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#Kultur #Kino

La Belle Saison

LIEBE IN DER REVOLTE

S

üdfrankreich, 1971. Delphine (Izïa Higelin) hilft tatkräftig auf der Farm ihres Vaters mit. Es ist sein Wunsch, dass sie bald heiratet. Innerhalb der ersten fünf Filmminuten Ein lesbisches Liebespaar, das gegensätzlicher nicht sein könnte. verliert sie ihre heimliche Freundin und flieht nach Paris. Dort lernt sie Carole (Cécile de Fast so viel Nacktheit wie in Abdellatif Kechiches kontroversem France) kennen, die Anführerin der studen»Blau ist eine warme Farbe«, dafür aber mehr politische tischen Frauenbewegung. Delphine verliebt Aussagen. Und sehr viel Romantik. sich in Carole, die aber einen Freund hat, und schließt sich der Bewegung an. Bald wendet sich das Blatt; schließlich ist die ältere Carole diejenige, die für Delphine alles stehen und liegen lässt. Dann muss Delphine abrupt zurück aufs Land, weil ihr Vater schwer erkrankt ist. Carole schreckt vor ländlich-patriarchalischen Zuständen nicht zurück und folgt Delphine als »gute Freundin« in den Süden. Die politisch aufgeladene Stadt- und Liebesgeschichte wird zum intimen und zunehmend beklemmenden Familiendrama. Die Regisseurin zeigt eine schmerzhaft echte Liebesgeschichte ohne Zensur, die Chemie zwischen den Schauspielerinnen ist fast gruselig. Die Darstellung der Pariser Studentenbewegung aus weiblicher Perspektive ist ein kleines Fest: Die Frauen sabotieren mit Freude Anti-Abtreibungsvorträge und befreien einen schwulen Freund aus der Elektroschocktherapie. Überzeugend ist auch das durchaus ambivalente Verhältnis zum Gegensatz zwischen Stadt und Land – Bilder traumhafter Landidylle und der genaue Blick auf jene Abgründe, die sich in den Zwängen der ländlichen Gesellschaft der 1970er zeigen. Elisabeth Haefs — »La Belle Saison – Eine Sommerliebe« (F 2015; R: Catherine Corsini; D: Cécile De France, Izïa Higelin; Kinostart: 05.05.16; Alamode Film)

Chrieg

Terror auf der Alm Schweizer Realismus und eine intensive Geschichte. Regisseur Simon Jaquemet setzt in seinem starken Debüt auf Laienschauspieler.

Ohne viel Federlesens landet man am Tisch einer kleinen Familie. Ein familiäres Idyll im Eigenheim? Eher ein Beispiel fürs Dysfunktionale. Am Tisch wird nicht geredet, der herrschsüchtige Vater schafft Fakten. Sohn Matteo leidet unter der Situation, vergräbt sich unter Drogen, Pornografie und Kleinkriminalität. Bei seinem Therapeuten erfährt er, dass er

»männlicher« gemacht werden soll. Der Konflikt mit seinem Vater spitzt sich zu, als Matteo das Geschwisterchen bei einem Ausflug fallen lässt. Des Nachts wird er von zwei fremden Männern aus dem Bett gerissen. Langsam dämmert es ihm, dass er in ein »Bootcamp« auf einer abgelegenen Alm gebracht wird. Dort warten sowohl Terror als auch Freude auf ihn. Simon Jaquemets Film verbindet gekonnt gegenüberliegende Pole wie ländliche Idylle und Gewalt, Freundschaft und Kampf. Benjamin Lutzke, der Matteo spielt

beziehungsweise fast schon lebt, untermauert wird – und zu Recht wurde als Laienschauspieler auf mehrfach preisgekrönt wurde. der Straße entdeckt. Auch die üb- Lars Fleischmann rigen Darsteller sind keine Profis. So entsteht in »Chrieg« eine — »Chrieg« (CH 2014; R: Simon Jaquemet; D: Sascha Gisler, Benjamin Lutzke; viel direktere, nah an der Realität Kinostart: 28.04.16; Déjà-vu Film) entwickelte Stimmung, die durch Schwyzerdütsch und Slang noch


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