitete sich seit 1800 parallel zur rohen Dynamik des jungen Kapitalismus aus. Standbilder des Adels und seines Militärs konkurrierten von nun an mit Denkmalssetzungen unterschiedlicher Fraktionen des entstehenden nationalen Bürgertums. Ihre überkommenen Privilegien wurden nicht erst durch republikanische Ideale untergraben. Sie wurden ganz praktisch ausgehöhlt durch den bald allgegenwärtigen Zwang kapitalistischer Akkumulation, und durch die Zentralisierung gesellschaftlicher Ressourcen in konkurrierenden Staatsapparaten. Diese gesellschaftliche Revolution und die Institutionalisierung ihrer sozialen Gegensätze führte zu einer Explosion der Zeichen. Die leeren Symbole und Rituale der alten Ordnung wurden zu Spielmarken in der neuen Arena nationaler Öffentlichkeit. Doch gerade weil das
Fotostrecke Pierfabrizio Paradiso untersucht mit seinen Bildern die performative Beziehung zwischen Monument und BesucherInnen als Audience.
Foto: Pierfabrizio Paradiso, Pergamon
Das 19. Jahrhundert galt schon zeitgenössischen Autoren als Epoche einer fragwürdigen „Denkmalswut“, „Denkmalsmanie“, ja "Denkmalspest". Doch nie wurden so viele Denkmale errichtet, nie wurde so ausführlich über bestehende gestritten wie heute, im Zeitalter krisenhafter neoliberaler Globalisierung. Der Zusammenbruch glaubwürdiger politischer Utopien hat auch in Westeuropa das Bedürfnis nach historischer Sinnstiftung erneuert. Dabei kommen auch künstlerische Ansätze eines selbstkritischen Gedenkens zum Tragen, die in Deutschland und Österreich in Auseinandersetzung mit dem Holocaust entwickelt wurden. Inzwischen zeigt sich aber, dass solche „Gegenmonumente“ ihrerseits für ideologische Entlastung sorgen, als Ausweis einer kollektiven moralischen Läuterung. Diese inzwischen weit verbreitete Haltung droht u.a. die längst überfällige Aufarbeitung der europäischen Kolonialverbrechen zu entschärfen. Post- und neokoloniale Hierarchien hier und heute werden im Modus des Gedenkens vom historischen Kolonialismus abgespalten, und erscheinen so als Verschulden der Betroffenen selbst. Das zeigt sich gegenwärtig unter anderem in der europäischen Flüchtlingsabwehr und der
verbreiteten Stigmatisierung sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge. Monument als historische Form Auch wenn die industrialisierte Menschheit ihre Freizeit größtenteils vor dem Fernseher und in virtuellen Räumen verbringt, sind Denkmale und Denkmalsdebatten noch immer zentral zur Absicherung der politischen Moral. Um ihnen dabei nicht auf den Leim zu gehen, ist ein historischer Exkurs notwendig. Wer was in den öffentlichen Raum stellen darf, das ist noch immer eine Frage staatlicher Regulierung, und die ist in der bürgerlichen Gesellschaft grundsätzlich widersprüchlich: Konkurrenz und Ausbeutung sind Privatsache, der soziale Kitt muss kulturell produziert werden. Monumente sind dafür ideale Objekte, denn in ihrer exklusiven Präsenz beanspru-
Autor Mauro Sperandio erzählt in einem Rundgang durch Venedig, warum es in der Lagunenstadt keine Denkmäler gibt, die Personen darstellen.