kinki magazin - #39

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or favor, wir leben doch im 21. Jahrhundert, sagte eine chilenische Freundin, als sie vor ein paar Jahren heiratete. Im Geschäft hatte man ihr ein langes Kleid mit einem ausladenden Reifenunterrock verkaufen wollen. Ja, wir leben zwar im iPhone-Zeitalter, aber am Tag der Hochzeit scheinen für viele Frauen trotzdem modische Gesetze anderer Epochen zu gelten. Seide, Tüll und Spitzen lassen Roben wahr werden, bei denen einem Hören und Sehen vergeht. Zarte Schleier wippen über Hochsteckfrisuren auf dem Weg zum Traualtar auf und ab. Perlendiademe werden in Kurzhaarfrisuren mit Strähnchen gesteckt, auf den Köpfen derer, die sonst als vernünftige, patente Frauen durchs Leben gehen. Hat die weisse Hochzeit vielleicht einen persönlichkeitsverändernden Charakter?

Eine Erfolgsgeschichte

Über die Hochzeit sprechen alle gerne. Die, die in Weiss geheiratet haben sowieso. Bei einem Besuch im Spital vergisst ein befreundetes Paar die eben stattgefundene Operation, um sich mit Freude an seine weissen Hochzeit zu erinnern. Susanna, eine Frau im besten Alter, ist zwar nie vor dem Pfarrer gestanden, wüsste aber haargenau, was sie zu ihrer Hochzeit trüge, nämlich ein crèmefarbenes Empirekleid. Karin und Natascha haben zwar ‹nur› vor dem Standesbeamten geheiratet, trotzdem geben sie zu gerne Auskunft darüber, wieso sie in Weiss geheiratet haben. Die Hochzeit ist eine Erfolgsgeschichte, und mit ihr das weisse Brautkleid. Obwohl sich dieses auf den ersten Blick konservativ gibt, wäre es falsch anzunehmen, dass es um sein Überleben fürchten müsste. Im Gegenteil: es befindet sich seit Jahrzehnten im Dauer-Hoch.

Wie modern darf ein Brautkleid sein?

Mit den Adelshochzeiten in England und Monaco hatte das weisse Hochzeitskleid diesen Sommer ganz grosse Auftritte. Seiten- und ganze Hefte lang wurden alle Details der Hochzeit und natürlich die Roben der Bräute unter die Lupe genommen. Kate Middletons Kleid – lang, weiss, reich an Spitze, aber sonst eher schlicht – wurde als ‹Mischung zwischen Klassik und Moderne› gelobt. Moderne? Da möchte man gerne wissen, was denn das moderne Element an diesem Kleid gewesen sein mag. Einer hat darauf eine Antwort parat. Urs Wehrle, Inhaber von fünf Fachgeschäften für Brautmode in der Deutschen und Französischen Schweiz und damit nach eigenen Angaben der grösste Anbieter von Brautmode auf dem Schweizer Markt, weiss Bescheid, wenn es um Hochzeit und Brautkleider geht. ‹Adlige Bräute tragen bei Hochzeiten oft verhältnismässig klassische Kleider. Dasjenige der Südafrikanischen Schwimmerin Charlene Wittstock war ein Traum, aber das Kleid von Kate Middleton war unspektakulär, das würde in der Schweiz nicht gekauft werden.› Dass die Brautmode generell keinen modischen Strömungen unterliege, verneint er vehement: ‹Das ist eine total falsche Annahme. In den 90er-

Jahren kamen Brautkleider kurz und geschnürt daher. Im Moment sind nur etwa fünf Prozent der verkauften Brautkleider kurz.› Der Hochzeitsmode ergehe es wie der Jeansmode: Alle Welt denke, da passiere nie etwas. Die Jeansmode sei seiner Meinung nach wohl das innovativste Modesegment überhaupt.

Finde die Braut

Doch zurück zum Traum in Weiss. Die gängige Meinung, das Weiss des Hochzeitskleides symbolisiere die Jungfräulichkeit der Braut, ist höchstens halb richtig. Ironischerweise wurde Weiss als Farbe des Hochzeitskleides erst so richtig erfolgreich, als es für die Frauen immer weniger notwendig wurde, jungfräulich in die Ehe zu gelangen. Auf Fotografien von Hochzeitsgesellschaften aus Nordwestfrankreich Ende des 19. Jahrhunderts muss man erst einmal genau hinschauen, bis man die Braut erkennt. Daran ist nicht nur die Vergilbtheit des Schwarzweissbildes schuld: Die Braut trägt, wie alle anderen Frauen der Gruppe, eine schwarze Tracht. Gerade um 1900 herum war die Braut in Schwarz in ländlichen Gegenden Europas keine Seltenheit. Denn ein Hochzeitskleid sollte nach Möglichkeit für andere Festlichkeiten weiterhin seine Dienste leisten. Da war schwarz dankbar. Und davor war vieles möglich. Kostümhistoriker sprechen von rotgekleideten Bräuten im Alten Rom, wiesengrünen in der Renaissance und gar von bonbonfarbenen in der Biedermeierzeit. Das weisse Brautkleid setzte sich erst im 19. Jahrhundert im Bürgertum durch. Zum Stereotyp wurde die weisse Braut also vor relativ kurzer Zeit.

