Das Schlafmagazin 1-2012

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Produktion gestoppt mit der Folge, dass bei uns nachts regelmäßig dieses Hormon ausgeschüttet wird – somit ist es sozusagen ein „Dunkelhormon“. Wird der Mensch nachts einem Licht von über 2500 Lux ausgesetzt, reduziert sich die Ausschüttung dieses Hormons sofort – und wir werden hellwach. Deshalb sollte man, wenn man nachts zur Toilette gehen muss, nach Möglichkeit nur gedämpftes Licht einschalten. So findet man nach erledigtem Geschäft schnell wieder in den Schlaf zurück. Was bewirkt nun dieser Gegenspieler des Lichts? Melatonin löst sehr komplexe Wirkungen aus. So greift es beispielsweise modulierend in unser Immunsystem ein; bei Stress findet ein Anstieg der Melatoninproduktion statt. Im Tierversuch führt Melatonin zur Schrumpfung der Keimdrüsen (Hoden, Eierstöcke); wegen dieser Deaktivierung des Reproduktionssystems wurde auch in den Sechziger- und Siebzigerjahren versucht, den Stoff als Kontrazeptivum einzusetzen, als Antibabypille sozusagen. Auf den Menschen wirkt Melatonin schlafanstoßend und stimmungsdrückend und stellt unseren Organismus auf den Schlaf ein. Hierzu gehört ja nicht nur die schlafanstoßende Wirkung, sondern auch die Umstellung vom ergotropen (auf Aktivität ausgerichteten) Funktionszustand des Tages auf den trophotropen (auf Ruhe ausgerichteten) Zustand der Nacht, der fast alle unsere Funktionen betrifft.

Auch Menschen halten „Winterschlaf“ Die Melatoninausschüttung ist vom Licht abhängig, und dieses verändert sich ja nicht nur über Tag und Nacht, sondern auch, wie bereits erwähnt, übers Jahr hinweg. Die Jahreszeiten sind vor allem durch klimatische Veränderungen, aber auch durch die Änderung der Tageslänge und -helligkeit gekennzeichnet. Die Lebewesen in der Natur sind diesen Schwankungen ständig ausgesetzt. Dies traf sicher auch auf den Menschen der Urzeit zu; aber selbst in unserer heutigen technisierten Welt können wir uns den jahreszeitlichen Veränderungen nicht gänzlich entziehen. Von daher könnte man die Murmeltiere

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beneiden. Werden die Nächte lang und die Tage kürzer, ist es draußen meist düster und kalt, so fallen sie in den Winterschlaf. Wir dagegen leben fast im gleichen Rhythmus weiter. Aber nur fast, denn ein wenig „Winterschlaf“ halten auch wir. Wir schlafen länger als im Sommer, sind weniger aktiv, unsere Stimmung ist eher gedrückt, wir sind müder als sonst, und viele unserer Körperfunktionen arbeiten im Schongang. Offenbar passen sich unsere Lebensvorgänge den Jahreszeiten an, und früher war das auch sinnvoll, denn für unsere Vorfahren war das Nahrungsangebot knapp, und die lebensfeindlichen Umweltbedingungen legten es nahe, sich in eine Höhle zurückzuziehen, auf Sparflamme zu schalten und zu „warten“, bis es wieder hell und warm wurde. Verursacht werden diese so genannten saisonalen Schwankungen in unseren Körperfunktionen und unserer Stimmungslage vor allem durch die Änderung des Tageslichts. Der Wintertag ist nur halb so lang und nicht so hell wie ein Sommertag. Somit gelangt weniger helles Licht über die Augen auf die suprachiasmatischen Kerne, und die Ausschüttung des Hormons Melatonin wird verstärkt. Deshalb sind wir im Winter müder, weniger aktiv, hungriger, unsere Stimmung verschlechtert sich, und wir schlafen mehr. Also: Weniger Tageslicht versetzt uns in den „Winterschlaf“. Umgekehrt wirkt helles Licht gegen Müdigkeit – diese Erkenntnis hat inzwischen auch bei den Architekten Beachtung gefunden. Nicht zufällig wendet sich die Architektur schon seit längerer Zeit wieder dem Tageslicht zu. Das ist z. B. daran abzulesen, dass neue Verwaltungsgebäude nicht mehr mit überwiegend künstlich beleuchteten Großräumen geplant werden, sondern mit fensterund damit tageslichtorientierten Einzel- oder Kombibüros. Auch greifen Architekten und Lichtplaner die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Photobiologie nun gezielt auf und setzen sie um: So achtet man beispielsweise bei der Gestaltung von

Altersheimen auf viel Tageslicht und hohe Beleuchtungsstärken, um Schlafstörungen zu mildern und die Aufmerksamkeit der Senioren tagsüber zu verbessern.

Licht macht gute Laune Eine vor einiger Zeit erschienene wissenschaftliche Arbeit berichtet, dass in einer Klinik die depressiven Patienten, die zufälligerweise in den Zimmern auf der Südseite des Gebäudes untergebracht waren, eine signifikant kürzere Aufenthaltsdauer aufwiesen als solche, deren Zimmer auf der Nordseite lagen. Die helleren Zimmer an der Südseite wirkten also gleichsam wie eine antidepressive Therapie, obwohl das gar nicht beabsichtigt war. Tatsächlich hat Licht eine stimmungsaufhellende Wirkung. Und genau das fehlt uns im Winter. Statistisch gesehen leiden 31 % der Bevölkerung im Winter unter einer deutlichen Stimmungsverschlechterung. Mehr oder weniger erlebt es jedoch fast jeder, dass im Winter seine Stimmung gedrückter ist. Als Krankheitsbild wird diese Störung Winterdepression oder saisonal abhängige Depressionsform (Seasonal Affective Disorder, kurz: SAD) genannt, ist international anerkannt und wird in den offiziellen Diagnosekriterien, die auch in Deutschland verwendet werden, aufgeführt. Mit einer Häufigkeit von ca. 10 % der Bevölkerung kommt diese Depression natürlich seltener vor als die weit verbreitete Verstimmung im Winter. Und sie tritt vor allem in nördlichen Regionen auf. So


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