Walfer Buet Mars 2010

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DE WALFER BUET

Schwingungen im Gips In einer ehemaligen Mine in Walferdingen ist das Europäische Zentrum für Geodynamik und Seismologie Erdbeben auf der Spur Als am 12. Januar 2010 in Haiti die Erde bebte und über 200.000 Menschen in den Tod riss, dauerte es noch etwa eine halbe Stunde, bis das Beben auch Luxemburg erreichte. Natürlich stürzten hierzulande keine Häuser ein, ja nicht einmal Wände wackelten und in den Schränken klirrten keine Gläser. Dennoch gab es einen Ort im Großherzogtum, an dem das Beben wahrgenommen wurde: die ehemalige Gipsmine in Walferdingen, in der das Seismometer des Europäischen Zentrums für Geodynamik und Seismologie (ECGS) die Erderschütterung genau aufzeichnete.

D Er war wohl der erste Luxemburger, der von dem schrecklichen Beben in Haiti erfuhr: Dr. Adrien Oth, Geophysiker am ECGS, wurde um elf Uhr abends routinemäßig per E-Mail über das Beben informiert. Denn das ECGS ist an das weltweite Netzwerk “Geofon” angeschlossen, das Erdbebenmeldungen von seismologischen Stationen rund um den Erdball zusammenträgt und auswertet. Warum bedarf es jedoch gerade im relativ erdbebensicheren Luxemburg einer seismologischen Station? “Zunächst einmal ist bei einem Erdbeben die Bestimmung des Epizentrums schwierig. Je mehr Messstellen es gibt, desto genauer kann die Quelle der Erdstöße ermittelt werden”, erklärt Adrien Oth. Zum anderen sei auch Europa keineswegs gänzlich vor Erdbeben gefeit. Gebiete, an denen die Erdkruste Spannungen aufweist, gebe es ganz in der Nähe, etwa den Rheingraben. Das letzte größere Beben, das auch im Großherzogtum zu spüren war, ereignete sich am 13. April 1992; damals befand sich das Epizentrum im niederländischen Roermond. Doch nicht dieses Erdbeben lockte die Seismologen nach Walferdingen, sondern die ehemalige Gipsmine. “Die Mine ist ein idea-

ler Standort: trocken, weit weg von jeglichem Zivilisationslärm und mit stabiler Temperatur und Luftfeuchtigkeit”, erläutert Adrien Oth. Einen Kilometer weit führen die Stollen unter die Höhen des Grünewalds, in etwa 80 Metern Tiefe herrscht eine Temperatur von 13 Grad. Bis Ende der 1980erJahre wurde hier Gips abgebaut. Die “wissenschaftliche Karriere” der Mine begann allerdings schon früher: Ende der 1960er-Jahre begann der Luxemburger Jean A. Flick, einstiger Student der Geodäsie (Erdvermessung), mit der Installation geodynamischer Apparate zur Messung der Erdanziehungskraft. Schnell begeisterte er auch die internationale Wissenschaft für sein Projekt. Im Jahr 1988 führte diese internationale Zusammenarbeit zur Gründung des “European Centre for Geodynamics and Seismology”. Das Zentrum wird von einer Stiftung getragen und vom Europarat sowie dem Luxemburger Staat finanziert. Neben der Gipsmine verfügt das ECGS über Büros in einem Gebäude an der Rue Josy Welter in Walferdingen. Seit den 1990er-Jahren werden in der Gipsmine auch durchgängige seismologische Messungen durchgeführt. Die sensiblen Seismometer können Schwingungen

im Nanometerbereich messen; ein Nanometer (nm) entspricht einem Millionstel Millimeter. Zudem organisiert das ECGS ein regelmäßiges internationales Wissenschaftstreffen, die „Luxemburger Geodynamik-Tage“. Aussagen über Erdbeben oder Erdbebengefahren in Luxemburg seien jedoch schwierig zu treffen, wie Adrien Oth erläutert: „Wir haben in Luxemburg noch kein permanentes Netz an seismologischen Stationen, von denen es bislang nur drei landesweit gibt. Ein solches Netzwerk ist allerdings notwendig, um die für solche Aussagen benötigten Daten zu gewinnen.“ Deshalb werden die Seismometer in Walferdingen auch weiterhin vor allem Erkenntnisse für und über ferne Länder liefern. Ob diese Erkenntnisse jemals ausreichen werden, um eine Katastrophe wie die in Haiti vorherzusagen? Adrien Oth ist mehr als skeptisch: „Die Vorhersage eines Erdbebens ist sehr schwierig, da wir die Spannungszustände der Erdkruste in mehreren Kilometern Tiefe kennen müssten – und das an vielen Stellen der Erdoberfläche.“ Deshalb stehe die Seismologie, die eine mit ihren gut hundert Jahren eine noch sehr junge Wissenschaft ist, noch vor sehr fundamentalen Fragen, etwa: „Wie beginnt ein

Erdbeben, und wann hört es auf?“ Die Aufgabe der Seismologie sieht der 29-jährige Geophysiker eher darin, herauszufinden, wo und wie sich bei einem Erdbeben die Erdoberfläche bewegt: „Es ist sinnvoller zu wissen, welche Bodenbewegungen man bei einem Erdbeben zu erwarten hat, um sich darauf vorbereiten zu können.“ Eine solche Bodenbewegungsanalyse könne dann dazu beitragen, in erdbebengefährdeten Regionen die richtigen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, etwa beim Bau neuer Gebäude. Und wer weiß, vielleicht muss er ja eines Tages nicht mehr das Schlimmste befürchten, wenn er per E-Mail routinemäßig über ein Erdbeben informiert wird. 01 Sogar in Luxemburg noch messbar /// Adrien Oth vom ECGS zeigt die vom Erdeben in Haiti ausgelösten Schwingungen, die das Seismometer in Walferdingen aufzeichnete. 02 Bis auf den millionstel Millimeter genau /// Moderne Seismo­ meter sind derart sensibel, dass sie möglichst von jeglichem “Zivili­ sationslärm” abgeschottet werden müssen. 03 Gänge im Gips /// Mehr als einen Kilometer graben sich die Stollen der Walferdinger Mine in die Felsen unter dem Grünewald.

DE WALFER BUET NR. 3 Mäerz 2010

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