Starke Farbe

Wieso die weisse Robe schliesslich alles andere aus dem Ring schlug – dazu gibt es verschiedene Meinungen: ein leichterer Zugang zu weissen Stoffen habe eine Rolle gespielt, oder Hollywoods Filme und deren Bräute hätten starke kollektive Bilder hinterlassen. Urs Wehrle hat da seine eigene kurze und bündige Theorie: ‹Weiss ist einfach die stärkste Farbe.› Da hat er recht: Eine weisse Braut sticht immer aus der Menge heraus. Zusammen mit Hut, Schleier oder Brautkranz ist sie in den meisten Gesellschaften auf dieser Welt heute eindeutig als Braut kodiert. Auch, oder gerade weil sie in einem Kleid auftritt, das von seinem Schnitt her der gegenwärtigen Alltagsmode eher etwas hinterher hinkt. ‹Das konventionelle Brautkleid von heute verbindet noch immer Elemente des Brautkleides aus dem 19. Jahrhundert: ein eng geschnittenes Oberteil und eine schmale Taille mit langem weitem Rock›, erklärt Ursula Karbacher, Kuratorin am Textilmuseum in St. Gallen.

Gut gepflegter Mythos

Vielleicht ist die Frage nach dem Zeitgemässen in der Brautmode einfach verkehrt gestellt. Urs Wehrle ist zweifellos ein guter Verkäufer, aber es ist ihm ernst, wenn er sagt: ‹Bei einer Hochzeit geht es doch heute immer noch um genau das Gleiche wie in allen Zeiten zuvor. Die Liebe ist ein Urgefühl. Man will sich nicht mehr loslassen und der Welt gegenüber Zeug91

nis von seinen Gefühlen abgeben.› Dieses Zeugnis abgeben wollen, durchdringt als riesige Sehnsucht alle Zeiten und viele Gesellschaften, und deswegen gab es in jeder Hochzivilisation eine Form der Ehe. Diese scheint immer ein grosser Akt und Tag für das Brautpaar gewesen zu sein, ob es sich da um eine arrangierte Hochzeit der Renaissance unter Adligen oder um eine nachrevolutionäre Liebesheirat des 19. Jahrhunderts handelte. Das hat sich nicht geändert – im Gegenteil. In unserer bis zum Gehtnichtmehr

‹Bei einer Hochzeit geht es heute um genau das Gleiche wie in allen Zeiten davor.› technologisierten Welt vielleicht noch weniger als jemals zuvor. Die Hochzeit ist heute ein gut gepflegter Mythos. Damit bietet sie den geeigneten Hintergrund für einen grossen Auftritt. Einmal im Leben alles Mittelmässige hinter sich lassen. Die Schönste sein. Sich selber erfinden. Im grossen Kleid die grosse Liebe kriegen. Bigger than Life! Die Hochzeit war schon immer ein Akt der Transformation, der Verwandlung. Der Hochzeitsschleier macht dies noch heute anschaulich. Und ohne ‹Hochzeitstoilette›, wie es früher hiess, wäre diese Metamorphose undenkbar. Deswegen steht die typische weisse Braut von heute in eng anliegender Korsage, in einem von Reifen gehaltenen weiten Rock, schulterfrei und mit Schleier vor dem Traualtar. Allen Leggins, Ballerinas und Hängerkleidchen zum Trotz. Ach ja, die chilenische Freundin, die ich eingangs erwähnte, heiratete übrigens tatsächlich nicht in Weiss. Dafür aber in einem langen, geblümten Kleid mit gerafftem Ausschnitt, in dem sie etwas von einer Saloonlady des Wilden Westens hatte. Metamorphosen können unterschiedlich sein. Bei ihrer eigenen Hochzeit hat die Autorin Sandra Schweizer Csillany nur ein nüchternes Zivilstandsamt von innen gesehen. Im nächsten Leben möchte sie aber unbedingt eine todschicke weisse Braut sein.


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