dreizehn, Ausgabe 4

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„Der Jugendsozialarbeit fehlt es an der Steuerungsfunktion“ des SGB II und des SGB VIII deutlich. Konkret ist der Anwen-

Junge Menschen brauchen zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung

dungsbereich des § 13 SGB VIII mit dem Inkrafttreten des SGB II

mehr als Vermittlung in lediglich regelmäßig verfügbare Arbeitsge-

tatsächlich insoweit eingeschränkt worden, als die Leistungsträger

legenheiten. Sie sollen in Selbstbestimmung sozial lernen können,

des SGB II nach § 3 Abs. 2 Satz 1 für junge Menschen grundsätz-

ohne durch den fremdbestimmten Druck zur Mitwirkung ständig

lich einen (unverzüglichen) Vermittlungsvorrang in Arbeit, Ausbil-

vor der Drohung oder Durchführung übermäßiger Sanktionen zu

dung und Arbeitsgelegenheit erhalten haben. Hintergrund dieses

stehen. Nach meinen Feststellungen sind aber die Leistungszwe-

besonderen gesetzlichen Vermittlungsdiktates ist der Anspruch des

cke des SGB II und SGB VIII grundsätzlich so unterschiedlich,

Gesetzgebers, Jugendarbeitslosigkeit nach Erfüllung der Schul-

dass sie miteinander so unvereinbar sind wie Feuer und Wasser.

pflicht weitestgehend zu reduzieren, um dadurch zu vermeiden,

Dies wurde verstärkt durch die letzte Reform der arbeitsmarkt-

dass sich junge Arbeitslose an den Bezug von Sozialleistungen

politischen Instrumente, die das Regiment des SGB III und seiner

gewöhnen. Andererseits greift dieser nur dann, wenn die Leis-

Ausschreibungspraxis noch weiter ausgedehnt und – wie etwa mit

tungsberechtigten über keinen Berufsabschluss verfügen, keinen

dem Wegfall der sonstigen weiteren Leistungen (§ 16 Abs. 2 SGB

speziell sozialpädagogischen Hilfebedarf haben und nur so lange,

II) – Handlungsspielräume und Fördermöglichkeiten weiter einge-

wie die Vermittlungsbemühungen der Leistungsträger des SGB II

schränkt hat.

in vorrangig Ausbildung und in dazu nachrangig qualifizierende

Hilfe erforderlich wird.

Kann Kooperation trotzdem gelingen?

Grundsätzlich konkurrieren in den Auffassungen um die Gestal-

In der Praxis bzw. der erforderlichen Anwendung kann sich die

tungsoptionen des § 13 SGB VIII zwei Ansichten, die auch Ein-

Jugendsozialarbeit gegenwärtig nicht gegenüber den Problemen

fluss auf die Auslegung der hier fraglichen Leistungskonkurrenz

der Leistungskonkurrenz zwischen dem SGB II und § 13 SGB VIII

nehmen:

behaupten. Gibt es überhaupt Chancen, unter Wahrung des jeweils

• Die einen plädieren jugendhilfepolitisch für eine weite Ausge-

eigenständigen und gegensätzlichen Leistungsprofils beider Leis-

staltung der sozialpädagogischen Anteile im SGB II/SGB III

tungsträger koproduktive Ansätze im jeweils gesetzlichen Rahmen

und favorisieren die Arbeitsmarktintegration als maßgebliche

zu finden?

Beschäftigung nicht daran scheitern, dass wegen des erhöhten Unterstützungsbedarfs nach § 13 Abs.1 SGB VIII sozialpädagogische 1

Grundlage sozialer Integration junger Menschen mit sozialen Eine Kooperation ist möglich, die bestehenden Probleme in der

Benachteiligungen (sog. lohnarbeitszentrierte Position).

Praxis bezüglich der Schnittstelle SGB II und SGB VIII haben je-

• Die anderen vertreten die Auffassung, dass der gesetzliche Alleinstellungsauftrag des SGB VIII, das Recht junger Menschen

doch insbesondere drei Gründe:

auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemein-

• Eine verantwortliche Steuerungsfunktion der Jugendsozialarbeit

schaftsfähigen Persönlichkeit (vgl. § 1 Abs. 1 SGB VIII), eine

fehlt: Zu einer hilfebedarfsgerechten Gestaltung der Schnittstel-

originäre Aufgabe der Jugendhilfe sei und bleiben müsse und

le zwischen dem SGB II und § 13 SGB VIII gehört auch ganz

diese besondere Aufgabenstellung des § 13 SGB VIII dringend

wesentlich eine deutlichere Verfahrensverantwortung der Jugend-

zu stärken sei. Dies deshalb, weil für einige Zielgruppen der Ju-

hilfe/Jugendsozialarbeit. Es fehlt in diesem Bereich eine Steue-

gendsozialarbeit (z. B. Schulverweigerer, Ausbildungsabbrecher,

rungsfunktion mit einem Prozessverantwortlichen, der den Ent-

Dauerarbeitslose, Wohnungslose, Überschuldete, junge Men-

wicklungsprozess des jungen Menschen übergreifend begleitet.

schen ohne festen Aufenthaltsstatus, Straßencliquen) nicht die

• Sondersanktionierungen für junge Menschen (U25): Die uner-

dauerhafte Arbeitsmarktintegration an erster Stelle stehe (sog.

träglichen Sondersanktionsfolgen für junge Menschen im SGB

Aliud-Position).

II, wie sie im IAB-Kurzbericht 10/2010 dargestellt sind, müssen beseitigt werden. Allerdings bleibt unter den Kommentatoren

Als Vertreter dieser Aliud-Position gehe ich davon aus, dass der

des Jugendhilferechts der leistungskonkurrente Umgang mit

Gesetzgeber des SGB II die Regelungen des § 13 SGB VIII des-

den Sanktionsfolgen des SGB II für junge Menschen strittig. Die

halb unberührt gelassen hat, weil er offensichtlich wollte, dass die

einen vertreten die Auffassung, dass hier der Vorrang des SGB

Aufgaben und jugendhilfespezifischen Methoden der Jugendsozi-

II gelten solle und danach junge Menschen, die ihren Anspruch

alarbeit nicht ersetzt, sondern durch das SGB II nur ergänzt wer-

auf Geldleistungen nach dem SGB II verloren haben, nicht auf

den sollten. In diesem Sinne ist der weitergehende Förderaspekt

Leistungen des § 13 SGB VIII zugreifen können. Die Gegen-

der sozialen Integration für sozial benachteiligte oder individuell

position, die auch ich vertrete, geht – ähnlich wie das SGB XII

beeinträchtigte junge Menschen gesetzeskonform anzuwenden:

– von dem jeweils aktuellen tatsächlichen Bedarf eines jungen

dreizehn Heft 4 2011

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Die Analyse


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