UPDATE Schwarzwald

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VIELFALT, HALTUNG UND FLUGHÖHE Köbi Gantenbein

Heute Morgen in der Frühe fuhr ich mit der Eisenbahn von Freiburg nach Aha. So heisst die nächste Station zu Menzenschwand. Diese reizende Bahnfahrt ist eine Einführung in die Schönheit und die Lehre der Vielfalt, der kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt zuerst. Der Bahnhof Freiburg ist ein ICE-Mocken, feist, konsumgeladen und selbstbewusst, je weiter die «Höllentalbahn», wie der Regionalzug hier heisst, fährt, umso mehr wird sie zum Bähnli, bald schon rottelt und rüttelt es und hat nur noch ein Geleise statt der Vielfachtrassen der Metropole. Seine Stationen werden zu Bahnhöfli mit wunderschönen Namen wie «Himmelreich». Und entsprechender Architektur: Die Normschilder der Deutschen Bahn haben die handgemalten Buchstaben noch nicht verdrängen, das Industrial Design noch nicht die hölzernen Laubsägeli-Fassaden der Stationsgebäude verjagen können. Und statt expressschnell geht’s langsam aufwärts bis auf 1000 m.ü.M. So hat der Passagier Zeit, nicht nur die kulturelle Differenz des Bahnapparates zu würdigen, sondern auch aus dem Fenster zu schauen: Grün in aller Vielfalt – hell-, linden-, blau-, gelb- und dunkelgrün. Und natürlich schwarzgrün, denn wir sind ja im Schwarzwald, wo der Tannhäuser, das Glasmännchen und der Kohlenmunk-Peter wohnen. Diese natürlich gewachsene Schönheit der Vielfalt, diese berückende Grünorgie, dieser frühherbstliche Farbentanz. Vielfalt heisst die erste Bemerkung zur Würdigung der neun Arbeiten. Vielfalt an Themen von der Bildung zum Wohnungsmarkt, von den Grundlagen des Planermetiers zum Tourismus. Der ist in sich

vielfältig. Wir treffen auf den romantischen Fremdenverkehr von Stadtkind, Heidi & Geissenpeter und auf den Tourismus für die Sportskanonen. Und Vielfalt in den Arbeiten. Die Studenten sind keine ideologisch vernagelten Besserwisser, sie untersuchen das Dorf von allen Seiten her und probieren viele Perspektiven. Sie stellen ihre Erkenntnisse vielfältig dar – oft virtuos mit der Zeichnung, der Tabelle, dem Diagramm, dem Comic, der Collage, ja gar dem Film. Haltungen Planung und Architektur können zynische Geschäfte sein. Es geht um viel Geld, um Macht, um Spekulation und die Profite werden rücksichtslos durchgesetzt und eingetrieben. Planerinnen sind Rädchen in einem Geld- und Machtgefüge und es sind nicht wenige, die dieses munter anheizen und mit Mackergesten grossartige Würfe in Städte pflanzen und übers Land leeren. Es ist rührend – die gut zwei Dutzend Studentinnen und Studenten sind anders. Sie sind wahrhaftig und getragen von heiligem Ernst. Sie wollen «einen Beitrag leisten», sie wollen den Erdball verbessern, sie glauben an den «andern Weg» und wollen ihn. Angewiesen aber von ihren Professorinnen und Professoren, denen es ein Anliegen ist, dass man ihre Studierenden dann auch brauchen kann draussen vor der Schultüre, setzen sie all diese Ernsthaftigkeit und Weltreform um mit den Mitteln des Metiers – der Analyse, dem Entwurf, der Darstellung. Die Ernsthaftigkeit kreist immer um den Bestand. Die Studentinnen untersuchen sorgsam, was da ist, sie drehen Steine um wie die Archäologen auf der Akropolis, damit nichts zu Schaden komme. 113


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