Intro #174

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≥ Keine schlechte Einstiegsdroge und gerade richtig für Leute, die auf Songwriter-Musik mit Rückgrat stehen oder sich gerne an die Zeit erinnern, als Billy Bragg noch jung und wütend war. Daniel Koch

Laura Vane & The Vipertones Laura Vane & The Vipertones Unique / Groove Attack / VÖ 14.08. Hallo Modern Soul. Bei Laura Vane wird klar, dass die wirklichen Wurzeln dieser Musik bei James Brown und nicht bei Lionel Richie liegen. Hier pumpt der Bass wie zu den besten Stax- und Motown-Zeiten. Und wenn es dann mal moderner wird, stehen The Neptunes dafür Pate. Kurz: Ist dir dieser Soul zu »hart«, hast du überhaupt keinen Funk, Alter. Uwe Buschmann

We Were Promised Jetpacks These Four Walls FatCat / Cargo We were promised what? Könnten das nicht die eigentlichen Jimmy-EatWorld-Nachfolger zu der grandiosen »Stay On My Side Tonight« sein? Oder ist das doch eine der neuen Bands von der Insel, die ein wenig New Wave trällern? Berechtigte Fragen. Nach den ersten Hördurchgängen von »These Four Walls« lichtet sich der Nebel nur spärlich. Dennoch bleibt ein Gedanke: Das war gut. Und irgendwie auch groß. Noch mal hören und noch mal. Und immer wieder. Die allgegenwärtige Mischung aus New Wave und Emorock zündet gewaltig, wie besonders das Stück »It’s Thunder And It’s Lightning« beweist. Atmosphärische Gitarrenwände, spannungsaufbauende Melodiebögen und ein einprägsamer Glasgow-Akzent beschwören den lupenreinen Übersong hervor, den man nur selten einer Platte entreißen kann. Aber auch die Stücke drum herum sind keine verdorrten Steigbügelhalter: Jedes besitzt seine eigene Art, seine individuelle Stärke. Einziges Manko mag dabei aber sein, dass sich die vielen Individuen nie völlig auf einen Bandsound committen können. Wer sich davon aber abschrekken lässt, verpasst definitiv etwas. Raphael Schmidt

The xx The xx XL / Beggars / Indigo Achtung, das hier ist kein Platzhalter. The xx aus London benutzen Stilmittel wie Kälte, Augenbrauen-Hochziehen und völlige Gleichgültigkeit – und erschaffen damit Soundgerüste aus intimem Minimalismus. Wenn man wollte, könnte man sie anhand ihrer Herkunft charakterisieren: still wie der Hyde-Park

an einem Sonntag im Morgengrauen, geheimnisvoll und leise wie die dicken Wände der Westminster Abbey, rhythmisch wie das pulsierende Zentrum. Songs wie »Shelter« oder »Stars« präsentieren sich dem Hörer in einem Vakuum aus beispielloser Verzweiflung. Und die Verzweiflung wird der komplette Vortrag auch auf Albumlänge nicht mehr los. So steht die sanfte und zurückhaltende Stimme von Romy Madley Croft im krassen Kontrast zu Bassist Oliver Sim, der den Songs eine trügerische wie auch surreale Note verleiht und so an große 80er-Ikonen erinnert – gleichzeitig aber seiner Zeit vorauseilt. Das sicherlich ästhetischste und bestsortierteste Debütalbum seit »Un­ known Pleasures« von Joy Division. Raphael Schmidt

Years Years Arts & Crafts / Al!ve Hey, jetzt kommt doch erst mal das ständig angekündigte 90er-Revival! Und noch nicht das der frühen 00erJahre. Müsste man dem Ohad Benchetrit mal stecken. Years ist sein fast ausschließlich instrumentales Soloprojekt, hier sucht er Zerstreuung von seinen anderen Projekt – Do Make Say Think, Broken Social Scene – und landet musikalisch in dieser merkwürdigen Zeit von vor zehn Jahren. Ja, damals! Damals war die erste Welle post-technoider Elektronik gerade abgeebbt, und zahlreiche Produzenten arbeiteten sich an der digitalen Prozessierung akustischer Instrumente ab. Man denke an Vert (Adam Butler), eine Reihe früher Tomlab-Acts (Books), Ekkehard Ehlers’ März-Projekt oder Abspaltungen der Chicagoer Postrock-Familie. »Years« hätte perfekt hier hinein gepasst. Getragene, elegisch-ausladende Gitarrenarrangements zwischen Tortoise und John Fahey werden elektronisch manipuliert – nicht krass, sondern sanft und zurückhaltend. Der Eindruck einer sonnigen Bluegrass-Musik, die durch die PostrockSchule hindurchgegangen ist und sich ihres Minimalismus-Potenzials bewusst ist, wird durch die digitalen Schnitte nie gestört. Im Gegenteil: Das unterscheidet Years dann doch von den oben genannten Projekten aus der Zeit der Millenniumswende. Die waren bei allem intendierten Wohlklang klar aufs Zersägen und Neuzusammensetzen ausgerichtet. Ohad Benchetrit akzeptiert den klassisch-kanonisierten Rahmen der Americana-Musik aber vorbehaltlos. Und obwohl die Produktion absolut gegenwärtig klingt – sehr klar und transparent, eine Spur zu kalt –, hat die Musik etwas rührend Anachronistisch-Melancholisches an sich. Nicht zukunftsweisend, aber wohl genau das Richtige für eine Solo-CD. Felix Klopotek


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